Hinter dem Tor
Henri schob ein Eisentoror auf, das schief in den Angeln hing, es leistete Widerstand, schleifte am Boden, so dass auch er mit seiner Kraft es gerade soweit aufbrachte, dass wir durchschlüpfen konnten. Als wir uns durchgezwängt hatten schob er es wieder sorgfältig zu.
Nicht dass die kids uns da mal nachlaufen.
Das kannste nicht verhindern, meinte ich, oder, vor uns war doch damals auch nichts sicher.
Henri zuckte mit den Schultern, es soll jedenfalls nicht meine Schuld sein.
Wir gingen durch die Einfahrt zwischen zwei Brandmauern bis wir in einen Hinterhof kamen. Überall Verfall. Die Häuser standen weitgehend leer, eingeworfene Fensterscheiben. Nur hinter denen die mit Sperrholz verrammelt waren konnte man noch dunkles Leben vermuten. Henri führte mich durch die verschachtelten Hinterhöfe zu einer Mauer, die an einer Stelle durchbrochen war. Wir stiegen durch das Loch und standen auf einem Fabrikhof. Backsteingebäude, schmelzender, dreckiger Schnee auf zusammengeschobenen Schutthaufen, bizarre Maschinen, die ausgedient und aus ihrer Produktionslinie herausgerissen vor sich hin rosteten.
Ich wusste nicht was Henri hier wollte. Er kam für seine Verhältnisse früh bei mir vorbei. Wir tranken ein Bier. Sonst fiel uns nichts ein. Bis Henri sagte, ich zeig dir was, die Füße von meinem Couchtisch nahm, seine einsfünfunneunzig in die Luft schwang und sagt komm ma.
Hier, Henri stieg die Treppe zu einer Kellertüre hinunter, schob sie auf und wir standen in einem dunklen Souterrainraum mit hochgelegenen Fenstern, die so dreckig waren, das selbst bei Sonne kaum Licht durchdrang. Henri ging wieder voraus. Wir stießen auf ein Treppenhaus, das in ein tieferes Kellergeschoss führte. Henri hielt kurz an. Still. In der Stille hörte man Stimmen, Bellen, sehr gedämpft. Alles o.k.. Henri nickte und wir stiegen die Treppe hinunter in das untere Kellergeschoß. Henri stieß eine Türe auf. Dahinter war Licht. Man roch Zigarettenrauch und hörte die Stimmen lauter. Wir liefen einen Gang entlang. Mich wunderte dass er beleuchtet war. So wie das Gebäude oben aussah konnte hier nichts mehr funktionieren. Am Ende des Ganges eine weitere Türe. In einer Nische davor saß ein fetter Typ, der Henri zunickte und mit dem Finger auf mich zeigt, und der. Henri wendete den Kopf nur leicht, Kumpel, ist ok. Der Typ ließ uns durch.
Der Raum war voll, in der Mitte eine Menschenansammlung. Zigarettenrauch stand in der Luft. Die Leute , anscheinend alles Männer lachten und klopften sich auf die Schulter, mehrere Sprachen schwirrten durcheinander. Einige drehten sich nach uns um als wir eintraten. Einer legte zwei Finger zum Gruß an die Schläfe, Henri war offenbar bekannt. Ich wurde aus den Augenwinkeln beobachtet, aber als Henris Begleiter wohl toleriert. Ich fragte Henri leise, was los wäre, wenn ich hier alleine wäre. Henri schüttelte den Kopf, nichts, du wärst nicht hier, Dickie, und er deutete mit dem Kopf nach hinten zur Türe hätte dich schon längst kalt gemacht. Ich wusste noch nicht wie ernst das gemeint war und hielt es für einen von Henris makaberen Scherzen.
