„Ich wünsch dir ein geiles Leben!“, ruft er mir mit einem
sarkastischen Lachen zu.
Der Regen peitscht mir ins Gesicht, als Erwin mir meine kleine Handtasche aus seinem Seitenfenster entgegenwirft.
Erst eine Weile, nachdem die Rücklichter seiner Karre in der Dunkelheit abgetaucht sind, schlage ich meinen Mantel über meinen Kopf zusammen und schaue mich hektisch nach einer trockenen Unterkunft um. Ich setze meinen Weg fort, gehe entlang der Landstraße Stadteinwärts, wo wir hergekommen sind und klemme fest meine Handtasche an meine Brust. Nach einer gefühlten viertel Stunde sehe ich eine überdachte Sitzbank einer verwitterten Bushaltestelle.
Autos um Autos fahren an mir vorbei, als ich eilig im Matsch des Straßenrandes auf die rettende Insel zulaufe. Heim zu Frau und Kind, heim zum Freund, heim in die Badewanne und auch der Rettungswagen mit dem
Blaulicht hat sein Ziel in nächster Nähe… ach, ich habe keine Ahnung wie ich nach Hause kommen soll. Der Regen prasselt unerbittlich auf mich nieder. Irgendwo zwischen Karlsfeld und Allach stecke ich fest und wann der nächste Bus kommt, ist ungewiss. Die Anzeigetafel ist verkokelt und das Plastik der Plexiglasscheibe unter dem Feuerzeug irgendwelcher Deppen, völlig zerdellt.
Verdammt.
Ich schmecke die salzigen Schweißperlen, die mir über meine Lippen in den Mund rinnen. Die Strähnen meiner klatschnassen Haare kleben an der Backe und meine Jeans trieft vor Nässe. Einzig meine Handtasche ist trocken geblieben. Ich fische nach meinem Geldbeutel. Habe ich noch genug Geld für ein Taxi? Ich überschlage grob den Fahrpreis und komme auf um die vierzig Euro. Mit einem Ratsch öffne ich hektisch den Reisverschluss, um mich zu vergewissern, dass mein Geld noch da ist.
Fassungslos schaue ich in das Innere meines leeren Portemonnaies. Panisch wühle ich in meiner Handtasche, leere den gesamten Inhalt auf die Sitzbank. Nichts.
Als ob das was bringen würde, renne ich auf die Straße und schreie ich ihm nach:
„DU ARSCHLOOOOCH!“
Zwei Tage vorher
Im fahlen Schein einer Laterne, die von Mücken umschwirrt wird, sitze ich mit Nina im Taxisgarten. Nina hat eine wunderbare Altbauwohnung am Nymphenburger Kanal von ihrer Oma geerbt und dieses unfassbare Glück muss gefeiert werden. Eigentlich hat sie immer einen Grund zum Feiern und trinkfest ist sie auch. Fast schon eine Alkoholikerin, finde ich. Der Geruch von abgestandenen Bier steigt mir in die Nase, als einer der Mitarbeiter mit einem klirrenden Geräusch die ausgetrunkenen Krüge um uns herum einsammelt.
Ich glaube es nicht, aber ich sitze inzwischen schon an meiner dritten Radlermaß und eiere trunken auf meinem Stuhl herum. Bei mir reicht normalerweise eine Halbe und dann ist Schluss, aber bei Nina trinkt man für eine ganze Mannschaft mit, ohne es zu merken.
„Kipp nicht vom Stuhl!“. Die weißen Zähne ihres leichten Überbisses blitzen als sie lachend ihre dunkelblonde Mähne in den Nacken wirft.
„Neneneee.“ Ich bemühe mich um Contenance.
„Oh! Nachricht von Martin!!“ Begeistert grapscht sich Nina ihr strahlendes Smartphone, dass in guter Sichtweite inmitten der Krümel unserer Brotzeitplatte lag, und starrt konzentriert auf das Display.
Ich rolle mit den Augen, während sie eifrig in ihr Handy tippt. Nina habe ich schon ewig nicht mehr gesehen. Wir haben uns auseinandergelebt, aber ab und an treffen wir uns. Ihre Abenteuerlust und Sucht nach Sex stillt sie, indem sie sich regelmäßig mit Männern trifft, die sie über eine Sex-Dating App findet. Ihretwegen habe auch ich seit etwa einer Stunde dort auch ein Profil angelegt, obwohl mich solche Dinge nicht reizen.
Während es aus Nina nur so heraussprudelt, was Martin in seiner riesigen Luxusbadewanne mit ihr anstellt, schaue ich gelangweilt in den Tunnel meines fast leeren Maßkruges.
