Eine Frage der Ehre
'I killed the wrong man!'
Postenkommandant Huber starrte mit offenem Mund auf den Mann, der sich vor dem Schutzglas aufgebaut hatte und ihn seinerseits anblickte ohne mit der Wimper zu zucken. Hatte er richtig gehört? Der Mann hatte sich soeben des Mordes bezichtigt? Und wieso am falschen Mann? Vor allem: Was sollte er jetzt tun? Englisch war nicht seine starke Seite und mit Mördern hatte man hier in Kaumberg praktisch keine Erfahrung. Nicht einmal in St. Pölten. Gemordet wurde, wenn überhaupt, in Wien. Großstadt und so. Aber doch nicht in seinem beschaulichen kleinen Dörfchen, unterhalb der Araburg, wo die Frau des Feuerwehrhauptmannes mit Schwung die Gemeindebibliothek betrieb und ansonsten gerne und gut für das leibliche Wohl der Feuerwehrleute und auch der Polizisten sorgte, denn der Feuerwehrhauptmann war gleichzeitig der Polizeichef.
Aber an's Essen durfte Huber jetzt nicht denken, er hatte einen Mörder vor der Scheibe stehen, und er konnte nicht einmal seinen Chef rufen ... der war nämlich grad daheim ... beim Essen!
'Are you ... äh ... do you have ze Puffn, ze pistol wis you?', wagte Huber sich an die Befragung des Verdächtigen.
Ein Muskel zuckte leicht an dessen linker Wange, ansonsten blieb seine Miene unbewegt als er antwortete: 'My friend, do not fear me, I am a broken man. I killed the wrong target. I have no weapon with me now. Please arrest me, I must atone for my sin.'
Mit diesen Worten streckte er Huber seine Unterarme hin, praktisch als Aufforderung, ihm die Handschellen anzulegen.
Mit Todesverachtung wagte sich dieser aus seinem Kabuff heraus und verbrachte den Mann ordnungsgemäß in die Arrestzelle. Aber wie sollte er jetzt die Personalien in das offizielle Protokoll übernehmen? Der mutmaßliche Täter hatte den Fragebogen auf arabisch ausgefüllt!!! Und ihn danach, dieses Mal mit einem offensichtlichen Grinsen im Gesicht, durch die Gitterstäbe gereicht.
Huber konnte sich des Verdachts nicht erwehren, daß man sich über ihn lustig machte. Genervt und gestreßt begab er sich wieder auf seinen Platz und sehnte, zum ersten Mal seit seiner Zeit als Lehrling in Traiskirchen, die Rückkehr seines Vorgesetzten herbei.
Zwei Tage später im Innenministerium von Karl dem Großen. Eine Frau im edlen Kostüm und zwei Männer im Anzug an einem Besprechungstisch sitzend, in eine hitzige Debatte verwickelt.
Einer der Männer, noch immer außergewöhnlich freundlich, wandte sich erneut an die Frau: 'Schauen'S, es ist aso: Ihre private Meinung in allen Ehren, aber umbrocht is umbrocht, und des geht ned. Ned bei uns in Österreich. Daham kennan die Tschuschn mochn wos woin, oba ned bei uns, heast!'
'Ich habe Ihnen doch gerade erklärt,' echauffierte sich die Frau, 'daß es sich bei dem Getöteten um ein übelstes Subjekt gehandelt hat, der seine Frau böswillig unterdrückt und mißhandelt hat. Dafür sollen wir den Mann jetzt bestrafen? Daß er die Welt von so einem ... ach was Menschen, von so einem Monster befreit hat? Außerdem hat er sich selber gestellt, wir wären ihm doch sonst nie daufkommen. Never ever. Der Mann hat Schneid, forgive the pun, aber wie der mit dem Messer umgehen kann, ich bin begeistert! Den können wir doch an vorderster Stelle einsetzen! Was für eine Verschwendung, solch einen Mann lebenslänglich einzusperren oder ihn gar an den Feind zurückzugeben, wo man ihn lediglich zu Tode foltern wird.
Ich wiederhole hiermit meinen Antrag, diesem Mann eine neue Identität zu verschaffen und ihn dem Heeres-Nachrichtenamt zuzuführen. Spricht perfekt Englisch, Arabisch und auch Deutsch, ist bestens ausgebildet im Nahkampf, und vor allem: hervorragende Manieren! Beherrscht sogar den Handkuß.'
