Ihr Lieben, diesmal ist meine Geschichte recht lang geraten. Ich hoffe, Ihr lasst Euch davon trotzdem nicht abschrecken!
Mairegen
greise
Flieder
Feder
Zunder
Mäander
Konkordat
Zungenspitze
Als Sally aus ihrem Zimmer in Witchitas Hexenküche trat, schlug ihr gleich ein lieblicher Duft von sanftem Mairegen entgegen, an den sie sich noch aus ihrer Kindheit in Irland erinnerte. Sie hatte sich darauf eingerichtet, vor Unterrichtsbeginn hastig noch etwas Essbares herunterschlingen zu müssen. Witchita saß jedoch in aller Seelenruhe am Küchentisch, der über Nacht auf dreifache Größe angewachsen und über und über mit Leckereien gedeckt war, und lächelte Sally an.
„Freitag, der 13., meine Liebe! Wenn das nicht der optimale Starttag für eine Hexenausbildung ist!“
„Aber ist das nicht eigentlich ein Unglückstag?“
„Ach, ich merke schon, wir müssen dir da noch ein paar Reste von Christentum austreiben. Katholisch, oder? Kommst schließlich aus Irland. Glaub bloß nicht, dass wir Hexen ein Konkordat mit denen schließen, die uns am eifrigsten verfolgen! Komm, setz dich, die anderen kommen bestimmt auch gleich!“
„Die… anderen?“
„Ja, Frances und Deborah kommen auch gleich noch. Hast du wahrscheinlich gestern Abend nicht mehr mitbekommen. Du Arme, warst ja total überhext! Hoffentlich hast du jetzt im Schlaf etwas Kraft gesammelt! Und Schwarzer Kojote kommt auch. Da hast du mich innerhalb von drei Tagen zur Lehrmeisterin und zur Schwiegerhexe gemacht… Hätte mir das letzte Woche jemand erzählt, den hätte ich für verrückt erklärt. Vor allem, ein Mann als Hexe… da kenne ich sonst nur noch den greisen Deverith. Gut, in Afrika und Europa soll’s auch noch welche geben. Aber mir soll es recht sein. Also, Altyssa, Astralia, Große Wolke und ich haben vereinbart, dass wir uns den Unterricht für euch vier teilen. Das nimmt uns allen etwas von der Last und macht euch bestimmt auch mehr Spaß. Freitags mache ich mit euch hier Hexenhaushalt und Ernährung. Ich bin zwar nicht die allergrößte darin, aber im Gegensatz zum Rest der Fächer vielleicht doch noch ganz passabel. Am Samstag ist dann Astralia dran, die unterrichtet Natur- und Wetterhexerei. Da muss ich sagen, da bin ich fein raus, denn sie hat wirklich eine Lizenz erster Klasse im Wetterhexen und kann dir bestimmt viel mehr beibringen als ich. Sonntags kriegt ihr dann Unterricht bei Altyssa in Hexenrecht und Magilinguistik. Das muss sie als Chefhexe sowieso können. Große Wolke ist dann am Montag dran mit Heil- und Kräuterkunde. Da sind seine Methoden als Medizinmann auch nicht anders als die von uns Hexen. Und wenn Altyssa ihre Reform beim Hexenvorstand durchbekommt, macht sie dienstags Förderunterricht für eure Spezialgaben.“
Inzwischen waren Frances und Deborah eingetroffen. Frances ergänzte gleich: „Genau, und dann können wir es uns am Dienstagabend beim Zwuckeltreff bei uns in Oz gemütlich machen, und wenn ihr mögt, könnt ihr über die Wochenmitte auch bei uns bleiben. Unser Schloss ist wirklich riesig. Im Moment haben wir, glaube ich, ungefähr einundneunzig Zimmer, aber das ändert sich ja ständig nach Bedarf. Manchmal verirre ich mich da sogar drin. Die Gästezimmer sind auch echt toll, und das Frühstück erst…“
„Und wenn du morgen zu uns nach Georgia kommst, Sally, musst du etwas aufpassen“, fügte Deborah hinzu. Die Ströme zwischen den Inseln mäandern dermaßen, dass man da leicht durcheinanderkommt, wenn man von oben draufschaut. Da musst du deinen Besen gut vorprogrammieren.“
Als letztes kam Schwarzer Kojote. Kaum hatte seine Zungenspitze ihre berührt, brannte Sallys Herz wieder wie Zunder. Liebe Erdgöttin, was war das für ein Mann! Er trug eine Feder, kokett in sein langes, schwarzes Haar gesteckt. Am liebsten hätte Sally ihn auf der Stelle in ihr Zimmer gezerrt. Doch da erklang Witchitas Stimme: „So, ihr Turteltäubchen, auf geht’s! Gevögelt wird erst in der Mittagspause! Jetzt braucht ihr erstmal eine ordentliche Ladung Hexamine, damit ihr euch auch nicht überhext, vor allen Dingen du, Sally! Ein kräftigendes Frühstück ist das A und O für jede Hexe. Nehmt euch alle einen Teller und stellt euch aus dem Angebot auf dem Tisch etwas zusammen. Aber nicht gleich anfangen zu essen! Erstmal checken wir die Auswirkungen auf eure Hexenkräfte.“
Während Sally und Schwarzer Kojote das Buffet erst einmal in Ruhe in Augenschein nahmen, lief Deborah sofort zur Platte mit Witchitas Präriegrastörtchen, für die sie gestern so geschwärmt hatte. Frances wiederum stürzte sich auf eine Schüssel mit gelben Stäbchen, die sie mit einer roten und einer weißen Soße garnierte. Daneben legte sie ein Brötchen, zwischen dessen Hälften ein Stück Fleisch und ein Salatblatt herauslugten. „Das sieht nicht gerade gesund aus“, kommentierte Sally leise zu Schwarzer Kojote gewandt, der zustimmend nickte. Die beiden entschieden sich übereinstimmend für je einen Maisfladen mit Präriehühner-Rührei, ein Bisonwürstchen und eine Tasse Kräutertee mit Waschbärenmilch.
