Jetzt fangts ned schon wieder an! Ruhe, setzen!
Hab was Lustiges zum Lesen für euch, ich hoffe, es macht euch Spaß.
Eigentlich konnte sie Weihnachtsfeiern nicht ausstehen. Zunächst einmal, weil jedes Jahr dieselben Leute auftauchten, selten einmal war jemand Neues dabei, seit Jahrhunderten immer dieselben Gestalten. Da gingen einem doch bald einmal die Gesprächsthemen aus. Worüber sollte man sich unterhalten? Über das Wetter? Kaum. Das konnte sich jeder und jede von ihnen völlig mühelos selber gestalten. Die Kleiderwahl? Zwecklos. Da man in ihren Kreisen wenig modebewußt war, gab es auch in diesem Bereich wenig zu sagen. Irgendeinen Flitter aus dem Kasten gezerrt und auf ging's. Allein die Partnerwahl ... allerdings war genau dieser Punkt bei ihr ein besonders wunder, ein weiterer Grund, ungern auf die anderen zu treffen, denn natürlich wurde genau beobachtet, wer mit wem angereist kam, oder eben gerade nicht (mehr).
Am Ärgerlichsten jedoch waren die Spaßvögel, die einem Übles ins Getränk warfen während man grad mal die Nase pudern gegangen war. Eiserne Regel daher: Niemals sein Glas unbeaufsichtigt lassen oder gar ein fremdes Getränk annehmen. Erklär mal einem Versicherungsmenschen, wieso du mitten in der Nacht auf einem Besen in einen Schornstein gerasselt bist. Leugnen zwecklos, da Teile des Stiels noch deutlich sichtbar in den nach unten gefallenen Brocken steckten.
Gegen Mitternacht wurde man dann gern einmal lustig, beschloß, die Leute im Dorf zu necken, und auf ging's zur Christmette. Nachdem heutzutage auch auf dem Land viele Familien nur in dieser einen Nacht zur Kirche gingen, fiel man nicht weiter auf solange man sich vom harten Kern der Kirchenbesucher - leicht zu erkennen am mißbilligenden Blick sowie der altmodischen Kleidung, besonders feiner Sonntagsstaat eben - fernhielt.
Allerdings war auch hier der Spaß begrenzt, da die alten Bräuche fast alle ausgestorben waren. Selbst der Bauer kam mit in die Kirche statt irgendeinen Wurmsegen über seine Pferde zu sprechen, für sowas hatte man nun den Veterinär, dessen Segen aus der Tube kam und verläßlicher wirkte als irgendwelche Zaubersprüche. Abgesehen davon - wer hielt sich noch Pferde? Man besaß einen Traktor oder zwei, und die im Stall verbliebenen Tiere sprachen auch in dieser Nacht kein einziges Wort. Hätte auch niemand hören wollen, was sie zu sagen hatten. Das mußten halt dann wir übernehmen und zogen, laut krakeelend, durch die nächtlichen Straßen, Olaf der Platzhirsch wie üblich am lautesten singend vorneweg:
Double, double, toil and trouble, wer glaubt dem Bauern sein Gebabbel? Das Stroh ist hart, die Betten weich, in diese legt er sich nun gleich, steckt seine Lanze in die Frau, diese ruft laut: Au au au! Sadomaso will gekonnt sein, da muß die Frau noch nicht mal blond sein, doch wer die Tiere quält für Geld, hat niemals Freud' in dieser Welt!
Aber auch diese Juxereien wurden auf die Dauer fad. Die Leute gingen nicht mehr zu Fuß, wodurch sie in früheren Jahrhunderten voll leicht zu erschrecken gewesen waren, die stiegen in ihr Auto, drehten ihre Super-Woofer-Boxen auf und brausten los. Grad, daß man noch auf die Seite springen konnte und, wenn's blöd lief, direkt in einem Elektrozaun neben der Weide landete. So machte das keinen Spaß!
Sie hatte daher beschlossen, dieses Jahr ihren jährlich wiederkehrenden Vorsatz wahrzumachen und einfach nicht mehr hinzugehen. Was wollten sie schon groß machen? Sie ignorieren? Na, das wär ja mal ganz was Neues.
