Wir alle lieben Barbara
Als Brown das Gebäude endlich gefunden hatte, war das B kaputt. Der untere Bogen war abgebrochen so daß die riesigen roten Lettern ein überraschtes GULP in die triste Häuserwelt dröhnten. Bereits hier hätte sein Frühwarnsystem anschlagen sollen doch er war zu erfüllt von dem gerechten Zorn, der ihn hierher geführt hatte, um auf seine innere Stimme zu hören. Trotzig betrat er das Zentrum für Gesundheits- und Lebensberatung (GULB). Denen würde er was erzählen!
Am Empfang saß eine aufgebrezelte junge Frau mit blütenweißer Bluse, überkorrektem Haarschnitt und perfektem Make-up. Falls eine ihrer Hauptaufgaben darin bestehen sollte, die Besucher einzuschüchtern, dachte Brown, dann macht sie ihren Job wirklich, wirklich gut. Neben, bzw. vor ihr, fühlte er sich wie ein kleiner Junge, der mit sandigem Popo vom Spielplatz gelaufen kommt und von den Erwachsenen zuerst einmal ins Badezimmer geschickt wird bevor man sich mit ihm befassen möchte.
Kühl blickten ihn ihre grauen Augen an als sie fragte: 'Haben Sie einen Termin?'
'Habe ich,' erwiderte Brown, bemüht, mit der Tonlage seiner Stimme Selbstbewußtsein zu verströmen. Aber was nicht vorhanden ist, kann auch nicht verströmt werden, wie jeder Gartenbesitzer weiß, der nach einer längeren Trockenperiode mit der Gießkanne in der Hand enttäuscht in seine leeren Regentonnen blickt.
Als er schließlich in dem Flur angelangt war, auf dem der ihm zugewiesene Sachbearbeiter sein Büro hatte, öffnete sich eine Türe und ein übel zugerichteter Mann taumelte auf den Gang. Zerrissenes Gewand, Nasenbluten und verzweifelt über die Ohren gehaltene Hände prallten auf Browns Netzhaut, doch bevor er Weiteres erfassen konnte, war der Mann schon um die Ecke gebogen und seine Schritte verhallten im geräumigen Treppenhaus.
Was hatte man dem armen Mann angetan? Oder war er bereits in diesem Zustand hier angekommen und hatte sich jeglichem Hilfsangebot verweigert? Bayerisch-stur, wie sich leider viele Menschen in diesem Landstrich gaben? Zögerlich klopfte er an die Türe deren Schild ihm versicherte, daß sich dahinter Herr Huber befand, der Mann den zu sprechen er gekommen war.
Auf dessen herzhaftes 'Herein!' betrat er den Raum, eine schlichte Amtsstube wie er sie nicht anders erwartet hatte, und nahm vorsichtig auf dem angebotenen Stuhl Platz. 'Grüß Gott Herr Brown, wunderbares Wetter heute, gell? Was sagen Sie denn zu den neuesten Umfragen wegen der anstehenden Wahlen? Ein Skandal, oder? Grad schämen müßt man sich. Ein Schlag ins Gesicht für jeden aufrechten Politiker, wie man unseren ehrlichen und aufopferungsbereiten Landeshauptmann durch den Dreck zieht, ja wo samma denn? Selber nix auf die Reihe kriegen und dann an allem umeinandermeckern was die, die was machen, dann machen. Zefix!'
Offenbar ein klassischer Anfall von Logorrhoe, dachte Brown, der kein Wort verstanden hatte. Was für Wahlen? Was für Dreck? Offenbar konnte man ihm die Fragezeichen vom Gesicht ablesen denn Herr Huber hielt inne und wetterte empört: 'Ja sagen Sie einmal, haben Sie heute noch nicht auf ihren Newsfeed geschaut?'
'Nein', gab Brown kleinlaut zu. 'Den habe ich ausgeschaltet'.
'SIE HABEN WAS???' Brown hustete, griff hastig nach einem Glas Wasser, verschluckte sich, hustete noch mehr. Nachdem er sich wieder beruhigt hatte, faßte er sein Gegenüber scharf ins Auge und sprach mit gefährlich ruhiger Stimme: 'Herr Brown, Sie sind ein seltener Depp. Wie ich aus meinen Unterlagen entnehmen kann, sind Sie heute hierhergekommen, um Beschwerde einzulegen. Und zwar darüber, daß man Ihr Buch vom Markt genommen hat, weil Sie sich darin nicht deutlich gegen die Untaten von Vlad dem Rächer positioniert haben. Sie fänden es ungerecht, schreiben Sie, von einem Künstler zu verlangen, politisch Stellung zu beziehen, nur um in Ruhe seiner Arbeit nachgehen zu können.
Schauen Sie, ich bin auch kein Fan von diesem woke Blödsinn. Nicht umsonst hat Bayern das Gendern verboten. Bei uns heißt das nicht 'Mitarbeiter:innen' sondern immer noch 'dia Leit wos do oawatn'. Und wem das nicht paßt der kann gerne auswandern. Aber es gibt auch bei uns Regeln, an die man sich zu halten hat. Und eine dieser Regeln lautet, der Newsfeed darf auf keinen Fall abgeschaltet werden. Der Bürger hat zu jeder Tages- und Nachtzeit informiert zu sein.
Bisher hatten wir Sie nicht auf dem Radar. So unauffällig wie Sie gelebt haben, wären wir Ihnen nicht so schnell draufgekommen. Und was tun Sie? Marschieren extra noch hier herein, machen nicht nur mit dieser unsinnigen Klage auf sich aufmerksam sondern pfeffern mir ungerührt hin, daß es Sie einen Scheißdreck kümmert wie man über unseren Landeshauptmann denkt. Ja was soll ich denn jetzt mit Ihnen machen? Soll ich Sie ungestraft wieder davonziehen lassen und mich dem Vorwurf aussetzen, Beihilfe zum Widerstand gegen das Volkswohl geleistet zu haben?'
Brown lief es eiskalt den Rücken hinab. In was für einem dystopischen Wahnsinn war er denn hier gelandet? Dieser Mann konnte keineswegs echt sein! Machte der ihn gerade allen Ernstes zur Schnecke, weil er sich nicht von Früh bis Spät von den verlogenen Nachrichtenmeldungen der auflagengeilen Medienanstalten beschallen lassen wollte? Von welchen Gesetzen sprach er? Waren jetzt alle komplett verrückt geworden?
Der Lautsprecher in der linken oberen Ecke des Zimmers knackte vernehmlich, alsdann erscholl laute Blasmusik. Darübergelegt intonierte eine monotone Stimme: 'Hahaha, wir alle lieben Barbara. Hahaha, wir alle lieben Barbara. Hahaha, wir alle lieben Barbara. Hahaha, wir alle lieben Barbara ...'
Als sich Brown mit über die Ohren gepreßten Händen auf dem Gang wiederfand sah er an sich hinunter und dachte: Wenigstens ist mein Anzug nicht kaputt und Nasenbluten habe ich auch keins.
Zuhause angekommen fand er einen Zettel in seinem Briefkasten. Einmal gefaltet, ohne Umschlag. Auf dem Zettel stand nur ein Satz: Laß es dir eine Warnung sein Brown, ein zweites Mal kommst du nicht so billig davon.