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Geschichtenspiel Teil 45

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*******ert Frau
1.684 Beiträge
Ich hab's einem Bekannten geschickt dem hat es ebenfalls total gut gefallen. *love3*
*********cht76 Mann
908 Beiträge
Ich werde auch immer mehr zum @********-Fan!
**********silon
6.653 Beiträge
Du musst wandern
von den einem zu dem anderen

Sklave Nimmersatt saß völlig zerstört in seiner Ecke und sprach: „Ich fühle mich zerstört.“ Dabei fuhr er sich immer wieder über seine nackte Schädeldecke und probte das große Einseifen, das vermutlich morgen oder so beginnen würde, wenn er nicht super fix herausfinden würde, wohin seine Mahlzähne verschwunden waren.
Ihm gegenüber saß die kleine Maus im Schneidersitz und zählte die Flocken im Getümmel über ihr. Fasziniert beobachtete sie ihren Rappelkopf, wie er sich mit seinen Gedanken zermarterte, ohne den Tonarm vom Plattenteller nehmen zu wollen und ohne den Fallout etwas entgegenzusetzen.

„Ich habe von Zähnen geträumt“, sagte er und legte seine Stirn in Falten.
„Ich habe von meinen Zähnen geträumt“, wiederholte er sich, „wie sie Polka tanzen“.
„Ich habe ihnen dabei zugeschaut“, fuhr er fort, „wie sie ihren Ringelreigen um das Siegel des Affengeistes tanzen.“
„Ich habe ihre Stempel gesehen, mit denen sie sich einander eine Eintrittskarte verpassen.“

Sklave Nimmersatt schwieg. Sein Oberkörper schaukelte vor und zurück. Dabei umarmte er sich selbst, und ein Schauer überzog seinen Rücken. Er verspürte eine gewisse Faszination, als er der kleinen Maus beim Flockenzählen zuschaute. Und er fragte sich, wie sie dabei so zauberumstrickt ruhig bleiben konnte. Er verhehlte seine aufkommende Bewunderung desderwegen nicht.

„Bist du meine Leermeisterin?“, fragte er und fürchtete sich klammheimlich davor.

Die kleine Maus sperrte ihr Spitzmäulchen weit auf und begann damit, die Flocken des Getümmels mit der Zunge einzufangen. Nach einer Weile schloss sie ihr Mäulchen wieder und sprach zum Sklave Nimmersatt: „Nein. Aber ich kann dich lehren, die Unendlichkeit deiner Gedanken in einen Fluss zu leiten. Damit du ihnen dabei zusehen kannst, wie sie an dir vorüberfließen.“

Nimmersatt machte große Augen. Mit seiner Zungenspitze betastete er all seine noch vorhanden Zähne im Mund. Nur einer seiner Backenzähne fehlte. Und der hatte schon vor Jahren ins Gras gebissen.
Und dann begann er zu zwinkern, so als ob er plötzlich vom Fahrtwind der Nacht etwas ins Auge bekommen hätte. Und seine langen Wimpern klimperten eine lautlose Melodie, während die kleine Maus ihn anlächelte.

„Willst du mir folgen bitte?“, fragte sie und wedelte schwungvoll mit ihrem langen Schwanz in Richtung Zifferblatt der Turmuhr. Inmitten dieses war eine geflügelte Glastüre erschienen. Und hinter ihrer milchigen Glasfront konnte man undeutlich ein erleuchtetes Gewirr aus Treppen-Auf- und Abgängen erkennen.

Dann schlug die Turmuhr zur nullten Stunde.
Nimmersatt saß wieder auf seinem Drehschemel, während seine Füße noch immer im nicht mehr warmen Wasser planschten und zwischen den Zehen schon kleine Schwimmhäute bekommen hatten.
„Da kann ich ja nun mit meinem Schwimmkurs loslegen“, dachte er sich und lächelte.
In Gedanken hatte er den Stapel aus Papieren auf seinem Schreibtisch zu Papierbooten gefaltet und setzte diese nun zu seinen Füßen in den Fluss der Nacht.

