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Dirtytalk & Kopfkino
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Bildergeschichten

Rollen-Spiel
Wenn es einem dreckig geht, ist die Welt um einen herum schwarz, schwärzer und trüb. Wie gestern Abend, spät am Abend – vielleicht würde die repräsentative Mehrheit auch von „Nachts“ sprechen. Schwarz und dunkel, so wie das affige Kostüm, in das sich der verlebte Endvierziger gezwängt hatte, wohl in dem Wahn, noch einmal jung sein zu dürfen, noch einmal von vorn beginnen und alle vermeintlichen Fehler der Vergangenheit auf einen Schlag korrigieren zu können.

„Aufgedonnert“, das ging mir sofort durch den Kopf, als ich in Sichtweite dieser skurrilen, aber leider immer häufiger beobachtbaren Paarung Platz nahm, an einem dieser Einsamkeitshocker, dieser hohen Bistrotische mit unbequemen Stühlen, auf denen die eigenen Füße den Boden nicht erreichen und die man meist allein nur für einen schnellen Drink in Beschlag nimmt, weil nichts anderes frei ist.

Aufgedonnert waren alle beide, er auf seine Weise, sie billig, aber wirkungsvoll. Sie – die kleine, rothaarige Schnepfe – hat einfach viel Haut gezeigt. Er dagegen war sich wohl nicht bewusst, was für eine armselige Witzfigur er aus sich gemacht hat mit dem Stehkragen, dem offenen Zuhälterhemd und vor allem der völlig anachronistischen Kopfbedeckung.

Ich wollte einen letzten Roten zu mir nehmen, so als Einschlafhelfer, in letzter Zeit brauche ich das. Der Tag war lang und beschissen gewesen, es war längst nicht alles so gelaufen, wie ich es mir gewünscht hätte, aber am Ende - kurz vor meinem Abschied in die kurze Welt der Träume - noch mit so viel menschlicher Jämmerlichkeit konfrontiert zu werden, tat mir mehr weh als all die Niederlagen meiner eigenen Vergangenheit.

Eigentlich stellte er etwas dar, zumindest optisch, auf den ersten Blick. Er schien ein gestandener Mann gewesen zu sein, bevor er in die Fänge dieser mürrischen Kindfrau geraten ist, bevor er sich zum Affen gemacht hat. Ich beobachtete die beiden drei Halbliter lang, mehr als eine Stunde: Seine hilflosen Versuche, auf sie einzureden, sie von irgendetwas zu überzeugen, sie zu bitten um wer weiß was und ihre lässige, stereotype, aber wirksame Reaktion - ungerührt, abtropfend, ein rothaariger Lotus, an dem jeder Mann verzweifeln kann.

Der Anblick hat sich fest in mein Gedächtnis gebrannt, der Anblick eines bettelnden, jammernden Mannes, der nichts Männliches mehr an sich hat sondern nur noch bemüht ist, seine viel zu junge Affäre bei Laune zu halten. Mir könnte die Galle hochkommen bei dem schnippischen, abweisenden Gebaren des jungen Luders, das genau weiß, wie sehr sie den alten Kerl an der Angel hat. Mag sie erst zweiundzwanzig sein oder noch jünger – ihr hagerer Körper lässt keine exakte Schätzung zu – doch sie weiß bereits genau, wie man das Spiel spielt, wie man aus Männern Affen macht oder sogar Hündchen.

Wer weiß, vielleicht hat er eine gute Frau zuhause und Kinder, doch jetzt ist er dem blassen Nymphchen verfallen, erniedrigt sich alle Augenblicke, fleht, geht in die Knie, verspricht ihr alles, gibt sich selbst auf und bekommt nicht mehr als ihre gut inszenierte Ignoranz.

Klar, sie ist jung, riecht und schmeckt bestimmt gut und bewegt sich sicher gekonnt in gewissen Situationen, sie gibt diesem ausgebrannten Menschen das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, mit größter Wahrscheinlichkeit hat sie ihn bereits mehrfach zwischen ihre dürren, weißen Schenkel gelassen, so dass er genau weiß, was ihm entgehen würde, wenn sie sich plötzlich entscheidet, nicht mehr mitzuspielen, wie es gerade den Anschein hat. Die Angst davor strömt aus all seinen Poren, lässt seine Mundwinkel durchsacken, beugt seine Schultern und zwingt ihn in diese kriecherische Haltung: Er wird dem jungen Ding alles versprechen, Haus, Hof, Geld, Aufmerksamkeit und was sich solche Mädchen noch alles wünschen. Und am Ende wird es ihm nichts nützen.

Ich trinke aus, lege einen viel zu großen Schein auf den Einsamkeitstisch, ich kann die ganze Szenerie nicht länger ertragen. Zu allem Überfluss hat sich das durchtriebene Luder soeben eine Zigarette angezündet, direkt am Tresen. Das traurige Stück Mann an ihrer Seite wird dafür gerade stehen müssen, sie vielleicht sogar verteidigen, nur, um sie nicht ausgerechnet heute, nicht gleich jetzt zu verlieren.

Bevor es hier also Ärger gibt, verziehe ich mich lieber. Und werde versuchen, dieses fleischgewordene Bild des Elends aus meinem Kopf zu kriegen, bevor es in meine Träume kriecht und eine unheilige Sehnsucht weckt...
Rollen-Spiel (alt.)
Hurra auf das Leben, singe ich innerlich und schiebe mich durch die Willkommenstür meiner Stammkneipe - ach, was heißt da „Kneipe“? Ein Edelbistro ist es, immer bevölkert von illustrem Publikum und so wähle ich einen entspannten Roten, setze mich an meinen Stammplatz, von dem ich vor allem das linke Ende der Bar gut im Auge habe.

Und habe Glück: Ein besonderes Pärchen turtelt ungeniert direkt vor meinen Augen, intensiv, erregend, inspirierend.

Er: Ein Typ, ein echter Kerl, wohl an die Mitte Vierzig, mit kantigen Gesichtszügen, souverän und durchaus geschmackvoll gekleidet. Mal was anderes, denke ich mir: Dieser fesche, old-school-mäßige Hut, das laszive Hemd, ganz anders, als es uns das gleichmacherische Modediktat aufzwängen will, darüber ein unübersehbarer Mut zu Schwarz, ein Man-in-Black, vielleicht ein Witwer, der das Leben doch noch nicht aufgegeben hat.

Sie: Jung, ein wenig verschämt, aber dafür um so aufregender, sie geizt nicht mit ihren Reizen, setzt sich gekonnt in Szene, bleibt aber eher still im Hintergrund und gibt die Brave, lässt sich umgarnen und erlaubt ihrem Galan, sich ihr stilvoll zu widmen. Sie hat rote Haare, ist ein heller Typ, eine klassische Erscheinung, die sich offensichtlich nur ungern in den Vordergrund drängt.