'Frau Magister, bei allem Verständnis, aber auch wenn ein Mörder den Handkuß beherrscht, bleibt er ein Mörder. Do foaht die Eisenbahn drüber. Sie können ihm ja einen Liebesbrief schreiben, wie dereinst die Damen dem Herrn Unterweger, aber wir können den Mann doch jetzt nicht in unsere Reihen aufnehmen, nur weil er Ihnen g'foit! Wo kamat ma denn do hin wenn a jeder seine Günstling bei uns einführn woitat!'
'Wir wollen keine überstürzten Entscheidungen treffen,' beschwichtigte der zweite Mann den Aufgebrachten. 'Lassen Sie uns die Sache einmal überschlafen, wir treffen uns morgen noch einmal, selbe Zeit, selber Ort, und ich werde mir den Burschen zwischenzeitlich einmal ansehen, warum nicht. Anschaun kost nix. Habe die Ehre, Frau Magister, Herr Kollege, auf Wiederschaun!'
Zwei Tage später in der Justizanstalt St. Pölten. Besucherraum. Arif saß stolz aufgerichtet auf seinem unbequemen Plastiksessel und sah der Anwältin fest in die Augen: 'Ich bleibe bei meiner Aussage. Ich werde meine Strafe annehmen wie ein Mann. Ich hatte das Gebäude mit der Absicht betreten, eine andere Person zu töten, es handelt sich um eine bedauerliche Verwechslung. Meine Organisation wird die Konsequenzen ziehen, ich werde mich deren Entscheidung beugen. Ich habe versagt.'
'Aber Arif! Denk doch was wir für ein aufregendes Leben zusammen hätten wenn du mein Angebot annehmen würdest! Du wärst ein romantischer Held und ich deine Marian, du wärst ein Künstler, ein Dichter, der Erschaffer eines völlig neuen Zeitalters und ich deine Muse! Arif ich bitte dich, bei allem was dir heilig ist, wirf das doch nicht einfach weg! Bedeute ich dir denn garnichts??'
'Verzeih mir Miranda, du meinst es nur gut, ich verstehe dich und ich erkenne an, wie schwer es einer starken Frau wie dir fallen muß, sich so zu erniedrigen vor einem Mann. Jedoch: My answer is no. Es ist eine Frage der Ehre.'
'Ehre, Arif? EHRE??? Deswegen wirfst du unsere Liebe und dein Leben so leichtfertig weg? Nur weil du den falschen Typen abgeknallt hast und dabei doch den richtigen erwischt hast? Ich mein, das eigentliche Opfer kann ja immer noch wer anders ... ich BEGREIFE dich einfach nicht!'
'Ein clash of cultures liebe Miranda. Bitte mach es mir und dir nicht schwerer als es unbedingt sein muß,' erwiderte der Mann und erhob sich steif aus seinem Sessel.
'Gehe nach Hause und studiere Arthur Schnitzler, vielleicht kannst du dann annähernd begreifen, warum ich so handeln muß. Leb wohl Miranda ...'
Mit diesen Worten wandte er sich ab, gab dem wachhabenden Beamten ein Zeichen und, ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er hocherhobenen Hauptes den Raum, jeder Zoll der stolze Wüstensohn, während Miranda noch lange wie erstarrt dasaß bis der Beamte sie grummelig aufforderte, die Anstalt zu verlassen, die Besuchszeit sei vorbei. Sie wußte, ihr Leben würde ab jetzt nur noch in Monochrom ablaufen, mühsam ratternd wie ein kaputter alter Film. Farblos, tonlos, freudlos.
Zwei Tage später, die Frau des Kaumberger Polizeichefs goß sich gerade ihr abendliches Glas Prosecco ein, tat ihr Mann plötzlich einen so lauten Pruster über seiner Zeitung, daß sie zusammenzuckte und eine nicht unbeträchtliche Menge des kostbaren Nasses danebengoß.
'Heast Tonerl, wos is denn? Hod's an neichn Dodn gehm? Oba des wissatn mia doch ois Ersta, oda ned?'
'Der Araber, kannst dich an den Araber erinnern mit dem unser Huber so ein G'frast g'habt hat, weil der so getan hat, als ob er kein Deutsch könnt und der Huber is bald verzweifelt mit ihm? Du der hat sich in seiner Zelle in Pöltn drüben aufg'hängt. Frag mich bloß womit. Des san schlaue Hund, die Araber, von denan kanntn mir no wos lernan ...'
