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Geschichtenspiel Teil 45

**********silon
6.686 Beiträge
*traenenlach* na passt doch zum meditierenden musiker. *grins*
*****ree Frau
22.078 Beiträge
@*******t_by
*bravo* Du bist ein Virtuose, wie es scheint beherrschst du so einige Instrumente bravurös. *top*
Für mich bist du eine wundervolle Bereicherung in dieser Gruppe. *freu*

*hutab*
*****ida Frau
17.847 Beiträge
*lach* die Trompaunistin.... *zwinker*
*****ida Frau
17.847 Beiträge
Sie legt sich die nassen Finger in den Nacken.
Schließt die Augen. ‚Wenn er mich noch einmal auf so eine Premiere von einem Alban Berg Stück schleift, erschieße ich ihn!‘
Kaum hat sie den Gedanken zu Ende gedacht, muss sie grinsen. „Oder mich!“, murmelt sie ihrem Spiegelbild verschwörerisch grinsend zu. 
Sie trocknet die Hände mit dem flauschigen weichen Gästehandtuch des Bayerischen Hofs und holt das Rouge-Döschen aus ihrer sündhaft teuren Clutch von Hermes. Tupft etwas Farbe auf die Wangen, streicht zwei, drei widerspenstige Strähnchen zurück in den kunstvoll aufgesteckten Dutt und spielt gedankenverloren mit den kleinen Diamanten an ihren Ohrhängern. Platingefasst, versteht sich. Von Cartier, versteht sich.
Vor dem Gehen sieht sie sich im raumhohen Spiegel noch einmal kritisch an, streicht gedankenverloren über den fließenden Stoff ihres Seidenkleids und steigt langsam die Treppe hoch, die sie zurück an die Bar führt. 


Wo ‚man‘ sich eben trifft nach so einer Premiere in der Staatsoper.
Wo ‚man‘ unter Gleichgesinnten ist, wo die ‚Geldigen‘ sich unter die Hautevolee mischen, die ‚Adabeis‘ mit den Bildungsbürger:innen – diejenigen, die noch Karajan hinterhergereist sind und bei den Inszenierungen des seligen August E. immer noch feuchte Augen kriegen (‚Mei damals! Ja, damals das waren halt noch schöne Inzenierungen!!!‘, versichern sie sich ein ums andere Mal – in völliger Verkennung, dass auch in der Kunst Stillstand Tod bedeutet…) – Seit an Seit stehen, Champagner schlürfen oder Wasser („Sie müssen verzeihen: Ja, heute ausnahmsweise nur Wasser! Hach, ich mache gerade Detox nach Prof. Oberschwurbel, der Aufenthalt in den Schweizer Bergen war ja soooo eine Offenbarung, Sie ahnen es nicht!!“ – ‚Doch, tun wir alle, nein, wissen wir alle: du warst auf Alkoholentzug, du alte Schnapsdrossel! Und die Nase hast du dir auch gleich machen lassen, weil du ja eh länger aus dem Verkehr gezogen warst! Hat der Chirurg das eigentlich noch mit dem Skalpell hingekriegt oder musste er diesmal mit dem Vorschlaghammer ran?‘) und sich auslassen über das gerade Gesehene. 

Immer gespickt mit vielen, möglichst gepflegt klingenden Fremdworten, alle aufgeschnappt beim letzten Diner der Witwe H.; als die hinterlistige Sitzordnung einen doch glatt an die Seite dieses endlahmen Kritikers der SZ fesselte, dessen Kunststoffhemd immer so eklig knisterte, wenn er sich bewegte und der es sich nicht nehmen ließ, über seinen letzten Verriss der Uraufführung der Oper von G. der Länge und der Breite nach zu monologisieren.
„Er hat die Musiker im Orchestergraben schuften lassen als wären sie Orks in Mordor!“ Sätze wie diesen mischte er mit hochwissenschaftlichen musiktheoretischen Abhandlungen über die Rolle des Cis in Arien dritter Akte.
Und das alles in diesem schrecklich nasalen Ton! 


Nie war klar, ob er wegen seines unbestreitbaren fachlichen Wissens geladen oder einfach als Hofnarr gehalten wurde. 