Und so fährt er seinen Charme runter, raunt mehr als dass er redet, sie reagiert beinahe schüchtern, was sie besonders liebenswert macht. Es herrscht viel Eintracht zwischen ihnen, trotz des offensichtlichen Altersunterschiedes und in Gedanken proste ich ihnen zu. Er bezirzt sie, flüstert ihr Anekdoten ins Ohr, kitzelt sie mit geistreichen Pointen oder vielleicht sogar mit netten Schamlosigkeiten, ab und zu verdreht sie wie überfordert die Augen oder schließt diese sogar und er ist Gentlemen genug, sie dann nicht weiter zu bedrängen.

Mehr als eine Stunde genieße ich das Spiel der beiden, es wirkt wie ein Tanz auf mich, sie umkreisen sich, kommen sich immer näher, die Intensität nimmt zu und dann, dann halte ich die Luft an: Der Knoten scheint geplatzt zu sein, die zierliche, hellhäutige Rothaarige zieht eine Filterlose aus einem silbernen Zigarettenetui, führt sie zum Mund wie eine Diva, ihr attraktiver Verehrer gibt ihr formvollendet Feuer und lässt das reich verzierte Zippo mit einer routinierten Handbewegung wieder zuschnappen.

„Das wird Ärger geben“ raunt er ihr zu und sie schließt verschämt die Augen, verzieht den Mund ein bisschen trotzig – und man merkt den beiden an, dass sie sich gleich mit Wonne aus diesem Lokal schmeißen lassen werden, denn offenbar haben sie heute Nacht noch etwas Besseres vor.

Ich summe stumm vor mich hin und lege einen extra großen Schein auf meinen exklusiven Beobachtertisch. Ich will sehen, dass ich nach Hause komme und hoffe, dass ich wenigstens das letzte Bild von diesen Beiden in meine Träume retten kann, vielleicht sogar als Inspiraton...
Heuschreckenqual (auch im 8Wörterspiel)
Keine Sargnägel mehr schmieden. Nivea in Foveas lüsterne Blickkontakte schmieren. Die Einspritzdüse trockengefrieren und bedeckt halten, bis die Versuchung verschwindet.
Alles! Nur nicht wieder schwach werden.

So oft schon hatte er seiner Intuition nicht getraut. Sie zur Schlimmtuiton verkommen lassen. Der vermaledeiten Sehnsucht, der gottverdammten Geilheit oder einfach, um für ein paar aufregende Momente der inneren Leere zu entkommen.
Und nun?

Warum um Himmels willen hatte ausgerechnet Sie wieder in seiner Bar auftauchen müssen.
Sie, deren ausziehender Duft sich so gekonnt mit dem abweisenden Blick und der ambivalenten Körperhaltung vermählt. Schon einmal war er in ihren Armen fast erfroren. Nach der heißesten Nacht, die er in seinem eigentlich gar nicht keuschen Leben in ihrer unnachgiebigen Beinpresse überlebt hatte. Kein Saft war zuvor köstlicher gewesen. Kein Stöhnen melodischer.
Dass er dabei fast zu Tode geritten wurde, hatte den Reiz nur noch erhöht.
Im Auslauf der rhytmisch zuckenden Ewigkeit war er zum Jünger geworden. Er wäre jedem Flug ihrer ach so zarten Schmetterlingsflügel, selbst dem direkten Weg in die Hölle ohne Zögern gefolgt.

Verliebt wäre als Wort viel zu schwach. Er war ihr verfallen.

Kurz bevor ihr leises Schnaufen den tiefen Fall in die Welt der Träume ankündigte, hatte sie es noch geschafft, ihn eiskalt abzuservieren.
"Mach die Türe bitte leise hinter Dir zu. Ruf mich nicht an. Niemals! Hörst Du ..."

Er hat diese Worte nie vergessen, genauso wenig wie den wilden Liebestanz davor. Der Schock hat ihn eingefroren. Die Nacht. Diesen Augenblick. Sein Leben danach.
Er hat nie darüber nachgedacht. Und wenn ein Lächeln, ein Lippenschwung, ein dunkles Versprechen unter einem scheinbar versehentlich hochgerutschten Stück Stoff ihn daran erinnerte, half ein weiteres Glas Whiskey, des Teufels Fratze zu vertreiben.
Drei Minuten ist es her. Sie kam herein, zusammen mit einem Schwall grausamkalter Winterluft und stellte sich direkt neben ihn. Ein kurzes Lächeln, eine kleine Berührung am Arm. Sonst Nichts.

Seither tanzen die Gefühle Rumba in mir. Ich weiß nicht, ob meinem Gesicht etwas anzumerken ist, hoffentlich nicht. Was will Sie? Warum kommt Sie gerade jetzt, wo ich langsam wieder beginne aufzugehen, wieder in mein Leben geschwirrt? Überfallartig wie eine Wüstenheuschrecke.
Wo will sie noch etwas aussaugen, wo sie mich doch das letzte Mal schon bis auf den letzten Tropfen süßesten Holunderblütensirup ausgewrungen hat? Mich zurückgelassen in der Wüste und einfach weitergeflogen, als wäre nie etwas passiert?

Hilft mir niemand? Kann denn kein Gott intervenieren? Ich versuche verzweifelt, mit der Theke zu verschmelzen, in ihr aufzugehen, mich vom stumpfen, abgegriffenen Mahagoni so vereinnahmen zu lassen, dass für Sie kein Platz mehr in meinem dann erholsam holzigen Dasein ist.

Vergebens. Ich kann den Blick nicht von ihr wenden. Muss mit ihr reden. Verdammt!
Wenn sie mich doch nur einmal anschauen würde!
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Themenersteller 
Gänsehaut.
Nach den Krimis nun die femme fatale.

Spannend der Blick aus zwei verschiedenen männlichen Perspektiven, lieber https://www.joyclub.de/my/2105850.thehidden.html.

Hier die Bitterkeit im desillusionierten, vor Abfälligkeit triefenden Bild:

Mir könnte die Galle hochkommen bei dem schnippischen, abweisenden Gebaren des jungen Luders, das genau weiß, wie sehr sie den alten Kerl an der Angel hat. Mag sie erst zweiundzwanzig sein oder noch jünger – ihr hagerer Körper lässt keine exakte Schätzung zu – doch sie weiß bereits genau, wie man das Spiel spielt, wie man aus Männern Affen macht oder sogar Hündchen.

Immer noch zynische Ambivalenz im eher optimistischen Bild:

Sie: Jung, ein wenig verschämt, aber dafür um so aufregender, sie geizt nicht mit ihren Reizen, setzt sich gekonnt in Szene, bleibt aber eher still im Hintergrund und gibt die Brave, lässt sich umgarnen und erlaubt ihrem Galan, sich ihr stilvoll zu widmen. Sie hat rote Haare, ist ein heller Typ, eine klassische Erscheinung, die sich offensichtlich nur ungern in den Vordergrund drängt.

