Saoirse rannte. Flüchtete vor dem, was sie im Kopf schon längst geahnt, sich aber in ihrem Herzen nicht eingestehen wollte. Sie war nicht mehr attraktiv genug für ihn, ihr Liebesleben war nach all den Jahren eintönig und mehr Pflicht denn Kür. Aber ihren Mann nun mit der Anderen derart entflammt in Aktion zu sehen war mehr als sie ertragen konnte. Kurzschlussartig war sie aus dem Haus gestürmt und in ihren Wagen gesprungen. Weg, nur weg von hier und fort von ihm. Sollte er doch mit dieser Tussi, die so unverschämt grazil und hübsch war, glücklich werden und diese von nun an seine Unterhosen waschen sowie seine Oberhemden bügeln!
Die grüne Landschaft Irlands flog an ihr vorbei. Viel zu schnell war sie auf der N4 von Dublin in Richtung Longford unterwegs. Alles egal. Wer würde sie schon vermissen, wenn ihr etwas zustieße. Er? Sicher nicht! Hatte er doch gerade alle Hände voll mit seinem Nymphchen zu tun und seine Sinne woanders.
Tränen liefen unablässig über ihre Wangen und trübten ihren Blick. Die Eifersucht wütete wie ein zerstörerischer Dolch in ihrem Herzen. Eben hatte sie Clonard passiert und unvermittelt war alles voller Nebel. Sie konnte dem grasbewachsenen Hügel, der sich wie aus dem Nichts urplötzlich vor ihr auftürmte, nicht mehr ausweichen und rammte ihn fast ungebremst.
Glas splitterte, sich deformierendes Metall heulte gequält auf, der Geschmack von Blut breitete sich in ihrem Mund aus und es wurde schwarz vor ihren Augen. Geistesgegenwärtig riss sie noch die Arme vor ihr Gesicht, der Gedanke an die unvermeidliche Halskrause, die sie sicher für eine Zeitlang entstellen würde, huschte noch durch ihren Sinn. Den harten Aufprall auf der feuchten, aufgewühlten Erde spürte sie schon nicht mehr.
Die zarten Feen stöhnten und wischten sich Schweiß und Dreck von ihren Stirnchen. Diesen Menschen zu bewegen, der so rabiat ein Loch in ihren heiligen Hügel gerissen und einen Eingang in die Anderswelt getrieben hatte, war selbst in einer Hundertschaft nur schwerlich zu bewerkstelligen. Doch schon bald würde sich der magische Nebel lichten und noch mehr von diesen schrecklichen Riesen würden herbeieilen, um ihre Ruhe zu stören. Sorgfältig verschlossen einige wenige den Zugang zum Feenreich und die anderen schafften es, die bewusstlose und verletzte Frau zwischen den Wurzeln einer Linde zu betten und deren Wunden mit schnell heilender Pflanzenmedizin zu versorgen.
Saoirse erwachte mit schrecklichen Kopfschmerzen und öffnete blinzelnd ihre Augen. Gleißendes Sonnenlicht schmerzte in ihren Pupillen. Wo war sie? Der Unfall! Die Erinnerung kehrte zurück. Lag sie noch immer im Gras? Vorsichtig bewegte sie unter Schmerzen ihre Glieder und Adrenalin pulste durch ihren Körper.
Ein lautes Furzen und Rülpsen unmittelbar neben ihr, ließ sie zusammenzucken und sie glaubte nicht, was sie da sah. Ein Leprechaun mit struppigen Drei-Tage-Bart, fast nackt, an entscheidender Stelle nur mit ehemals weißem Feinripp notdürftig verhüllt und sich wohlig am Hintern kratzend, blickte einigermaßen besorgt auf sie herab. Er rülpste nochmals lautstark und sein Atem stank dabei nach vergorener Dickmilch. Endlich sprach er und stellte sich als Puck vor und, dass der Feenkönig - Oberon persönlich - sie zu sehen wünsche.
Das musste gewiss ein schlechter Traum sein! Sicherlich lag sie in irgendeinem Krankenhausbett und stand unter dem Einfluss von Drogen. Also warum nicht den König der Feen treffen? Es war ja nicht echt – glaubte sie.
Sie erhob sich fast zu schwungvoll und ihr Körper gehorchte seltsamerweise. Leicht fühlte sie sich, als schwebe sie. Und noch etwas war mehr als seltsam. Ihre legere Kleidung, bestehend aus Jeans, T-Shirt und Turnschuhen war verschwunden und sie trug stattdessen ein annähernd transparentes Kleidchen, ähnlich den Flügeln von Insekten, welches je nach Lichteinfall in den Regenbogenfarben schillerte. Sie konnte sich nicht erinnern, sich umgezogen zu haben. Und zierliche geflügelte Wesen, die sie wie bunte Kolibris umschwirrten, flochten singend Blüten in ihr Haar. Zahme Chamäleons auf dem Weg spiegelten die Farben ihres feenhaften Kleides und rollten auf ein unhörbares Kommando ihre Zungen in die Höhe aus, welche nun ein Spalier über ihrem Weg bildeten.
Ein unglaublich schöner Traum – es musste so sein! Blumen unter ihren nackten Füßen, nur der Gesang von Vögeln, das leise Rauschen der Blätter im Wind und das glockenhelle Kichern der Feen, doch keinerlei Zivilisationsgeräusche. Schließlich hatten sie die Halle des Königs aus geflochtenen Zweigen und den mit Blütenblättern bestreuten Boden erreicht.