Einerlei, solange die Frucht solcher Abende wenigstens für ein paar Versatzstücke beim nächsten Small Talk nach der Oper reichte! 
Und natürlich für das theatralisches Sich-Bemitleiden-Lassen unter anderen Opfern von Abenden bei Tisch neben eben jenem Unsäglichen. 

Wie verlockend, die Qualen eines solchen Abends auszuschmücken, seine Sätze ins noch Groteskere zu steigern, das eigene fast schon körperlich zu greifende Elend solcher Stunden darzulegen.
Coram publico, versteht sich!

Doch schon hat sie die edle Gesellschaft erreicht, nimmt huldvoll ein Glas Champagner entgegen und stimmt ein in das melodiöse Zwitschern, Lästern, Giften, Flirten und Sich-Belauern der sogenannten ‚Besseren Gesellschaft‘ dieser ach so herzlichen 'Weltstadt mit Herz'.
 
*****e_M Frau
8.547 Beiträge
Toll, wie sich hier alles in klassischen Konzerten tummelt. Vielleicht sollten wir gemeinsam einen Konzertbesuch anvisieren *lach*
*****ida Frau
17.847 Beiträge
*meld* ich halt dann die Plätze an der Bar frei *gg*
*******t_by Mann
75.469 Beiträge
Ein Gemälde der Münchner Schickeria, richtig lebensnah. *gg*
*bravo* @*****ida
Und absolut nicht übertrieben... (das meine ich ernst)
*******t_by Mann
75.469 Beiträge
Das erinnert mich entfernt an den Monaco mit seinem Spatzl nach der Oper.
Ich muss das gleich nochmal lesen *top2*
*******d18 Frau
7.278 Beiträge
@*****ida , der „unvoreingenommene“ Beobachter der ganzen Szenerie! *top*
*****ida Frau
17.847 Beiträge
*lach* ja, ein Mann kann das sicher auch beobachten *g*
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
Die Rolle des Cis in Arien dritter Akte würde mich auch interessieren, liebe @*****ida! *lol*
*****ree Frau
22.078 Beiträge
Fabelhaft geschildert die Schickeria *bravo* @*****ida
Ich kenne das zwar nicht persönlich, da ich mich nicht in solch elitären Kreise bewege, aber nach deiner Schilderung kann ich es mir nun lebhaft vorstellen. *hutab* *zwinker*
**********silon
6.686 Beiträge
Zitat von *****e_M:
Toll, wie sich hier alles in klassischen Konzerten tummelt. Vielleicht sollten wir gemeinsam einen Konzertbesuch anvisieren *lach*

Aber bitte ohne Schickseria. Des is so gar net mein Fall. *zwinker* Klassische Musik lässt sich heutzutage auch anders genießen. Das Leipziger Gewandhaus ist da durchaus auch weltoffen. *g*
**********silon
6.686 Beiträge
@*******t_by ich mag Saxophon-Musik. Dein Text erinnert mich an ein Jazz-Konzert in einer Kirche. *herz2*
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
8-Wörter-Spiel
Verlocken
Vorschlaghammer
Seidenkleid
Stillstand
Orchestergraben
Verzeihen
Kunststoff
melodiös

Gute Nachrichten oder Die Bombe im Orchestergraben

Carla Reemtsma
Ich hab gute Nachrichten.

Luisa Neubauer
Lass hören.


Carla
Hast du schon gehört, dass Iran jetzt hochangereichertes Uran hat?

Luisa
Ich hab’s gelesen.

Carla
Laut Atomenergiebehörde kann Iran jetzt binnen 12 Tagen genug waffenfähiges Uran herstellen für eine Atombombe.

Luisa
Sind das deine guten Nachrichten? Ich weiß ja, dass du dich in einem verbalen Schlagabtausch gerne verlocken lässt, mit einem Vorschlaghammer zu hantieren, aber …

Carla
Also, ich erklär dir das mal. Wenn Uran 238 natürlich zerfällt, stößt es lediglich ein Neutron ab. Wird aber ein Uran-Isotop durch so ein Neutron getroffen, kann eine Kettenreaktion entstehen.

Luisa
Hast du Physik als Leistungskurs gehabt?

Carla
Hab ich. - Das Uranatom gibt daraufhin drei Neutronen ab, und diese treffen auf drei weitere Atome.

Luisa
Jada jada.

Carla
Was?

Luisa
„Jada jada“ ist ukrainisch und bedeutet „bla bla bla“. Der Operator Starsky sagt das immer.