© CRSK, LE, 01/2023

Die 8 reizenden Worte dieser Nacht:
  • • Faszination
  • • Schwungvoll
  • • Zauberumstrickt
  • • Flockengetümmel
  • • Rappelkopf
  • • Klammheimlich
  • • Klimpern
  • • Unendlichkeit

Bildbestandteile: Pixabay,
Composing: ich
*******tia Mann
5.162 Beiträge
Der Bauernbub und die alten Männer
Für Nepomuk war das Leben in seinem kleinen Gebirgstal in Ordnung. Die Welt war von einer phantastischen Unendlichkeit, jedenfalls dann, wenn er auf seinem Berg stand und den Blick in die Ferne schweifen lassen konnte. Noch war die kleine Welt, die ihn umgab, groß genug für sein kleines Leben. Nächstes Jahr würde er in die große Stadt ins Gymnasium gehen müssen. Ein Gedanke, der ihn neugierig und nervös zugleich machte. Das Lernen fiel ihm leicht, denn er konnte jedem Erkenntnisgewinn eine gewisse Faszination abgewinnen.

Fasziniert war er auch von seinem Freund Niam. Die erste Begegnung hatten sie auf der Rodelpiste im Flockengetümmel des letzten Winters. Niams Kopf zeichnete sich schwarz ab, im scharfen Kontrast zum Weiß des Schnees. Nepomuk wunderte sich, wie dunkel die Haut eines Jungen, offenbar in seinem Alter, sein konnte. Der Schwarze hatte keinen Rodelschlitten dabei, sondern nur eine alte Plastiktüte, mit der er versuchte, den Hang hinunterzurutschen.

„Was bist Du denn für ein Rappelkopf, der ohne Schlitten hier auftaucht?“ fragte Nepomuk frech.
„Und Du?“, antwortete das schwarze Gesicht mit überraschend fließendem Deutsch: „Hast Schlitten von Opa? Nix neue Plastik-Bob, wie andere Kinder?“
Nepomuk schaute überrascht. In der Tat, alle anderen Kinder waren unterwegs mit den modernsten Modellen: Einsitzer, Zweisitzer, mit Lenkrad, mit Bremsen, mit Sitzheizung, mit Warnleuchten. Rot, Grün, Blau, Gelb, Lila, Rosa. Alle Farben waren vertreten unter diesen futuristischen Spielzeugschlitten.
„Der ist wenigsten stabil. Der hält schon seit Jahren. Und flott ist der. Man muss nur zu lenken wissen, ohne Lenkrad!“ konterte Nepomuk mit trotzig erhobenem Kinn.
„Alte Holzbock“, provozierte Niam.
„Willst mitfahrn?“, nahm Nepomuk ihm die Luft aus den Segeln.
„Ok“, grinste Niam, „ich schieb an und bremse, Du lenkst.“
Nepomuk rutsche auf seinem Holzschlitten nach vorne, Niam schob an und sprang schwungvoll auf. Los ging die wilde Fahrt, geschickt wichen sie jedem lahmen Plastikbomber aus. Fahrt um Fahrt wurden sie raffinierter. Sie waren die Könige der Piste, keiner der Plastikschlitten konnte sie einholen.
„Bahn frei, Kartoffelbrei!“ lautete ihr Schlachtruf. Dabei dachte Niam an die Süßkartoffel, während Nepomuk eher an den Kartoffelsalat seiner Oma dachte.

Zauberumstrickt war ihre Freundschaft seit diesem Tag. Anfangs trafen sie sich in den folgenden Tagen klammheimlich an ihrem Geheimversteck oben am Berg, da sich Nepomuk nicht sicher war, ob er mit den Kindern aus dem seltsamen Haus spielen durfte. Seltsam deshalb, weil dort ganz viele Menschen wohnten und Nepomuk sich fragte, ob denn wirklich jedes Kind sein eigenes Zimmer haben durfte. Außerdem war das Haus von einem Zaun umgeben, der oben mit Stacheldraht versehen war. Die meisten Erwachsenen, die man dort traf, sprachen fremde Sprachen, wirkten traurig, wütend oder einfach nur müde, und vertrieben sich die Zeit mit Würfelspielen und Rauchen.
Irgendwann bat Nepomuks Mutter, er möge doch seinen Freund mal mitbringen.
„Welchen Freund?“, fragte Nepomuk scheinheilig.
Seine Mutter sah ihm als Antwort, mit einem Grinsen im Gesicht, tief in die Augen. Seit dem durfte Niam jederzeit zu Besuch kommen, manchmal sogar übernachten. Nur umgekehrt durfte Nepomuk nie in das seltsame Haus gehen, um Niams Zimmer zu sehen und seine Familie kennenzulernen.

