verlocken
Vorschlaghammer
Seidenkleid
Stillstand
Orchestergraben
verzeihen
Kunststoff
melodiös
Die Probe
Julian, ein junger, gutaussehender Saxophonist saß unruhig im Orchestergraben der Philharmonie. Es war sein erstes klassisches Engagement, was ihn einerseits unglaublich freute, doch andererseits etwas nervös machte. Er wusste, dass er sein Instrument virtuos beherrschte, trotzdem lag seine musikalische Leidenschaft eher beim Jazz. Der Solist dieses Ensembles hatte sich den Arm gebrochen und Julian war gebeten worden für ihn einzuspringen. Dieses Angebot in einem berühmten Orchester, sogar als Solist mitzuwirken hatte Julian sehr verlockt, zumal er ständig in Geldnot war.
Er hakte den Gurt an seinem „Selmer“ ein, legte ihn sich um den Hals und schraubte das Holzplättchen auf sein Mundstück aus Kunststoff, welches er auf den Hals des glänzenden Saxophons aus Messing steckte und mit seinen Lippen anfeuchtete.
Sein altes Horn aus dem Jahr 1928 mit den entsprechenden Abnutzungen war sein Baby. Der Klang war unbeschreiblich voll und warm. Viele Jazzer beneideten Julian darum, doch Fehler verzieh es nicht.
Wie seine Musikerkollegen um ihn herum, spielte Julian einige schnelle Tonleitern rauf und runter. Der Lärm um ihn herum war unbeschreiblich als sich alle, jeder für sich einspielten.
Auf dem Ständer vor ihm lagen die Noten:
Alexander Glasunow: Konzert für Saxophon und Streichorchester Es-Dur op. 109. Langweilig, dachte er sich, aber da musste er jetzt durch.
Der junge Musiker war auf die französische Gastdirigentin gespannt, die ebenfalls heute ihr Debut hatte, Mademoiselle Louise Guerin. Bestimmt eine strenge, alte Schachtel, dachte er bei sich, gerade als eine junge, hübsche und vollbusige Frau in einem luftigen Seidenkleid auf das Dirigentenpult trat und neugierig in die Runde blickte. Ihr Haar war blond gelockt, ihre blaugrünen Augen blitzten und ließen Leidenschaft erkennen.
Zunächst nahm kaum einer der Musiker Notiz von der zierlichen jungen Französin.
Erst als sie wütend mit ihrem Taktstock wie mit einem Vorschlaghammer auf ihr Pult schlug, dass dieser zersplitterte, hatte sie die Aufmerksamkeit des Orchesters.
Mit einer anmutigen, eigentlich schon lasziven Bewegung zog Mademoiselle Guerin einen Ersatzstock aus ihrem tiefen Dekolleté, dass Julian der Atem stockte.
Wie hatte sie das gemacht? Dachte er fasziniert. Als Solist, der ganz vorne direkt neben dem Dirigentenpult stand, bekam er das fast hautnah mit.
Das ganze Orchester befand sich in einer Art Stillstand und erwachte erst, als die Dirigentin den ersten Violinisten anwies ein A vorzugeben.
Der Ton der aus Julians Horn erschallte, hörte sich schräg an, was ihm einen missbilligenden Blick der attraktiven Dirigentin einbrachte. Er ärgerte sich über sich selbst. Und diesen sabbernden Speichelfluß an seinem Mundstück konnte er jetzt so gar nicht brauchen.
„Konzentrier dich Julian!“ Rüffelte der Cellist von hinten tadelnd.
Nach der Anweisung der Dirigentin wurde das Stück in Teilen immer wieder gespielt und wiederholt und am Ende dreimal im Ganzen.
Anfangs schaffte es Julian mehr schlecht als Recht seine Töne zu finden, denn er hatte nur Augen für die Dirigentin, deren leidenschaftliche Armbewegungen ihre Brüste im Takt wippen ließen. Er hoffte, dass sie ihm seine Erregung nicht ansah. Musik ist eben doch Sex, schoss es ihm noch durch den Kopf.
Doch dann besann er sich auf seine Professionalität, konzentrierte sich auf sein Können und ließ sich immer mehr von der Musik tragen.
Sie war eine fantastisch gute Dirigentin, die mit ihrem Taktgefühl und Autorität das Orchester in sanftem Griff hatte. Julian wollte ihr beweisen, wie gut er war, denn er konnte sich nicht vorstellen, dass sie Gefallen an Mittelmäßigkeit fände. Die Töne, die er nun aus seinem Sax zauberte wurden weich, voll und leidenschaftlich. Sein Können als virtuoser Musiker war offensichtlich. Ab und zu erhaschte er einen anerkennenden Blick oder sie zog für einen Moment ihre Augenbraue überrascht nach oben.
Als die Probe vorbei und die süße Dirigentin entschwunden war, konnte Julian seine Enttäuschung kaum verbergen. Jedoch konnte er nun wieder halbwegs normal denken. Er hatte sein ganzes Können offenbart, ja geradezu brilliert und das sollte es jetzt gewesen sein?
Liebevoll reinigte er sein Instrument mit einem Lederläppchen, das er mit einer Schnur durch das Saxophon zog und streichelte über seinen sanften Schwung, noch immer diese wundervollen Brüste vor Augen. Dann verstaute Julian dieses in seinem Koffer. Er wollte schon gehen, als ihn ein leichtes Tippen auf seiner Schulter aufhielt.
Eine melodiöse Stimme mit diesem gewissen charmanten französischen Akzent sprach ihn an:
„Ich bin Louise, wo können wir noch etwas trinken gehen und Musik hören? Ich habe eine Schwäche für Jazz.“
© Bertl 2. März .2023