CDU CSU und DU ...
„Ich wäre so gern mal wieder zur Kirschblüte im Süden“, seufzte einer der beiden alten Männer, die auf einer Bank hockten, die Hände gestützt auf ihre robusten Spazierstöcke aus Treibgut. Sie blickten auf die Ostsee, das spärliche Sonnenlicht schaffte es kaum, die Szenerie zu erhellen. Fahl und grau erschien der Blick zum im Nebel verschwindenden Horizont, an dem sich ein paar Tanker scheinbar stehend in Richtung der baltischen Staaten aus dem traurigen Bild schlichen.
„Tja, das war mal, dass uns diese Reisefreiheit gegönnt wurde. Aber mittlerweile möchte ich meinen gebrechlichen Leib sowieso nicht mehr so weit weg von meiner geliebten Küste bewegen.“
„Oh ja“, erwiderte sein alter Freund, „ich liebe unsere nach altem Kabeljau stinkende Küste auch. Trotzdem möchte ich mich nach der Zensi verzehren. Soweit uns alten, saftlosen Skeletten das Verzehren noch möglich ist ...“
Die alten Herren kicherten mit sachte zum Takt der seichten Wellen wackelnden Köpfen.
Er dachte zurück an die Zensi. In ihrem Dirndl sah sie bezaubernd aus, damals. Das Dekolletee glänzte, von leichtem Schweiß benetzt, im Licht der tief über den Alpen stehenden Sonne. Sie hatte seinen Geschäftsfreunden und ihm die Maßkrüge auf den Tisch gestellt. Jährlich war er dort, eine willkommene Abwechslung auf ansonsten langweiligen Handlungsreisen zwischen Schreibwarengeschäften und den öden Büros von Schuldirektoren.
Der Wind wehte ihm ihren Duft in die Nase. Eine Mischung aus holzigem Parfüm und dem stürmischen, süßen Schweiß der Jugend. Kokett erschien ihr Hüftschwung, wenn sie mit scheinbarer Leichtigkeit ein Dutzend gefüllter Maßkrüge durch die johlende Menge balancierte. Damals war er noch glorreich in seinem Werben um die Gunst der Frauen, wenn er couragiert seine intelligenten Avancen machte. Oder um es bayerisch zu sagen: Er wollte sie zu seiner Gspusi machen und war sogar bereit, dafür zu fensterln. Sicher hätte ihm seine Gastzimmervermieterin eine Leiter geliehen …
Zwei Möwen stritten sich lautstark um den Inhalt einer weggeworfenen Bäckereitüte, sein Freund unterbrach ihn in seinen Träumereien:
„Wir alle hätten es damals ernst nehmen sollen. Jetzt haben wir den Salat und morgen gehören wir vielleicht schon zu den Russen!“
Die beiden Senioren seufzten bekümmert und prosteten sich mit dem mitgebrachten Lübzer zu.
„Dabei hätten es die Grünen mit ihrer Kanzlerkandidatin retten sollen ...“
Die Entwicklungen der letzten Jahre waren wirklich tragisch. Jahrelang regierte die Dame aus Mecklenburg-Vorpommern die Republik mit kühler, aber ruhiger Hand durch die Irrungen und Wirrungen einer verrückten Zeit. Alles befand sich im Wandel, nur die deutschen Bundesbürger hatten überhaupt keine Lust auf Veränderungen. Sie wollten weiterhin ihre dieselbetriebenen SUV's fahren und ölbefeuerte Eigenheime bauen. Als es für die Chefin an der Zeit war, das Handtuch zu werfen und eine neue Führung zu wählen, entbrannte ein Streit in den eigenen Reihen. Der Streit war charakteristisch für die Stimmung in der Bevölkerung: Gespalten.
Man redete nicht mehr miteinander, sondern übereinander. Man tauschte keine Argumente mehr aus, sondern schrie die Gegenseite nieder. Man suchte überall nach der Weisheit und fand sie bei selbsternannten Heilsbringern auf Youtube, Instagram und Telegramm. Gehirnfürze waren nicht mehr Milligramm, sondern Kilogramm. Armselige Argumente wurden tonnenschwer aufgewogen gegen die Wahrheiten der leisen Waisen, denn die lauten Rabauken fanden mehr Gehör im Sturm der Wissenslücken. Die panische Stimmung einer Pandemie befeuerte das ganze Drama.
So trennte sich die Koalition der Konservativen in zwei Lager. Die im Süden und die im Norden. Jede Seite stellte einen Kanzlerkandidaten auf. Wählen wollte die beiden Herren niemand, also erreichte eine frisch aufgestellte, junge Dame der Grünen das Ziel. Allerdings keine absolute Mehrheit. Sie brauchte Partner, doch niemand der Alphamännchen wollte mit der eigensinnigen Tochter einer Sozialpädagogin zusammenarbeiten. Lieber würden sie sich einen Zeh abschneiden, um diesen mit Selbstgebranntem runterzuspülen.
Nord und Süd zweifelten die Wahl an. Das Volk, müde nach Pandemie und Pleitewellen, ließ sich gerne gegenseitig aufhetzen. Zu viele Menschen hatten zu wenig zu verlieren. Nach vielen Scharmützeln und kleineren Grabenkämpfen, die durchaus Menschenopfer forderten, aber glücklicherweise ohne Einsatz größerer Waffen wie Nuklear- oder Chemiewaffenbomben auskamen, wurde eine Grenze gezogen, die vom in der Ferne angrenzenden Riesengebirge bis nach Luxemburg verlief. Kleine Teile Tschechiens hatten sich den Süddeutschen angeschlossen, während sich Luxemburg eher dem Norden zuordnen wollte. Aachen und Würselen hätte man gerne den Belgiern geschenkt, wenn diese endlich Maastricht von den Holländern abschneiden würden, um es den Norddeutschen einzuverleiben.
„Immerhin heizen uns die Russen mit ihrem Gas die WG ein. Wären wir jetzt im Süden, müssten wir wahrscheinlich trotz Ischias Holz hacken.“
„Wobei ich wieder an die Zensi denken muss“, sinnierte der alte Herr, „wie sie sich mit ihrem nackten, prallen Hintern zum Holzofen hinunter beugte, um ein paar Scheite nachzulegen.“
„Romantischer Quark, mein Freund!“, erwiderte der zweite im Bunde und grinste vor sich hin:
„Die Halina drehte damals in Klaipėda einfach den Gashahn der Heizung auf und zeigte mir, wie heiß die Leidenschaft der Frauen aus dem Osten wirklich brennen kann!“
„Trotzdem“, schnaufte der alte Freund des Südens, „die Kirschblüte im Süden ist schon einzigartig.“
Traurig fügte er nach einem Schluck aus seiner Lübzer-Flasche hinzu:
„Wir hätten die Amerikaner nicht verraten sollen. Die feiern jetzt Hanami mit den Japanern.“
„Egal“, brummte der Andere, „wir haben dafür Masleniza.“
„Okay – das 'Burning Man' des Ossis!“
Die beiden blickten in Richtung der alten Hotels, die unweit der Seebrücken standen. Eine überdimensional große Figur fing Feuer, darunter feierten ein paar wenige Personen, die sich die teuren Hotels leisten konnten.
„Lass uns gehen, unsere Mitbewohner warten. Sonst wird noch der Wodka warm!“