Und so fährt er seinen Charme runter, raunt mehr als dass er redet, sie reagiert beinahe schüchtern, was sie besonders liebenswert macht.

Beides faszinierend, mitreißend, wobei ich im ersteren vor Abneigung gegen den Betrachter hätte schreien wollen. Dennoch konnte ich nicht aufhören zu lesen.

Da hinein fügt sich fast wie die Hand in den Handschuh die bittere Betrachtungsweise aus Sicht des Mannes neben der Lady, die https://www.joyclub.de/my/748469.olove.html serviert; eine ungewöhnliche Darstellung, da es entgegen des üblichen Klischees die Frau ist, die den Mann für eine Nacht benutzt und im Anschluss vor die Tür setzt.

Sie, deren ausziehender Duft sich so gekonnt mit dem abweisenden Blick und der ambivalenten Körperhaltung vermählt. Schon einmal war er in ihren Armen fast erfroren. Nach der heißesten Nacht, die er in seinem eigentlich gar nicht keuschen Leben in ihrer unnachgiebigen Beinpresse überlebt hatte. Kein Saft war zuvor köstlicher gewesen. Kein Stöhnen melodischer.
Dass er dabei fast zu Tode geritten wurde, hatte den Reiz nur noch erhöht.
Im Auslauf der rhytmisch zuckenden Ewigkeit war er zum Jünger geworden. Er wäre jedem Flug ihrer ach so zarten Schmetterlingsflügel, selbst dem direkten Weg in die Hölle ohne Zögern gefolgt.

Verliebt wäre als Wort viel zu schwach. Er war ihr verfallen.

ich hätte den ganzen Text zitieren können, um meine Lieblingsstelle zu markieren. So unglaublich treffend beschrieben, dass ich schwach geworden und dem Text verfallen bin.

*hutab*, Ihr Zwei.
*****div Frau
7.968 Beiträge
Die zwei Alternativen von https://www.joyclub.de/my/2105850.thehidden.html sind richtig gemein. Beim Lesen vom Ersten musste ich die Luft anhalten, war er vom Ton für mich etwas - naja - nicht überdistanziert, sondern eher herablassend. Dann schlüpft die Alternative vor meine Augen - *grins* und plötzlich fängt die erste Variante wohltuend an, sich in meiner Erinnerung zu entfalten und ich merke, dass das zuerst Gelesene eher meines ist und nicht alles mit
******den:
Hurra auf das Leben, singe ich innerlich
mir mehr gefallen muss. Danke für den Denkanstoß!

***ve:
So oft schon hatte er seiner Intuition nicht getraut. Sie zur Schlimmtuiton verkommen lassen. Der vermaledeiten Sehnsucht, der gottverdammten Geilheit oder einfach, um für ein paar aufregende Momente der inneren Leere zu entkommen.
Brauche gar nichts dazu schreiben. Will ich einfach immer wieder lesen *top2*
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Themenersteller 
Who's gonna drive you home tonight
"Ich denke, du hast genug."

Anne drehte sich ruckartig um. Das konnte doch wohl nicht wahr sein! Gerade er tauchte hier auf, hier in ihrer Bar?

"Das geht dich nichts an." Ihr Blick schweifte ab, suchte in der Menge auf der Tanzfläche nach Marc, aber der war gerade beschäftigt. Wieder einmal. Gut, er war einer dieser von Gott begnadeten Tänzer, der sich mit den besten Partnerinnen auf der Fläche einlassen konnte. Schaute man ihm und seiner Partnerin zu, wusste man nicht, was heißer war: Die Musik oder das, was die beiden dort zeigten. Es war Erotik pur, fast wie Sex auf dem Tanzboden.

Wange an Wange glitten sie über das Parkett; sie hatte die Augen geschlossen und ließ sich von ihm führen. Vertrauensvoll, nahe. Und doch nicht ohne eigenen Willen, das zeigten die Figuren, in die er sie führte. Sie lockte mit jeder Faser ihres Körpers, drängte sich ihm entgegen, um im nächsten Moment scheinbar unerreichbar fern von ihm zu landen, strich sich über die ausladenden Hüften, hob den Fuß, nur Millimeter vom Boden, um ihn dann in quälender Langsamkeit auf ihn zuzubewegen. Jeder Mann im Raum hielt den Atem an, wünschte sich, dass sie sich schneller auf ihn zubewegte; auf ihn, ja, nicht auf Marc, mit dem sie doch tanzte. Sünde pur. Versuchung. Und Marc ließ sie gewähren, auf eine gelassene Art und Weise, die vermittelte: Spiel ruhig. Am Ende gehörst du doch mir.
Unvermittelt zog er sie wieder an sich heran, so perfekt getimed, dass sie noch nicht einmal ansatzweise ins Stolpern geriet. Reihenweise seufzten die Frauen innerlich auf. Nicht eine hielt damit zurück, dass sie nur ein einziges Mal in diesen Armen liegen wollte. Dieser Mann war muy masculino, so wie er sich dort präsentierte.

Dabei war Marc eigentlich gar nicht so. Marc war... ein Lausbub, wie ihre Mutter ihn genannt hätte. Immerzu lag ein schelmisches Lächeln in seinen Zügen und oft zog er Anne auf, forderte sie zu einem Wortgefecht heraus, bis sie beide nicht mehr aus dem Lachen herauskamen. Dann griff er nach ihr und kitzelte sie aus. Zumindest versuchte er es. Anne nämlich war eine der wenigen Frauen, die es geschafft hatten, sich gegen Kitzeleien unempfindlich zu machen. Dafür war ER verantwortlich. Dieser... Kerl, der nun neben ihr stand. Er hatte dafür gesorgt, dass sie sämtliche Gefühle unter Kontrolle halten konnte, wenn sie es nur wollte.

Einst hatte Anne für Alexander geschwärmt. Er war das, was Marc nur auf dem Tanzboden war: Männlich. Er war kein Sonnenschein, im Gegenteil. Sein Gesicht trug unglaublich markante Züge, die bisweilen eher hart wirkten. So hart, als bestünden sie aus Mamor, nicht aus weicher, warmer Haut. Als Geschäftspartner und jugendlicher Freund ihres Vaters ging er bei ihr zuhause ein und aus und Anne hatte seinen Anblick fast täglich ertragen müssen, bis sie endlich zu studieren begann und in eine Studenten-WG zog. Natürlich gegen den Willen ihres Vaters, der sie am liebsten bis zum Gang an den Traualtar behütet hätte wie einen unerschwinglichen Schatz.

"Du weckst den Südländer in deinem Vater", hatte ihre Mutter ihr oft genug gesagt, wenn sie ihr tröstend über den Rücken strich, weil Anne und ihr Vater wieder einmal aneinander geraten waren. Weil er sie nicht auf eine der Feten ließ, bei der alle coolen Leute ihrer Klasse zu finden waren. Oder weil er ihr den Umgang mit einem Jungen verbot, der seiner Ansicht nach nichts Gutes mit ihr im Sinn hatte. "Er will dich beschützen und vor Verletzungen bewahren, Anne. Schließlich bist du seine einzige Tochter."

