„Die verlorene Generation“
Ich habe sie gesehen, mit ihnen gesprochen, mit ihnen geweint… mein Name tut rein gar nichts zur Sache, ebenso wenig mein Beruf oder wo ich wohne, wer ich bin…es ist egal.
Ich bin nur ein Mensch und was zählt ist das Herz. Ein Herz, welches Freude und Liebe schenken möchte und tagtäglich Leid erfährt.
Ich habe mit ihnen verzweifelt nach allen Seiten gesehen, einen winzigen Funken Normalität gesucht hinter dem Schreckenswall, bestehend aus blinder Angst und aggressiver Panik.
Wo ich sie gefunden habe… es spielt keine Rolle, es gibt sie überall… weltweit!
Wie das Land heißt…es ist egal…scheißegal, von mir aus könnt ihr es benennen wie ihr möchtet.
Takatuka-Land, Archipel New World, Bimshausen oder auch Absurdistan.
Ich habe ihn gesehen… den verlorenen Glanz in ihren Augen, genau wie die matten Perlen ihrer versteckten Tränen!
Es ist fast
Frühjahr, zart taucht das erste Grün aus den kalten Hallen des Winters auf. Es gab schon einige recht warme Tage und selbst die Rosenstöcke im Garten haben bereits die ersten Blätter geboren, winzig klein leuchten sie in wunderschönen Rottönen. Eine
Tulpe habe ich noch nicht erblickt, jedoch einige verirrte
Marienkäfer. Selbige suchen die Wärme und, steht ein Fenster offen oder gar die Tür, flüchten sie gerne ins warme Hausinnere.
Flüchten oder auch entkommen… da bin ich wieder bei den Kindern. Junge Menschen vom Kindergartenalter über die Grundschule bis hin zu den weiterführenden Schulen. Wem gehören sie an? Wer begleitet sie? Wie wird die Geschichte sie später bezeichnen?
Mir drängt sich eine Bezeichnung auf
„Die verlorene Generation“. Es sei denn, der die Welt beherrschende Irrsinn findet ein baldiges Ende. Allerdings schaut es im Moment nicht so aus und Kinder, welche einfach nur glücklich sein sollten und die Unbeschwertheit ihrer jungen Jahre genießen sollten, durchleben einen
Höllentrip.
Ich denke an meine Kinder und an mein Enkelkind. Wie lange ich sie schon nicht mehr sah, wie lange es schon kein Gespräch mehr gab. Dass sie im Grunde nicht mehr viel von mir wissen und ich noch weniger von ihnen. Das Leben und unsere Gesellschaft entfremdet sich und besonders stark im letzten Jahr. Verschiedene Anschauungen, Spaltung und, ja, sogar Hass, trennen uns voneinander und viele sitzen auf einem kleinen Holzfloss, alleine ohne persönlichen Kontakt.
Weil das fast nicht mehr geht, quasi nicht mehr möglich ist, so sagt man es uns, und die Medien kochen es jeden Tag neu auf. Wie eine ausgelutschte Eintopfsuppe.
Social Distance und Digital Contact sind neben einigen anderen die neuen Zauberformeln.
Wo ist es geblieben, das erfrischende Lärmen und Lachen spielender Kinder auf den Straßen und Plätzen, in den Sportanlagen und auf den Spielplätzen, Orte, die verlassen vor sich hinwelken.
Manche
engagieren sich, bemühen sich im Wirrwarr der täglichen News und Horrormeldungen einen klaren Kopf zu bewahren,
vernünftig zu handeln. Doch geschürte Hysterie und das scheinbar angeborene Lemming-Verhalten dominieren.
Milliarden Menschen verstecken ihr Lachen, ihre Gefühle hinter uniform wirkenden Gesichtswindeln, erschrecken beim Näherkommen anderer Lebewesen, und gehen fluchtartig auf Abstand.
Die Kinder, die ich traf, erzählten mir, wie sehr sie ihren Kindergarten, ihre Schule vermissen, wie sehr ihnen ihre Freunde fehlen und wie einsam Kindergeburtstage in dieser seltsamen Zeit sein können.
Traurig lese ich Berichte über eine deutlich erhöhte Selbstmordquote, sogar schon bei Kindern, über ansteigende Arbeitslosigkeit, eine riesige Kurzarbeiterwelle und Zehntausende vernichtete Existenzen und Selbstständigkeiten.
Testen und Impfen ist das Hauptthema in den Resten der Minimal Kommunikation und prägt täglich die Titelseiten und Nachrichtenheadlines.
„Was für eine Scheißwelt, um darin aufzuwachsen,“ wie von selbst drängen sich diese wenigen Worte über meine Lippen, gekoppelt mit der Erinnerung an meine Kindheit und Jugend, die all diesen Nonsens nicht kannte.
„Hallo, eine
rauchen?“
Fast überhöre ich die Frage, so schüchtern und leise klingt sie heran. Das zerknitterte Zigarettenpäckchen, das mir eine schwielige Männerhand unter die Nase hält, lässt mich erst die Nähe eines anderen Menschen bemerken.
Ich schaue auf, blicke in graue Augen und ein stofffreies, bärtiges Gesicht.
Ein Mann in meinem Alter mit einem verlegen-freundlichen Lächeln.
„Gerne,“ antworte ich und nehme das freundliche Angebot dankend an.
Einer wie ich, denke ich noch, oder zumindest mir ähnlich.
Noch lange sitzen wir auf der einsamen Parkbank, reden über uns, über unsere Kinder und über die Kinder der Welt. Die unglücklichen und gequälten Seelen die die Geschichtsschreibung vielleicht irgendwann wirklich einmal
„Die verlorene Generation“ nennen wird!!!
Kamasutra 17.03.2021