Pflanzenkraft
Jonas zweifelte daran, dass ihm Pflanzenkraft helfen könnte, sein Erektionsproblem zu beheben. Er stand in der Küche und hobelte Rettich, um ihn zusammen mit koreanischem Ginseng, peruanischer Maca und dem subtropischen Erd-Burzeldorn im Mixer zu zerkleinern. Dabei begann er Sprüche zu skandieren, die ihm humorvoll in den Sinn kamen:
„Der Rettich, der Rettich,
macht die Nudel fettich.
Mit dem tropischen Burzeldorn,
wird jeder Halm zum Horn.
Mit der Maca aus Peru,
steht er dir im Nu.
Nach Genuss des echten Ginseng,
erscheint dir jede Mumu eng.“
Er dichtete nicht wie ein Künstler der Worte, eher wie ein Mann der einfachen Sorte. Was ihm völlig egal war. Literat wollte er nie werden. Eigentlich brauchte er die ganzen Mittelchen gar nicht mehr, um seinen Mann stehen zu können. Er nahm sie aber trotzdem gerne, denn er fühlte sich körperlich wohler, seit er, als geübtes Gewohnheitstier, dieses Potpourri der Pflanzenkraft täglich zu sich nahm. Das Problem mit seiner Potenz hatte sich schon seit einigen Wochen wie von Zauberhand gelöst. Nicht nur dieses Problem, seit er Ramona kennen - und lieben - lernen durfte.
Doch bevor diese irrsinnig irrwitzige Amour Fou begann, durchschritt er ein langes, dunkles, steiniges Tal der Tränen. Einst hatte er ein gut gehendes Cateringunternehmen. In Eintracht mit seiner Frau und den Kindern, die ihm stets unterstützend zur Seite standen, hatte er die Zubereitung erlesenster Speisen zu seinem goldenen Handwerk gemacht. Sein Ruf wurde legendär, weit über die Stadtgrenzen hinaus. Nach langen Überlegungen wagte er weitere Investitionen, um den Betrieb zu erweitern und den Fortbestand zu sicher. Er belieferte die ganz großen Partys, Jubiläen und Events. Doch dann kam der Virus. Gefeiert wurde nur noch virtuell. Reale Treffen von echten Menschen waren viel zu klein, um einen Umsatz zu generieren, der seine Betriebskosten hätte decken können.
Um sein gerade neu eingestelltes Personal bezahlen zu können, verkaufte er seine Altersimmobilie. Nach zwei Jahren im Minus lies ihn seine Hausbank fallen wie eine heiße Kartoffel. Er wurde zu einem mürrischen, unzufriedenen Verschwörungstheoretiker, was seine Frau binnen weniger Monate aus dem Haus trieb. Die erwachsenen Kinder zogen aus und suchten sich neue Einkünfte. Jonas blieb alleine. Arbeitslos, mittellos, lustlos.
Um Geld zu sparen, drückte es sich auf jeder Trauerfeier herum, die sich anbot. Es starben immer wieder Menschen in der Stadt, mit denen er geradlinig oder auf Umwegen in den letzten Jahren irgendwie beruflich zu tun hatte. In erster Linie ging er hin, um sich satt zu essen. In zweiter Linie, auch wenn ihm dieser Beweggrund nie bewusst wurde, um zu sehen, dass es anderen Menschen noch schlechter ging als ihm, in dem sie starben. Denn eigentlich fühlte er sich schon wie tot.
Er stellte unter anderem fest, dass seine Erektion nicht mehr die zuverlässige Härte seiner bewegten Jugend erreichte. Egal, wie explizit die Pornos waren, die er sich auf Youporn herunter lud, er stand kaum noch länger als ein paar Sekunden, bevor er sich wieder weich in seine vibrierende Hand kuschelte. Rote Locken konnten ihn nicht mehr locken, dabei waren Rothaarige mit blasser Haut und Sommersprossen stets sein Fetisch. Schaffte er es doch mal, mit einer Frau intim zu werden, stand er so unter Druck, dass die Flöte nur disharmonisch den Regenwurm mimen konnte.
