„Pasternak“ Untertitel „Gardien du mal“ Teil 2
Über dem kleinen Vogesen Dörfchen liegt der tiefe und schweigende Schatten der Nacht. Alles scheint zu schlafen, selbst die Dorfhunde verharren in einheitlicher Stille. Gespenstig und beängstigend mutet das Szenario an, erinnert an einen Friedhof um Mitternacht. Tanzende Stille, Geisterstunde und gefrorene Unheimlichkeit schleichen durch die engen Gassen und hüllen das grautönige Einerlei in einen erstickenden Mantel. Nur auf einer grob gehauenen Holzbank, hoch am Hang, verdeckt zwischen Ginster und anderem Gebüsch thront eine mächtig erscheinende und bedrohlich wirkende Gestalt. Kaum wahrnehmbar vor dem dunklen Firmament. Ein Mann der flagrant das kleine Dorf beobachtet, bewacht, bedroht? Niemand kann es so genau sagen, aber die Einwohner fürchten und meiden diesen Mann, sagen ihm alles Mögliche nach, eher Böses als Gutes. Niemand sah ihn je unbewaffnet und nie gleitet ein Lächeln über seine verwitterten Züge. Wir kennen diesen Mann, der wie ein gefährlicher Wolfdie Gegend durchstreift, oft tagelang verschwindet und immer irgendwie auf der Suche zu sein scheint. Pasternak, als Gardien du mal, bei den Dorfbewohnern verschrien und gefürchtet. Ein ehemaliger Weltkrieg 1 Soldat der französischen Armee, der noch heute, im Jahre 1978 einem unheimlichen Befehl zu folgen scheint. Die verfallene Ferme die Pasternak sein Zuhause nennt, umgeben von Sträuchern und Ginsterbüschen, Steinen und ganzen Felsblöcken und einigen Dutzend Metern festem Holzzaun wirkt wie ein unheimliches Konklave. Eine geschlossene Versammlung des Bösen, der schwarzen Magie, des Unheils schlechthin. Niemand, selbst die neugierigsten der Dörfler, wagt sich hierher, es ist verfluchtes Land. Die einzige Gesellschaft die Pasternak hier oben hat sind einige streunende Wölfe und ein paar tiefschwarze Raben. Und so kann Pasternak, mit Fug und Recht diesen Flecken sein eigen nennen. Unrast zeigt sich in Pasternaks wilden Augen die nun unwillig gegen einen dünnen Streifen Mondlicht blinzeln. Sein Alter ist nicht einzuordnen, die Dorfbewohnerschaft, zweihundert gepeinigte Seelen, wähnt zwischen 60 – 70 Jahren. Aber der alte Soldat, den es einst aus Tschechien hierher verschlug muss mindestens an die 90 Jahre alt sein, da er am 17 September 1915, dem Tag des grausamen Massakers seinen 27ten Geburtstag beging. Es gibt eine einzige Person im Dorf die ein wenig mehr über den geheimnisvollen Pasternak weiß, eine heute, alte Bauersfrau, die 1915 als blutjunge Magd eine Menage-e-trois mit dem schmucken Offizier und einem seiner Untergebenen, Caporal Benoit, führte. Aber die alte und senil gewordene Marie-Claire schweigt, aus Angst und weil sie schon sehr viel vergessen hat. Nach den schrecklichen Geschehnissen des 17.09.1915 hat die, heute in Ehren ergraute Marie-Claire, die Grausamkeit die Pasternak ab da beherrscht erkannt und sich erschrocken und verängstigt von ihm abgewandt. Ein böser Dämon scheint den Tschechen zu beherrschen und der Name des Gardien du mal ward geboren! Bis heute wird er so genannt, und das Böse welches man ihm nachsagt klebt an dem alten Mann wie heißes Pech.
Pasternak erhebt sich von seiner Lieblingsbank, ein letzter Blick über das Tal und vor seinem geistigen Auge sieht er wildschreiende, heranstürmende deutsche Soldaten in ihren Uniformen. Waffen blitzen und blinken in ihren Händen. Die alten Schützengräben und Stellungen sind auf einmal von unheimlichem Leben gefüllt und Pasternak sieht seine Männer sterben, zum gefühlt zehntausendsten Mal. Nichts und niemand hat die schwache französische Kompanie gewarnt die an der wichtigen Nachschub Trasse in diesen Tagen ihren Wachdienst versieht. Der brutale Angriff kommt wie aus dem Nichts und völlig überraschend, beendet eine Episode der Ruhe an der Front.