In solchen Momenten war Anne stets zerrissen. Einerseits hasste sie ihren Vater, weil er ihr so vieles verbot, ihr die unbeschwerte Jugend versaute, die alle anderen Kids auf ihrer Schule leben durften. Andererseits riefen die Äußerungen ihrer Mutter ein Schuldgefühl hervor, denn sie wusste ja, dass er sie über alles liebte und Angst um sie hatte. Liebe und Wut, Geborgenheit und Freiheitsdrang lieferten sich dann in ihrem Inneren ein mächtiges Gefecht und nicht immer gewann die Liebe.
Es wurde besser, als sie zu studieren begann und in einer Studenten-WG unterkam. Jetzt, da er nicht mehr alles mitbekam, begriff Anne schnell, dass seine Befürchtungen nicht zu Unrecht bestanden hatten. Andererseits lernte sie nun endlich, mit heiklen Situationen umzugehen. Besser als zu dem Zeitpunkt, als sie diesen... Mensch da neben sich angehimmelt hatte.

Anne war schon immer ein hübsches, zartes Ding gewesen. Schüchtern zwar, weil ihr - dank des Beschützerwahns ihres Vaters - die Möglichkeiten gefehlt hatten, sich auszuprobieren. Aber dennoch verfügte sie über Reize, die so manchen jungen Mann dazu brachte, sie lange Zeit anzustarren. Bis dieser irgendwann bemerkte, dass sie so viel Persönlichkeit hatte wie ein Brötchen.

"Wie ein Brötchen, wenn ich es Dir doch sage. Und dann quiekt sie permanent wie ein kleines Ferkel, wenn etwas passiert, mit dem sie nicht umgehen kann. Du musst ihr mehr Freiheit lassen, Karl."
"Sie ist siebzehn, nicht siebenundvierzig, Al. Sie wird sich entwickeln, wenn sie mehr Erfahrung hat." Ihr Vater nannte Alexander immer Al, etwas, was ihn in Annes Augen noch cooler wirken ließ. Das aber war ihr im Moment völlig gleich, denn das, was sie da hörte, brach ihrer Seele gerade das Genick. Oder ihrem Herzen? Nein, so kitschig wollte sie nicht sein... Nur mühsam unterdrückte sie ein schmerzerfülltes Keuchen, um noch weiter zu lauschen, welche Meinung Alexander über sie hatte.
"Wenn Du nicht aufpasst, wird sie mit 77 Jahren noch ein kieksendes, unbeherrschtes Püppchen sein, das gerade mal dazu taugt, an dem Arm irgendeines Tölpels zu hängen! Betrachte sie doch mal. Beobachte sie. Sie ist nicht charmant naiv, sie ist... nervig. Aufdringlich, wo Distanz gut wäre. Klugscheißend, wenn Empathie angebracht wäre. Zu mitteilsam. Himmel, sie würde jedem noch genau die Phasen ihrer Periode genauestens erklären, wenn nicht automatisch alle Flucht vor ihr ergreifen würden!"
Anne hörte nur das harte Klacken, mit dem ein Glas abgestellt wurde. "Nun mach aber mal einen Punkt, Al!"
"Nein, mache ich nicht. Du hast sie zu einer Prinzessin gemacht, zu deiner Prinzessin. Aber ohne ihr Benehmen beizubringen. Ein bisschen mehr... Zurückhaltung würde ihr gut zu Gesicht stehen. Und Menschen, die nicht deine Tochter in ihr sehen und sie daher hofieren und in Watte packen. Sondern Menschen, die sie als ihresgleichen ansehen und ihr sagen, wenn sie nervt. Wann sie die Klappe halten soll. Wann ihre Miene genau wiederspiegelt, was in ihrem kleinen Köpfchen vor sich geht. Lass sie stolpern, Karl. Lass sie auch mal hinfallen. Nur so wird sie.. nunja, zumindest erwachsen."
Mehr hatte Anne damals nicht gehört. Sie hatte sich fortgeschlichen und sich die Augen aus dem Kopf geweint. So also sah er sie! Als verzogene Prinzessin ohne eigene Persönlichkeit! Und sie hatte gedacht, dass er sie mochte. Dass er sie faszinierend fand. Sie hatte sich erträumt, dass...
Nunja. Ihr Vater hatte öfter mal angedeutet, dass sie ein tolles Paar abgeben würden. Alex war deutlich jünger als ihr Vater und war nur zu seinem Partner geworden, weil er die Firma seiner Eltern in frühen Jahren übernommen hatte. Für ihren Vater war dies die naheliegendste Lösung: Anne wäre "versorgt" und für seine Firma hätte er einen perfekten Nachfolger.
Doch so kam es nicht.
Nach dem Gespräch, das sie belauscht hatte, ging sie Alexander aus dem Weg. Aber sie beschloss auch, dass es Zeit war, etwas zu ändern. Sie rebellierte häufiger, bestand darauf, mehr mit ihrer Clique zu unternehmen. Es wurde leichter, da auch ihre Mutter der Ansicht war, dass Anne mehr Zeit mit Gleichaltrigen verbringen musste. Nach dem Abitur zog Anne dann aus und fing noch einmal ganz von vorne an. Freunde kennenlernen. Menschen begegnen. Oft stolperte sie, oft fiel sie hin. Aber sie biss sich durch, und nun, nach drei Jahren Unabhängigkeit, konnte sie mit Recht von sich behaupten, dass sie wusste, wer ein Freund war und wer ihr nur nach dem Mund redete.


Heute waren sie hier um zu feiern. Jonas hatte einen Werbevertrag für seinen Blog bekommen. Schon seit Jahren fasste er Tipps für Schüler und Studierende zusammen. Wie man leichter lernen konnte. Wo man günstig einkaufen konnte. Welche Prozesse unterschwellig in Klassenzimmern abliefen, wie man sich diese zunutze machen konnte. Nun sollte ein Buch daraus entstehen, und weil sich alle mit Jonas freuten, waren sie nach einem ausgiebigen Abendessen hier gelandet.
Natürlich hatte Anne etwas getrunken. Das hatten sie alle. Und sie hatte geflirtet, auf Teufel komm raus. Seit sie in der Bodega, Annes Lieblingsbar, eingetoffen waren, warf sie sich mit einem der Männer dort drüben heiße Blicke zu. Ein gutaussehender Mann, schätzungsweise Anfang 40. Sein Interesse an ihr, der jungen Studentin, hatte ihr geschmeichelt. Und ja, die Blicke, mit denen er versuchte, unter ihr Kleid zu gelangen, machten sie an.

Aber was ging das Alexander an? Er war... nichts! Nichts für sie. Ein arroganter, selbstherrlicher Kerl, der kein Interesse an ihr hatte. Und sie hatte nicht vor, ihm zu gestatten, sich in ihre Angelegenheiten einzumischen.