Carla
Wer ist das denn?

Luisa
Du kennst Operator Starsky nicht? Das ist der ukrainische Presseoffizier, mit einem eigenen Podcast. - Was ist denn nun mit dem Iran und der Atombombe?

Carla
Wenn du mich mal ausreden lässt …

Luisa
Wie kommt Iran überhaupt an genug Uran? Es gibt doch Sanktionen?!

Carla
Iran hat einen eigenen Uranabbau. Es hat sich nur noch das nötige Know-how beschaffen müssen.

Luisa
Scheibenkleister!

Carla
Seidenkleid?

Luisa
Ich hab „Scheibenkleister“ gesagt.

Carla
Ich hab „Seidenkleid“ verstanden.

Luisa
Wie wär’s mit einem Hörgerät?

Carla
Mach dich nur lustig! Aber weil du mein Cousinchen bist, will ich dir nochmal verzeihen.

Luisa
Danke! Und woher hat Iran das nötige Know-how?

Carla
Dieser Pakistani, weiß jetzt nicht mehr, wie der heißt, der seine Kenntnisse auch an Nordkorea verkauft hat …

Luisa
Weißt du was?! Ich glaube nicht, dass sich Israel das lange anschauen würde, wenn Iran die Atombombe hat.

Carla
Das glaube ich auch nicht. Israel hätte aber nicht die Möglichkeiten, um die iranischen Atomanlagen zu zerstören. Die sind tief unter dem Gestein. Das könnten nur die Amis mit ihren schweren Bombern. Sie könnten die iranischen Ambitionen augenblicklich zum Stillstand bringen. Aber ob sie das wollen?

Luisa
Schließlich ist es besser, mit einer Bombe zu drohen, als sie tatsächlich zu zünden.

Carla
Aber klingt eine Drohung wirklich so melodiös? Ich hab mal mit van Staben gesprochen. Weißt du, was der gesagt hat?

Luisa
Was denn?

Carla
Er meinte, das sei wie der Unterschied zwischen Kunst und Kunststoff. „lm Konzert der Atommächte liegt die Bombe schon im Orchestergraben.“ Seine Worte.

Luisa
Und wo sind hier die guten Nachrichten, die du mir versprochen hast?

Carla
Ganz einfach: Angesichts der atomaren Bedrohung brauchen wir uns um den Klimaschutz keine Sorgen mehr machen.

Luisa
Wenn das so ist …

Carla
… bin ich dafür …

Luisa
… dass wir erstmal einen Cappuccino trinken gehen.

Carla
Gute Idee!
Die Antwort auf alle Fragen (Quelle: funfacts.com)
*****ida Frau
17.847 Beiträge
... ach, wenn die Welt wirklich nur durch einen Cappuccino gerettet werden könnte! *regenbogen*
Ich hoffe, der Barista vor Ort versteht sein Geschäft! *gg*
*****ree Frau
22.078 Beiträge
*******t_by Mann
75.469 Beiträge
Das macht nachdenklich @**********gosto *bravo*
*********in365 Frau
1.506 Beiträge
Schwarz, wie die Nacht.
*******blau Mann
3.625 Beiträge
.

schwell, schwall, schwoll




Lisbethens Kleid war seiden mit dem Saum in Samt gefasst. Es war elegant und lang und angemessen. Die Stoffe sahen weich und edel aus und, allesamt in dunkelblauen Tönen gehalten, wirkten sie monochrom, nicht monoton. Es hatte einen runden, traumhaft offenherzigen Ausschnitt, in dem, für alle offenkundig, die Musik spielte. Mehr Orchestergraben als Balkon. Unüberhörbar laut, mit Klarinetten und Waldhörnern und Vogelgezwitscher. Laut, aber melodiös.

Das Kleid aber floß, diesem Quell entspringend, träge an ihr hinab, wie wenn es nun andere Weisen spielte. Adagio und in Moll. Wie wenn das Kleid ein trauerlauniger Fluß wäre, der in der Quelle rein entspringt, ab der Schwelle aber Trübsal führt und wohl Argwohn auch. Wie wenn der Fluss aus hartem Wasser wär, das, an und wann, auch über Steine rann, und dann, im Irgendwann, sich seiner Weiche verlustigt sah. Wie wenn der Fluß zwar schön anzusehen wäre, aber dessen Wasser man nicht tränke, weil ihm ein Duft anhaftete und diese unvergleichliche, unerträgliche Härte.