*
'I killed the wrong man!'
Postenkommandant Huber starrte mit offenem Mund auf den Mann, der sich vor dem Schutzglas aufgebaut hatte und ihn seinerseits anblickte ohne mit der Wimper zu zucken. Hatte er richtig gehört? Der Mann hatte sich soeben des Mordes bezichtigt? Und wieso am falschen Mann? Vor allem: Was sollte er jetzt tun? Englisch war nicht seine starke Seite und mit Mördern hatte man hier in Kaumberg praktisch keine Erfahrung. Nicht einmal in St. Pölten. Gemordet wurde, wenn überhaupt, in Wien. Großstadt und so. Aber doch nicht in seinem beschaulichen kleinen Dörfchen, unterhalb der Araburg, wo die Frau des Feuerwehrhauptmannes mit Schwung die Gemeindebibliothek betrieb und ansonsten gerne und gut für das leibliche Wohl der Feuerwehrleute und auch der Polizisten sorgte, denn der Feuerwehrhauptmann war gleichzeitig der Polizeichef.
Aber an's Essen durfte Huber jetzt nicht denken, er hatte einen Mörder vor der Scheibe stehen, und er konnte nicht einmal seinen Chef rufen ... der war nämlich grad daheim ... beim Essen!
'Are you ... äh ... do you have ze Puffn, ze pistol wis you?', wagte Huber sich an die Befragung des Verdächtigen.
Ein Muskel zuckte leicht an dessen linker Wange, ansonsten blieb seine Miene unbewegt als er antwortete: 'My friend, do not fear me, I am a broken man. I killed the wrong target. I have no weapon with me now. Please arrest me, I must atone for my sin.'
Mit diesen Worten streckte er Huber seine Unterarme hin, praktisch als Aufforderung, ihm die Handschellen anzulegen.
Mit Todesverachtung wagte sich dieser aus seinem Kabuff heraus und verbrachte den Mann ordnungsgemäß in die Arrestzelle. Aber wie sollte er jetzt die Personalien in das offizielle Protokoll übernehmen? Der mutmaßliche Täter hatte den Fragebogen auf arabisch ausgefüllt!!! Und ihn danach, dieses Mal mit einem offensichtlichen Grinsen im Gesicht, durch die Gitterstäbe gereicht.
Huber konnte sich des Verdachts nicht erwehren, daß man sich über ihn lustig machte. Genervt und gestreßt begab er sich wieder auf seinen Platz und sehnte, zum ersten Mal seit seiner Zeit als Lehrling in Traiskirchen, die Rückkehr seines Vorgesetzten herbei.
Zwei Tage später im Innenministerium von Karl dem Großen. Eine Frau im edlen Kostüm und zwei Männer im Anzug an einem Besprechungstisch sitzend, in eine hitzige Debatte verwickelt.
Einer der Männer, noch immer außergewöhnlich freundlich, wandte sich erneut an die Frau: 'Schauen'S, es ist aso: Ihre private Meinung in allen Ehren, aber umbrocht is umbrocht, und des geht ned. Ned bei uns in Österreich. Daham kennan die Tschuschn mochn wos woin, oba ned bei uns, heast!'
'Ich habe Ihnen doch gerade erklärt,' echauffierte sich die Frau, 'daß es sich bei dem Getöteten um ein übelstes Subjekt gehandelt hat, der seine Frau böswillig unterdrückt und mißhandelt hat. Dafür sollen wir den Mann jetzt bestrafen? Daß er die Welt von so einem ... ach was Menschen, von so einem Monster befreit hat? Außerdem hat er sich selber gestellt, wir wären ihm doch sonst nie daufkommen. Never ever. Der Mann hat Schneid, forgive the pun, aber wie der mit dem Messer umgehen kann, ich bin begeistert! Den können wir doch an vorderster Stelle einsetzen! Was für eine Verschwendung, solch einen Mann lebenslänglich einzusperren oder ihn gar an den Feind zurückzugeben, wo man ihn lediglich zu Tode foltern wird.
Ich wiederhole hiermit meinen Antrag, diesem Mann eine neue Identität zu verschaffen und ihn dem Heeres-Nachrichtenamt zuzuführen. Spricht perfekt Englisch, Arabisch und auch Deutsch, ist bestens ausgebildet im Nahkampf, und vor allem: hervorragende Manieren! Beherrscht sogar den Handkuß.'