"Ich wünsche dir noch einen... angenehmen Abend, Al." Bewusst benutzte sie die Kurzform, die auch ihr Vater verwendete. Langsam blickte sie ihn an, ließ ihren Blick über ihn wandern. Von oben nach unten, dann wieder hoch in sein Gesicht. Sein Blick ruhte auf ihr, finster wie eine verlassene Straßenecke in einer NoGo-Area. Doch Anne hatte gelernt, ihre Emotionen unter Verschluss zu halten. Elegant rutschte sie von dem Barhocker herunter und schlenderte auf den gutaussehenden Fremden zu.

Sie hatte nicht mit Alexanders Reaktion gerechnet: Noch ehe sie zwei Schritte gehen konnte, schloss sich seine Hand um ihren Ellbogen und er zog sie mit sich, auf den Ausgang zu.

"Du benimmst dich nicht nur dezent daneben. Hast du denn immer noch nichts dazu gelernt, Prinzessin?" Nicht nur die Frechheit, mit der er sie wie selbstverständlich aus der Bar hinauskomplimentieren wollte, regte sie maßlos auf. Auch die Anrede brachte sie in Rage. Augenblicklich blieb sie stehen und schrie ihn an.

"Lass mich los, du Rüpel! Hilfe!"

Schnell standen die Securityguards der Bodega bei ihnen und zogen Alexander von Anne weg. "Was geht hier vor? Belästigt dieser Mann Sie?", wollte der größere der Beiden wissen. Augenscheinlich war er der Chef der Sicherheitsleute.

Bevor Anne noch ein Wort herausbringen konnte, lenkte Alexander die Aufmerksamkeit auf sich. "Die junge Dame ist die Tochter eines Geschäftspartners von mir und offensichtlich angetrunken. Ich wollte lediglich dafür sorgen, dass sie nach Hause kommt, bevor ihr etwas Unangenehmes passiert." Schnell zückte er seine Geldklammer und hielt dem Mann ein paar Geldscheine hin. "Ich weiß Ihre Fürsorge zu schätzen, aber es ist alles in Ordnung."

Anne riss die Augen weit auf. "Das ist nicht Ihr Ernst! Ich bin weder betrunken noch möchte ich von diesem... ", sie machte absichtlich eine Pause, bevor sie abschätzig fortfuhr, "Gentleman nach Hause gebracht werden. Meine Freunde und ich feiern hier einen angenehmen Anlass und dieser Herr hier hat in keinster Weise die Kompetenz, sich in mein Leben einzumischen, weder öffentlich noch privat!"
Zweifelnd schaute der Mann vom Sicherheitsdienst von Alexander zu Anne. Das brachte sie noch mehr auf.

"Sollte ich nun auch meine Geldbörse öffnen um Ihnen deutlich zu machen, dass die Rechtslage eindeutig ist? Dieser Mann handelt gegen meinen Willen, und das ist, wie sie sicherlich wissen, gesetzeswidrig. Wieviel hat er ihnen gegeben, damit Ihnen das entfallen konnte?"

Inzwischen hatten sie die Aufmerksamkeit fast aller Barbesucher auf sich gezogen. Anne sah, wie Marc seiner Tanzpartnerin etwas zuflüsterte und sich auf den Weg zu ihr machte. Das hob ihr Selbstbewusstsein noch ein Stück weiter.

"Kann ich nun zurück an die Bar oder besteht hier noch weiterer Klärungsbedarf?" Der spöttische Unterton sowie ihre souveräne Haltung bewies dem Securityguard scheinbar, dass sie nicht so betrunken war, wie Alexander ihm hatte vormachen wollen, denn er begann den Kopf zu schütteln und setzte gerade zu einer Entschuldigung an, als dieser miese Kerl noch einmal nachsetzte.

"Der jungen Dame sollte auch bewusst sein, dass Ihr Etablissement eine gewisse Fürsorgepflicht gegenüber seinen Besuchern hat. Volltrunkene Mädchen sollten doch sicherlich nicht in Ihrem Sinne sein, oder?"

"Was erlaubst du dir eigentlich!" Anne war entsetzt über die Art, wie er über sie sprach. "Persönlichkeit wie ein Brötchen".... " Aufdringlich, wo Distanz gut wäre"... Während die Worte, die er seinerzeit schon über sie abgelassen hatte, in ihrem Kopf die Überhand nahmen, erhob sie die Hand. Sie wollte ihm eine saftige Ohrfeige geben, so, wie er sie ihrer Ansicht nach verdient hatte.

Eine andere Hand ergriff die ihre. Sanft, unerbittlich. Ein Kuss aus warmen Lippen berührte die Haut an ihrem Handgelenk. Ein warmer Hauch glitt über ihren Nacken, während seine Stimme ihr zuraunte: "Lass den alten Mann. Wir wollten uns doch hier vergnügen, oder?"
Marc. Ihre Wut fiel in sich zusammen, ihre Anspannung löste sich. Sein sanfter Kuss, der diese kleine Stelle hinter ihrem Ohr berührte, lenkte sie noch weiter ab und sie ließ sich von Marc zur Tanzfläche führen. Nur mit einem halben Ohr bekam sie mit, wie er noch zu den Guards sagte: "Ich denke, das hier ist ein Missverständnis. Meine Freundin ist weder volltrunken noch ohne Schutz oder Fürsorge. Können Sie nun dafür sorgen, dass dieser Mann hier sie nicht weiter belästigt?"

Und noch immer konnte dieser Kerl nicht aufgeben. "Den Schutz habe ich gesehen", grollte er. "Und wer fährt sie nachher nach Hause?"

"Das mache ich", erwiderte Marc bestimmt.

"Wer sind sie überhaupt? Einer von diesen kleinen, mittellosen Studenten, die sich noch die Hörner abstoßen wollen?" Die Security schien Alexander zum Ausgang zu drängen, denn seine Stimme klang wie ein Ruf, wurde aber leiser.

Anne drehte sich um.

"Ja, Alexander.", sagte sie. Laut, selbstbewusst. Völlig mit sich im Reinen. "Ich fahre lieber mit dem mittellosen Mark in seinem schäbigen kleinen Golf und stoße mir mit ihm die Hörner ab, als dass ich mich in deine spießige Limousine mit Fahrer verfrachten lasse. Und nun verschwinde endlich!"

Zu den Klängen von "The Cars" tanzten Marc und Anne engumschlungen, was allen deutlich machte, dass tatsächlich Marc sie heimfahren würde.

"Schäbiger, kleiner Golf, hm?" Er brummte amüsiert.

Sie kicherte. "Er muss ja nicht wissen, dass wir mit dem Fahrrad da sind..."


*********2016 Mann
2.250 Beiträge
Indivisuelle
Eine wunderbare Geschichte, gefühlvoll erzählt und beschrieben. Als Leser steht man quasi in deinen Personen und erlebt das Geschehen live mit.

