Arbeitstitel: Franz und Charlotte
Ich habe gerade angefangen, eine Erzählung zu schreiben.Sicher liegt es da schreibtechnisch noch im Argen, aber eine erste Leseprobe möchte ich doch gerne mal hier posten, allein um zu sehen, ob ich die Sprache, das Gefühl der Zeit, ob ich das alles so irgendwie hinbekomme, wie mir das vorschwebt... Und ja, da sind noch jede Menge Rechtschreib-, Komma- und sonstige Fehler drin!
Er kauft sich eine Schippe.
Er kauft nicht irgendeine Schippe, sondern eine echte, einen ehrliche Schippe mit Holzstiel und –griff, eine Schippe, auf die man sich verlassen, kann eine Schippe die das tut was sie soll: Schippen!
Die Schippe geschultert, geht er fröhlich vor sich hin pfeifend zur S-Bahn-Station.
Manche Leute, an denen er vorbei geht, sehen ihn merkwürdig an, als er – die Schippe geschultert – an ihnen vorbei geht und „Wir sind die Moorsoldaten“ vor sich hin pfeift. Männer mit geschulterten Schippen gehören nicht mehr unbedingt zum Stadtbild. Fröhliches Pfeifen auch nicht.
Damals, beim Reichsarbeitsdienst, gehörte das Singen und Pfeifen dazu. Damals war vieles anders. War früher alles besser? Nicht alles, aber manches schon.
Schlimm wurde es erst im Schützengraben.
Viel Hunger war da. Und viel Frieren. Und viel Nass- und Einsam- und Nichtzuhausesein war da.
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Viel Sehnsucht war da. Sehnsucht nach Essen, nach Wärme und vor allem nach seinem Mädchen.
Das Mädchen mit den schönsten mausgraubraunen Haaren. Das Mädchen mit den Äpfeln, die sie aus dem Garten ihrer Oma geklaut hatte. Das Mädchen, das…
Sie war für ihn das schönste Mädchen der Welt. Sie duftete nach Äpfeln und nach Erde und nach Garten und nach Weib. Er liebte diesen Duft. Er liebte einfach alles an ihr. Ihr Erröten, ihr Kichern, ihre Schamhaftigkeit.
„Lotte, wo steckst du denn schon wieder? Lotte! Loootte!“
Die Großmutter schüttelte den Kopf über das ungebärdige Kind, das so schnell vom Erdboden verschwinden konnte, wie ein geölter Blitz, wenn Waschtag war.
Lotte flitze mit fliegenden Zöpfen über die Bleichwiesen, zwischen schon herbstlich kahlen Apfelbäumen hindurch und tat, als hätte sie die Großmutter nicht gehört.
Sie rannte atemlos bis hin zum kleinen Schuppen am Fähranleger, wo ihr Onkel August seine Taue und Fender aufbewahrte.
Eigentlich hatte sie ihre Oma Maria – sie nannte sie Ohmaria, der Kürze wegen – wirklich gern. Aber erstens war heute Waschtag, was bedeutete, dass sie heute nicht mehr von Ohmaria fort käme, wenn die sie erst mal zum Arbeiten eingefangen hätte. Zweitens wartete Franz beim Schuppen auf sie.
In ihrer Strickjacke hatte sie Äpfel geschürzt. Boskoop. Die mochte Franz so gern. Ohmaria bewahrte die Äpfel in hölzernen Steigen unterm Bett auf, denn im Schlafzimmer war es immer kalt und so würden die Äpfel den Winter überstehen. Sofern sie nicht von Lotte frühzeitig geplündert würden.
Franz lehnte lässig an der Schuppentür und kaute auf einem vergilbten Grashalm. Er grinste breit, als er Lotte mit rotem Gesicht und zerzausten Zöpfen um die Ecke flitzen sah.
„Wohin so eilig, holde Maid?“ fragte Franz und versuchte eine noch lässigere Pose einzunehmen, was ihn aber fast dazu brachte, das Gleichgewicht zu verlieren. Es sah beruhigend albern aus und so konnte Lotte sich noch ein wenig sammeln und Luft holen, bevor sie errötend hervorstieß: „Ich hab dir Äpfel mitgebracht.“
„Da muss ich mich aber höflichst bei dir bedanken. Wäre ein Kuss ein guter Preis für einen Apfel?“
„Franz! Ich… ich… ich… kanndichdochnichteinfachsoküssen!“
Lotte wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken, hatte Franz doch einfach ausgesprochen, was sie sich insgeheim schon seit Wochen heimlich ausmalte, wenn sie abends im Bett lag und an ihn dachte.
„Ach Gottchen, Charlottchen, nun sei doch nicht so peinlich berührt!“
Nach einer Weile lagen sie nebeneinander in der blassen Spätherbstsonne am Neckarufer, schmausten Äpfel, schauten den Wolken zu und versuchten Bilder darin zu erkennen und spuckten Apfelkerne in die Luft.
Sie steckten die Köpfe zusammen, redeten über den blöden Heinz aus der 8A, der Charlotte immer an den Zöpfen zog. Franz schwor sich, dem Heinz mal einen richtigen Schwinger zu verpassen. Sie redeten über den Schulhausmeister, Herrn Schwerdtfeger, der ihnen das Leben schwer machte, weil er den Schülern hinterherschnüffelte und mistraute und sie redeten über Herrn Hitler, der jetzt ständig im Radio zu hören war und dessen Stimme Charlotte nicht mochte, weil er immer so schrie.