Es folgte ein Frühling, ein Sommer und ein Herbst, in dem sich die Freundschaft vertiefte. Niam lernte von Nepomuk wissenswertes über die heimischen Gepflogenheiten. Gemeinsam eroberten sie Wiesen, Wälder und Berge. Durch ihre fröhliche Art, die beide gemeinsam an den Tag legten, eroberten sie auch die Herzen der Dörfler.
„Schauts, Milch und Schokolade kommen“, wurden sie bemerkt, wenn sie den kleinen Tante-Emma-Laden betraten. Milchkaffee, wurden sie auch genannt. Zwei wie Pech und Schwefel. Oder Klavier, wegen der weißen und schwarzen Tasten.
Nepomuk erfuhr auch einiges über Somalia, das Land, aus dem Niam mit seinen Eltern geflohen war. Kindersoldat hätte Niam dort werden sollen. Nepomuk konnte sich darunter nichts vorstellen. Was sollte ein Kindersoldat tun? Vielleicht die Schuhe von Generälen putzen? Sandburgen verteidigen? Ebenso konnte er sich nicht vorstellen, wie es ist, wenn Niam von Hunger und Durst erzählte. Und von der Angst, wenn die Milizen durch das Dorf zogen. Zog hier im Dorf das Militär durch die Straßen, dann meistens unter dem Jubel der Bewohner, weil gerade irgendein Dorffest war, zu der eine zünftige Militärparade gehörte. Und wieso Niams Familie tagelang in einem überfüllten Boot reisten. Wieso hatten die kein Auto genommen, um zu einem Flughafen zu kommen? So, wie er es kannte, wenn er mit seiner Mutter in den Urlaub aufbrach. Viele Fragen blieben offen, aber ihrer Freundschaft tat dies keinen Abbruch. Jede freie Stunde verbrachten sie zusammen, meist in ihrem Geheimversteck am Berg, wo sie die Aussicht über das Tal genossen und sich gegenseitig eine rosige Zukunft als Profifußballer oder Popstars ausmalten. Oder Bergsteiger, die eines Tages weitergehen würden, hinauf über die Grenze des Bereichs, der ohne Kletterausrüstung zu erreichen war.

Es wurde wieder Winter. Eines Tages musste Nepomuk für ein paar Tage ohne seine Mutter auskommen. Der Opa war ja auch noch da und die Oma sorgte für den guten Kartoffelsalat. Nun hatte der Opa auch mal wieder Lust auf einen deftigen Schweinsbraten und das dunkle Winterbockbier. Die Oma hatten ihn lange genug auf Diät gesetzt, wegen dem Cholesterin. Kurzerhand nahm der Opa den Nepomuk mit auf einen Spaziergang, während die Oma am Sonntagnachmittag auf dem abgewetzten Sofa in der Küche zu ruhen gedachte.
Der Opa begann mit dem Kleingeld in seinem Hosensäckel zu klimpern und versprach Nepomuk ganz viel Cola und Pommes, wenn er der Oma nichts erzählen würde.
„Kann ich denn den Niam mitnehmen?“, fragte Nepomuk?
„Naa, den lässt lieber, wo er ist!“, antwortete der Opa leicht ungehalten.

Sie landeten in der Gemeindehalle. Über der Tür hing ein blauer Banner mit einem roten Zeichen darauf, welches Nepomuk an verbotene Zeichnungen von Pimmeln erinnerte. „Klartext! Deutlich!! Jetzt!!!“, konnte er darauf lesen. Er musste grinsen. Er erinnerte sich an seinen Deutschlehrer: „Wer mehr als ein Ausrufezeichen setzt, trägt die Unterhose auf dem Kopf.“

Der Lärm in der Halle war im ersten Moment ein Schock für Nepomuk. Dicke Rauchschwaden von Zigaretten, Zigarren und Pfeifen lagen in der Luft. Es roch muffig nach abgestandenen Bierpfützen, Bratenfett und kalter Asche. Ein weiterer Geruch mischte sich dazu, als Opa den Nepomuk durch die Reihen der Biertische und Festbänke zog. Nepomuk dachte an die Stiere auf der Weide. Was er nicht wusste: Er roch Angstschweiß und Testosteron.

