Wieder was gelernt
Man schrieb den ersten Freitag im neunten Monat des Jahres 1418. Die Papstwahl im schönen Konstanz war beendet, 8.000 Erdenkinder reiften in den Leibern der eilends herbeigeschafften Liebesdienerinnen des Klerus vor sich hin.
Blass hing in jener Nacht der Mond am Firmament. Er kämpfte bestimmt darum, nicht vom Himmel zu fallen. So jedenfalls schien es der überaus hübschen Magd Brunhilde. Sie hatte noch zu tun.
Am späten Nachmittag war zusammen mit einer wilden Horde Ritter Fips, der Schmächtige, auf der stolzen Ordensburg eingetroffen.
Sie kannte ihn schon von früheren Besuchen bei Ihrer Herrschaft. Ritter Fips litt neuerdings unter einer fürchterlichen Krankheit. Er schlotterte wie Espenlaub seit ihm im Kampf mit versprengten Muselmanen eine Kokosnuss an den blechernen Helm geschleudert worden war. Nun fielen ihm manches Mal Dinge aus der Hand, die er besser sicher verstaut hätte. So auch heute.
Ritter Fips war eh vom Pech verfolgt. Sein dürres, nach dem weiten Anmarsch stark verschmutztes Pferd Kunilla streifte beim Einritt in den Schlosshof den einzigen Weißdornbusch weit und breit. Die Dornen waren pünktlich zum Abendessen wieder herausgezupft. Es hatte allerdings dem hübschen Stallknecht Siegfried beinahe ein Auge gekostet, als Kunilla ausschlug. Brunhilde hatte sich sofort um den kräftigen jungen Mann gekümmert. Schließlich warf sie schon seit längerer Zeit heimliche Blicke auf seinen gestählten, sonnengebräunten Körper. Dieser Körper übte eine ungebrochene Faszination auf Brunhilde aus, so dass sie ihm nun rasch zu Hilfe zu eilte.
„Gar strammer Stallbursch, so erzählt mir von Eurem Befinden! Seid ihr schwer verwundet? So sagt! Sprecht aus, was Euch Schmerzen bereitet.“
„Habt Dank, sorgenvolles Frauenzimmer. Die linke Wange ist’s, die dieser ach so dürre Gaul mir einzutreten gedachte.“
„Ich hab’s gesehen, als ich in Vorbereitung auf das festliche Mahl den Beifuß in die Gänse stopfte. Die Historie Eures aufrichtigen Bemühens mit dem Klepper hätte nicht unglücklicher enden können.“
„Ach, sprecht nicht solche Mähr! Nun traf es sich, dass ich Eurer ansichtig wurde. Nichts Schöneres hätt’ mir nicht passieren können.“
Brunhilde legte Kräuter auf die Wunde und band ein mit Heilkräutersud getränktes Tuch um den Schopf des Stallburschen. Als sie fertig war wuschelte sie durch sein Haar und küsste Siegfried zärtlich auf den Mund. Das setzte sofort einen Heilungsprozess in Gang, der selbst bis hinab in die Lenden des Stallburschen wölbendes Zeugnis ablegte.
Doch nun beleuchtete der bleiche Mond den Weg durchs Gebüsch. Und warum musste sie sich durch die Finsternis zum Fuße der Burg an den stinkenden Bach quälen? Eben nur wegen Ritter Fips. Dieser zittrige, dürre Trottel hatte es nicht geschafft, sein von Dornen gestochenes Pferd zu bändigen. Ein Fläschchen entglitt seiner schlotternden Hand und segelte in hohem Bogen direkt in den Ziehbrunnen. Gerade als Brunhilde frisches Wasser für die Küche hochzog.
„Oh, holde Magd. So verzeiht mir mein Missgeschick. Aber der Inhalt des Fläschchens wäre durchaus geeignet, sämtliche Knechte und Mägde, Fahrensleute, Gaukler und Jongleure, Geschichtenerzähler, Händler, Schmiede und Steinmetze, Verkäufer heilender Sprüche oder gar klerikale Hirten ungläubiger Bauern auf dieser Burg mit einem Schlage zu vergiften. Ihr müsst den Brunnen abdecken und später das toxische Wasser dieses Brunnens austauschen.“
Zack! Damit leitete der unentwegt zitternde Ritter Fips Brunhildes Spätschicht ein. Denn, nachdem zwei rasch zur Hilfe eilende Zimmerleute den Brunnen sorgsam verschlossen hatten, musste nun Wasser vom nahen Bach geholt werden.