Als wir uns den Leuten näherten sah ich, dass sie um eine Brüstung standen, ich drängelte mich durch und sah in einen dunklen Schacht, der etwa 5x5 Meter groß war und vielleicht drei, vier Meter tief. Er war leer. Ich sah mich nach Henri um, um ihn zu fragen was das soll. Aber er war nicht bei mir, sondern zu einem Mann gegangen, der im Hintergrund stand und von der massigen Gestalt Henris ganz verdeckt wurde. Sie sprachen irgendetwas. Dann kam Henri zu mir , sah kurz in das Loch und sagte, pass auf. Die Leute formierten sich, irgendwo hinten ging eine Türe auf und zwei Käfige auf Rollen wurden hereingeschoben. In jedem saß ein Hund, einer brauner Pitbull, der mißtrauisch mit zusammengekniffenen Augen zur Seite sah. In der anderen ein Tier von undefinierbarer Rasse, mittellanges Fell, ganz schwarz. Beide Käfige wurden nebeneinander an das Stahlseil einer Laufkatze gehängt, die an einer Schiene unter der Decke lief, mit kurzem Ruck hochgezogen über die Grube gefahren und hinabgelassen. Die Leute drängten sich an der Brüstung, es wurde ganz still. Als die Käfige unten aufsetzten öffneten sich Klappen an der Schmalseite, der schwarze Hund sprang sofort heraus, der Pitbull erhob sich langsam und betrat die Arena, als ob er wüsste, dass er hier der Champion war, wie mir Henri leise ins Ohr flüsterte. Die Käfige wurden hochgezogen. Die Spannung stieg. Der Pitbull kümmerte sich scheinbar nicht um seinen Gegner. Der zog sich in eine Ecke zurück und begann zu knurren. Mit einem Satz aus dem Stand griff der Pitbull an, sprang gegen seinen Gegner, warf ihn fast um und sofort waren die beiden Hunde rasend ineinander verbissen. Der Kampf war leise, nur knurren, das Schnappen der Kiefer und das Scharren der Krallen auf dem Betonboden war zu hören. Die Männer fingen an ihre jeweiligen Favoriten anzufeuern und schrien und klatschten während die Hunde sich in ihrem tödlichen Gefängnis zerfleischten. Auf einmal konnte der Schwarze den Pitbull abschütteln und erwischten ihn am linken Hinterbein. Der Pitbull versuchte sich mit schleudernden Bewegungen zu befreien, erreicht aber nur dass sich die Zähen des Schwarzen noch stärker in ihn verbohrten. Schließlich schaffte er es sich loszureißen, aber irgendetwas in ihm war zerbrochen. Vielleicht die Wirbelsäule, er schleifte seine Hinterbeine nur noch nach und versuchte mit mühsamen Bewegungen der Vorderbeine aus dem Bereich des Schwarzen zu kommen. Ein Teil der Männer schrie auf, andere klatschten und johlten dem Schwarzen zu. Der nutzte die Chance, erwischte den Pitbull im Genick und schleuderte ihn mit nach dem Kampf noch erstaunlicher Kraft hin und her, bis dieser sichtlich keine eigene Bewegung mehr vollführte.
Einer der Käfige wurde wieder heruntergelassen, die Klappe geöffnet. Irgendein Lockfressen war darin und der Hund schlüpfte hinein. Als er hochgezogen wurde sah ich dass er aus vielen Wunden blutete, auch am Kopf verletzt war. Ich drehte mich zu Henri um der zog nur die Brauen hoch. Der Käfig wurde wieder auf den Rollwagen verladen und nach hinten geschoben, von wo das Bellen von etlichen weiteren Hunden kam. Die Männer, die um das Loch standen wandten sich nun dem Mann zu, mit dem Henri vorher gesprochen hatte. Ein eher gesetzt aussehender, älterer Mann, gut gekleidet im Gegensatz zu den meisten hier. Henri flüsterte mir zu, der Buchmacher. Die Männer umringten ihn schrien, diskutierten. Um wieviel ging es jetzt? Henri zuckte mit den Schulten, 50, 100 – tausend, so… aber das ist eher so die mittlere Liga. Was ist so Oberliega, schon mal ne Million oder so. Ein Mann, der unser Gespräch gehört hat und Henri mit Handschlag begrüßte, meinte bei den Hunden, ja, aber bei den Gladiatoren ist noch mehr Musik drin. Gladiatoren? Na, musst mal später kommen. Da kannste sehen wies im alten Rom war. Ich konnte es nicht fassen, da kämpfen auch Menschen drin? Nun meinte der, manche wollen das, wird ja keiner gezwungen hier. Sind meist illegale. Können es sich aussuchen, lebenslang für ein paar Cent malochen oder hier in zehn Minuten ein Vermögen machen. Oder sind tot, warf ich ein. Fityfifty, immerhin, einer kommt lebend raus. Aber das Preisgeld lockt, und wenn sie schlau sind machen sie das einmal und hauen dann ab nach Hause, da können sie dann für den Rest des Lebens locker davon leben. Aber meinte Henri, ich hab noch keinen erlebt, der schlau war, versaufen und verficken die Kohle dann in einer Nacht und nächste Woche sind sie wieder da.
Inzwischen beugte sich einer mit einer Art langem Enterhaken über die Brüstung schlug ihn in den Kadaver des Pitbull und zog ihn mit einiger Mühe hoch. Einer schob eine große zweirädrige Karre, die auch im hinteren Bereich des Raumes stand, heran und half dem mit dem Enterhaken, den Hund hineinzuhieven. In der Karre lagen bereits zwei tote Tiere und ich roch wie sie stanken.
Ich sah, glaube ich etwas blaß aus. Na, meinte Henri, du wolltest doch was erleben. Ja gut, ich habe schon davon gehört, aber ich habe es nicht geglaubt. Was glaubst du, was ich schon alles geglaubt habe. Henri zuckte mit den Schultern. Ich wollte gehen, mir reichte es. Wir gingen auf demselben Weg zurück, vorbei an Dickie der uns keine Beachtung mehr schenkte.