Sie fanden zwei freie Plätze zwischen ziemlich fetten Ärschen, die ihre Lederhosen mehr als ausfüllten. Als die Bedienung kam, eine dralle Dame im Dirndl, der die Brüste fast aus dem Dekolletee ihres Dirndls hüpften, bestellte der Opa augenzwinkernd:
„Mir a Halbe und dem Buam a Cola-Bier, außerdem einen schön'n Schwoinsbrat'n und an Eimer voll Pommes!“
Opa zwinkerte dem verängstigten Nepomuk zu: „Derfst heut' emal was G'scheits saufa.“
Nepomuk bekam tatsächlich das braune Gemisch vor die Nase gestellt. Opa hob sein Glas zum Anstoßen, ebenso wie einige andere Männer am Tisch: „Prosit!“
Nepomuk fühlte sich stolz, wie ein Erwachsener. Er, mitten unter diesen gestanden Männer, die mit ihm anstießen und die Gläser hoben. Er nahm einen großen Schluck. Bitter schmeckte das Bier mit dem ersten Schluck, doch mit weiteren Ansätzen gewann die Süße der Cola und verdrängte die herbe Würze des Hopfen. Den Alkohol schmeckte er kaum, spürte ihn aber bald in der Blutbahn.

Die Musik verstummte, die Menge rief aus hunderten von Männerkehlen „Bubsi, Bubsi, Bubsi“, ein Mann betrat die Bühne. Klein, wenig Haare, traditionelle Kleidung. Die Stimmung explodierte und der kleine Nepomuk geriet in Euphorie, weil er mitten unter diesen vielen jubelnden, begeisterten und betrunkenen Männern sein durfte. Alkohol schafft Einheit.
Nepomuk erwartete, dass dieser Mann auf der Bühne zur Unterhaltung beitragen würde, also zum Beispiel singen, tanzen oder jodeln. Oder alles zusammen. Doch nichts davon passierte, er fing einfach nur an zu reden. Zuerst wollte Nepomuk gar nicht zuhören. War das nicht einer dieser langweiligen Politiker? Er sah sich in der Menge um und spürte bei den Gästen eine zunehmende Begeisterung. Die jubelnden Zurufe wurden lauter, die Beifallsepisoden immer länger.
„Endlich ist er bei uns, einer der unseren geworden“, hörte Nepomuk einen dicken Mann am Tisch rufen.
„Richtig, der Parteiwechsel war so wichtig und richtig“, stimmte ihm ein anderer Lederhosenträger, nassgeschwitzt und rotkopfig, zu. So sah Opa bei seinem ersten Herzinfarkt aus, dachte sich Nepomuk, doch er wollte sich keine Sorgen machen um die umstehenden Männer. Er wollte mit allen zusammen diese Begeisterung spüren.

„...das Land zurückholen - die Demokratie an uns reißen – es denen da oben in Berlin zeigen – hängen sollen sie – nieder mit den Bildungseliten – Fleiß muss wieder seinen Preis haben ...wir lassen uns den Schweinsbraten nicht verbieten von der Wokeness ...“
Diese und ähnliche Sprachfetzen konnte Nepomuk verstehen. Wie im Fieber stimmte er in die Jubelschreie der Erwachsenen mit ein, ließ sich mitzerren von einer Welle der unbändigen Hingabe. Solche Begeisterungsstürme konnte der Pfarrer in der Kirche nie auslösen. Hier war endlich mal was los!
Aufmerksam wurde Nepomuk, als einige Sätze über Afrika fielen. Niam stammte aus Somalia, das lag doch in Afrika, oder?
„Die Schwarzen, die Finanzjuden und die Islamisten, sie kommen daher in unser Land und wollen uns alles stehlen. Sie stehlen unser Geld, behaupten, sie haben Hunger, aber wollen unser Schweinefleisch nicht. Mit ihren vielen Kindern verdrängen sie anständige, christliche Kinder aus den Klassenzimmern. Ihre Männer, die vielen vielen jungen Männer, die nicht arbeiten wollen, stehlen und vergewaltigen unsere Frauen und Mütter und Großmütter...“
Jubelstürme brandeten auf. Nepomuk bekam Angst bei den Worten des Politikers. Hatte er sich selbst den Feind ins Haus geholt? Wo war jetzt gerade eigentlich seine Mutter? Wurde sie bereits von einer Horde afrikanischer Männer entführt? Und Oma war schutzlos allein zuhause.
Der Politiker setzte dem nachlassenden Publikumsgeschrei noch einmal nach:
„Wer weiß, vielleicht entführen sie auch unsere Kinder, um ihnen das Blut auszusaugen, damit sie ewig leben können, im geheimen Bund mit den zionistischen Eliten, die euch, der eigentlichen Herrenrasse von edlem Blut, alles nehmen und verbieten wollen!“ Pfiffe und Schreie hallten lautstark durch den Saal.
„Ich sage euch: Lasst es nicht länger zu! Steht auf und bringt diese woke Gesellschaft, von der man nicht mehr weiß, wer Männlein, Weiblein oder sonstwas ist, auf den Müllhaufen der Geschichte!“
Ohrenbetäubender Lärm brach aus.

