Ich kann es nicht fassen, nach gefühlten Monaten der Kälte und Dunkelheit sind Sonne und Wärme zurückgekehrt. Mein Balkon liegt im schönsten Licht, die ersten Bienchen haben meine kleinen Narzissen in den diversen Blumentöpfchen entdeckt und das Thermometer zeigt 25 Grad – um 11 Uhr morgens.
Wen stört es schon, dass es gerade an der von der Sonne angestrahlten Hauswand hängt? Das Leben ist endlich wieder schön. Sonne, Wärme und viele Ideen für neue Geschichten im Kopf.
Gerade habe ich mich auf den weichen Polstern meines Liegestuhls niedergelassen, das Läppi auf meinen Knien, um zunächst die etwas unangenehme Arbeit des Ausmistens meiner digitalen Freundesliste in Angriff zu nehmen als sich der liebeswerte Drachen unterhalb von mir meldet, den ich seit Jahrzehnten „Mutti“ nenne.
„C…? Bist du da?“ Ruft sie hoch.
Natürlich ist das rein rhetorisch, sie weiß, dass ich mich gerade gemütlich oben zum sonnen hingesetzt habe. Ich höre es an dem lauernden Tonfall ihrer Stimme. Sie ist in einer Zeit aufgewachsen als das "Seele baumeln lassen“ noch eine der sieben Todsünden war und mit dem unschönen Adjektiv "faul" bezeichnet wurde. Doch noch habe ich ein Quäntchen Hoffnung auf Nichtentdeckung, mache mich klein und stelle vorsichtshalber das Salzstangengeknusper ein, nur um kein verräterisches Geräusch mehr zu produzieren. Doch zwecklos! Verflixt, warum ist mir diese blöde Tüte vorhin nur in die Hände gefallen? Garantiert hat da eine höhere Macht ihre Finger im Spiel.
„C…? Ich höre doch das Brummen deines Dings, mit dem du immer schreibst. Ich weiß, dass du da bist! Ich könnte nur mal kurz deine Hilfe brauchen, maximal eine Stunde.“
Verdammt! Das hört sie? Ihre Ohren funktionieren immer dann perfekt, wenn es gilt, mich für eine ihrer Arbeiten aufzuspüren. Komisch, dass das nicht für die Lautstärke ihres Fernsehers gilt, wenn ich spätabends versuche, einzuschlafen.
„Hallo Mutti, eigentlich habe ich gerade gar keine Zeit, ich arbeite gerade an einer neuen Geschichte.“ Antworte ich mit einer Hoffnung, die gegen Null tendiert und nicht gerade überschäumend vor Lust. Ich kenne diese Sprüche. Nur eine Stunde soll ich helfen und dann bin ich den ganzen Tag über mit irgendwelchen Mist beschäftigt, den ich persönlich aus ökologischen Gesichtspunkten ablehne.
„Und uneigentlich kannst du dich bei der Gartenarbeit auch kreativ austoben. Aber so ist es ja immer, wenn ich dich mal brauche, hast du keine Zeit und musst auf deinem Computer herumspielen. Naja – das werde ich mir merken, wenn du mal wieder mein Auto brauchst oder einen Babysitter. Dann mach ich es eben selbst!“
Ihre Stimme ist dabei immer lauter, beleidigter geworden, mit – zum Schluss – leicht weinerlicher Anwandlung. Dieser MIMIMIMIMI-Tonfall, der wie zufällig nebenbei implementiert: Nie bist du da, wenn man dich braucht! Immer sitzt du nur faul mit diesem Dings auf dem Schoss herum, anstatt mir armen alten Frau mal zu helfen, dafür hab ich zwei Tage in den Wehen gelegen etc…Sämtliche Vorwürfe und alle, von mir jemals verübten Schandtaten, kommen aufs Tablett. Manche nennen das moralische Erpressung.
Ich sollte es besser wissen und schlucke meine aufkommende Aggression herunter, zu oft schon artete das alles in heftigen Streit aus. Tagelanges Schweigen und sich-aus-dem-Weg-gehen, schließlich tränenreiche Versöhnung, weil wir beide es nicht mehr aushalten. Seit ich denken kann, läuft es nach diesem Muster ab. Wenn sich der zumeist liebenswerte Drachen etwas in den Kopf gesetzt hat, dann passiert das auch.
Egal wie. Nicht umsonst ist sie vom Sternzeichen her Widder mit Aszendent Stier oder so ähnlich.
Und bevor das Ganze zu einem bösen Streit über Sinn und Unsinn über das Aufräumen des Gartens, damit es endlich wieder „ordentlich“ aussieht und „man“ sich nicht mehr vor den Nachbarn schämen muss, weil Sodom und Gomorrha im Beet herrscht, obwohl „man“ im Herbst jedes einzelne abgefallene Blättchen penibel eingesammelt und über den Biomüll entsorgt hat, schalte ich also mein Läppi mit einem frustrierten Schnauber aus. Ich weiß, wann ich verloren habe und komme genervt die Treppe herunter.
Sicher darf ich jetzt wieder glitschige Nacktschnecken einsammeln, die wir nicht im Garten hätten, wäre er nicht so steril aufgeräumt. Dann gäbe es nämlich Igel, die diese Viecher für mich wegfressen würden.
Ich grabe also die angeblich kaputte Forsythie – wie gewünscht – aus. Entferne dabei mehrere ausgebüxte Sprossen des Bambus am Teich und quäle mich unendlich dabei. Sie steht daneben und kommandiert wie ein Feldwebel. Dies, das, jenes und noch welches, ihr Ideenreichtum, mich zu beschäftigen ist groß.
Die Sonne sinkt und es beginnt zu dunkeln. Erschöpft schleppe ich mich meine Treppe hoch zu meiner Wohnung, dreckig von oben bis unten, das Haar zerzaust, die Haut zerkratzt und angeritzt von harten Pflanzenfasern. Da hat sich zumindest die Tetanusimpfung im Dezember wirklich gelohnt.
Mein liebenswerter Drachen lächelt glücklich und stellt mit Zufriedenheit fest: „Endlich haben wir
unsere Ordnung im Garten wieder und ein bisschen Farbe hast du auch bekommen. Das war doch jetzt viel besser als nur herumzusitzen und irgendwelche unnützen Wörter aufzuschreiben. Nichts geht über harte Arbeit, gell?“ Und strahlt mich dabei an.
„Unsere“ Ordnung, frage ich mich? Wohl eher „
ihre“ Vorstellung von Ordnung, bei der es in Natur so aussieht wie in ihrem Wohnzimmer. Doch ich verkneife mir das laute Aussprechen. Irgendwann wird das ein wildromantischer Naturgarten werden, doch das wird (hoffentlich) noch etwas dauern, mein liebenswerter Drachen würde mir sehr fehlen.