Das Freibad
Das Freibad.
Hort der Unmöglichkeiten. Beginnend bei den
hölzernen,
rot lackierten Planken, von denen sich die Badegäste mal mit
elegantem, mal mit
ungeschicktem
Sprung in stille, tiefe Wasser stürzen über ältliche,
stumme Damen mit Gummiblümchen auf ihren über die Ohren gezogenen Badekappen, deren Badeanzüge Löcher im Kniebereich aufweisen bis hin zu
panikerfüllten Bademeistern, deren amphetamisierte Muskelberge aus Eiweißdrinks und unauffälligen Spritzen nur noch einen
verschwommenen Blick zulassen. Das übliche Freibadleben eben.
Verchlortes Wasser, Umkleidekabinen mit unplanmäßigen Gucklöchern, seifenglatte Fliesen und ein Babyplanschbecken mit dem Odeur eines 1984er Chateau de Trottoir. Dazu schlechtgelaunte Kassiererinnen, fettige Fritten, Bockwürstchen aus alten Maultaschen und ein Kiosk, der den Kindern Leckmuscheln und Ketten aus Süßzeugs verkauft. Ja, das hilft. Fett schwimmt oben und damit ist reiner Zucker quasi eine lebenserhaltende Maßnahme.
Und doch ist es malerisch. Das Freibad in Lingen, direkt neben dem Dortmund-Ems-Kanal. Manchmal hört man das tieffrequente Tuckern schwerer Dieselmaschinen, manchmal das Röhren eines Sportflugzeuges aber grundsätzlich und immer das quieken der Kinder, das juchzen und jauchzen, das Lachen und die grundsätzlich ausgelassene Laune. Letztere machen alle Unbilden und seltsamen Dinge wieder wett. Das Leben in einem Freibad im Hochsommer ist ein eigenes Biotop. Eine Welt für sich und Brutstätte aller Verschwörungstheorien und Dummgequatsche. Auf dem saftigen Grün hat sich, direkt neben dem Sprungturm, eine Kleinfamilie positioniert und sucht den besten Platz. Mann, Frau, Kind. Auf den ersten Blick unauffällig-typisch. Bulliger Mann mit seltsamer Frisur, magersüchtige, missgelaunte Frau, offensichtlich mehrfach gehupt worden, auch im Gesicht. Der 12jährige Bengel sieht aus wie sein vermeintlicher Vater, nur ohne den Biberskalp auf dem Kopf.
„There!“, krächzt der blonde Biber-zu-Ende-Träger und will die Schwanzflosse (immer die rechte Hand; auch bei linkshändigen Prostitätowierten) seiner Gattin schnappen, diese jedoch patscht seine fettige Klaue wie immer weg.
„Kit Chuta!“, ahmt sie einen Alien aus „Star Wars“ nach. Star Wars ist ab FSK 12, was auf den geistigen Horizont der Familie hinweist. Das intelligenteste, was die Familie zu bieten hat, ist der Bordcomputer des Cadillac vor dem Freibad. Unmöglicherweise ist Donalds Wunschplatz aber schon belegt. Ein asiatisch aussehender, dicklicher Mensch mir unbestimmbarem Alter, der verzweifelt versucht, ein Flutschi (ein Eis, das aussieht wie eine Rakete), auszupacken. Irgendwo zwischen 20 und 40 wird das Alter sein und das ist für Donald kein Grund, Alternativen zu suchen. Oder sich zu benehmen.
„Hey, little Rocket-Man, get off!“, poltert er los, legt seinen Kopf in eine stiernackenhaltige Position, sieht aber mit seinem tuntigen Mündchen und seinen Händen wie ein Eichhörnchen einfach nur blamabel aus.
„Tu ning man, quai dan sei lang quai lööh!“, antwortet der Asiate und befummelt weiter sein Raketeneis.
Der Bademeister mischt sich ein. „Towaritsch!“, sagt er respektvoll und weist mit seinem Arm auf einen freien Platz daneben. Plötzlich taucht ein hagerer mit Unterernährung versehener Mann mit Olivenhaut auf. „Abalabalabalaba“ kaudert er und keiner versteht ein Wort.
Sein Dolmetscher übersetzt: „Der ist Kurde, vernichtet ihn!“
„Just a Moment, give me a motherfuckin´ break“, poltert Donald, zückt sein Cellphone und twittert erst einmal die neueste Blamage.
Durch das Tohuwabohu wird ein weiterer Typ aufmerksam, der ebenfalls gerade einen guten Platz sucht, um dem Treiben auf dem 10-m Turm optimal zu huldigen. „Ützgü hüllegü Hühnerbrüh?“ sagt er in sonorem Ton, der auf eine gehörige Portion Selbstbewusstsein, gepaart mit Übermut bis Größenwahn schließen lässt. Der arme Asiate weiß gar nicht, wie ihm geschieht. Alles um ihn herum schwadroniert und er bekommt seine Rakete nicht aus der Verpackung. Ein Jammer…. Aber Hilfe ist unterwegs. Ein Hüne von mindestens einem Meter vierundachtzig stakst unbeholfen und hölzern mit einem schäbigen Lächeln im Gesicht herbei und öffnet den Sprungturm. „O-zapft is!“ murmelt er.
„Me, me, America first!“ ruft der mit dem toten Tier auf dem Kopf und drängelt sich als erster zum Sprungturm. Siegesgewiss und voller Selbstüberschätzung kraxelt er bis ganz nach oben.
„Donald, Donald, Donald!“, rufen unten alle im Chor. Donald sonnt sich in den bewundernden Rufen. Und er freut sich sehr, sehen diese kleinen, ameisengleichen Typen da unten irgendwie alle wie Maden aus, die man von hier oben sauber zerdrücken könnte. Der Olivenhäutige, der bayrische Silberrücken mit seinen schwulen Schatten, der russische Bademeister, der vor Kraft kaum laufen kann, der asiatische Knallfrosch, der syrische Depp… all diese Typen da unten könnten ihm, dem heiligen Donald niemals das Wasser reichen. Und so nimmt Donald Maß. Sechs schnelle Schritte. Abfedern, sich elfengleich vom Brett lösen, aus der Steigphase elegant in die Flugphase übergehen, die Arme strecken, Augen schließen, Kopf voraus….
Und wenn dort Wasser wäre, eintauchen. Die Typen, die er eben noch herablassend bestaunt hatte, konnten ihm nicht das Wasser reichen. Und genau das haben sie getan. Es war kein Wasser im Becken. Wäre Donald nicht so sehr mit sich und seinen „Freunden“ beschäftigt, hätte er das sehen können. „Bez tebja pisdez“, sagt der Bademeister ein wenig traurig und zitiert Beata herbei, die polnische Putzkraft, die die Sauerei wegmachen soll. Donalds Frau scheint wenig überrascht, neigt ihr Haupt, aber nicht zu sehr, sonst schwimmt das Botox einseitig auf, schnappt sich die Hand des Kindes und geht schweigend. Aufmerksame Beobachter hätten gesehen, dass ihr Hüftschwung weniger dezent, ihre Haltung aufrechter und ihre Laune weit besser war, als noch vor wenigen Augenblicken. Ja, insgesamt gesehen, schien die Sonne heller zu scheinen. Ein schöner Tag im Freibad.
(c)14-6-2018 by TRB