Lisbeth hatte soeben einen Vorschlag gemacht und dieser war für Ippolito weder überraschend noch verlockend. Er war erwartet und berechnet, kalkuliert und durchgerechnet.

Lisbeth hatte, und das schon vor Wochen, lange vor dem Seidenkleid, den Vorschlag gemacht, die gemeinsame Gleichung I + L = x eines schönen Tages erweitern zu wollen, da und dort Faktoren einzuführen, zu addieren, subtrahieren, auseinanderdividieren und auszuklammern. Dieser Vorschlag war, wie gesagt, Ippo nicht im Geringsten neu. Ippolito hatte sich mit dem Gedanken abgefunden, dass Lisbeth selbst gemeinsam beschlossen hatte, das sie ihre Beziehung öffnen wollten. Und das nicht lediglich für Metall und Kunststoff.
Stillstand sei Rückstand, behauptete Lisbeth und drückte soeben fast forward.

Der Vorschlaghammer, der Ippolito auf dem Balkon, nun ins Taumeln brachte, der seinen Kopf anschwellen ließ und sein Herz schuften, war, das gleich an Ort und Stelle in die Tat umzusetzen und zwar mit dem Schwellkörper dieses ebenso einfältigen, wie auch sonst unverzeihlichen Uwe, dem Eigentümer dieses selbstbezeichneten Châteaus, als weiteren Faktor in ihrer Gleichung. Kein Metall, kein Kunststoff...

Jeder Vollidiot weiß, dass das die Liebe versaut, warum weiß es Lisbeth nicht? Warum preist sie jedem Dahergelaufenen auf diesem "Event" die makellose Eifersuchtsfreiheit ihrer Beziehung an? Warum will sie immer, dass die anderen ihnen Denkmäler erbauten? Und was in Dreiteufelsnamen bedeutet FLR? Weiß sie nicht, dass der Mangel an Eifersucht im selben Umfang, dem des Mangels an Zuneigung entspricht? Mathematisch adäquat und vollumfänglich deckungsgleich.




Verlocken *
Vorschlaghammer *
Seidenkleid *
Stillstand *
Orchestergraben *
Verzeihen *
Kunststoff *
melodiös*


.
**********silon
6.686 Beiträge
ach @**********gosto

*traurig* aber recht hast du.
Life is not a contract
Was soll ich sagen? Mein Leben änderte sich in einer Nacht. Im Grunde genommen innerhalb von zehn Minuten. Natürlich bin ich physisch dieselbe Person, aber es gibt ein Vorher und ein Nachher.

Mein Leben verlief in geordneten Bahnen. Sofern man das Leben eines Orchestermusikers geordnet nennen kann. Ich spielte Bratsche im Orchester des Opernhauses. Im Orchester der Oper sind die Musiker nicht die Stars. Auch der Dirigent verschwindet im Orchestergraben. Richard Wagner forderte sogar, dass Opernhäuser so gebaut werden, dass man das Orchester vom Publikum aus überhaupt nicht sieht. Die Diven stehen oben auf der Bühne. Sie sind mir egal. Ich muss sie nicht sehen, und achte nur auf meinen Einsatz. Ich liebe mein Instrument. Und das war alles, was ich liebte, die Töne, die ich ihm entlocke.

Frauen? Frauen. Wer macht das schon mit? Fast jeden Abend spielen. Auch an Wochenenden. Und üben, üben, üben. Das hält keine Beziehung aus. Die Kunst ist meine Braut. Und eigentlich wollte ich nie etwas anderes. Als Kind war die Verlockung groß, immer auf Mamas Klavier herumzuklimpern, bis sie es nicht mehr aushielt und mich zu einem Klavierlehrer brachte, damit ich es richtig lernte. Ich war begeistert. Ich kümmerte mich nicht darum, was andere Jugendliche so machten. Ich galt als ein wenig seltsam. Spielte nie Fußball. Legte Wert auf Kleidung wie sie Pianisten im Konzert trugen. Fliege, weißes Hemd. Einen passenden Frack hatte ich leider nicht, den hätte ich auch den ganzen Tag getragen. Die anderen liefen in Jeans und Parkas herum. Sagten der bürgelichen Welt mit wirren Haaren den Kampf an und hörten etwas, was ich nicht als Musik empfand.

