Der Pirat - Sturmfahrt
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Drama
gigantisch
Suppengrün
Waffel
verzweifeln
ausnutzen
Drache
hetzen
Sturmfahrt
Kaum hatte er das Oberdeck betreten, wurde Louis von einem Wellenbrecher begrüßt, der ihn sofort bis auf die Haut durchnässte. Mühsam hangelte er sich in Richtung Steuerrad an den Fallseilen entlang.
„Wie sieht es aus?“, fragte er Murgridge, der, zusammen mit dem Steuermann Bancroft, versuchte, die schlingernde Antigone auf Kurs zu halten.
„Nicht gut, Kapitän“, schrie dieser gegen das Brüllen des Sturms an. „Wenn wir nicht beidrehen, wird das hier in einer Katastrophe enden.“
Louis wusste, dass sein erster Maat die Wahrheit sagte und wahrlich kein Angsthase war.
So ein verfluchtes
Drama.
Sie konnten nicht nach Tortuga zurücksegeln. Schon am nächsten Morgen würde Pears in See stechen und damit beginnen sie zu jagen. Er würde sie so lange
hetzen, bis er sie schließlich erwischen würde. Die Golden Crab war deutlich schneller als sein eigenes Schiff und verfügte über fast doppelt so viele Kanonen. Und ihre Kanonen hatte dazu noch eine größere Reichweite. Der Fettsack Pears würde sie in Stücke schießen.
Louis blickte in die aufgepeitschte, brodelnde See. Fast der gesamte Horizont wurde von gewaltigen Blitzen durchzuckt, die die sie umgebenden Wolkentürme erleuchteten und erahnen ließ, wie
gigantisch das Sturmtief in seiner Ausdehnung war. Der Wind heulte und toste unablässig um das Schiff.
Es war zum
Verzweifeln, aber er musste eine Entscheidung treffen. Sein Plan, den Sturm
auszunutzen und dadurch seine Fluchtroute zu verschleiern, war gescheitert.
Die einzige Möglichkeit wäre, sich an der dem Hafen abgewandten Seite der Insel zu verstecken und einen Späher auszuschicken, der ihnen ein Signal senden würde, wenn Pears die Verfolgung aufnahm. Dann könnten sie sich in Richtung der Turks- und Caicosinseln absetzen.
Doch was dann? Die Mannschaft wäre sicher nicht erfreut und auch schon bald eine Erklärung für all das fordern. Damit würde er sich beschäftigen, wenn es so weit war.
„Mister Murgridge, lassen sie beidrehen und bringen sie uns aus diesem verfluchten Sturm heraus. Wir werden um Tortuga herumsegeln und vor der Nordküste ankern.“
„Ay Kapitän. Dürfte ich erfahren, was das hier alles zu bedeuten hat?“
„Das erkläre ich ihnen später“, antwortete Louis knapp.
Er wäre nur zu gerne sofort wieder unter Deck gegangen, doch daran war nicht zu denken. Er musste jetzt bei seinen Männern bleiben.
Unter Deck war Claudine, die schöne Ringdiebin, dabei dem Schiffsarzt das letzte Quäntchen Verstand zu rauben.
Er hatte sie nach ihrer Kindheit gefragt und sie hatte diese Vorlage dankend angenommen.
„Der Pfaffe war ein wahrer Unhold, aber was konnte ich schon gegen ihn ausrichten?“
„Was hat er euch denn angetan?“, fragte Bartolomew mit belegter Stimme.
„Er ließ mich nackt für sich tanzen“, antwortete sie und schlug dabei die Augen nieder, als würde sie sich dessen heute noch schämen. Dabei hatte sie schon vor Jahrzehnten jegliches Schamgefühl gegen etwas zu Essen eingetauscht.
„Ich war gerade mal zwölf Jahre alt. Noch keine Brüste, so wie jetzt.“ Dabei ergriff sie seine Hand und legte sie auf den linken Busen.
Gerade, als er ihrem vermeintlichen Angebot nachkommen wollte, schob sie sie wieder weg.
„Und kaum ein Flaum zwischen, na, ihr wisst schon.“ Sie blickt auf ihren Schoss.
„Könnt ihr euch das vorstellen?“
Und ob er sich das vorstellen konnte. Er konnte an nichts anderes mehr denken. Da es ihr aber eine teuflische Freude bereitete, diesen armen Tropf noch weiter anzuheizen, legte sie nach.
„Dann verlangte er weitere Beweise meiner Dankbarkeit. Dankbarkeit, dass ich nicht lache. Er speiste mich mit Resten aus der Klosterküche ab. Kartoffelschalen und gammliges
Suppengrün, aus denen meine arme Mutter Suppe für uns alle kochte.“
„Und welcher Art waren die Beweise, die das Scheusal von euch verlangte?“, fragte der Arzt heiser.
„Es ist zu abscheulich, um es euch zu erzählen. Noch nie habe ich mit jemandem darüber gesprochen“, sprach sie leise und wischte sich eine imaginäre Träne aus dem Auge.
„Vielleicht geht es euch danach besser. Oftmals hilft es, über ein schlimmes Erlebnis zu reden.“
'Ja, sicher', dachte Claudine.
„Er zwang mich, seinen
Drachen in den Mund zunehmen. So nannte er den kleinen Wurm, der unter seiner Kutte hauste. Wenn ich es besonders gut machte, bekam ich eine gezuckerte
Waffel von ihm. Niemand hat mich vor diesem grauenhaften Mann beschützt. Kein Mann hat mich jemals beschützt. Alle wollten immer nur das Eine von mir.“
Schluchzend warf sie sich in Batholomews Arme.
Sie vergrub ihr Gesicht an seiner schwer atmenden Brust. Er strich ihr sacht über das Haar.
Dann blickte sie ihn an und fragte: „Werdet ihr mich beschützen oder wollt auch ihr nur unter meinen Rock?“
„Mit meinem Leben werde ich euch beschützen“, versicherte er ihr inbrünstig.
„Ich wusste gleich, ihr seid ein guter Mensch.“ Sie küsste ihn mit all der gespielten Leidenschaft, die sie aufbringen konnte.
In Bartholomew Stevens Brust war ein Feuer entfacht worden, wie er es seit der Flucht aus seiner Heimat, nicht mehr gekannt hatte. Er würde alles für diese Frau tun. Nur hoffte er inständig, dass es nicht notwendig werden würde.
Draußen heulte und tobte der Sturm und trieb das Schiff mitsamt seiner Besatzung einer ungewissen Zukunft entgegen.
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