„Des issa!“ stolz hält sie mir ihr Handy vor der Nase und meine alkoholgeschwängerten Basalganglien brauchen ein wenig, um die Informationen aus meinem Sichtfeld in die entsprechende Abteilung zu übertragen.
Ganz klar erkenne ich hier den Exmann einer Bekannten von mir. Und den datet Nina? München ist manchmal wie ein Dorf.
Am nächsten
Sonntagmorgen pule ich mir versonnen die Schokowaffel meiner klebrigen Milchschnitte runter, um nur das Innere genießen zu können. Ich habe heute frei und kuriere meinen Kater aus. Meine Oma aus Pinneberg, schwört in solchen Fällen immer auf
Labskaus. Der Gedanke daran lässt mich erschaudern. Im Fernseher läuft eine Doku über kreischende, heulende Weiber einer vermaledeiten amerikanischen Hochzeit und seit Tagen regnet es. Mein Teekessel pfeift. Mühsam erhebe ich mich vom Sofa gieß mir einen Kräutertee auf und denke an Martin, der nun von Nina gedatet wird.
Martin, der stille Teetrinker und Exmann von der recht dominanten Anette, die mir Beide mal beim Umzug geholfen haben. Ich betrachte nochmals in Ruhe sein Profil in dieser Dating App. Unter seiner Freundesliste erkenne ich keinen, der mir bekannt vorkommt. Aber am Profilbild eines Mannes bleibe ich hängen. Lässig hält er die Linse seiner Kamera ins Bild. Aus seinem Mund hängt eine Zigarette.
"
HotShot", so sein Nick. „Biete Shootings auf TFP-Basis an …“.
Ein kostenloses Shooting.
Gute Idee.
Keine fünf Minuten später telefoniere ich mit „
HotShot“, dem Fotografen, der sich als Erwin vorstellt und sofort seine Handynummer herausgerückt hat.
Einladung zum erotischen Fotoshooting, klingt interessant. Ich schau mir seine Fotoalben durch. Gar nicht übel. Schöne Teilakt Aufnahmen, das wäre mal was. Wir einigen uns schnell auf ein Shooting in der Landschaft. Erwin schickt mir per SMS Bilder von einem sonnengelben Rapsfeld. Ein bisschen kitschig. Ich dachte eher an ein Waldstück, mit Moos bewachsene Felsen oder etwas in der Art.
Unser Treffen steht fest. Morgen Abend, 21.00 Uhr, Treffpunkt Donnersberger Brücke.
Ein Bekannter vom Exmann einer Bekannten. Wird schon gut gehen.
Am Sonntag Spätabend dann, stehe ich an der Arnulfstraße, bekleidet in blauer Skinny Jeans, schwarzen Pumps, Gorilla-Shirt und im Kontrast dazu trage ich meinen beigen Trenchcoat. Die ersten Regentropfen fallen vom Himmel als ich in sein rotes Auto einsteige.
Mein Herz klopft. Er sieht gut aus. Groß, markante Gesichtszüge, definitiv um die fünfzig herum. Jeans, helles Shirt und ein leicht untersetzter Bauch.
„Na, bereit? Also, wir machen ein TFP-Shooting. Das bedeutet … „ wir sind noch nicht mal am Romansplatz angekommen, da wird mir schon klar, dass ich mich auf nicht-enden-wollende-Monologe einstellen muss.
Wir passieren die wunderschöne Parkanlage des Schloß Nymphenburg. „Machen wir hier Fotos?“, frage ich ihn. „Nein, zu viele Leute hier.“
„Hmmm, schade.“ Antworte ich.
Nach einer Weile gurken wir durch das dörfliche Allach. Erwin redet ohne Unterlass und zählt mir auf welche Promis er (angeblich) kennt. Dann betont er, dass er als Statist in den Kammerspielen mitwirkt und rattert mir eine Reihe an Filmproduktionen runter, in welchen er mitgespielt hat.
„In meiner Filmkarriere lief es
aufwärts, aber dann … „ zählte er mir unzählige Gründe auf, warum andere Schuld an seinem Scheitern seien.
Schweißperlen rinnen an seinem Nacken herunter. Sein Redefluss nimmt jetzt richtig Fahrt auf, denn jetzt kommen die Storys aus seiner Kindheit. Er sei wegen schlechter Noten und schlechtem Benehmen ständig von der Schule geflogen. Seine Mutter habe ihn dann zur Heckscher Klinik gebracht und dort habe man festgestellt, er sei hochbegabt, aber zu faul zum Lernen.
Sein Körpergeruch wird zunehmend unangenehm und als wir vor einem Rapsfeld zum Stehen kommen, steige ich erleichtert aus dem Auto und atme frische Landluft ein.
Während er abermals Promis aufzählt. die er kennengelernt hat, sucht er umständlich sein Equipment aus dem zugemüllten Kofferraum zusammen. Ein paar Pfandflaschen landen auf der Straße. Er lässt den Müll einfach liegen.