Am Ende der Pandemie wurde es nicht besser. Die Inflation trieb die Zinsen in die Höhe, ein Kredit für einen Neustart wurde für ihn so unrealistisch wie der baldige Linienflug zum Mars. Jonas Weltbild wurde immer düsterer. Der Krieger aus Russland, der Verrückte vom Bosporus, die Durchgeknallten aus Asien, der Diktator in Budapest, der Unsichtbare in Berlin und die vielen anderen unfähigen Regenten, die scheinbar nichts anderes wollten, als sich selbst zu bereichern und den Rest der Welt ins Unglück zu stürzen, gaben seinem früher so strahlenden Optimismus den Todesstoß. TV, Radio und Zeitung schaffte er ab.
Dann kam Ramona. Er traf sie online in einem Forum für ältere Geschäftsleute, Selbständige und Freiberufler. Sie hatte ihn angesprochen, weil sie sich an seinen Cateringdienst erinnern konnte und noch immer von den Köstlichkeiten schwärmte. Sie unterhielten sich mehrere Wochen lang, bevor sie sich zum ersten Mal trafen. Nach einem Abend mit viel Rotwein – für ihn,
„jedes Gläschen gut für die Gefäßchen“ – und noch mehr Rosé – für sie, denn
„Rosé macht schee“ - sowie einigen weiterführenden Likörchen für die roten Öhrchen, landeten beide in Ramonas Wohnung, wo sie mit gekonnt ausgesuchter Reizwäsche und einigen geübten Handgriffen seinen Pinsel wieder zum Schwingen brachte. Er hatte ihr in den Wochen davor offen von seinen Problemen erzählt, ein erster Schritt zur Besserung. Sie nahm das Thema locker, denn es gab noch so viele andere Methoden, die auch ihm durchaus bekannt waren, um gemeinsam die Lokomotive der Lust zum Entgleisen zu bringen.
„Was wird diese Beziehung noch alles hervorbringen?“, fragte sich Jonas nach einigen Wochen gemeinsamer Erlebnisse mit Ramona. Seltsamerweise machte ihm diese Frage keine Angst, sondern weckte die Neugier. Er wurde nicht enttäuscht. Sie liebten sich, wie sich nur Menschen lieben können, denen die Endlichkeit des Lebens bereits bewusst wurde. Mit Unstimmigkeiten hielten sie sich nicht lange auf, zu kurz war die Lebenszeit.
Eines Tages erzählte Ramona von erfolgreichen Verkäufen getragener Unterwäsche. Das Thema regte Jonas' Phantasie an. Nicht seine schmutzige, sondern seine unternehmerische. Er handelte schnell. Wo es möglich war, kaufte er die billigsten Restbestände an Damenslips auf. Gemeinsam nutzen sie Ramonas Account im Portal „schnupperslip.de“. Er unterstütze ihr Marketing und sie vergrößerten den Kreis ihrer Follower, bis dieser ein Station hätte füllen können. Dann gingen sie in Massenproduktion:
Als alter Gourmet entwickelte er Methoden, das richtige Aroma für getragene Damenwäsche zu erzeugen. Eine Mischung aus Milchsäure, Hautcreme, Gleitmittel und einem Spritzer Harnstoff, in täglich neuen Variationen mit verschiedenen Deodorants, machten die in Plastik eingeschweißten Unterhosen zu einem vollen Erfolg. Die Betreiber der Plattform konnte erahnen, dass die Verkaufszahlen kaum mit tatsächlich getragener Unterwäsche übereinstimmen konnten, aber sie drückten gerne ein Auge zu, denn sie verdienten ja kräftig an dem olfaktorischen Schwindel mit.
Die beiden wurden zu Bonnie und Clyde der müffelnden Unterhosen-Mafia. Sie pfiffen auf Ehrlichkeit gegenüber Finanzamt und Gewerbeaufsichtsamt, denn Gesetzestreue hatte Jonas lange genug praktiziert, ohne das es ihm jemals in irgendeiner Form genutzt hätte.
Jonas und Ramona sahnten richtig ab. Mit einem alten Thunderbird dem Sonnenuntergang des Lebens davon zu fahren, war nur einer von vielen Träumen, die sie sich zuletzt noch erfüllen konnten.
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