So ging das noch einige Stunden weiter. Nepomuk futterte alle Pommes auf und bekam noch ein zweites Cola-Bier. Später, auf dem Nachhauseweg mit dem Opa, wurde ihm schlecht. Er kotzte in den Vorgarten des Schuldirektors und besudelte den Gartenzwerg, der eine rot-weiße Fahne mit der rot-weißen Aufschrift „GEW“ in der Hand hielt.
„Scho recht so, Neppi, des trifft koan Falschen“, klopfte er dem Jungen auf den Rücken, während der sich die Seele aus dem Leib reiherte. Opa und Nepomuk erzählten in den folgenden Tagen nichts von ihrem Ausflug, weder der Mama noch der Oma. Nepomuk zog sich zurück und vermied jede Begegnung mit Niam. Er erfand immer neue Ausreden, weshalb sie nicht zusammen spielen konnten. Schließlich musste er sich auch noch auf den Übertritt ins Gymnasium vorbereiten.

Eines Tages musste Nepomuk doch mal raus. Die ewige Paukerei ging ihm auf die Nerven. Er lief auf den Berg hoch, instinktiv zum Geheimversteck, ohne dabei an Niam zu denken. Sollte der doch in seiner Stacheldrahtfestung, mit all den anderen verrückten Afrikanern, verrotten. Nepomuk hatte sich bereits tief in seine angestachelte Wut auf seinen einstigen Freund gesteigert. Opa half ihm gelegentlich heimlich dabei, beim Sich-in-seine-Wut-steigern. So saß er jetzt auf seinem Aussichtsplatz und ließ auch hier die Wut weiter wachsen. Wut ist ein sich selbst entzündendes Feuer und wärmt so schön von innen, während man in der kalten Winterlandschaft sitzt und sich im Geiste erhitzt. Nach einer gefühlten Ewigkeit trat er den Rückweg an. Zeit fürs Abendessen. Als er gedankenverloren den schmalen Steg erreichte, der über den Gebirgsbach führte, erschrak er. Direkt vor ihm auf der anderen Seite des Stegs, stand Niam. Sein schwarzes Gesicht verschwand fast im dunklen Tann bei der bereits einsetzenden Dämmerung.
„Was willst Du?“, rief ihn Nepomuk an. Sie trafen sich in der Mitte der schmalen Brücke, der das Geländer fehlte.
„Lass mich vorbei!“, befahl Nepomuk. Sah er da Tränen im dunklen Gesicht aufblitzen?
„Was ist los mit Dir? Warum gehst Du mir aus dem Weg? Was habe ich Dir getan?“, wollte Niam wissen. Nepomuk wusste darauf keine wirklich Antwort. Ja, was eigentlich? Trotzig schrie er Niam an: „Lass mich vorbei. Ich will Dich nicht mehr sehen. Du kannst nicht mehr mein Freund sein!“
Schweigen. Abwarten. Anspannung.
„Nein“, war jetzt Niam an der Reihe, trotzig zu sein, „zuerst erklärst Du mir, was los ist!“
In Nepomuks Kopf ratterte es. „Rappelkopf“, dachte er und hätte fast gegrinst. Doch was sollte er erzählen? Vom Cola-Bier? Von den gestandenen Männern, die ihn in ihre Reihen aufnahmen? Vom Opa, der ihm beim Kotzen stolz auf die Schulter klopfte? Vom Hass auf alle, der so schön von innen wärmte? Trotzig drehte er sich um, wollte zurück laufen zum Geheimversteck. Er kam nicht weit. Sein Fuß rutsche weg auf einer Eisplatte, die er vorher übersehen hatte. Er verlor das Gleichgewicht und fiel. Es war nur eine Sekunde …

„Nein“, schrie Niam in lauter Verzweiflung. Ihm war sofort klar, dass er seinem Freund nicht mehr helfen konnte. Schmelzwasser aus den verschneiten Bergspitzen hatten den kleine Gebirgsbach zu einem reißenden Wildbach anschwellen lassen, der kleine Felsen und gebrochene Baumstücke in seiner wilden, braunen Brühe voller Gischt, mit sich führte. Entsetzt rannte er zurück zum Wohnheim. Nachdem er dort seinen Eltern von dem tragischen Unfall erzählt hatte, fingen diese sofort an, die Koffer zu packen. In dieser aufgeheizten Stimmung, überall im Land, würde es kaum Sinn machen, die Unschuld eines somalischen Kindes beteuern zu wollen.

