Die Sache mit den Wünschen
Goldele litt unter der Hitze. Ihr sonst so wunderschönes weißes Fell war schweißnass, ihre regenbogenfarbene Mähne und der Schweif hingen so schlaff herab wie ihre Ohren. Ihre Lippen zupften lustlos an harten vertrockneten Kräutern. Myriaden von Fliegen umkreisten und quälten sie. Viel zu heiß, selbst im Schatten der knochigen Olivenbäume. Einzig ihr goldenes Horn auf der Stirn stand unbeirrt aufrecht in der Sonnenglut Liguriens.
Von ihren Versteck auf der Anhöhe beobachtete sie die Menschen, die quietschvergnügt im erfrischenden Meer badeten und sich gegenseitig laut johlend nass spritzten. Ach, was gäbe sie darum, mittollen zu dürfen! Sie lauschte dem Motorengebrumm der Jachten, die über das funkelnde Azur des Wassers glitten und großzügig einen feinen Regen aus schäumender Gischt über die auf dem Meer faul dösenden Wasservögel verteilten.
Blöde Möwen, dachte sie, als ob die nicht schon genug Abkühlung hätten!
Missmutig stampfte sie mit dem Huf auf den Boden. Ihr lieber Freund – das Wildschwein Guiseppe– kam vorbei und fragte Madame nach dem Grund ihrer Übellaunigkeit.
„Ich will auch baden wie die Menschen und im Meer plantschen. Es ist so heiß. Doch ich kann mich nicht nach unten an den Strand wagen, nicht mal des Nachts. Die Menschen würden mich meiner Schönheit wegen fangen und einsperren.
Ach, ich habe es wirklich schlecht getroffen. Ich wünschte, ich wäre so unattraktiv, struppig und schlammverkrustet wie du, dann würden sie mich in Frieden meiner Wege gehen lassen.“
Goldele seufzte frustriert und dicke Schweißperlen tropften von ihren trotzig geblähten Nüstern.
Guiseppe schluckte die Beleidigung herunter, sicherlich war Goldele nur der Hitze wegen kapriziös und meinte es nicht so. Es war ja auch sonst nicht ihre Art, auf ihm, dem übelriechenden Gesellen, den jedermann sonst mied, herumzuhacken. Schließlich war sie seine liebste Freundin und er wollte ihr helfen. Er überlegte und schließlich meinte er vorsichtig:
„Es gäbe da eine Lösung, Goldele. Geh doch zur Strega
(ital. Hexe) über die verschlungenen Pfade bis hinauf auf den Berg und bitte sie, dir zu helfen. Aber sei vorsichtig, die Alte ist verschlagen. Und bitte - komm wieder.“
Gesagt getan! Der Aufstieg war sehr anstrengend und Goldele wäre nun gern für kurze Zeit in der Haut eines Steinbocks gewesen. Sie stöhnte und ächzte, aber wenn als Belohnung der Mühen ein langes Bad im Meer winkte, dann wäre es das Ganze wert.
„Was willst du, Goldele?“, fragte die Strega und lächelte listig, mit Einhorn-Ingredienzien ließ sich gut hexen.
„Ich will nicht mehr schwitzen, Strega, ich möchte im Meer baden und zwar inkognito.“, antwortete Goldele, der es in Gegenwart der unheimlichen Alten etwas mulmig zumute war.
„Diesen Wunsch kann ich dir erfüllen, doch was gibst du mir dafür?“
„Was forderst du denn?“ Goldele hatte Angst, vielleicht wollte die Alte ein Stück ihres goldenen Horns oder gar ihre seidige Mähne abschneiden? Oder noch Schlimmeres? Eine Gänsehaut legte sich trotz der Hitze auf ihren Leib.
„Ich möchte deine Tränen, Einhorn, ich brauche viele von ihnen für einen bestellten Liebeszauber. Mit der Liebe ist es wie mit Herzenswünschen. Hat man, was man will, so wünscht man sich sogleich etwas anderes.“ Die Alte grinste und entblößte dabei Zähne in ungesundem Gelb. „Aber du kannst mich später bezahlen, du hast Kredit bei mir.“ Meinte sie großzügig.
Goldele war erleichtert. Geweint hatte sie noch nie, wie ging das denn? Egal. Der Preis war nicht so hoch, wie gedacht und sie stimmte zu. Die Alte sprach einige Beschwörungen und erstickender Nebel hüllte sie ein. Ihr schwanden die Sinne.