Die Schule schaffte ich so mit Ach und Krach. Mit dem Abitur, meinte mein Vater, da kannste nur entweder Schornsteinfeger oder Künstler werden. Ich entschied mich für Künstler. Auf dem Konservatorium brauchte man ein zweites Instrument. Das war für mich die Bratsche. Das war keine schlechte Entscheidung. Klaviervirtuose oder erster Geiger will jeder werden. Bratsche steht da eher in der zweiten Reihe. Ewiger Orchestermusiker, das sind nicht die jugendlichen Starträume, aber mir war es genug, und ich mochte den gegen die Geige tieferen Klang. Ich fand damit leicht einen Job und war zufrieden.

Dachte ich. Aber im Grunde war mein Leben ein Stillstand. Eingekeilt im Orchester. Im klassischen Repertoire. Das wurde mir aber erst nach Jahren und an einem Abend nach einer Otello-Aufführung bewußt. Ich stand mit meinem Instrumentenkoffer an der Straßenbahnhaltestelle, als mich eine junge Frau ansprach.
"Haben Sie da gerade mitgespielt?"
"Ja, waren Sie in der Oper?"
Sie nickte. Ich fragte, wie es ihr gefallen hatte.
"So lala"
Das schien mir etwas despektierlich Verdi mit "so lala" zu charakerisieren.
Sie meinte:" Verzeihen sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Es war nicht schlecht, aber irgendwie nur routiniert, und die Inszenierung, naja, da hätte man bei den Thema auhc mehr draus machen können, alles ein bißchen lahm, trotz Verdi."
Ich musste ihr recht geben. Es war die 31. Repertoireaufführung, da ist alles nicht mehr so frisch, da lässt die Spannung doch nach.
Sie meinte macht nichts, sie gehe jetzt noch in ein anderes Konzert. Ich wurde neugierig. Sie kam mir nett vor. Sie trug ein sehr kurzes, grünes, in der Farbe changierendes Kunstseidendenkleid und im Haar eine Kunststoffblume, sollte wohl eine Nelke sein. Bißchen ungewöhnlich für Obernbesucherinnen. Irgendwie gefiel mir das. Zu Hause erwartete mich niemand, also sagte ich, dass ich mitkomme. Sie lächelte etwas rätselhaft, ich war gespannt was mich erwartete.

Wir fuhren drei Stationen mit der Straßenbahn, gingen dort um ein paar Hausecken und sie führte mich in den Hinterhof einer Kneipe. Dort war ein Anbau, mit einem Saal. Im Vorraum hörten wir bereits die Musik wummern. Wir zahlten bei einer Frau, die an einem Bistrotisch saß und die uns einen Stempel auf den Handrücken drückte.
Die Türe zum Saal war schwer zu öffnen und innen mit Papierwaben wie in manchen Aufnahmestudios gedämmt. Nicht ohne Grund. Die Musik traf mich wie ein Vorschlaghammer. Im Orchestergraben war es auch laut. Vor allem wenn man das Pech hatte vor dem Blech zu sitzen. Aber das hier war jenseits von allem, was ich bisher gehört hatte. Zumal der Raum nicht so groß war. Vorne war eine niedrige Bühne, auf der die Band agierte. Ich sah erst nur die Köpfe. Die junge Frau nahm mich bei der Hand und drängelte sich mit mir ganz nach vorne bis zum Bühnenrand.
Die Musik war verstörend, eine Art Betonblock aus Lärm. Bestenfalls konnte man einen einzigen Akkord der gleichsam im Raum stand, heraushören. Und von der Sängerin konnte man auch nicht sagen, dass sie sang. Sie raunte mit einer rauchigen Altstimme Unverständliches ins Mikrophon.

