Wo bist du geblieben?
Lisa Lonely saß auf ihrem Hosenboden, drehte Däumchen und trank dabei einen Schlucken nach dem anderen von ihrem Jägertee. Seit Stunden schon hing sie im Netz herum und hatte dabei völlig vergessen, dass sie morgen früh um Punkt acht Uhr auf der Matte stehen musste.
Denn ein neuer Job hatte sich - von Amtswegen vermittelt - angekündigt gehabt. Und sie freute es, ein wenig ihrer Tristesse entfliehen zu können. Dabei wohnte sie in einer Wohngemeinschaft mit lauter sehr netten Menschen. Diese waren sogar so zuvorkommend, dass sie fast nie darüber beschwerten, wenn sie sich ungefragter Weise an ihrem Essen oder an ihren Getränken bediente.
Vor allem an deren Umdrehungen.
Danach stand ihr dieser Tage öfters der Sinn. Denn nur mit Umdrehungen fühlte sie sich wohlig warm und geborgen. Denn nur so fühlte sie die innere Sicherheit, so zu sein, wie sie sein wollte, um das zu sagen, was sie dachte und eben verlauten lassen wollte. Egal was die Welt da draußen davon hielt, auch wenn sie sich das nur einbildete. Denn am Ende wollte sie einfach nur geliebt werden. Egal von wem.
Seit Stunden saß sie auf ihren vier Buchstaben und harrte der Dinge, die da kommen mögen. Sie wartete auf jemanden oder vielmehr auf etwas. Auf ein Ding, eine Tatsache, ein Umstand. Ein Kleinod, dass sie sich von jemand anderen erhoffte. Es von ihm so aber nie bekam.
Sie wartete auf etwas und spülte sich dabei innerlich das Hier-sein hinfort. Hinfort zu anderen Landen. An Gestade, wo ihr alles gut zu werden schien. An denen alles heil war und überhaupt erst einmal das existierte, was sie sich erhoffte und wonach sie sich sehnte.
Sie war schon lange nicht mehr der wohlmeinende Kurschatten ihres Freundes und er für sie beziehungsweise für ihre Sucht nur noch ein übrig gebliebenes Anhängsel, dass einer Gewohnheit gleichkam, die sie in trügerischer Sicherheit wähnte.
Er hatte ihr zwar im Zwist versichert gehabt, dass nun nur noch sie stehts und ständig seine Eine sei. Doch daran glaubte sie nicht im Geringsten. Wohlweislich. Wusste oder ahnte sie vielmehr doch, wie viele Frauen er schon auf seine Art betört hatte und dass er es dabei mit der einen allein nie so genau nahm. Nach dem Motto: Was diese Eine nicht weiß, dass macht sie auch nicht heiß.
Lisa Lonely hatte großen Hunger, wartete allerdings sein letztendliches Erscheinen ab. Denn es war ein Dienstag. Und dienstags war immer ihr Tag gewesen, an dem sie gemeinsam zum Italiener um die Ecke gingen. Jeden Dienstag. Immer. Und das seit nun fast einem Jahr. Im Prinzip seit sie räumlich wieder in seiner Nähe wohnte - in eben dieser Wohngemeinschaft - und sie sich ihr Umfeld schönredete beziehungsweise schönsoff.
Als sie dann endlich gemeinsam und doch einsam miteinander an ihrem angestammten Tisch im Pizza-to-Go-Restaurant saßen und ihr Freund auf sie einredete, ohne sie im Innern zu erreichen, fielen ihr während seiner kurzen Atempausen einsilbige Worte wie Bleigewichte aus dem Mund. Statt ihm dabei in die Augen zu schauen, betrachtete sie das Leben auf der Straße vor der Fensterfront des italienischen Restaurants.
Sie glaubte, den Gesprächen der Passanten lauschen zu können und freute sich wie ein Kind, dass sie an diesen Straßenunterhaltungen teilhaben konnte, während sie lustlos in der inzwischen nur noch lauwarmen Thunfisch-Paella herumstocherte.
Sie mochte keinen Thunfisch, hatte es ihrem Freund gegenüber aber immer versäumt, ihm das in einer ruhigen Minute mitzuteilen. Stattdessen machte sie ihm gegenüber einen auf Lieb-lieb und hoffte so, ihn dauerhaft in ihrer Nähe halten zu können.
Ihr anfänglich beschwingt neugieriger Leichtgang, was ihr reales Beieinander anging, war längst einem deutlich müßigeren Kriechgang des Feststellens gewichen, wie fremd man sich doch eigentlich geworden war und vermutlich schon immer gewesen ist. Selbst mit Hilfe größter Bemühungen seiner- und vielleicht auch ihrerseits war das nicht mehr zu übersehen.
Genau das versuchte er ihr während dieser Stunde der Thunfisch-Paella im freundlichen Ton mitzuteilen und scheiterte kläglich an ihren tauben Ohren. Am Ende schwieg er sie an, und sie schwieg ihn an. Seine Augen jedoch sprachen Bände, als er schließlich aufstand, ihr einen Briefumschlag zuschob und das Lokal verließ.
Es war ein warmer Mitsommertag, und die Leute auf der Straße trugen luftige Kleidung und zeigten Haut. Doch Lisa Lonely fror bis ins Mark ihrer Gebeine. Und sie sehnte sich nach den Umdrehungen des Inhalts ihrer Flaschen, die für alle offensichtlich waren und die nur noch sie für das Umfeld heimlich wähnte.
Ihr Kurschattendasein war nie wirklich in Real von Liebe erfüllt gewesen. Weder von ihrer zu ihm. Noch von seiner zu ihr. Denn sie war nie in seine Arme geflogen und hatte von ihm auch nie ein Liebeslied geschenkt bekommen gehabt, auch wenn sie sich das noch so sehr gewünscht hätte. Auch hatte sie nie von ihm einen Ring oder ein Freundschaftsarmband oder der Gleichen bekommen und sie hatte ihm im Gegenzug auch nichts dergleichen geschenkt. Außer der Leere und tiefen Traurigkeit in ihrem Herzen, einer unbestimmten Wut im Bauch und den aber-vielen Was-alles-hätte-sein-können-wenn … waren ihr nichts mehr von ihm geblieben.
Sie sah die steil abfallende Schotterpiste vor sich liegen, die sie tief in die Talsohle hinunterführen sollte und begriff mit keiner Silbe ihres Herzens, dass es nur an ihr selbst lag, ob und wann sie ihr Glück in sich selbst finden würde.
So begab sie sich ergeben in ihr selbstgewähltes Schicksal und harrte geduldig der Dinge, die da auf sie zukommen mochten, anstatt selbst die Initiative zu ergreifen.
© CRSK, Le, 01/2024
Die 8 reizenden Worte für diese Woche:
- • Kurschatten
- • Straßenunterhaltung
- • Thunfisch
- • Leichtgang
- • fliegen
- • Schotterpiste
- • geduldig
- • ergeben