Oberon sah ganz anders aus als gedacht. Die Adoleszenz hatte er schon lange hinter sich gelassen, zahlreiche silbrige Strähnen durchzogen das einst dunkle Haar, sein Gesicht war gezeichnet von den Erfahrungen vieler Monde, dennoch – oder gerade deshalb - wirkte er staatlich, dominant, erfahren, weltmännisch und seine Ausstrahlung war Erotik pur. Ein Blick von ihm genügte und um Saoirse war es geschehen. Sie wurde in dieser Nacht zu Wachs in seinen Händen.
Lautes Zetern sowie das Geräusch zersplitternden Porzellans weckte Saoirse, deren Augen von der sinnlichen Nacht davor noch mit einem seidigen Tuch verbunden waren. Ihr Kopf ruhte auf einem weichen Kissen und dessen Bezug duftete noch nach ihrem Feenkönig. Seine Hände vermeinte sie noch immer auf ihrer Haut zu spüren. Das Laken war noch körperwarm von ihm und sie tastete suchend nach ihm. Ihr Kopf schmerzte. Eine Frau tobte fürchterlich und schimpfte unangenehm hochfrequent und wieder zersprang etwas zartes Kostbares in tausend Stücke. Die Stimme war ihr bekannt. Sie gehörte der neuen Tussi ihres Mannes. Sie konnte nicht fassen, was sie da hörte.
Oberon stritt mit Titania, seiner Gemahlin. Oder eher gesagt, sie stritt mit ihm, weil sie ihn in flagranti mit Saoirse im Bett erwischt hatte. Oberon verwies darauf, dass Titania es ihrerseits mit der ehelichen Treue wohl nicht so genau nahm, da sie sich zuerst mit einem Sterblichen vergnügt hatte. Sie stritt alles ab und behauptete, sich an nichts erinnern zu können und nicht zu wissen, wie sie auf dem Lager dieses Mannes gelandet sei. Es folgte eine angespannte Stille, so zäh wie Gelee. Saoirse wagte kaum zu atmen, noch sich zu bewegen um nicht die Aufmerksamkeit der Streitenden auf sich zu ziehen. Ihr Mann hatte die sagenhafte Titania vernascht? Wie das? Mit seinem Bierbauch und der beginnenden Glatze? Oder hatte er Qualitäten, von denen sie bislang noch nichts ahnte?
Seltsamerweise gab es ihr keinen Stich, sie fühlte sich wohltuend befriedet und auch ein bisschen stolz - auf ihn und auch auf sich. Schließlich hatte Oberon persönlich sie begehrt. Auch nicht zu verachten! Sie seufzte leise. Oberon - was für ein Mann und welche süßen Dinge er sie in dieser Nacht gelehrt hatte! Vielleicht hatte ihr Mann ja auch eine besondere Unterweisung von Titania erhalten?
Wenn sie aber ehrlich war, sehnte sie sich nach ihrem Mann, fand ihn interessanter als je zuvor. Heftig regte sich ein sehr spezielles Verlangen in ihr.
Jetzt mischte sich noch dieser Kobold ein, indem er kleinlaut verlauten ließ, dass ihm das alles furchtbar unangenehm sei. Er sei schuld und verdiene Strafe, weil er den von Oberon angeordneten Liebeszauber im Rausch anscheinend oder - eher gesagt - offensichtlich irgendwie etwas durcheinander gebracht hatte.
Die vielgenossene alkoholische Gärung sowie die liebreizenden Elfen mit ihren keck stehenden Brüstchen und den lockenden Hüftschwüngen hätten ihm die Sinne vernebelt. So sehr, dass diese sogar die Welt jenseits des Feenhügels erfasst und verhüllt hatten. Zerknirschte Stille herrschte nun und doch war da eine schleichende Bewegung, ein naher Luftzug. Die Augenbinde wurde entfernt, doch bevor Saoirse die Augen öffnen konnte, ward ihr eine Flüssigkeit auf die Lider getropft und die Zeit stand still.
*
Saoirse schlug die Augen auf und sah als erstes den ledernen Traumfänger über ihrem Bett im leichten Luftzug des geöffneten Fensters schwanken. Sie wandte sich zur Seite, sah ihren Mann lächelnd neben sich liegen. Er zog sie mit Liebe in seinem Blick in seine Arme und küsste sie. Sie verstand nicht wirklich, dennoch sank sie in seine Umarmung. Genoss und erwiderte sie - so als wäre nichts geschehen und es total normal, sich nach langer Ehe noch immer so zu begehren wie am Anfang.
Und so entgingen ihr die kleinen geflügelten Wesen auf ihrem Nachttisch, zwei von ihnen trugen je ein Krönchen auf ihren Köpfchen und sie stritten nicht mehr, ganz im Gegenteil. Sie blinzelten verschwörerisch als sie den Lauf der Zeit nach einigen Umdrehungen in die andere Richtung wieder in Gang gesetzt hatten, hauchten den beiden Liebenden noch einen sündigen Kuss zu und kehrten zurück in den dicken Schmöker, der dort lag und darauf wartete, zu Ende gelesen zu werden.
Inspiriert von „Ein Sommernachtstraum“