Enzian-Nachrichten vom 13.01.2024:
„In Strunzingen wird ein 10-jähriger Junge vermisst. Freiwillige Suchmannschaften, Feuerwehr und Polizei suchen seit 24 Stunden nach dem Vermissten. Bisher konnte noch keine Spur gefunden werden. Eine Familie aus Somalia, deren ebenfalls 10-jähriger Junge als Freund des Vermissten im Bergdorf Strunzigen bekannt war, steht im Verdacht, etwas mit dem Verschwinden des Opfers zu tun zu haben. Die Familie befindet sich auf der Flucht, bisher fehlt auch hier jede Spur.“

____________________________________________________________
© by impotentia

Mods, Aufpasser, Sittenwächter: Ja, der Protagonist ist ein Kind, aber es ist keine Geschichte, die irgendwas mit Sex oder unsittlichen Handlungen zu tun hat. Kann also nach meinem Erachten in einer Gruppe voll erwachsener Literaten stehen bleiben.
Danke.

• Faszination
• Schwungvoll
• Zauberumstrickt
• Flockengetümmel
• Rappelkopf
• Klammheimlich
• Klimpern
• Unendlichkeit
*******o_F Mann
3.221 Beiträge
Eine unglaubliche Geschichte, @*******tia .

Ich bin sehr beeindruckt von deinem Gesamtkunstwerk, dem Inhalt, der Message, deinem Stil. Wäre ich nicht ein relativ neidloser Mensch, wäre ich jetzt vielleicht etwas neidisch, weil ich gerne auch so schön schreiben würde.

Grosses Kino!!! (Die Geschichte verdient die Unterhose auf dem Kopf)
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*******ert Frau
1.684 Beiträge
Bin auch zutiefst beeindruckt. Stellenweise vielleicht ein kleines bisserl überzeichnet aber was weiß ich schon vom Dorfleben. Ganz toll jedenfalls und auch wichtiges Zeitzeugnis.
*******tia Mann
5.162 Beiträge
Danke Euch, @*******o_F und @*******ert *knicks*
*********nd_69 Frau
7.517 Beiträge
Zitat von *******ert:
...vielleicht ein kleines bisserl überzeichnet....

Aber nur vielleicht. Der Bubsi hat nur am ersten Buchstaben einen Strich ganz unten verpasst bekommen und wenn er von den blauen Braunen die Chance auf eine Kanzlerkandidatur bekommt, ist er so schnell bei denen, dass die Gummisohlen rauchen und stinken.
*******tia Mann
5.162 Beiträge
Vielleicht ein bisschen überzeichnet, ist ja alles auch nur ausgedacht. Andererseits passieren zur Zeit Sachen, die mich befürchten lassen, dass nichts mehr unmöglich ist. Würde ich schon, für meine Geschichten, zu denen gehören, die abgeschoben werden sollen?

Gut erkannt, @*********nd_69 *zwinker*
Me 2
*********ld63 Frau
8.551 Beiträge
Mich hat deine Geschichte sehr bewegt, @*******tia.

Großartig geschrieben, wie wir das von dir kennen, sowieso! *bravo* ich hätte mir natürlich einen anderen Schluss gewünscht, aber das Ende war leider auch realistisch und bleibt so lange im Gedächtnis.

Aber sie war auch der Anlass dafür, dass ich eben beim ausgedehnten Frühstück einem guten Freund davon erzählte und wir 2 Stunden über die die Immigrationspolitik, die Rolle der Rechten und Linken dabei und vor allem aber - und das liegt mir am meisten am Herzen: über die Wichtigkeit der Integration anderer Kulturen in Deutschland diskutiert haben. Wir brauchen sie so dringend - in so vieler Hinsicht, auch wegen ihrer menschlich-sozialen Komponente.

