„Patamon“
Der junge Patamon, was in unserer europäischen Sprachwelt in etwa Sturm / Gewitter bedeuten würde, steht abwartend am Rande des Versammlungsplatzes. Sonst eher ungestüm, wirkt Patamon heute sehr, sehr ruhig und doch voll gespannter Erwartung und Aufmerksamkeit. Heute ist sein Tag, seit der junge Indio vorgestern, einen leibhaftigen Jaguar erlegte, ist sein Ansehen im Dorf seines Stammes gewachsen. Und heute Abend soll er feierlich in den Kreis der erwachsenen Krieger aufgenommen werden. Patamon ist ein Bororo und er ist sehr stolz auf sich selbst und sein dahinschwindendes Volk. Die Dörfer der Bororo liegen versteckt in den Dschungel ähnlichen Wäldern des Rios Juruena. Die Hütten sind kreisförmig um den Versammlungsplatz angelegt, in der Mitte des Dorfes erhebt sich das Baito, das Männerhaus. Die traditionelle Bauweise seit Hunderten von Jahren. Die Bororo sind ein indigenes Volk und leben in ihren alten Sitten und Gebräuchen. Man spricht Macro-Ge. An der Grenze des Staates Mato Grosso in Brasilien sammeln sich die letzten 750 Angehörigen dieses einst wesentlich größeren Volkes. Mord und Vertreibung im Rahmen der Industrialisierung, aber auch die Bekanntschaft mit den sogenannten Zivilisationskrankheiten reduzierten die Bororo auf einige Hundert. Die Häuptlinge der sechs Dörfer führen die ihnen anvertrauten Stammesmitglieder sozialund ausgeglichen. Gegenseitige Hilfe beim Bau der ärmlich wirkenden Lehm Hütten oder beim bestellen der Felder ist eine Selbstverständlichkeit. Man pflanzt Mais, Reis, Maniok, Bohnen und Kürbisse an. Am Ufer des Flusses liegen Einbäume, versteckt im Ufer Dickicht. Die Männer nutzen sie zum Fischfang, einige ganz Mutige auch zur Jagd auf Krokodile und Alligatoren. Die Frauen und Kinder heben lange Gräben aus, diese dienen in der Regenzeit zur Entwässerung der Felder. Weit und breit der Dörfer ist nichts, die weißen Landpiraten und Großfarmer haben sich zurück gezogen, die Böden hier sind zu karg und es gibt hier auch keine verwertbaren Rohstoffe in nennenswerten Mengen. Nur die Bäume selbst könnten irgendwann das friedliche Leben bedrohen, wenn die großen Holzkonzerne ihre Baumfällertrupps losschicken, wie es anderswo geschieht. So leben die Indios momentan recht ungestört und können sich ungezwungen in der Umgebung ihrer Ansiedlungen bewegen. Das war nicht immer so. In Vergangenheit wurde manches Leid und Unglück in die Dörfer der Bororo hinein getragen und ein gesundes Misstrauen gegen Fremde ist den Bororo als Erbe dieser Zeit erhalten geblieben. Heute ist ein Fest im größten Dorf. Der junge Patamon, ein gewaltiger Jäger, wird in den Kreis der Krieger berufen. Die Männer tragen ihren kunstvollen Federschmuck, wie bei allen Zeremonien und Ritualen und stampfen kräftig mit den Füßen bei den rituellen Tänzen. Schweißglänzende, muskulöse Oberkörper wiegen sich in Ekstase zum Klang der schweren Trommeln und in den Händen halten die jungen Krieger Schwirrhölzer. Eine einfache Waffe, jedoch in der Hand des Geübten eine tödliche Gefahr. Auf ein Zeichen des Schamanen reiht sich Patamon in den Kreis der Tänzer ein, am Ende des Rituals wird er ein vollwertiger Krieger sein, seine Jugendzeit ist damit endgültig vorüber. Am Vorratszelt, wo einige Körbe mit geernteten Feldfrüchten untergebracht sind, kauern im Schatten der lodernden Feuer ein Dutzend Ratten, gierig auf Beute und doch verschreckt vom Gesang und dem Lärm welche die Bororo Tänzer verursachen. Sie wittern die Eingeweide des Jaguars, die unbeachtet einige Schritt von der Feuerstelle am Boden liegen, und dessen Fleisch einen würzigen Bratenduft durchs Dorf ziehen lässt. Noch halten sie sich zurück, aber sie werden sich ihre Beute noch holen. Stolz blickt Patamon in den Nachthimmel, wo sich das Licht der Feuer mit dem Glanz der Sterne zu treffen scheint. Nun ist er ein Krieger, ein stolzer Bororo!
Kamasutra 16.10.2018