Wer einmal lügt
Lynn Lonely hatte sich in seinen eigenen Worten verfangen und war ob seiner eigenen Peinlichkeit vor der Wahrheit über den Peter, den er zum Brennen seiner Gelüste verwendete, gestrauchelt. Er hatte sich in seiner eigenen Manege der Selbstdarstellung verloren und fühlte sich dadurch peinlich ertappt und sehr an die vergangenen Jahre mit seiner Lisa erinnert.
Damals, als er oder vielmehr sie noch gesoffen hatten, um zu überleben. Damals, als er noch unter all dem Dreck seiner zusammengestürzten Kartenhäuser vergraben lag und sie damit schier überfordert gewesen war.
Doch anstatt den Müll ein für alle Mal wegzutragen und zu entsorgen, war sie, Lisa Lonely, zu jener Zeit nervös von einer schimmernden Möglichkeit zur anderen herumgeflattert, um auszuloten, was denn wäre, wenn dieses oder jenes ihrer Eventualität entsprechen könnte, um es am Ende aus dem Regen der Träume in die Traufe der realen Dinge zu heben.
Lynn stand an seiner Werkbank und brannte dem hölzernen Werkstück stur seine Botschaft ein. Doch innerlich zerbröselte er an dem Getuschel seiner Kollegen, das er glaubte, gedämpft wahrzunehmen, so als hätte er den Kopf unter Wasser getaucht, weil er dort den heiligen Gral seiner Ahnen wähnte.
Und just in dieser Situation trug er das Taufkleid seiner Großmutter am Leib und wunderte sich darüber kein bisschen. Denn sie war als Baby schon so groß geraten, dass ihre Enkelkinder noch heute ein Lied davon singen konnten, wie sehr sie die Moral der aufrichtigen Liebe der Mutter ihrer Mütter zu spüren bekommen hatten.
Und er trug das Kleid mit Würde, obwohl er justament im Angesicht des Werkstatt-Staubes seiner Kollegen arbeitete und sich nicht getraute, die Wahrheit darüber zu sagen, warum er sich den brennenden Peter zugelegt beziehungsweise, dass er sich ihn gar nicht geliehen, sondern eben von seinem Notgroschen gekauft hatte. Denn auch heutzutage war er kein Held, sondern ein Mensch, der gern den Schein aufrechterhielt, wer zu sein, der er gar nicht war. Zumindest unterstellte er sich das in Augenblicken wie diesen, sich dann selbst kritisierend.
Und Lisa Lonely stand – so wie eh und je – in Lynns Schatten und verriet ihr eigenes Fleisch und Blut an die Nacht und an die Tiefe der blühenden Landschaften aus Lug und Trug von damals. Denn sie mochte den Duft von weißen Anemonen, wenn sie ihre Stil-Blüten trieben, um ihre Träume vom Herrn Reinecke zu überwuchern, in denen es sie fuchste, dass er so rot wie das Blut der Amore seiner Herzensdame zu sein schien.
Lynn hingegen meinte erbost dazu, dass Lisa seine Wahrheiten verdrehe und sperrte sie tief in den Tower seiner Mördergrube ein. Denn sollte ihm nun ernsthaft etwas zustoßen, wäre sie seine Rückversicherung auf eine längst überfällige Entschuldigung dessen, was er hier und heute getan hatte.
Die Vorhänge seines Lieblingsschaufensterladens waren allerdings zugezogen, als Lynn nach der Arbeit mit der Bimmel daran vorbeifuhr. Denn er hatte dem Ladenbesitzer hoch und heilig versprochen, artig zu bleiben und war demzufolge ihm gegenüber wortbrüchig gewesen.
© CRSK, LE, 04/2024
Die acht reizenden Wörter dieser Woche:
- • Manege
- • Flattern
- • Bröseln
- • Kleid
- • Verraten
- • Blüte
- • Verdrehen
- • zugezogen