In der Oper versteht man auch nicht immer, was die Sänger singen, aber man bemüht sich doch um klare Artikulation. Aber im Lauf der Zeit hörte ich aus dem Lärm eine leichte Bewegung heraus, Modulationen des Klangs, eine neue Kadenz auf der Gitarre, die von den Keybords aufgenommen wurde. Nur die Sängerin, trug unbeeindruckt davon, was der Rest der Band trieb, ihre Worte in einer Art Rezitativ vor. Aber diese Inkohärenz erzeugte eine Spannung, die in mir eine Art Sog zu entwickeln begann. Die Lautstärke trug dazu bei. Ich hatte das Gefühl, den Klang gar nicht mehr über die Ohren aufzunehmen, sondern mit dem ganzen Körper. Ich begann, ohne es zu wollen oder darüber nachzudenken, in dem Achtelschlag des Schlagzeugs mitzuwippen, der durch das Tambourin, das die Sängerin während der Instrumentalphasen des Stückes schlug, synkopiert wurde. Es war wie ein Schock, als die Band ohne Vorwarnung, ohne Akkordauflösung oder Schlussakkord mit einem Schlag aufhörte. Nur das Tambourin schepperte leicht nach.
Das Publikum, nach einer Zehntelsekunde absoluter Stile, pfiff, johlte, klatschte. Irgendjemand hinter mir sagt: "Cool".

Die Sängerin beschattete mit der Hand ihre Augen um gegen die blendenden Spots ins Publikum zu blicken. Ich Blick blieb an mir hängen. Sie fragte von der Bühne herab: "Are you gonna kill us?
Ich war irritiert, schaute meine Begleiterin an, die zuckte mit den Achseln. Ich fragte zurück: "Why should I ?"
Sie deutete auf meinen Bratschenkoffer:"Cause killers always hide their guns in such a bag".
Ich musste lachen. Meine Bratsche, eine "gun" - alles andere als das: " Oh, no, it`s just a viola! Doesn`t do any harm!"
Jetzt schaltete sich einer der Gitarristen ein: "Musican?"
"Yes!"
"Come on" - und er winkte mit der Hand, dass ich auf die Bühne kommen solle. Ich schüttelte den Kopf. Er wiederholte sein "Come on" und meine Begleiterin stieß mir mit dem Ellenbogen in die Seite: "Los, mach es."
Ich weiß nicht, was mich jetzt ritt, vielleicht wollte ich sie beeindrucken, vielleicht reizte mich die Herausforderung. Jedenfalls kletterte ich auf die Bühne, öffnete den Koffer und nahm meine Bratsche heraus. Sie kannte sonst nur das gedämpfte Licht im Orchestergraben oder Konzertsaal, hier glänzte sie im grellen Spot, ich bereute für einen Moment meine Tat und hatte Angst, sie könne in der schwitzigen Athmosphäre dieses Raumes Schaden nehmen. Aber ich war auf den Rücken des Tigers gesprungen, da konnte ich nicht mehr zurück. Der Gitarist fragte mich nach meinem Namen: "Severin".
"Hey, Severin!". Die Sängerin schob mir ein freies Mikrophon hin und stellte es auf die Höhe meiner Bratsche ein und sagte: "Play something". Ich strich mit dem Bogen einmal über die Seiten, der Tontechniker, hatte den Regler aufgezogen und der Ton erfüllte den Raum. Es erfüllte mich mit Freude, mir mit meinem, im Vergleich zu den schrilleren Geigen oder gar den Blasinstrumenten, eher leisen Instrument, Gehör zu verschaffen.
"Our long-time friend Severin is gonna play his violin for you" sprach der Gitarrist in sein Mikro und wies auf mich, einige im Publikum klatschten. Zu mir sagte er leise: "A minor".

Jetzt stand ich da. Ok, A-Moll, das hatte ich verstanden. Aber was damit anfangen. Ich hatte noch nie so improvisiert, Jazz oder Rock war mir fremdgeblieben. Der Schlagzeuger schlug schon seine Stöcke zusammen um den Takt vorzugeben, die Band setzte tatsächlich auch mit dem A-Moll-Akkord ein. Ich spielte erst mal einfach nur den Grundton und wartete. Das Stück war melodiöser als das vorhergehende. Die Sängerin hatte das Tambourin mit einer akustischen Gitarre vertauscht und ich versuchte herauszuhören, was sie spielte. Es kam mir vor, wie ein Schiff, das auf Wellen schaukelte, sich aufschwang zum E, herabglitt zur Subdominante und dann wieder zur Tonika. Ich folgte, und nach und nach verstand ich die Struktur, wurde sicherer und die Töne flogen mir zu. Der Gitarrist, als er merkte, dass ich mitkam, auch die Betonungen mit dem Beat koordinierte, nickte mir aufmunternd zu. Die Sängerin sang zwei Strophen, dann kam ein Gitarrensolo, eine weitere Strophe, und dann wandte sich der Gitarrist mir zu: "Your turn".

