Mummias letzte Reise
Quark
mysteriös
bestellen
Lichteinfall
verhackstücken
begraben
Lidschatten
tupfen
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Limburger
Sauerkraut
schelmisch
schnörkelig
quiekend
schlingern
zirpen
flimmern
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Der Lichteinfall durch die Bleiglasscheiben tauchte die Szene in dem kleinen Raum in ein flimmerndes, surreales Violett. Mariella strich mit den Fingerspitzen über die aschfahle Haut. „Tja, bei so einer Faltenlandschaft hilft auch keine Quarkmaske mehr!“, kicherte sie schelmisch, was ihr Bruder Benito mit einem Seitenhieb quittierte. „Etwas mehr Respekt vor Mummia, wenn ich bitten darf.“
„Komm schon. Müssen wir das schon wieder verhackstücken? Sie war nicht unsere Mutter. Francesca war eine alte Schachtel, die ein knallhartes Matriarchat geführt hat. Die ihre knochigen Finger in jedes zwielichtige Geschäft gesteckt hat, in der Hoffnung, ein großes Stück vom Kuchen abzubekommen. Sie hat sich selbst zur Mummia ernannt und darauf bestanden, von allen als Familienoberhaupt gesehen zu werden. Und ihr Schafe habt euch brav und widerspruchslos daran gehalten.“
Mariella war sich außerdem sicher, dass Francesca ihren Vater ermorden ließ, dafür gab es Beweise, doch das erwähnte sie lieber nicht. Eine Auseinandersetzung konnte sie jetzt nicht gebrauchen. Vorsichtig fuhr sie durch das kunstvoll drapierte Haar der Toten. Eigentlich sollte es grau sein, doch Francesca hatte es immer färben lassen. Arturo, der Bestatter, hatte mit einem Haarteil nicht nur perfekt den Sauerkrautton der Haare getroffen, sondern darunter auch geschickt das Einschussloch am Hinterkopf verborgen.
‚Sehr gut’, dachte Mariella zufrieden und tupfte noch etwas am Lidschatten der Alten herum. Alles musste nach einem natürlichen Tod aussehen, damit niemand auf die Idee kam, komische Fragen zu stellen. Francescas Enkel Benito und Mariella waren die Haupterben und würden endlich in den Genuss des ganzen Geldes kommen, das Francesca angehäuft und allen vorenthalten hatte. Es waren mit Sicherheit keine Millionen, aber sicher genug Entschädigung, für die vielen Gefälligkeiten, die sie der Verstorbenen zu Lebzeiten hatten leisten müssen. Ganz zu schweigen von dieser dämlichen Anrede „Mummia“, die Mariella nur mit Mühe über die Lippen gebracht hatte.
Mariella beugte sich über den offenen Sarg und flüsterte: „Ich weiß, dass du eigentlich ein Begräbnis mit allem Schnickschnack im Limburger Dom auf der Wunschliste hattest, aber daraus wird leider nichts. Du wirst begraben wie alle anderen auch: auf dem heimischen Friedhof, mit einem einfachen Stein mit schnörkeliger Inschrift und einem bestellten Pfaffen, der ein paar nette Worte über dich heuchelt!“
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Zur Beerdigung hatten sich mehr Menschen eingefunden als gedacht. ‚Wahrscheinlich wollen sie sich nur davon überzeugen, dass der Drache wirklich tot ist und nicht noch im letzten Moment fauchend und Feuer spuckend aus dem Sarg springt’, dachte Mariella.
Die Gäste standen in zwei Reihen von der Kirche bis zum Grab, so dass die Sargträger zwischen ihnen hindurchgehen konnten. Begleitet vom Klang der Glocken, balancierten sie den reich mit Blumen geschmückten Sarg auf ihren Schultern und bewegten sich gemessenen Schrittes zu Francescas letzter Ruhestätte.
Doch irgendetwas stimmte nicht. Mariella sah, wie Leandro, Francescas Lieblingscousin und einer der Sargträger, das Gesicht verzog und die Totenlade nicht mehr im Gleichgewicht war.
Leandros Pollenallergie war denkbar ungünstig für diesen Job … Mariella fluchte in sich hinein. Bestimmt hatte der Dummkopf von Benito ihm den Auftrag gegeben!
Leandros Niesen erschütterte die ganze Sargträger-Gruppe. Der Schrein fing an zu schlingern und landete schließlich mit lautem Gepolter zwischen ihnen. Aus dem beim Aufprall zerborstenen Deckel hing Francescas Oberkörper absurd verdreht aus der Öffnung. Ein quiekender Aufschrei ging durch die Menge, und Mariella verfolgte entsetzt, wie einer der Anwesenden etwas vom Boden aufhob. Dort, wo vorher Francescas Haarteil befestigt war, klaffte nun ein unschönes Loch.
Stille breitete sich aus, nur die Grillen war zu hören, die Francescas letzten Triumph mit Ihrem Zirpen zu feiern schienen.