Sie erwachte und versuchte zu blinzeln, doch es ging nicht. Sie fühlte Sand unter ihrem Körper, ihre Beine waren verschwunden, und brennende Sonne über sich. Ein leichter Windhauch drehte sie ein Stück und sie konnte das Meer im gleißenden Licht der Sonne einige Meter von sich entfernt sehen. Seltsam fühlte sie sich an. So leicht – als wäre sie mit Luft gefüllt - aber der Geruch, den sie ausströmte, war unangenehm nach Öl. Auf einem Haufen mit ausgedienten Luftmatratzen lag sie an einem Strandabschnitt zwischen Umkleidekabinen und Toilette.
Einige Kinder kamen neugierig näher und Goldele hörte
„Wie schön“ in vielen Sprachen. Hätte sie gekonnt, hätte sie gestrahlt. Ach, diese wundervollen kleinen Menschenkinder waren zu goldig. Ihrer würdig. Sie war in ihrem neuen Leben angekommen.
Zwei der Kinder hoben sie auf und trugen sie vorsichtig durch die Sonnenschirmreihen ans Ufer und setzten sie sacht aufs Wasser. O welch ein himmlisches Gefühl! Sie schwamm. Jauchzend bestiegen sie die Kinder und ritten mit ihr in den Wellen auf und ab. Die Gischt spritzte Goldele ins Gesicht und sie wieherte still vor Glück und Freude. So hatte sie sich das vorgestellt. Die kleinen Mädchen streichelten ihren Hals und liebkosten das Horn voller Zuneigung als wäre sie ein echtes Pferd.
Goldele begriff, dass sie zu einem großen Plastikeinhorn geworden war – so wie der riesige rosa Flamingo nicht weit von ihr. Doch wen kümmerte das – sie war dort, wo sie sein wollte und niemand erkannte das sagenhafte Fabeltier in ihr.
Doch auch andere Kinder wollten mit ihr spielen. Ihre ursprünglichen Besitzerinnen weigerten sich jedoch, sie herzugeben und es entbrannte ein heftiger Streit unter ihnen. In dessen Verlauf wurde Goldeles Körper nicht nur von Kinderschaufeln mit Hieben gegen ihre empfindliche Plastikhaut malträtiert sondern auch mit Steinen, Eimern, Förmchen, Algen und nassem Sand beworfen. Bald war sie nicht mehr weiß, sondern so dreckig und verkrustet wie Guiseppe nach seiner Suhle. Außerdem zogen die Plagen permanent an ihr und sie fürchtete, sie würden sie zerreißen.
Vor Schreck fiel ihr ein, dass sie in diesem Zustand sterblich war und sie fühlte Schmerz. Sehr großen Schmerz. Hochfrequent schrien die Gören um sie herum und fast platzte ihr das Trommelfell. Sie wünschte sich zurück in ihren stillen Hain und in die unaufdringliche Gesellschaft ihres lieben Guiseppes. Zum Teufel mit dem Bad im Meer! Es hörte mit den nervigen kleinen Wesen nicht auf und immer noch kamen mehr von diesen ungezügelten Nachwuchs-Wilden.
Tief verzweifelt rollten ihre Tränen von alleine und Goldele begriff, was wirklicher Kummer war. Doch niemand bemerkte es. Sie war kein stolzes Einhorn mehr, kein Tier der Götter, sondern nur mehr ein austauschbares Plastikdings. Kein atmendes und fühlendes Wesen mehr, rechtlos und der Willkür anderer ausgeliefert. Aller ihrer Möglichkeiten beraubt und dazu verdammt, still zu ertragen, was auch immer da käme, inklusive hinaus aufs weite Meer geweht zu werden und für den Rest ihres Lebens dort zu treiben - solange bis sie sich auflösen würde. Grausame Vorstellung.
Lautlos schrie sie nach der Strega und, dass sie sie erlösen solle. Sie bettelte und flehte. Die Tränen liefen und liefen. Noch immer als sie sich schon längst wieder durch magische Transformation in ihrer ursprünglichen Gestalt auf dem Berg vor der Hütte der Hexe befand.
Die Strega war sehr zufrieden, die Einhorntränen hatten ein Fass gefüllt. Das würde für viele Liebestränke reichen. Von ihrem Strohfeuer geheilt, galoppierte Goldele so schnell sie konnte zu Guiseppe und war überglücklich, ihn wiederzusehen. Sie wünschte sich nun - aber nur für einen Moment - Arme, um ihn zu knuddeln und zu herzen. Doch mit ihren Wünschen würde sie künftig sehr sorgfältig umgehen.
Und ihr hättet mal Guiseppes freudig überraschtes Gesicht sehen sollen als Goldele sich mit ihm zusammen im kühlen Schlamm suhlte und es herrlich fand.