Ich bekam einen Schweißausbruch, normalerweise kenne ich kein Lampenfieber, verschwinde ja sozusagen immer im Orchester, aber hier stehe ich voll im Licht, und ohne Notenblatt. Das einzige Geländer war das das Bumm-chack von Basstrommel und Snare und, ja, A-Moll. Was tun? Ich versuchte es mit einer kleinen Reihe der Pentatonik, da kann man nichts falsch machen. Variierte, drehte, Krebs, Spiegelung, das Keybord nahm die Melodie auf, spielte ein zweite Stimme dazu. Ich balancierte auf dem Drahtseil der Töne, bis der Gitarrist kurz aussetzte, ein Zeichen zum Ende gab. Ich spielte die Skala nach unten, der Schlagzeuger machte einen Wirbel und die Band, die die Lautstärke zurückgenommen hatte, stieg wieder voll ein. Die Sängerin schrie ins Mikrophon. "Severin, applause for Severin!" Da Publikum klatsche und tobte, der Schlagzeuger steigerte sich in ein Schlusssolo und die Band ließ die Instrumente ausklingen.

Ich war geflasht. So hatte ich Musik noch nie erlebt. Bei einem Streichquartett, bei dem ich eine Zeitlang mitgespielt hatte, gab es natürlich mehr Interaktion unter den Musikern, aber immer im Rahmen des Notenblattes, und man war auch näher am Publikum. Aber trotzdem, das hier war etwas anderes. Eine Art petit mort, ein Rausch.

Ich packte mein Instrument ein, der Gitarrist sagte noch: "Thanks a lot." Und: "Just stay after the show, lets talk". Ich kletterte von der Bühne. Meine Begleiterin sagte nur: "Wow" und einige der Umstehenden klopften mir auf die Schulter oder hoben den Daumen. Ich überlegte nicht weiter, die Band setzte ein und ich gab mich der Musik hin.

Nach der Zugabe verschwand die Band erst nach irgendwo hinten, dann tauchten die Mitglieder nach und nach am Merch-Stand auf, signierten CDs und t-shirts. Als der erste Ansturm vorbei war, kamen der Gitarrist und die Sängerin auf mich zu: "You are great, wanna repeat this?" Ich erklärte ihnen, dass ich einen langfristigen Vertrag mit dem Orchester der Oper hätte.
Die Sängerin fragte nur: "Do you like your job?"
Ich antwortete:"Somtimes"
Der Gitarrist schnappte sich einen Rechnungblock und einen Stift von der Bar, schrieb seine Handynummer und seine Emailadresse auf, gab mir den Zettel: "Somtimes will never be enough, so give a dam fuck on the opera. Life is not a contract. In a fortnight we gonna start to record some new staff, we´d glad in case you join us."
Meine Begleiterin, die sich unter die noch Anwesenden gemischt hatte, offenbar kannte sie hier einige Leute, tauchte wieder auf: "Na auf dem Weg zum Rockstar?" Ich sagte nur: " For sure, it`s a long way - down or up, who knows…?" Sie grinste: "Damit du dir nicht gleich am Anfang die Füße wund läufst, die letzte Tram ist durch, ich wohne hier um die Ecke."

Nun, es war erstmal nicht so wie ihr jetzt denkt, ich habe brav auf dem Sofa geschlafen. Aber die 32. Repertoireaufführung von Otello fand ohne mich statt. Ich sitze hier in einer zu einem Studio umgebauten Industriehalle in Portland, Oregon, und wir nehmen auf. Und Tina, die Begleiterin jener Nacht, die eigentlich Schuld an allem war, ist mitgekommen.


*****ida Frau
17.847 Beiträge
@*******blau - hach, GENAU das Lied hatte ich auch im Kopf, weshalb es der Vorschlaghammer eben mit auf die Liste schaffte! *hi5*
... davon ab: poorest Ippolito, welch Grausamkeit unter Lisbeths seidig umwogten Busen. *zwinker*
*****ida Frau
17.847 Beiträge
@****one ja, so geht Fusion! *tanz2*
*******t_by Mann
75.469 Beiträge
*bravo* @****one , das liest sich mitreissend, als ob du selbst Musiker bist.
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