Ganz lieben Dank und ein Riesenkompliment *spitze*
Me 2
*********ld63 Frau
8.545 Beiträge
Spannende Geschichte, indivisuelle, und richtig gut erzählt!! *wow*
Da hätte ich jetzt gerne noch lange weiter gelesen! *liebguck*

Ich mag deinen leichtfüßigen Erzählstil sehr, liebe Indi. *roseschenk*
Wundervoll!
Ich sah den Tango fast vor mir! *bravo* laf
******s23 Frau
12.725 Beiträge
Eine herrliche Geschichte Indi *spitze*
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Themenersteller 
Danke, Ihr Lieben!
***ve:

Ich sah den Tango fast vor mir!

Dabei habe ich gar nicht geschrieben, dass es sich um Tango handelt... Gute Beobachtungsgabe, Herr O*love*
*hutab*
********elle:
Dabei habe ich gar nicht geschrieben, dass es sich um Tango handelt...

stimmt ... aber Du hast geschrieben:
wie sie sich ihm entgegen drängte, sich über die ausladenden Hüften strich, nur Millimeter vom Boden den Fuß hob, um ihn dann in quälender Langsamkeit auf ihn zuzubewegen.

*grins*
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Themenersteller 
Wobei das auch auf eine Rumba hindeuten könnte... *zwinker*

Aber Ihr habt ja recht, ich meinte schon den Tango. *hi5*
Me 2
*********ld63 Frau
8.545 Beiträge
Bittersüß
Es war ein klarer, frostiger Februartag und ihr Flugzeug landete plangemäß am Flughafen Tegel. Der eisige Ostwind ließ Amelie frösteln in ihren schwarzen Nylonstrümpfen, die sie zu dem anthrazitfarbenem Businesskostüm trug. Sie war auf dem Weg in die Dependance eines Kunden, einem der größten Computerhändler in Deutschland und kämpfte gegen ihre Nervosität an. Noch war sie neu in der Branche und Produktpräsentationen vor größerem Publikum waren nicht gerade ihre Stärke, doch das war heute das Programm bei ihrem ersten Kundenbesuch in der Hauptstadt. Amelie kannte ihre eigenen Stärken und Schwächen recht gut. Sie wusste, dass intensive Eins-zu-Eins-Kontakte ihr sehr viel mehr lagen, aber sie vertraute auf ihre Anpassungsfähigkeit. Den smarten Vertriebsleiter Georg Mentes hätte sie nur zu gerne allein getroffen. Sie platzte fast vor Neugierde, ihn nun endlich persönlich kennen zu lernen.

Unzählige Male hatte sie schon mit ihm telefoniert. Seine sonore Stimme mit dem frechen Berliner Einschlag hatte ihr schon öfter den Tag versüßt, hatte sie geneckt, sie erheitert, ihr geschmeichelt. Georg Mentes konnte sehr charmant sein, und er schien ganz genau zu wissen, wie er dieses feine Prickeln in ihrer Magengrube hervor rufen konnte. Ein Mann alter Schule, so stellte sie ihn sich vor, ein in die Jahre gekommener Frauenheld, ein Mann mit schillernder Vergangenheit, formvollendeten Manieren und grauen Schläfen. Einer, der es geschafft hatte, nicht zuletzt durch diese Mischung aus Schlagfertigkeit und Abgebrühtheit, mit der er seine Vertragsverhandlungen führte. Ein Wolf im Schafpelz vermutlich, sie sollte besser auf der Hut sein. Die Zeit war gekommen, zu überprüfen, ob sie richtig lag mit ihren Einschätzungen. Auf ihrem Weg zum Eingang lächelte sie, ein wenig siegessicher und sehr abenteuerlustig. Sie sollte Recht behalten, in so ziemlich allen Punkten.

Der Schulungstag war lang und anstrengend gewesen und Amelies ganze Konzentration gefordert. Dankbar nahm sie Georg Mentes´Angebot zum Abendessen an. Per Taxi chauffierte er sie kreuz und quer durch Berlin, ganz der engagierte Gastgeber. Vom Schulungszentrum lotste er sie zum Abendessen in ein berühmtes Altberliner Hähnchen-Restaurant in Kreuzberg, danach ging es weiter zu einer griechischen Kneipe, in der sie sich zu ihrer Überraschung ganz allein mit ihm in einem Nebenraum wiederfand. Mittlerweile hatte sie schon sehr viel mehr getrunken, als angemessen gewesen wäre für diesen geschäftlichem Anlass, doch Georg bestellte noch eine Karaffe Retsina bei dem griechischen Wirt und zwinkerte diesem dabei konspirativ zu.

Unweigerlich fragte sich Amelie, ob er wohl schon öfter hier gewesen war, spätnachts, mit einer völlig Fremden, die er gerade erst ein paar Stunden kannte. Der Wein löste schließlich seine Zunge und das „Sie“ wich dem „Du“. Georg drehte richtig auf. Er erzählte Amelie von seiner Flucht über die Mauer in den 70er Jahren. Von den Anfängen als Bürobote und seinem langen, zähen Kampf für ein bisschen Ruhm und für seine Karriere. Sie lauschte atemlos seiner turbulenten Geschichte, die genauso ungewöhnlich war wie dieser höchst erstaunliche Mann, der ihr da gegenüber saß.

Zu später Stunde erklang leise Musik, eine melancholische Melodie mit schleppendem Rhythmus. Georg erhob sich mit einer leichten Verbeugung, schritt feierlich um den Tisch herum und reichte ihr die Hand zum Tanz. Es war ein Rebetika, die griechische Version des Blues. Amelie sah zu ihm auf, und wusste, dass er kein Nein gelten lassen würde. Es war ganz natürlich, das er bestimmte. Eine düstere Dominanz lag schon in seinen Zügen, in der steilen Falte zwischen den buschigen, dunklen Brauen, den tiefliegenden Augen mit dem durchdringenden Blick, in der Beherrschtheit seiner schmalen Lippen. All das sprach von Autorität, vom Spiel mit der Macht und auch einer gewissen Willkür. Sein herrischer Ton dem Kellner im Restaurant gegenüber war ihr genauso wenig entgangen wie das samtweiche Timbre, zu dem er wechselte, wenn er ihr Komplimente machte.

Amelie reichte ihm die Hand, und mit einer knappen Geste zog er sie eng an seine Brust. Er hielt sie für einen Moment ganz fest in aufrechter Position. Die physische Nähe seines Körpers traff sie völlig unvorbereitet, überwältigte sie. Sein raues Kinn nahe ihrer Wange und sein Geruch, der in ihre Nase drang. Eine verführerische Mixtur aus frischem Schweiß, einem Hauch Leder und der Zitrusnote seines After Shaves. Amelie schloss die Augen und atmete tief ein. Ließ alle Gedanken und Bedenken fahren und ließ sich führen, von ihm und der Musik.
Jetzt war sie erleichtert darüber, dass sie die einzigen Gäste waren. Dass niemand dabei zusah, wie sie leicht schwankte und fast stolperte, und er sie auffing mit einem entschiedenen Griff. Wie sie den Kopf zurückwarf und lachte, und er sich hinab beugte zu ihr. Wie ihr Mund sich ihm entgegen wölbte wie eine reife Frucht, die darum fleht, verzehrt zu werden. Wie sein warmer Atem über ihren Hals strich und Funken setzte auf ihrer Haut.

