Als ich versuchte, ein Nazi zu sein
Mal ehrlich: Geht Ihnen diese linksgrüne Wokeness nicht auch gehörig auf den Sack? Also mir schon. Ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich ins Auto steige. Ich fühle mich schlecht, wenn ich mir einmal im Monat eine Tüte Chips gönne. Ich esse kein Fleisch mehr, sollte aber eigentlich auch den Käse meiden, der nur mithilfe des Labs aus dem Magen junger Kälber reifen konnte. Der Rotwein, den ich trinke, ist vielleicht nur deshalb so rot, weil die Brühe durch die Blase einer getöteten Sau gefiltert wurde. Tiere müssen leiden für meinen Fleischkonsum. Die Urlaubsreise ist ökologisch verwerflich. Mit Duschgel duschen schwemmt Mikroplastik in die Weltmeere. Rauchen tötet. Pupsen macht CO². Wildpinkeln ist Harnstoffverschwendung.
Dieses ewige Nörgeln über meine Lebensweise geht mir gehörig auf die Weicheier. Jeder dahergelaufene Politik-Zwuckel scheint sich das Recht herausnehmen zu dürfen, mir zu erzählen, wie ich leben soll.
Schnauze voll. Ich habe meine Sachen gepackt und bin auf einen Hof in der Provinz gezogen. Lange wehrte ich mich gegen die Menschen, die jede weltverbessernde Kritik ablehnten und scheinbar stolz ihren eigenen Weg gingen. Sich nicht scherten um rasant zunehmende Bestimmung und Gesetze, die das Leben regeln sollten: Zuckerverbot, Kiffergebot, Alkoholeinschränkungen, Fettampel auf Verpackungen, Gendersternchen, Culturecancel und diese mürbe machende Wokeness. Ich konnte durchaus den Sinn in vielen dieser Bestimmungen und Strömungen erkenne, aber ich bin doch auch noch ein Mann. Keine Memme. Ich fackel nicht lange, ich brenne.
Ich hatte keine Lust mehr, mich dem zu widersetzen, was offensichtlich doch richtig war. Alles ganz einfach. Es gab Männer. Es gab Frauen. Aus beiden entstand die Frucht der Menschheit. Ohne Vermischung mit schwachem Blut, welches hektoliterweise über die Grenzen flutete. Rein und markant wollte ich werden. Ich wollte ab jetzt in Reinheit, Männlichkeit und Stolz erstrahlen und versuchen, ein guter, deutscher Mann zu sein. Markant, ehrlich, stark.
Ich kaufte mir diese Shirts, die alle trugen, über die man eine offene Jacke ziehen konnte, so dass nur noch das NSDAP zu lesen war. Irgendwann erzählte mir die blonde Eva vom Hof, dass Consdaple seine Shirts in Indien einkaufte, wie alle anderen Modelabels auch. Sehr deutsch war das nicht, sich die Kleidung von schlecht bezahlten indischen Kindern nähen zu lassen. Ebenso lachen musste die Eva über meine Jeans, denn die war schließlich die Erfindung eines Juden. Die Eva war aber auch eine ganz strenge Mitbewohnerin. Mein Doc Martens waren natürlich eine Schuhmarke aus England. Die Alternative wären die unbequemen Knobelbecher der Bundeswehr, die irgendwo in Kroatien hergestellt wurden. Na ja, immerhin in der Eurozone – und war das nicht früher mal deutsches Gebiet?
Glücklicherweise fuhr ich einen Mercedes. Genau die Marke, mit der sich der Führer, damals auf Militärparaden, im offenen Cabriolet durch die Straßen kutschieren ließ. Prachtvoll. Erhaben. Edel. Ich belächelte die anderen, die sich keine besseren Autos leisten konnten als einen billigen Japaner oder einen klapperigen gebrauchten Franzosen. Bis mir Egon, der Mechaniker der Land-WG, erklärte, in allen deutschen Diesel-PKWs dieses Baujahrs seinen PSI-Motoren verbaut – eine französische Entwicklung von höchster Ingenieurskunst.
Ich hatte jetzt Hunger und Lust auf einen Döner. Erklärte sich aber von selbst, weshalb ich da nicht hingehen sollte, zum Yussuf. Es gab Wurst zum Grillabend. Gute, deutsche Wurst aus eigener Schlachtung. Dumm nur, das die Rinder, die für eine Weidehaltung geeignet waren, keine deutsche Züchtung waren. Harald, der Dorfmetzger, der für uns das Fleisch verarbeitete, erzählte im Vollrausch etwas von der ursprünglichen Herkunft der Wurst aus Ägypten, Syrien und China. Mir wurde schlecht. Nicht umsonst war der Führer Veganer. Ich legte mir ein paar Kartoffeln in die Glut. Warum wohl bezeichneten uns die Kanaken als 'Kartoffel'? Konnte es etwas deutscheres als die Kartoffel geben?
Ich holte die heißen Kartoffeln aus dem Feuer und freute mich auf den ersten Bissen, das weiche, dampfende Fruchtfleisch unter der schwarz verkohlten Kruste.
Eva setzte sich neben mich: „Kartoffel. Du weißt schon. Peru. Bolivien ...“
Verdammt nochmal, was wollte Eva eigentlich? Mir schwante, es wird nicht leicht werden, ein strammer Deutscher zu sein. Für heute Abend hatte ich genug. Ich wollte mich nur noch betrinken. Mit Bier. Dem deutschesten aller Getränke.
Oder?
(Google mal „Herkunft Bier“)
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