„B.O.C – Im Westen nichts Neues“
Montag, 04.18 der Wecker schrillt halblauten Alarm, müde kommt der einsame Schläfer hoch, ein Tag wie jeder andere beginnt, oder doch nicht? Der großkarierte Schlafanzug schlackert um den morgenträgen Körper seines Besitzers. Fahrig tasten Fingerkuppen über schlaffe Wangen, im Drei Ton leise schabend über eisgraue Bartstoppeln.
„Rasieren, Boah nö, nicht so stressig heute,“ murmelt Bertram Otto Clasen müde, denn niemand anders ist der überaus wohlgelaunte Zeitgenosse. Wenn Bertram so an die C und D Promis aus dem Fernseher denkt, ist rasieren eh außer Mode geraten. Den Schnauzbart auf Welt - lmaA -Stellung gebürstet, des linken Schlafsockens komplett verlustig, rechts hängt noch am großen Zeh, schlurft der ehemalige Baggerführer aus Moabit ins Wohnzimmer. Bertrams Blick fällt auf die überbreite Fensterbank, alles ist schon hergerichtet, sein Beobachtungsposten ist bereit. Die notwendigen Utensilien wie
Stift und Kladde, übrigens Nr. 37, der alte BW- Feldstecher, Radiergummi und Anspitzer, Ersatzmine… alles da. Um das morgendliche Warm-Up abzurunden gluckert der erste Marnier in den in Dauerbereitstellung stehenden Schwenker. Fruchtig plätschert das Likörchen in B.O.Cs Magen und sorgt für edles Wohlbehagen. Bei Kakao und Käsestulle kommt dann die nächste geistige Erquickung. Ein dritter Likör folgt sogleich, um die Flüssigkeitsversorgung ausreichend
sicherstellen zu können.
Nach dieser Standarderfrischung für allgemeine Wochentage bezieht Bertram Otto Clasen seinen Beobachtungsstand. Das tägliche Leben hat sich seit einiger Zeit verändert, weniger Menschen sind auf der Straße, die Stimmung wirkt seltsam gedrückt. Für B.O.C macht das allerdings kaum einen Unterschied,
ausgehen tut er seit Jahren nicht mehr. Im Gegenteil wie ein Kaninchen hockt er in seinem
Bau, Heimspiel wie gehabt. Ali, der türkische Kiosker ist für die Grundversorgung zuständig und macht einen tollen Job. B.O.C muss sich mit der Draußen Welt nur noch beobachtend befassen. Darauf und auf Ali gleich nochmal ein dreifaches Prosit.
Sein Lieblings Mitmieter und Hasshausgenosse Rickmann turnt derweil behände über den Bürgersteig. Der geborene Loosertyp legt in letzter Zeit Blockwart Manieren an den Tag. An allem und jedem hat er etwas auszusetzen. Einzig B.O.C bleibt weitgehend von seinen Tiraden verschont. Jetzt pfeift er gerade die Familie Pastelka zusammen, welche sich wohl erdreistet, gemeinsam aus dem Haus zu gehen. Das geht natürlich gar nicht und um den schnöden
Schein zu wahren, nimmt Rickmann da auch kein
Blatt vor den Mund. Zufälligerweise kommt da auch gerade eine Streife des Ordnungsamtes ums Eck gebogen. Die frühmorgendliche Spannung steigt ins Unermessliche und zur Klärung der
mehrdeutigen Situation ist schnellstens ein Beruhigungsschlückchen angesagt.
Eilig kritzelt Bertrams Schreiber über das unschuldige, nur von ein paar Marnierspritzer befleckte Papier.
Blockwart und Flötenheini Rickmann kuschelt öffentlich mit Streifenhörnchen und scheißt die Nachbarn an
Indessen Leberecht Kraftschild diesen Vorgang aus seinem Hauseingang beobachtet und sich sogleich mit einem wilden Hechtsprung wieder ins Hausinnere in Sicherheit bringt. War doch sein Gesicht seltsam unbekleidet. Mit schmetterndem Schlag fällt die Haustür hinter dem Lebemann ins Schloss und selbiger von der Bildfläche.
Kraftschild der alte Haudrauf bringt sich eiligst in Sicherheit, flieht den Maskenball.
Auf den Schreck dieser Ereignisse muss der ein oder andere Tröster her. Mit rasender Geschwindigkeit sinkt der Flaschenpegel unter die Mittellinie. Sorgenfalten kräuseln Bertram Ottos Stirn. Dabei steht der Hammerauftritt doch noch aus. Die Steltzmannische Soloeinlage. Bertrams Hand greift verstohlen zu der braunen Papiertüte, darin raschelt knuspriges, noch warmes Popcorn. Wenn schon Kino dann auch richtig und Lob und Dank an Ali, welcher wieder einmal das schier Unmögliche möglich machte.
„Ein Prosit der Gemütlichkeit,“ singt Bertram halblaut vor sich hin und pünktlich auf die Sekunde startet die große Show.
Irene Steltzmann die verzweifelte Lustjägerin, welche seit Monaten in ihrer 34ten sexuellen Revolution verharrt und nun vom Jagdfieber getrieben die Bildfläche betritt. Die Endsiebzigerin hat sich heute in ein Tigeroutfit gehüllt. Die knappen Dessous, String, Straps Gürtel und knapper Spitzen-BH von Baci Lingerie enthüllen die ganze Tragweite der Katastrophe. Schwarze Netzstrümpfe und Heels im Leoparden Style bilden das Tüpfelchen auf dem I. Auf der Stirn der heißblütigen Jägerin könnte man die Worte sofort
verfügbar eintätowieren. Allzu offensichtlich sind ihre angestrengten Bemühungen hochprozentiges Gammelfleisch, weit jenseits jedweden Verfalldatums, als Topangebot auf den Markt zu werfen.
Apropos Hochprozentig, mit leicht zitternder Hand schenkt B.O.C sich nach, die Nerven liegen blank obwohl er sich nicht in der Gefahrenzone befindet. Nach vier Doppelten tritt allmähliche Beruhigung ein. Die Straße ist wie leergefegt, Rollläden rasseln lautstark in die Nachtstellung, Türen klappen, Garagentore verriegeln sich quasi selbstständig. Auch der selbsternannte Blockwart und die beiden Streifenhörnchen haben sich abgesetzt, nichts ist mehr von ihnen zu sehen.
Olle Schachtel Steltzmann vertreibt das letzte Leben in der Straße
So lautet die entsprechende Bemerkung in Bertrams Kladde.
Während Irene Steltzmann also giraffenartig tänzelnd die menschenleere Straße entlang paradiert fällt unser neutraler Beobachter in einen fast komatösen Schlummer. In seiner Traumwelt begegnen sich alter Faltenbraten und Förderbänder voller frisch abgefüllter Likörflaschen. Unter B.O.Cs frenetischem Schnarchen scheinen allerdings die prozentigen Tropfen die Oberhand zu gewinnen.
Kamasutra 20.05.2020