Sie verstand sich selbst nicht. Warum bot sie ihm so wenig Widerstand, warum es fiel es ihr so schwer, ihm gegenüber eine professionelle Distanz aufrecht zu erhalten? Sie hätte sich schon längst verabschieden können. Georg könnte vom Alter her ihr Vater sein. Er hatte nichts mit den Männern gemeinsam, die sie normalerweise anziehend fand. Er war verheiratet, und damit verbotenes Terrain für sie. Und noch dazu war er ein wichtiger Kunde, den sie nicht verlieren durfte.
Es war so ganz und gar indiskutabel, sich von ihren Gefühlen leiten zu lassen und seinem Charme zu erliegen, um diese letzte, dünne Grenze zwischen ihnen zu überschreiten. Doch natürlich war es genau das, was sie am meisten wollte. Ein kühler Luftzug strich über ihre Lippen. Sie öffnete die Augen, als würde sie aus einem Traum erwachen. Noch immer sah er sie unverwandt an mit dunklem Blick, doch er küsste sie nicht. Ganz offensichtlich rang auch er mit sich.
Die Musik war verklungen, der intime Moment war vorbei. Ein Taxi brachte sie zum Hotel.

Hier waren sie also nun, kurz nach Mitternacht, auf einen letzten Drink in der schummrigen Bar ihres Hotels. Die Barhocker mit den schäbigen roten Samtbezügen und die Mahagonitheke versprühten den spröden Charme der neunziger Jahre. Sie waren die letzten Gäste an der Bar. Leise Jazzmusik drang an ihre Ohren und der Geruch nach kaltem Rauch.
Mit ruppiger Geste stellte der Barkeeper die Drinks vor ihnen auf die Theke und verschwand ohne ein weiteres Wort durch die Drehtür. Mit einem Mal fühlte sich Amelie so ernüchtert, als sei sie auf frischer Tat bei etwas Verbotenem ertappt worden. Das harte Licht der Spots fiel auf Georgs Gesicht, vertiefte die Falten um seine Mundpartie. Er war tief in Gedanken versunken. Schweigen breitete sich aus zwischen ihnen, einvernehmlich und barmherzig angesichts ihrer Situation, in der alle Möglichkeiten schon ausgereizt schienen.

Minuten vergingen, bevor Georg sich räusperte und sich ihr zuwandte. In diesem Moment wirkte er wie ein Schuljunge, der hungrig die Auslage einer Konditorei betrachtet, ohne jede Aussicht auf die Köstlichkeiten hinter dem Schaufenster. Entschiedenheit und ein wenig Trotz schwang in seiner Stimme mit, als er leise sagte:
„Ich danke dir, Amelie, für diesen schönen Abend. Ich hoffe, du hast ihn ebenso sehr genossen wie ich. Es ist lange her, dass ich mich so lebendig gefühlt habe wie die letzten Stunden mit dir.“
Sein Blick war zärtlich und bedauernd zugleich.

Amelie erstarrte. Das war so ganz und gar nicht, was sie erwartet hatte.
Als er ihre Hand nahm, und die Handinnenfläche zu seinen Lippen drehen wollte, schossen ihr jäh die Tränen in die Augen. Sie blinzelte und kämpfte gegen ihre Gefühle an, spürte Wut, Enttäuschung, Bitterkeit. Auf gar keinen Fall sollte er merken, wie sehr sie seine Worte sie trafen – und schon gar nicht, wie sehr sie ihn wollte.
Sie entzog ihm ihre Hand und richtete sich auf, erhob sich schließlich steif vom ihrem Barhocker.
„Es war ein wirklich schöner Abend, vielen Dank!“
Mit einer förmlichen Geste reichte sie ihm die Hand und drehte sich auf dem Absatz um.

Er sah ihr nach, wie sie mit kerzengeradem Gang auf den Lift zuging, bis ihre schmale Gestalt darin verschwand. Dieser Verzicht war genauso bitter und süß wie ihr Geruch, der ihm noch lange in der Nase blieb, als er hinaus ging in die Nacht.
Schmelz!
Und wenn wir alle geläutert wären, wo blieben diese Stunden?

*spitze* laf
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Themenersteller 
Hach.
Und da ist sie wieder. Die Ambivalenz, die ich so liebe. Beide wollen es, wollen es doch nicht und bedauern, dass es nicht dazu kommt.. Die innere Zerissenheit ist so wunderbar gezeichnet, da kann kein Gemälde mithalten, liebe IntoTheWild63.

So verführerisch:
Die physische Nähe seines Körpers traff sie völlig unvorbereitet, überwältigte sie. Sein raues Kinn nahe ihrer Wange und sein Geruch, der in ihre Nase drang. Eine verführerische Mixtur aus frischem Schweiß, einem Hauch Leder und der Zitrusnote seines After Shaves. Amelie schloss die Augen und atmete tief ein. Ließ alle Gedanken und Bedenken fahren und ließ sich führen, von ihm und der Musik.

Traumhaft schön und bittersüß... passend zum Valentinstag am Aschermittwoch. ; )
2020_08_28: ich war shoppen. ; )
********elle Frau
3.310 Beiträge
Themenersteller 
Neues Bild, neue Geschichten.
Da sind die ersten 14 Tage schon vorbei, und es gab so viele tolle, mitreißende, gefühlvolle Geschichten.

ich bin wirklich baff. Es ist so spannend, das alles zu lesen, zu sehen, was Ihr in einem Bild erkennt. *anbet*

Nun aber folgt, wie versprochen, das nächste Bild.

Btw: Wer ein entsprechendes Bild hat, was er sich als Vorlage für diesen Thread vorstellen kann, soll mich bitte, bitte anschreiben. ich freue mich auch auf eine solche Art der Beteiligung!
Meine Triskele
*********_Arte Frau
14.051 Beiträge
Hhhm. Soweit mir bekannt, dürfen im Joy keine Fotos von Menschen gezeigt werden, es sei denn, das Einverständnis liegt vor *klugscheisser*
**********Engel Frau
25.853 Beiträge
Gruppen-Mod 
Ich mach mich grad mal schlau, da wurde in letzter Zeit einiges geändert ...
Einmal noch ein paar Worte
zum vorigen Bild.

Mal ein "Wow" und ein *bravo* an alle "Aktiven". Ich habe ja nun selbst zwei mögliche Perspektiven auf dieses "stehende" Bild geworfen, und dieses Spiel mit den Möglichkeiten hat mir Spaß gemacht.