Sturmtruppen des Infanterie Regiments „Graf Bose“, 1.Thüringisches Nr.31, 2. Bataillon überrennen die Stellungen der schwachen französischen Sicherungskompanie. Ein deutscher Hauptmann stürmt vorneweg und treibt seine Truppen fanatisch an.
Sterne glänzen, wie Polarlichter, beleuchten den wilden Grabenkampf den wenige Franzosen gegen eine Überzahl Angreifer führen. Die Septembernacht ist erfüllt vom belfern der Schüsse, dem Kampfgeschrei der Männer. Todesschreie gellen durch das Tal. Seitengewehre blitzen im Sternenlicht und durchbohren weiches, warmes Fleisch. Der herbeieilende Pasternak kommt zu spät und als er endlich, wild feuernd, den Laufgraben erreicht, trommeln harte Schläge auf seine Brust und deutsches Blei zerreißt seine Uniform. Im Sturz sieht er noch wie der deutsche Hauptmann seinen besten Freund Benoit mit seinem Säbel quasi zerfleischt. Ein schwerer Spatenhieb auf den Kopf ist das letzte was Pasternak merkt, danach bricht eine schier endlose Dunkelheit über ihn herein. Erst Monate später kommt Pasternak in einem Militärlazarett wieder zu sich, gepeinigt seit diesem Tage von einer immerwährenden Erinnerungsschleife, die den jungen Offizier dem Wahnsinn nahebringt. Der früher so freigeistig, offen und freundlich angesehene Offizier wird zum einsamen Bluträcher, zum gefürchteten Eigenbrötler und gnadenlosen Henker der überlebenden Angreifer, die er von Kriegsende an bis heute sucht und findet. Spenden, Schmiergeld und Bakschisch sind die Zaubermittel die „brave“ Verwaltungsbeamte überreden die Namen und Anschriften von Überlebenden der damaligen deutschen Einheit anzugeben. Und wo Geld und gutes Zureden nicht hilft greift Pasternak zu den bewährten Mitteln der Gewalt. Die Polizeibehörden der europäischen Länder grübeln über mehr als zwanzig ungeklärte Todesfälle, alle sehen aus wie eine grausame Hinrichtung, aber niemand dreht das Rad der Zeit so weit zurück und findet den wahren Hintergrund heraus, zumal einige der Toten einen recht zweifelhaften Lebenswandel führten. Nur einer fehlt ihm noch, der führende Offizier der Deutschen, ein bewährter Veteran und Kämpfer mit hohen Auszeichnungen und Meriten, ein Kriegsheld sozusagen. In Wirklichkeit ein gnadenloser Schlächter, wenigstens in Pasternaks Denkweise. Man kann die Dorfbewohner gut verstehen und ihre Furcht vor Pasternak ist allgegenwärtig und verständlich. Tief in Pasternaks erkaltetem Herzen glost ein schwelender Brand, unheimlich und unberechenbar wie das Unbekannte welches in der Tiefsee lauert, tausende Meter unter dem Meeresspiegel. Entschlossen wendet sich Pasternak ab, schreitet schwerfällig seinem Heim zu und die quälende Erinnerung an die Kampfszene verfliegt, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Gibt einer dumpfen Wut Raum und dem festen Willen, den ehemaligen deutschen Offizier zu finden. Der unheimliche Rächer hat eine Spur, einen Hinweis aus einer der großen Tageszeitungen. In Pasternaks Wohnraum steht eine alte Holzschatulle, genau mittig auf dem Kaminbord, darin ein Zeitungsauschnitt. Sein letzter Widersacher wurde vor einigen Wochen geehrt und feierte seinen hundertsten Geburtstag.
Pasternak muss nach Nürnberg, dort in der deutschen Lebkuchen Stadt lebt Eugen von Haras, der als Hauptmann der deutschen Infanterie Pasternaks Männer meuchelte. Eine letzte Aufgabe, ein letzter Befehl und dann hat der Gardien du mal seine Pflicht erfüllt.
Knarzend fällt die schwere Holztür hinter Pasternak ins Schloss und während der Hüter des Bösen seine Schritte zum Kamin lenkt, leuchtet in der kalten Nacht ein vorwitziger Mondstrahl auf und verbreitet einen silbrigen Schimmer über dem schlafenden Tal. Wie ein erleichtertes Aufatmen klingt das kurze Hundegebell, welches für einen Moment die dräuende Nachtstille unterbricht!
Kamasutra 27.11.2018