Schwere Tongefäße, leichte Därme oder Mägen, alles, was geeignet war, verlustfrei Wasser zu transportieren, schleppten die Mägde von der Furt des nicht besonders frisch riechenden Schwarzbachs hoch zur Burg. Der Bach floss wenige Kilometer oberhalb durch zwei Dörfer. Es hieß, die Bauersleute würden alles in das Gewässer kippen, was sich ihnen aus den Unterleibern drängte. Grund genug für Brunhilde, erst mal ohne einen Schluck Wasser auszukommen. Aber der Herrgott hatte ein Einsehen. Unterwegs säumten Apfelbäume den Pfad. Die reifen Früchte stillten den ersten Durst.
Die Köche und Mägde in der Küche arbeiteten auf Hochtouren. Ritter Roland hatte zum Fest geladen. Der Sieg über einen kleinen Haufen beinahe unbewaffneter Muselmanen in allerfernsten Ländern musste gefeiert werden. Und Ritter Fips, der arme Kerl, stand im Mittelpunkt des Geschehens. Schließlich war er der einzige Verletzte der Schlacht. Und damit gebührte ihm Ehre.
Brunhilde rannte nun bereits zum zehnten Mal zum Bach und holte Wasser, das dringend für den Hirsebrei und den Sud für die Suppen benötigt wurde. Am Bach traf sie auf Kassiopeia, die ebenfalls zu den neu ernannten Wasserträgerinnen aber auch zu den Kräuterfrauen gehörte.
„Wieso hatte der zittrige Ritter Fips dieses Fläschlein in der Hand?“, wollte Brunhilde von der in Tinkturen, Arzneien und Giften bewanderten Kassiopeia wissen.
„Das erste, was ich hörte, waren Lügen. Aber bald stellte sich heraus, dass der olle Fips unserem strammen Ritter Roland ein Geschenk überreichen wollte. Für dessen Gattin. Sozusagen.“, schloss sie geheimnistuerisch ab.
„Wozu das denn?“
„Oh, das ist dir wohl noch gar nicht zu deinen hübschen Öhrchen gekommen? Gisbertlinde verweigert sich dem Ritter seitdem er im fernen Muselmanien, oder wo auch immer er war, praktisch zur Abwechslung und Erbauung, eine dunkelhäutige Maid ausprobierte. Tja, und die hat sich so über unseren stolzen Roland hergemacht, dass der nun Ansprüche an sein holdes Weib stellt. Aber die will Gisbertlinde nicht erfüllen. Sie sagt, drei Söhne und acht Töchter wären genug. Sie sei schon ganz ausgeleiert. Und Schluss jetzt.“
„Aber was hat das mit dem toxischen Inhalt im Fläschchen zu tun?“
„Roland will eine Frau, mit der er sich vergnügen kann. Nun muss Gisbertlinde weg. Freiwillig räumt sie nicht die Burg. Also braucht es Gift. Fein säuberlich gewonnen vom prächtigen Eisenhut. Das vertreibt erst die vorgeschwindelten Kopfschmerzen der Rittersgattin. Und dann weicht auch gleich das Leben aus dem gebärfreudigen Leib.“
Aha. Klatsch und Tratsch am mondbeschienenen Schwarzbach-Ufer. Doch nun wusste Brunhilde Bescheid.
In der Nacht schlich sie sich zum Stallknecht Siegfried und ließ sich auf neun wunderbare Weisen begatten. Weiß der Teufel, woher der stattliche junge Mann diese wohltuenden Kenntnisse hatte. Aber immerhin war er zusammen mit den Rittern Roland und Fips in Muselmanien gewesen. Und da gab es schließlich diese schwarzen Frauen.
Brunhilde schlief ermattet in des Stallknechts starken Armen ein. Nicht ohne völlig aus dem Zusammenhang gerissen zu raunen: „Pass auf! Ich heirate Dich. Aber wenn du versuchst zu lügen und mich mit anderen Frauen zu betrügen, dann schneid’ ich Dir Dein Gemächt ab!“
„Aufwachen!“, brüllte die Mamsell in einem garstig schrillen Ton. Die Mägde öffneten die Augen. Auch Brunhilde reckte und streckte ihre Glieder. In der Morgendämmerung hatte sie sich schließlich noch etliche Male den außerordentlichen Liebeskünsten des Stallknechts hingegeben.
„Meinst Du das ernst mit dem Abschneiden?“, waren die letzten Worte des attraktiven Liebhabers bevor sie erneut einschliefen.
Und jetzt?
Jetzt war er weg.
Ganz weg.
Wahrscheinlich sogar schon weit weg.
Sehr weit weg.
Kassiopeia erklärte ihr wortreich, dass man einem Liebhaber besser nicht verraten sollte, dass man ihm das Gemächt abschnitte wenn er sich anderen Frauen hingebe. Und sowieso wäre das heutzutage bei den Mannsbildern gang und gäbe. Schließlich wären sogar die Päpste schon solche Hallodris. Man schaue nur nach Konstanz.
Oh Brunhilde, sagte die sich, nun haste wieder was gelernt.