Nach einer dreiviertel Stunde wate ich im Halbdunkeln durch die Blumenwiese. Es dauert, bis er mich ein Stückchen nach rechts und dann wieder nach links und etwas weiter nach vorne zum perfekten Platz dirigiert hat.
„Scheiße, das mit dem Sonnenuntergang haben wir wohl verpasst.“ Er deutet mit der Zigarette zwischen den Fingern in den wolkenverhangenen Himmel, der in die Nacht abtaucht. Was für ein Chaot.
„Hmmm, hat wohl nicht geklappt.“ Antworte ich. Hochbegabt aber dann wohl doch nicht so ganz
schlau.
Die ersten Regentropfen prasseln sanft an mir herunter.
„Bring mich bitte wieder heim, Erwin.“
„Was? Wir haben gerade erst angefangen!“
„Es regnet!“
„Na und? Ich hatte mal ein Dreh am Set von
Tatort. Was meinst du, was es da geregnet hat? Wenn du damit ein Problem hast, hättest du gar nicht erst bei mir einsteigen brauchen!“
„Fahr mich doch einfach zur S-Bahn, Bitte.“ Ich raffe meine Sachen zusammen und will los. „Hey! Wir sind noch nicht fertig. Ich bestimme, wann wir nach Hause fahren. Für so ein Shooting zahlen andere Hunderte von Euro. Du bekommst es für umsonst! Also stell dich wieder in die verdammte Wiese und zieh dich endlich aus.“
Meinen Mantel untern Arm geklemmt marschiere ich stattdessen die Landstraße runter. Ich hätte mich vorher mit ihm auf einen Kaffee wo treffen sollen. Dann wäre ich gar nicht erst mit ihm hierhergefahren. Ich wäre nirgendwohin mit ihm gefahren. Ich könnte mich ohrfeigen für meinen Leichtsinn und meine Ungeduld.
Der Regen wird stärker.
Irgendetwas fehlt.
Meine Handtasche!!!
Ich dreh mich um, da kommt Erwin auch schon mit seinem Auto angefahren.
„Bitte, bitte, bitte!“, denke ich mir …
Im nächsten Moment sitze ich mit meiner leeren Handtasche unter Dach dieser Bushaltestelle und starre auf die Straße. Der gesamte Tascheninhalt liegt verteilt auf Sitzbank und Boden. Mein Geld hat er definitiv unterwegs eingesteckt. Hundert Euro hat er mir abgezogen und nie würde ich es ihm nachweisen können.
Mein Handy klingelt und es erscheint ein anonymer Anrufer auf meinem Display.
„Ich will mein verdammtes Geld! Komm wieder zurück!“ Ich koche fast über vor Wut.
„Frau Brenner? Was ist denn mit Ihnen passiert?“
Kerzengerade sitze ich auf der Bank. Mein teurer Lippenstift rollt herunter und landet zwischen einen Haufen Kippen.
„Mr. Benway?“
„Wo sind Sie?“, rufen wir fast gleichzeitig ins Telefon.
„Frau Brenner wir sind zurück in München und ich wollte Sie fragen, ob Sie mit uns einen Wein trinken möchten? Aber wenn es ungelegen kommt, gern ein anderes Mal.“
„Ein anderes Mal ja, aber vielen Dank. Ich freue mich, dass Sie wieder da sind.“ Meine Aussprache nach klinge ich hochvernünftig angesichts meiner Lage. Glückstränen rinnen aus meinen Augen. Ich schniefe meinen flüssigen Rotz wieder in die Nase. Dieses untrügliche akustische Zeichen, dass ich
weinen muss, kann ich nicht mehr geheim halten.
„Ist wirklich alles Okay? Sie haben mich eben am Telefon angebrüllt. Was ist denn passiert?“
„Nun, ich hatte einen Fotografen-Termin. Ganzkörper-Portrait bei Sonnenuntergang in der Landschaft und wir wurden uns uneinig. Da bin ich gegangen und habe in der Aufregung meine Handtasche vergessen und die hat er mir nun gebracht, aber mein Geld hat er eingesteckt, Mr. Benway.“
„Ihnen passieren aber auch die dümmsten Sachen. Stehen Sie nun an einer Straße?“
„Ja. Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Bus bald kommt.“ Die gleißenden Lichter mehrerer Autos ziehen an mir vorbei.
„Wie heißt denn die Haltestelle? Es ist bald Mitternacht.“
Ich beuge mich hinaus und nenne ihm den Namen der Haltestelle. Mr. Benway bittet mich zu warten, bis er kommt - und nicht mal zwanzig Minuten später öffnet er die Tür seines Sportwagens und bittet mich hinein.