„Im Einklang mit der Natur“
Lustig plätschert der kleine
Fluss daher, silberglänzende Fische schießen torpedoartig durch das Wasser, manchmal im kecken Sprung eine Handbreit über der Wasseroberfläche. Nichts scheint den Frieden der Natur hier zu trüben, weitab von der nächsten menschlichen Ansiedlung und abseits gelegen im Schutz der grünen, undurchdringlichen Wälder. Unberührt und urwüchsig ist die Landschaft wie auf einem anderen Planeten oder einer Erde vor Besiedlung durch die Spezies Mensch. Und doch gibt es hier Leben, die Pflanzenwelt wuchert, wächst und blüht in allen Formen, Farben und Erscheinungsbildern, zahlreiche Tiere aller Gattungen durchstreifen ihr Revier. Aber da ist auch noch etwas Anderes. Etwas erst recht Befremdliches, doch seit langem schon akzeptiert.
Ein Mensch, ein einzelner Mensch mit langem wallenden Haar und einem dichten Bart. Gekleidet in Felle und grobe Stoffe. Ein Verlorener zwischen den Zeiten und Welten? Oder doch nur ein
Eremit welcher sich in die wohltuende Einsamkeit dieses Landstriches zurückgezogen hat um sich der anstrengenden Gemeinschaft der Menschen zu entsagen, oder um sein eigenes Selbst wiederzufinden.
Barabas, so ward der Alte einst gerufen, heute nennt nur er sich selbst noch so wenn ihn die Sehnsucht nach einer menschlichen Stimme übermannt und er sich in Selbstgesprächen verliert. Viel lieber allerdings unterhält er sich mit seinen zahlreichen Freunden, den Tieren des Waldes nämlich. Vielen davon hat Barabas Namen gegeben und oft hat er das Gefühl sie hören ihm aufmerksam zu. Auch das
Bauen seiner kleinen, aber sehr gemütlichen Hütte ging vorsichtig und ohne die Gewohnheiten der Tiere einzuschränken vonstatten. Weder Futterplätze, Schlafplätze noch die Wege der Tiere zum Wasser berührte Barabas bei seinem Tun, sein Bestreben war sich nahtlos und unauffällig in die Gegebenheiten der Natur einzufügen. Er wollte und will nie ein Störenfried sein, sondern eher ein bescheidener Bestandteil der Landschaft.
Neugierig wurde er dabei von der Tierwelt beobachtet, heutzutage haben die Waldtiere den Platz aber schon lange als die Heimstatt des Zweibeiners akzeptiert. Sein besonderer Freund ist Fridolin, der Eichkater. Kein bisschen
ängstlich, eher lustig und immer zu irgendwelchen Streichen und Kletterkunststückchen aufgelegt ist der kleine hellbraune Geselle der beste Gefährte den man sich denken kann. Manch ein lautes
Lachen hat der Eichkater dem Einsiedler schon herausgelockt. Ein wahrer Lichtblick an den verqueren Tagen wo Erinnerungen,
makaber und düster die einsame Seele des alten Mannes
frieren lassen. Erinnerungen welche von einem anderen Leben erzählen, einem Lebenswandel auf den der alte Mann schamhaft und wenig zufrieden zurückblickt.
Die Jahre, die er als zugelassener Arzt und Internist seine Augen vor der Wahrheit verschloss, teils aus Bequemlichkeit, teils aus Angst aber auch unter dem wohlwollenden Zufluss des Geldes welches die Krankenkassen über die konformen Ärzte wie aus einem Füllhorn ausschütteten.
Sein Bauchgefühl schlug damals leisen Alarm, sein Fachwissen, geschärft durch lange Berufsjahre, riet ihm zum Gegenteil, flüsterte ihm zu
„So kann es nicht sein.“
Allein war der tatsächliche Ablauf ein anderer. Von oben herab wehte ein scharfer Wind. Der Alltag geregelt durch Verordnungen, Notstandsparagraphen und sogenannte Bevölkerungsschutzgesetze. Die meisten beugten sich dem immensen Druck, auch Barabas schlug alle guten Ratschläge und Hinweise aus. Der angesehene Arzt entschloss sich verführt durch den süßen
Kuss des Wohlstandes, der vermeintlichen Sicherheit und der gesellschaftlichen Anerkennung mit dem Strom zu schwimmen. Lange Zeit ging das gut und die gewissen Unannehmlichkeiten, Beschwerden aus der Patientenschaft oder die ein oder andere entrüstete E-Mail, naja der erfolgreiche Arzt und Linientreue ließ sie einfach außen vor.
Doch irgendwann kam das alte Sprichwort
„Der Krug geht solange zum Brunnen, bis er bricht“ zum Tragen. Das große Theater wurde zum Riesenflop. Der völlige Zusammenbruch seines alten Lebens verlief parallel zur Selbsterkenntnis und der Entwicklung des heutigen Barabas. Dem Einsiedler und naturverbundenen Menschen. All der Luxus ist nun vorbei, die Gesellschaft formiert sich neu und der einst so angesehene Barabas beschreitet den schwierigen Weg sich selbst wiederzufinden.
Kamasutra 04.12.2020