Aber ich muss sagen, dass alle anderen, die hier ihre ganz eigene Perspektive beschrieben haben, das einfache, undynamische Abbild einer Möglichkeit dermaßen mit Leben gefüllt haben, dass ich immer noch baff bin und mich vor dieser Kreativität und dieser einmaligen, leben-erschaffenden Kunst tief verbeuge *g*

Das macht echt Spaß hier und dafür vielen, lieben Dank, Indivisuelle...
Papa, weißt Du noch?
Papa, komm, Du hast früher immer soviel erzählt aus der Zeit, als Du in dieses fremde Land gekommen bist. Wie alles anders war, so neu, so schwer zu verstehen, vor allem die Sprache und die Bräuche der Einheimischen. Papa, weißt Du das noch?

Wir waren klein, ganz klein, Enrico, Fabio, Isabella und ich. Saßen zu Deinen Füßen, lauschten Deinen Geschichten, oh, wie waren wir stolz auf Dich, weil Du so mutig gewesen bist, hierher zu gehen, ganz allein, so jung und ohne Angst.

Hast dann „angepackt“, wie gern haben wir dieses deutsche Wort aus Deinem Mund gehört. Hast was aus Dir gemacht, Papa, weißt Du noch? Wie Du da gelebt hast, mit fünf, sechs, manchmal zehn Mann in einem Zimmer, wenig Miete, viele Menschen, viel Sparen um nach Hause zu kommen als reicher Mann. Als gemachter Mann.

Papa, wir haben doch gesehen, wie Du hier glücklich wurdest. Hast Mama getroffen, eine Tedesca, la Bionda, die schönste Frau der Welt, und sie hat Dich, einen Gastarbeiter, einen "Spagetti" gewählt, war immer voller Liebe für Dich, und ihr für uns. Ja, glücklich seid ihr gewesen, Papa, weißt Du noch?

Kinder habt ihr bekommen, Enrico, Fabio, Isabella und mich, Giovanni, den „Kleinen“, der Deinen Namen tragen durfte. So viele Kinder, alle gesund, alle gut in der Schule, alle haben einen ehrbaren Beruf und sind hier ebenso glücklich wie Du, Papa. Weißt Du das noch, kannst Du Dich wenigstens daran erinnern?

Mama wartet zuhause, Papa, ihr geht es nicht gut, weil sie nicht weiß, wo Du bist und wann Du heimkommst. Sie wartet in eurem Haus, Papa, das Haus, das Du gebaut hast, weißt Du noch? Da draußen, am Rande der Stadt, wo die Leute wohnen, die es geschafft haben.

Papa, komm mit heim, lass uns zu Mama gehen. Sieh, die Leute schauen komisch, sie kennen Dich nicht, wissen nichts von Dir und Mama und Deinen Kindern und all dem, was Du in Deinem Leben aufgebaut hast.

Die Leute hier sehen nur einen alten, verwirrten Mann, der mit seiner Espresso-Tasse in der Hand betteln geht, die wissen nicht, was Du geschafft hast. Die wissen auch nicht, was der Arzt gesagt hat, letzte Woche, als ich bei ihm war.

Dass Du diese Krankheit hast, die Dich mit der Zeit Dein ganzes Leben vergessen lässt, Papa, weißt Du noch?
*********2016 Mann
2.250 Beiträge
Auch dieses zweite Bild ist sehr vielfältig interpretierbar und hat mich zu folgender Geschichte inspiriert.
*********2016 Mann
2.250 Beiträge
"Langer Weg"
Obwohl es erst kurz nach Mittag ist, liegt ein langer Weg hinter dem alten Mann.
Er wirkt erschöpft und auch ein wenig müde und ist viel zu warm angezogen für diesen sonnigen Tag.
Ein gelbes Hemd, bis oben zugeknöpft, darüber blitzt der Kragen einer hellen Weste, oder gar eines zweiten Hemdes.
Überdeckt von einem hellbraunen Jackett, welches sich wiederum unter einer hellen gestreiften Jacke verbirgt. Es wirkt mehr als ungewöhnlich und fällt im Straßenbild auf.
Ein buschiger Schnurrbart bedeckt seine Oberlippe und auf seinem Kopf sitzt ein heller Hut, welcher ihn vor der Sonne schützt.
Über seinem Kopf sind Palmwedel erkennbar, also scheint sich der unbekannte Mann in südlichen Gefilden zu bewegen. Dafür spricht auch die Espressotasse in seiner Rechten.
Seine Augen scheinen irgendetwas oder irgendjemand genau zu mustern, fixiert ist der Blick auf einen Punkt.
Aber der Mann wirkt nicht erfreut, kein Lächeln ist auf seinem Gesicht zu erkennen. Eher Angespanntheit und Kritik.
Ein Gebäude das ihn an etwas erinnert, einen Menschen den er zu kennen glaubt?
Es scheint ein Blick in seine Vergangenheit zu sein, oder täuscht dieser Eindruck?
Aber wohl doch eher Erinnerungsgeflüster als Zukunftsvisionen!

Eine Frau geht hinter ihm vorbei, luftig mit einem T-Shirt und Jeans bekleidet. Ihre, von einer Sonnenbrille, bedeckten, Augen mustern den Alten verstohlen, aber sie wagt es nicht ihn anzusprechen.
Eine weitere Frau dreht ihm den Rücken zu, Zufall oder Absicht?

Niemand auf der Straße kennt den alten Herrn, niemand weiß dass er Fritz Wagner heißt, aus Deutschland kommt und hier, in dieser kleinen italienischen Stadt Erinnerungen und glücklichen Zeiten nachläuft. Den Makrokosmos und die Fülle seiner Erinnerungen durchforstet!
Von daher wirkt er mit Recht ermattet und auch ein wenig desorientiert.
Seine Augen erscheinen müde und die Falten in seinem Gesicht sprechen ihre eigene Sprache.

Seit Stunden spaziert Fritz Wagner einsam durch die Straßen der Stadt, ein langer Weg für seine alten Beine und ein noch längerer für seinen Geist, für seine Seele, sein blutendes Herz, ob all der Wunden die das Leben ihm schlug.
Das Liebe welches ihm genommen wurde, das Gute welches ihm versagt blieb.
Gilt der kritische Blick seinem eigenen Leben, nimmt sich da jemand selbst unter die Lupe?

Fast könnte man es vermuten und ein wenig scheint es so, als würde Fritz sich selber fragen, " Was mache ich noch hier."
Ist die Espressotasse, die er seit geraumer Zeit in der gleichen Position hält, sein letzter Halt?
Oder gibt es noch Menschen die sein Schicksal interessiert?
*********2016 Mann
2.250 Beiträge
Schade
es ist sehr ruhig hier geworden, hätte ich nach dem guten Start eher nicht so schnell erwartet
******s23 Frau
12.725 Beiträge
Mir fällt zu dem Bild gar nix ein *nixweiss*
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