Perle des Pfinztales
Ich hoffe, ich bin jetzt nicht zu spät
Etwas ratlos schiele ich auf das Datum der Nachricht. Es steht eindeutig November darüber, kein Hauch von 1. April ist kalendarisch in der Nähe. Meine Augen überfliegen wieder den Text und das dem Artikel beigefügte Foto. Unschuldig liegt es da, Gewicht etwa ein Pfund. Zärtlich scheint es in Form gebracht worden zu sein, nicht dieses furchtbare starre Gekräuselte in Schicksalsgemeinschaft mit rot färbendem Gas in Folie geschweißt in den Kühltheken der üblichen Supermärkte. Mein Kennerblick sagt mir: dieses
Gehackte stammt von einem Metzger. Die Nachricht sagt mir, so etwas liegt ab und an bei einer S-Bahn-Trasse in meiner Heimatstadt. Echt? Den möchte ich kennen, der es auslegt und nach dem warum fragen. Danach leckt sich doch bestimmt mancher Hobbykoch die Finger. Was für eine Verschwendung von Lebensmitteln. Und wo war das nochmal genau?
Berghausen, überhaupt nicht Karlsruhe! Klar doch. Berghausen ist bekannt für Hackfleisch-Fetischisten. So einer wie mein Schwiegervater, der einerseits mir gerne eine
zerrissene Haferflocken-Packung in der Küche übrig ließ, wenn es mit dem Kernige-Flocken-Süppchen nicht schnell genug gehen konnte und anderseits aus einem Pfund Gehacktem für seine Enkeltöchter ein wahres Manna von Sauce Bolognese produzieren konnte. Verräterisch waren meist die
orangenen Spuren an ihren Mundwinkeln vom üppigen Gebrauch des Rosenpaprika darin.
Die Perle des Pfinztales – Berghausen – endlich mal in den Schlagzeilen. Ein kleiner Ort auf der Landkarte, ein beständiger Ort in meinem Leben, ein nicht vorhandener Ort im
medialen Dauerfeuer von immer neueren Nachrichten. Dort wird es einfach der nächstgrößeren Stadt zugeschlagen. Das hat Berghausen nicht verdient. Was hat der Ort zu bieten? Einen Gasthof nebst Tisch, an dem bereits Napoleon saß - angeblich. Eine Durchgangsstraße, die den Bewohnern des Ortes die Haare zu Berge stehen lässt und regelmäßig um den Schlaf bringt, das Elternhaus meines Schwiegervaters und neuerdings Berühmtheit durch nachts deponierte Hackfleischpäckchen. Kurz überlege ich, ob die heimische Metzgerei damit zu tun haben könnte. Aber irgendwie brauchen die keine Werbung, längst sind sie schon über die Stadtgrenzen als Caterer bekannt.
Ein modernes Opfer der S-Bahn vielleicht, der sich rächen will? Wird die Linie doch nur dann regelmäßig bedient, wenn es bei der Betreibergesellschaft keine Personalengpässe gibt, also nie. Ein Anreiz für die Fahrer „Melde Dich nicht krank und es wartet gutes Metzgerfleisch auf Dich.“
Berührt das genug? Dafür ist ein Pfund als Motivation doch etwas wenig.
Erstaunlich ist nur die Aufmerksamkeit. All überall kann man davon lesen - vom Revolverblatt mit vier Buchstaben bis zu den angeblich seriösen News-Bringern. Schwiegervater hätte es gefreut. Er hätte geschmunzelt, hätte mit seinen Schulkameraden telefoniert, über gute alte Zeiten schwadroniert und darüber gelacht, dass die Jugend nicht mehr erlebt hat ohne
Taschenlampen nachts durch eine dunkle Hohl zu streifen und im Mondlicht mit Hilfe eines Dürrständers die schönsten Äpfel von einer Streuobstwiese zu klauen.
Vielleicht ist des Rätsels Lösung aber wirklich bei einem gerade
tinderjährig gewordenen zu suchen, der nicht mehr weiß, was man alles Leckeres aus dem rohen Fleisch herstellen kann? Nach dem Motto, warum soll ich Fleischküchle braten, wenn auf den Burgern von MacDonalds bereits fertige Fleisch-Patties liegen? Ich stelle es mir vor meinem geistigen Auge so vor: der Azubi aus der Fleischfabrik in einem anderen kleinen Ort bei Karlsruhe, die auch die Fleischbedientheken mit Produkten bestückt, bekommt jede Woche ein Pfund Hack geschenkt. Mami kann nicht kochen, Papi will nicht kochen, Freundin kauft Fertigpizza. Bevor er also zuhause Zeter-und-Mordio hört, weil durch das Kochen vielleicht Lebensmittelgerüche das gepflegte Odeur des Haushaltes stören könnten, gibt er lieber sein Mitbringsel an Mitbürger frei, die etwas damit anzufangen wissen. Sozusagen freies Hackfleisch an freie Bürger. Nur leider wissen die das großzügige Geschenk nicht richtig zu würdigen.
Genau, wie es nur noch wenige Bewohner dieses Ortes gibt, die fast andächtig von „Berghausen, der Perle des Pfinztales“ sprechen.
R.I.P. lieber W., Du hättest über diese Nachricht in den Medien über Deine Perle sehr geschmunzelt.