Am Tag vor Heilig Abend kam sie erschöpft von der Arbeit, grabschte sich eine Tüte Schokokekse, die mit dem höchsten Suchtpotential, aus der Speis und wollte eigentlich nur noch rasch ein passendes Buch ... da blieb ihr fast das Herz stehen vor Schreck: Der Anrufbeantworter in der Bibliothek blinkte!
Nun ja, werden Sie, geschätzte Leser nun denken, das machen Anrufbeantworter nun einmal ab und an. Auch wenn man sehr zurückgezogen lebt, ruft doch mal der Zahnarzt an oder zumindest jemand von einem Callcenter.
Jetzt war es aber so, daß ihr Telefon nicht angeschlossen war. Keins von beiden. Das eine, weil es zu alt war, noch mit Wählscheibe, und nur zur Dekoration im Gang stand. Das andere, weil sie nach einem Anbieterwechsel beschlossen hatte, sich die zusätzlichen fünf Euro im Monat zu sparen. Wer sie unbedingt sprechen wollte, konnte sie genausogut auf dem Mobiltelefon nicht erreichen. Der Anrufbeantworter KONNTE also gar nicht blinken, da das Telefon tot war. Mausetot. Eigentlich hatte sie es schon lange zum Wertstoffhof bringen wollen ... war ein Telefon eigentlich Elektro- oder Plastikmüll? Ach, hätte sie es doch getan! Buch und Schokokekse wären ihr sicher gewesen, stattdessen: Wildes Herzrasen und zitternde Hände. Wie konnte ... sollte sie ... das Kabel, das Kabel war doch nicht einmal eingesteckt ...
Schließlich siegte die Neugier. Vorsichtig umrundete sie den Wäscheständer und drückte auf den auffordernd blinkenden roten Knopf: 'ZABOR QUANTEFIX, DROSTENIX MECUM!', schallte es ihr aus dem Gerät entgegen. Schwach ließ sie sich auf's Lesesofa sinken. Das war nicht der Anrufbeantworter. Der erklärte sonst immer umständlich, man habe eine neue Nachricht, von der Nummer soundso, und wenn man sie anhören wolle dann solle man Knopf eins drücken ... aber nein, gleich volle Kanne dieser beknackte Spruch. Zabor quantefix, Drostenix mecum. Was sollte das bitte bedeuten?
Um sich abzulenken griff sie zur Post, die sie sich vom Briefkasten mit heraufgebracht hatte. Hierbei fiel ihr ein Umschlag besonders ins Auge: Glitzerndes Hellblau, dick, offensichtlich gefüttert ... eine Weihnachtskarte? Begierig riß sie die Lasche auf und entnahm eine auf kartoniertem Papier gedruckte Einladung: 'Zum Feste laden wir heute, ohne die übliche Meute, Erscheinen unbedingt, mein liebes Hexenkind!' Darunter in Schrägschrift: Der Code wird dir im Laufe des heutigen Tages zugestellt werden, diesen bitte unbedingt beim Einlaß angeben. Unser Chauffeur wird dich am Heiligen Abend gegen 19 Uhr abholen, bitte stelle deine Klingel an!
Oha. Da kannte sie jemand aber ganz genau. Was nun? Die Ansage auf dem Telefon war offensichtlich der Code für das Fest, und ihr Erscheinen dort unabdingbar. Aber gut, immerhin erst morgen. Heute Buch und Kekse, und keine weiteren Störungen!!!
Am nächsten Abend saß sie bereits gegen halb sieben bereit, gestiefelt und gespornt, wie man so schön sagte, und wartete auf das Klingeln des Chauffeurs. Um Viertel nach sieben war sie sich nicht sicher, ob sie erleichtert darauf hoffen sollte, daß er nicht mehr kam und sie doch den Abend in aller Ruhe alleine verbringen konnte, oder ob nicht doch die Enttäuschung die Oberhand gewinnen mochte ... schließlich war sie den ganzen Tag voller angespannter Erwartung gewesen, und nun?