'Frau Magister, bei allem Verständnis, aber auch wenn ein Mörder den Handkuß beherrscht, bleibt er ein Mörder. Do foaht die Eisenbahn drüber. Sie können ihm ja einen Liebesbrief schreiben, wie dereinst die Damen dem Herrn Unterweger, aber wir können den Mann doch jetzt nicht in unsere Reihen aufnehmen, nur weil er Ihnen g'foit! Wo kamat ma denn do hin wenn a jeder seine Günstling bei uns einführn woitat!'
'Wir wollen keine überstürzten Entscheidungen treffen,' beschwichtigte der zweite Mann den Aufgebrachten. 'Lassen Sie uns die Sache einmal überschlafen, wir treffen uns morgen noch einmal, selbe Zeit, selber Ort, und ich werde mir den Burschen zwischenzeitlich einmal ansehen, warum nicht. Anschaun kost nix. Habe die Ehre, Frau Magister, Herr Kollege, auf Wiederschaun!'
Zwei Tage später in der Justizanstalt St. Pölten. Besucherraum. Arif saß stolz aufgerichtet auf seinem unbequemen Plastiksessel und sah der Anwältin fest in die Augen: 'Ich bleibe bei meiner Aussage. Ich werde meine Strafe annehmen wie ein Mann. Ich hatte das Gebäude mit der Absicht betreten, eine andere Person zu töten, es handelt sich um eine bedauerliche Verwechslung. Meine Organisation wird die Konsequenzen ziehen, ich werde mich deren Entscheidung beugen. Ich habe versagt.'
'Aber Arif! Denk doch was wir für ein aufregendes Leben zusammen hätten wenn du mein Angebot annehmen würdest! Du wärst ein romantischer Held und ich deine Marian, du wärst ein Künstler, ein Dichter, der Erschaffer eines völlig neuen Zeitalters und ich deine Muse! Arif ich bitte dich, bei allem was dir heilig ist, wirf das doch nicht einfach weg! Bedeute ich dir denn garnichts??'
'Verzeih mir Miranda, du meinst es nur gut, ich verstehe dich und ich erkenne an, wie schwer es einer starken Frau wie dir fallen muß, sich so zu erniedrigen vor einem Mann. Jedoch: My answer is no. Es ist eine Frage der Ehre.'
'Ehre, Arif? EHRE??? Deswegen wirfst du unsere Liebe und dein Leben so leichtfertig weg? Nur weil du den falschen Typen abgeknallt hast und dabei doch den richtigen erwischt hast? Ich mein, das eigentliche Opfer kann ja immer noch wer anders ... ich BEGREIFE dich einfach nicht!'
'Ein clash of cultures liebe Miranda. Bitte mach es mir und dir nicht schwerer als es unbedingt sein muß,' erwiderte der Mann und erhob sich steif aus seinem Sessel.
'Gehe nach Hause und studiere Arthur Schnitzler, vielleicht kannst du dann annähernd begreifen, warum ich so handeln muß. Leb wohl Miranda ...'
Mit diesen Worten wandte er sich ab, gab dem wachhabenden Beamten ein Zeichen und, ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ er hocherhobenen Hauptes den Raum, jeder Zoll der stolze Wüstensohn, während Miranda noch lange wie erstarrt dasaß bis der Beamte sie grummelig aufforderte, die Anstalt zu verlassen, die Besuchszeit sei vorbei. Sie wußte, ihr Leben würde ab jetzt nur noch in Monochrom ablaufen, mühsam ratternd wie ein kaputter alter Film. Farblos, tonlos, freudlos.
Zwei Tage später, die Frau des Kaumberger Polizeichefs goß sich gerade ihr abendliches Glas Prosecco ein, tat ihr Mann plötzlich einen so lauten Pruster über seiner Zeitung, daß sie zusammenzuckte und eine nicht unbeträchtliche Menge des kostbaren Nasses danebengoß.
'Heast Tonerl, wos is denn? Hod's an neichn Dodn gehm? Oba des wissatn mia doch ois Ersta, oda ned?'
'Der Araber, kannst dich an den Araber erinnern mit dem unser Huber so ein G'frast g'habt hat, weil der so getan hat, als ob er kein Deutsch könnt und der Huber is bald verzweifelt mit ihm? Du der hat sich in seiner Zelle in Pöltn drüben aufg'hängt. Frag mich bloß womit. Des san schlaue Hund, die Araber, von denan kanntn mir no wos lernan ...'
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