Acht neue Wörter und IM VORALPENLAND ZUR MITTAGSZEIT
Fallotin, Fallotöööö? Ich lasse den ö-Laut in meinem Mund wandern und drücke ihn dann mit der Zunge an den Gaumen, so dass er sich den Weg über die Nasennebenhöhlen nach außen sucht. Wie, was soll das denn sein?
Es ist Sonntagabend und ich sitze vor dem Tatort, kann aber der Versuchung nicht widerstehen zunächst die acht neuen Wörter für die wöchentliche Kurzgeschichte zu checken.
Und was lese ich? Eine Mischung aus Oktoberfest, Champions league, Louis Buñuel und Hunderennen geht mir durch den Kopf. Und dann diese Fallotööö(hhh). Kopfschüttelnd nehme ich die Kommentare einiger Gruppenmitglieder zur Kenntnis und beschließe aber nun das Beste draus zu machen. Die weibliche Form von Betrüger/Halunke/Lump lässt sich bestimmt unterbringen. Ist ja auch viel besser als Halunkin oder Lumpin.
Doch dann schreibe ich drauflos. Keine Ahnung was das jetzt geben wird.
Wir befinden uns im bajuwarischen Voralpenland. Dort wo die Flachlandgroßkotze gerne ihre Villen haben. Mit Seeanstoß versteht sich. Dort wo aber auch in Zeiten von stetig steigender Arbeitslosigkeit durch Virenbewegungen die Menschen immer aggressiver werden. Wo die Arbeitsagenturmitarbeiter mit kugelsicherer Weste hinter den Plexiglasschutzschildern sitzen und vor der Tür immer eine Polizeiwache steht.
Es ist kurz vor 12 Uhr mittags, als ein hörbar aufgemotzter Sportwagen mit der angesagten Mattlackierung schnittig den Kundenparkplatz genau dieser Arbeitsagentur befährt. Ein typischer Bourgeois steigt aus und lässt die Wagentür krachend zufallen.
Kurze Zeit später geht ein Windhund vorbei, er hat eine bedirndelte Frau an der Leine. Da dies den Hund überhaupt nicht kümmert, zieht er nach rechts, in Richtung des Wagens und hebt genau am rechten Hinterreifen sein Bein.
Die Frau an der Leine hebt hüstelnd eine Hand vor den Mund und schaut sich schuldbewusst um, in der Hoffnung, das Missgeschick könne vielleicht keiner gesehen haben. Doch sie hat keine Chance, der Autobesitzer, eben noch im Eingang des Bürohauses, macht auf dem Absatz kehrt, baut sich vor der Frau auf und lässt eine Schimpftirade über sie niederprasseln. Von „du damische Kuh“, bis zum genäselten „du Fallotin“ schreit er alles heraus was ihm einfällt.
Doch da ist er an der richtigen Adresse. Die Hundehalterin lässt einen Moment die Leine los und schon springt ihn der Windhund an. So schlank er auch aussieht, sein Kraft ist nicht zu unterschätzen. Mit beiden Vorderpfoten auf den Schultern des Mannes drückt er ihn zu Boden, gleichzeitig holt die Frau mit ihrer Handtasche im weiten Bogen aus und schlägt zu.
So liegt der vormals schnittige Autofahrer direkt neben dem rechten Hinterreifen. An seinem linken Ohr spürt er den noch warmen Hundeurin vorbeilaufen und er schreit was das Zeug hält.
Die wachhabenden Polizisten vor dem Haus bemerken erst in diesem Moment, dass sich etwas Außergewöhnliches ereignet hat und eilen hinzu.
„Ja kruzisakra, was ist denn hier los“, ist der erste Satz, den der etwas untersetzte Uniformträger loslässt.
Die Dirndlfrau schlägt effektvoll die Augen nach oben. „Herr Wachtmeister, was sagen sie dazu? Parkt doch dieser Großkotz mit seiner Benzinschleuder direkt auf dem Parkplatz der Arbeitsagentur, ja gibt’s denn sowas? Da soll man doch meinen dies sei für Hilfeempfänger reserviert, oder? Sind wir schon soweit in unserem Sozialstaat, dass die Bonzen ihre eigenen Gesetze machen? Immer zu Lasten der kleinen Leute! Was sagen sie denn dazu?“
Der Wachtmeister streift den sich langsam aufrichtenden Mann mit einem kurzen Blick. Dieser wischt sich den Urin vom Jacket so gut es geht und man sieht ihm die Niederlage an. „Papiere, Führerschein!“
Und während die Überprüfung läuft, haucht die Frau ein „Vergelt´s Gott, Herr Wachtmeister“, nimmt die Hundeleine fest in die Hand und geht mit einem triumphalischen Gefühl davon.