Um acht Uhr war sie sicher, daß niemand mehr kommen würde, zog die guten Sachen langsam aus und ihren Schlafanzug an. Warum machte jemand sowas? Die anderen konnten doch von ihrer Absicht, zum üblichen Fest nicht erscheinen zu wollen, nichts wissen. Also inzwischen natürlich schon, da sie offensichtlich nicht aufgetaucht war, aber gestern doch noch nicht. Wer also sollte ihr so einen dämlichen Streich spielen? Und wie hatten sie das mit dem AB gemacht, wenn es keine Kolleginnen von ihr gewesen waren? Hatte man sie etwa vom Fest fernhalten wollen? War man ihrer genauso überdrüssig geworden wie vice versa? Bei dem Gedanken wurde ihr schlecht. Es ist eine Sache, einer Feier einfach mal fernbleiben zu wollen. Doch dort grundsätzlich nicht mehr erwünscht zu sein?
Lautes Rumpeln im Treppenhaus ließ sie aus ihren Gedanken hochschrecken - wer machte denn um diese Uhrzeit so einen Krach? Das konnten doch nur wieder mal die Studenten aus dem zweiten Stock sein!
Grantig lauschte sie dem Lärm, der sich zu einem festen Poltern verdichtete ... und in einem heftigen Wummern an ihrer Wohnungstüre kulminierte. Schreckensstarr stand sie im Schlafzimmer und lauschte nach draußen. Polizei? Ein Irrer? Ein Nachbar der Hilfe brauchte? Sollte sie durch's Guckloch linsen oder doch besser so tun, als sei sie nicht daheim?
Wiederum siegte die Neugier und sie schob vorsichtig den Deckel des Türspions ein Stück beiseite um in den Gang hinaussehen zu können. Just in diesem Moment wurde dort das Ganglicht erneut angedreht und sie konnte einen Mann in Uniform erkennen. Doch Polizei? Nein, die trugen andere Kappen. Wiederum hämmerte der Mann ungeduldig an die Türe und blitzartig traf sie die Erleuchtung ... natürlich! Das war der Chauffeur der sie hätte abholen sollen! Über eine Stunde zu spät! Na, dem würde sie aber was erzählen!
Heftig riß sie die Türe auf und wollte gerade zu einer Schimpftirade ansetzen, als sie ein Blick aus den wunderschönsten grünbraunen Augen traf, die sie jemals gesehen hatte. Klingt jetzt wie in einer der kitschigen Geschichten aus der Regalreihe 'Frauenromane', war aber so. Sie stand da, im Schlafanzug, starrte den Mann vor ihrer Nase an, und die Erde hörte auf, sich zu drehen. Das ist jetzt bei normalen Menschen nicht weiter schlimm wenn ihnen so etwas passiert, die erholen sich wieder und das Umfeld, soweit es etwas mitbekommt, denkt sich was und grinst. Aber wenn eine übersinnlich begabte Frau dermaßen die Kontrolle verliert, dann bewegt sich mehr als nur die Mundwinkel des Gegenübers. Da verschiebt sich die Atmosphäre, und grad an gewissen verwunschenen Abenden, an denen man den Lücken im Raum-Zeit-Kontinuum nicht zu nahe kommen sollte, kann das überraschende Folgen haben.
Wir werden nie erfahren, wieso der Chauffeur erst nach acht Uhr statt um sieben ankam, als die Klingel schon ausgestellt war und niemand ihn mehr erwartete. Aber soviel sei doch noch verraten: An diesem Abend fuhr keiner mehr auch nur irgendwohin. Schlafanzug und Chauffeursuniform lagen bald einträchtig nebeneinander am Teppich, und wenn sie nicht gestorben sind dann lachen sie noch heute jedes Jahr an Heiligabend darüber, wie sonderbar alles damals gewesen war, an dem Abend, an dem sie sich das erste Mal sahen und er sich auf einmal in eine hübsche, grünbraune Kröte verwandelt hatte - und sie seither vergöttern, in ihrem Bettchen schlafen, von ihrem Tellerchen essen und aus ihrem Becherlein trinken durfte.