Die Jägerin
Madleine muss sich auf ihre
Zehenspitzen stellen, um den letzten Hautfetzen vom Fleisch zu trennen.
Der Torso, der an dem Fleischerhaken vor ihr von der Kellerdecke hängt, erinnert nur noch im Entfernten an den Körper, den sie vor knapp zwei Stunden mittels einer kleinen Seilwinde in ihren Keller gezogen hatte.
Ihr Keller.
Mit einem Lächeln
zupft sich Madleine die schweißnassen Haarsträhnen von der Stirn und erinnert sich an das erste Mal, als sie nach einem langen Arbeitstag hundemüde und leicht
überreizt mit dem Makler vor dem Treppenabgang des kleinen Waldhäuschens stand.
Der Makler war die einhundertzwanzig Kilometer aus Passau angereist, um Madleine diese Immobilie zu zeigen, die er in ihrem Auftrag vermeintlich passend für sie, geglaubt gefunden gehabt zu haben.
Herr Breuninger war ein guter Makler und er nahm sich der Wünsche seiner Klientin immer wieder gern an. Madleine war eine anspruchsvolle Klientin. Manchmal fühlte er sich von ihren detailreichen Nachfragen und unverhandelbaren Eigenschaften, die ihre Wunschimmobilie haben sollte, geradezu
windelweich geschlagen.
Viele Exposés wurden in seinem Büro
auf den Besuchertisch
gelegt, bis sie endlich zufrieden war und ihr Einverständnis zur einem Vor-Ort-Termin gab.
Dann war ein Besichtigungstermin alsbald gefunden und ihr Pick-Up fuhr den Waldweg, der zu dem Haus führte, mit Leichtigkeit entlang, während die nach hinten wegspritzenden Kieselsteine das
Nummernschild des tiefergelegten Sportwagens traktierten, den der Makler fuhr.
Nach der Besichtigung des eher unscheinbaren Erd- und Dachgeschosses stand Madleine damals vor der Kellertür und gab ihr eher missmutig einen Schubs.
Zu ihrer Überraschung schwang die Tür mit leichtem Schwung auf und bremste, kurz bevor sie an die Kellerwand schlug, sanft ab. Der Obertürschließer war ein neues Fabrikat.
Das sollte ein gutes Zeichen sein.
Madleine ging die Graniblocktstufen hinab, die den Treppenabgang bildeten.
Unten angekommen atmete sie die Luft ein und war sich trotz Dunkelheit schlagartig bewusst, dass diese Räumlichkeiten genau das waren, was sie seit Monaten suchte.
Als Herr Breuninger die altertümliche
Petroleumlampe entzündete, die an der Kellerwand hing, sah er in das wohlig lächelnde Gesicht seiner Klientin, schickte ein
Stoßgebet zum Himmel und freute sich auf die bald fließende Provision.
Madleine wischt sich die blutigen Hände an ihrer Schürze ab und streckt kurz ihren Rücken durch. Ja, damals war das Waldhaus schnell
eingekauft.
Nach den notwendigen Umbauarbeiten war sie sofort eingezogen und konnte es kaum erwarten, ihrer Lust und ihren Instinkten freien Lauf zu lassen.
Sie lächelt wieder.
Lust und Instinkte.
Nun ja, hier hängt nun ein weiteres Ergebnis von beidem.
Madleine löst den Fleischerhaken und lässt den glänzenden Zylinder aus Muskelfleisch und Kochengerüst dank Seilwinde auf den Tisch vor ihr gleiten.
Gleich wird das Tranchiermesser die besten Stücke heraustrennen, geführt von ihren schmalen Händen. Das Fleisch wird sie konservieren, wie schon so viele Male zuvor.
Auch diese Gläser werden einen besonderen Platz in dem eigens für sie gebauten Regalen aus Eichenholz finden, die jetzt schon den zweiten Kellerraum zur Hälfte füllen.
Und wenn sie dann die letzten Reste des unbrauchbaren Materials in dem Ofen am Ende des Kellerraumes verbrannt hat, wird sich Madleine mit einem Whiskey vor den großen Flachbildschirm im Kaminzimmer setzen, diesen einschalten und die Nachrichten verfolgen.
Man weiß ja nie, wer aktuell gerade vermisst wird.