Danke dir sehr dafür! *love4*
*******o_F Mann
3.221 Beiträge
Wir müssen vor allem endlich aufhören, diesen Ländern die Ressourcen zu „stehlen“ und deren Lebensgrundlagen zu zerstören.
**********gosto Frau
16.056 Beiträge
8-Wörter-Spiel (4)
Faszination
schwungvoll
zauberumstrickt
Flockengetümmel
Rappelkopf
klammheimlich
klimpern
Unendlichkeit

Über die Faszination einer Graswurzelbewegung

Van Staben
Schon mal von Greg Terry gehört?

Habeck
Nee, sollte ich?

Van Staben
Das ist ein Amerikaner, wohl ursprünglich russischsprachiger Ukrainer, der ein internationales Netzwerk aufgebaut hat, mit dem er private Hilfsgüter für die Ukraine sammelt und persönlich dort abliefert.

Habeck
Ich kann nachfühlen, dass viele Leute frustriert darüber sind, dass ihre Regierungen nicht genug und vor allem nicht schnell genug tun, um die schwer bedrängte Ukraine zu unterstützen. Geht es darum?

Van Staben
Genau darum geht es. Greg Terry gibt ihnen die Möglichkeit, ganz konkret dringend benötigte Dinge für die Ukraine zu kaufen oder dafür zu spenden.

Habeck
Das ist aber doch nichts Neues.

Van Staben
Doch! Greg Terry hat nämlich was ganz Neues zusammengeklimpert. Also, stell dir vor, du willst was Konkretes tun, um der Ukraine zu helfen.

Habeck
Ok, ich stell‘s mir vor.

Van Staben
Dann kannst du bei Amazon etwas kaufen, vom Erste-Hilfe-Set bis zur Drone, und von Greg Terry in die Ukraine schaffen lassen.

Habeck
Und es kommt dort auch an? Bei denen, die‘s wirklich brauchen?

Van Staben
Genau das ist die Grundidee! Dieser Rappelkopf schafft deine Spende per Flugzeug, Bahn und Auto durchs Flockengetümmel bis an die Front.

Habeck
Und wird dadurch so schwungvoll wie klammheimlich zur Hoffnung einer globalen Graswurzelbewegung.

Van Staben
So ist es. Und das beste ist -

Habeck
⁃ dass die Sympathie für ein bedrängtes Land sich nicht in Resignation erschöpft -

Van Staben
⁃ sondern sich sozusagen zauberumstrickt bis in die Unendlichkeit erstreckt.

Habeck
Ein Hoffnungsfunken im neuen Jahr!

Van Staben
Hast du das jetzt mitgekriegt? Jeder einzelne Spender sieht, wie seine Spende dort ankommt! Er kann also etwas bewirken unabhängig davon, wie zauderlich seine Regierung sein mag.

Habeck
Ja, ich hab‘s kapiert!

Van Staben (beugt sich zu ihm)
Und das Geilste, für mich zumindest -

Habeck
Ja?

Van Staben
Du kannst eine Drone spenden und deinen Namen drauf anbringen lassen! Dein persönlicher Gruß an Putin!

Habeck
Nee!

Van Staben
Doch!
Eine Drohne für die Ukraine (Quelle: Amazon)
*******tia Mann
5.162 Beiträge
Schade, die Drohne kann ich mir nicht leisten, @**********gosto, sonst würde ich vielleicht auch eine schicken.

Danke @*********ld63, freut mich zu hören, dass so eine kleine Geschichte Anlass zu Diskussionen sein kann.
Me 2
*********ld63 Frau
8.551 Beiträge
Zitat von **********gosto:
Du kannst eine Drone spenden und deinen Namen drauf anbringen lassen! Dein persönlicher Gruß an Putin!

*lol* @**********gosto! Mal wieder ein herrlicher Dialog zwischen den beiden! *bravo*

Ja, @*******tia, das stimmt - aber es ist sowieso ein wichtiges Thema, finde ich. Ich bin ja auch Anleiterin/Ausbilderin für die Pflege-Azubis und Praktikanten in der Pflege, die zu 90% aus anderen Ländern kommen. Die meisten von ihnen haben mehr soziale Skills, Herzenswärme und Freundlichkeit als unser Nachwuchs hier - sie begeistern mich und ich bin sehr glücklich darüber, dass sie uns hier unterstützen. *herz2*
*********cht76 Mann
908 Beiträge
Gestern gab es bei uns in Greifswald eine Demonstration unter dem Motto "Gesicht zeigen gegen Rassismus". Für mich war es selbstverständlich hinzugehen. Und es waren trotz des Wetters 1300 Leute da! Für eine Stadt mit 60000 Einwohnern gar nicht so schlecht! *love5*
Me 2
*********ld63 Frau
8.551 Beiträge
Wow, @*********cht76, das ist toll! *top*
*******tia Mann
5.162 Beiträge
@*********cht76
Ich bin auch nicht überzeugt von der Mär vom Dunkeldeutschland und dem besonders dunkelbraunen Osten. Meine kleinen Reisen in den Osten konnten das nicht bestätigen. Es scheint mir eher, dass die "Wessis" das schlechte Gewissen auf die "Ossis" abwälzen, im Herzen aber ebenso tiefbraun sind. Die "Wessis" schämen sich vielleicht nur ein bisschen mehr.

Noch ...
*********cht76 Mann
908 Beiträge
Zugegebenermaßen ist Greifswald als Studentenstadt da nicht unbedingt repräsentativ.
*******tia Mann
5.162 Beiträge
Das Stadt-Land-Gefälle haben wir hier auch. Es gibt auch hier ganz kleine Ortschaften, wo manche nicht mehr in die Dorfkneipe gehen, weil sich dort die AfD trifft.
*****ida Frau
17.830 Beiträge
Dieses Abschieben des eigenen Rassismus, des eigenen Nicht-Hinschauen-Wollens, beschreibt Frau Frenzel in ihrem Buch 'in eurem Schatten beginnt mein Tag' sehr eindrücklich; ich bin durch Zufall (... den es ja nicht gibt *zwinker* ) auf das Buch gestoßen und ziemlich begeistert. Hat auch schon zu sehr schönen und spannenden Diskussionen geführt.

https://www.berliner-zeitung.de/kultur-vergnuegen/literatur/veronica-frenzel-die-gefuehlswelt-der-nazizeit-habe-ich-auch-in-mir-entdeckt-li.272315
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*******ert Frau
1.684 Beiträge
Zitat aus dem o. g. Interview:
'' Ich glaube, dass das am Ende der Weg ist. Dass wir sehen, dass wir nicht die Person sind, die wir möglicherweise sein wollen, sondern anerkennen, dass wir anders sind. Und dann sehen, was uns daran nicht gefällt. ''

Das isses. Da bin ich in anderem Zusammenhang auch schon mal draufgekommen.

Solange die Leute extra betonen wollen, keine Rassisten zu sein, stimmt was nicht. Sobald es wurscht ist wer woher kommt ist es gut. Außer er spricht nen grauslichen Dialekt *mrgreen*
*****ida Frau
17.830 Beiträge
Zitat von *******ert:
Solange die Leute extra betonen wollen, keine Rassisten zu sein, stimmt was nicht.

... das ist wie die Menschen, die sagen 'ich bin für Feminismus, aber (!!!!)....' - da weißte schon, was kommt... *lach*
daher bin ich seit Jahren eine gläubige Anhängerin vom Aber_Glauben: alles, was vor Aber steht ist eine Lüge. *smile*
*******o_F Mann
3.221 Beiträge
Zitat von *******tia:
@*********cht76
Ich bin auch nicht überzeugt von der Mär vom Dunkeldeutschland und dem besonders dunkelbraunen Osten. Meine kleinen Reisen in den Osten konnten das nicht bestätigen. Es scheint mir eher, dass die "Wessis" das schlechte Gewissen auf die "Ossis" abwälzen, im Herzen aber ebenso tiefbraun sind. Die "Wessis" schämen sich vielleicht nur ein bisschen mehr.

Noch ...

Braune Kacke duftet nirgendwo nach frischen Rosen, weder im Osten, noch im Westen.
*******tia Mann
5.162 Beiträge
... und da ich keine Likes habe:
Danke an @*****ida für den verzauberten Schneemann.
@**********silon: Da sieht einer seinen Zähnen beim Tanzen zu? Ich musste grinsen, damals mit der Band, hatten wir eine Liedzeile: "...und ich fall mir beim Lachen die Zähne raus!" *g*
*******tia Mann
5.162 Beiträge
Und ein Like an @*****a99 für den Paul von Rappelkopf, den haben sich sicher viele in ihrer Kindheit gewünscht.
Und ein Like an @*********cht76: Wirklich 42? Ist das bei Hexen so? Oder ist die Zahl bei Douglas Adams geliehen? *zwinker*

Puuh, man kommt mit dem Nachlesen gar nicht nach hier. Ihr schreibt alle so schnell und viel.
Ich bitte um Entschuldigung, sollte ich eine Perle der Literatur übersehen!
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