„So, lasst mal sehen“, sagte Witchita schließlich. „Ja, Sally, für den Anfang gar nicht schlecht. Getreide, Ei, Milch, das sind alles gute Hexaminlieferanten. Und die Kräuter in diesem Tee bewirken eine Erhöhung der Gedankengeschwindigkeit. Das Würstchen unterstützt die Hexaminaufnahme. Schwarzer Kojote, dasselbe? Na, ihr zwei seid mir ja ein Pärchen… Deborah, Präriegrastörtchen, ja, ist ok, da sind auch Hexamine drin, aber eher von der Sorte, die sich schnell abbaut. Wenn du sonst nichts isst, bist du schon vor dem Mittagessen wieder platt. Aber Frances, weißt du eigentlich, was du da auf dem Teller hast?“
„Pommes Frites mit Ketchup und Mayo und einen Hamburger. Wir hatten bei meinen Eltern einmal einen belgischen Pianisten zu Gast, der hat so von Pommes geschwärmt. Und den Hamburger dazu habe ich in einer Vision in einer Fernsehwerbung aus dem Jahr 2004 gesehen. Seitdem wollte ich das schon immer mal probieren, aber bei Altyssa gibt es ja nie Pommes.“
„Und zwar mit gutem Grund! Weißt du, woraus die bestehen?“
„Etwa aus Kartoffeln???“ Frances stieß einen spitzen Schrei aus und ließ ihren Teller fallen, so dass er in Tausende von Stücken zersprang.
„Ich hasse Kartoffeln auch“, meinte Sally arglos. „Bei meinen Eltern gibt es fast nie etwas anderes. Die hängen mir so zum Hals raus. Als Hexe will ich jetzt nie wieder Kartoffeln essen müssen!“
„Das solltest du auch gar nicht“, erklärte Deborah. „Kartoffeln enthalten unglaublich viele Antihexamine. Eine von diesen Pommes würde bestimmt schon ausreichen, um dich für vier bis fünf Weilen hexunfähig zu machen. Bei Frances‘ Portion wären ihre Hexenfähigkeiten frühestens übermorgen wiederhergestellt gewesen.“
Frances‘ Gesicht wurde fast so rot wie Sallys Haare. Sie gab ihrem Besen ein Zeichen, die Splitter und das heruntergefallene Essen zusammenzufegen und sagte: „Ich hätte es wissen müssen, dass ich mich hier nur blamiere.“
„Unsinn!“ erklärte Deborah. „Nur, dass du die älteste von uns bist, braucht doch nicht zu bedeuten, dass du schon alles wissen musst. Ich habe das auch erst herausbekommen, nachdem ich fand, dass Astralia immer so ängstlich riecht, wenn irgendwo Kartoffeln in der Nähe sind.“
„Du kannst Angst riechen?“ fragte Sally erstaunt.
„Ja, du hättest mal Jacks Angst gestern riechen sollen, nachdem ihr ihn und sein Gewehr mit den Zaubernüssen getroffen hattet. Der muss total durch den Wind gewesen sein. Aber ich kann nicht nur Angst riechen, sondern alle Gefühle. Deine Überraschung jetzt riecht richtig echt, und wie verliebt ihr beide riecht, Sally und Schwarzer Kojote – fast wie Flieder, das ist einfach unglaublich! Und Frances, ja, du brauchst dich wirklich nicht zu schämen. Hmm… schon besser so!“
„Ist ja genial! Ist das deine Spezialgabe?“
Doch anstelle von Deborahs Antwort folgte nun Witchitas Ansage: „So, ihr Lieben, genug gequatscht! Ich mache jetzt einmal Platz auf dem Tisch und hexe alle hexaminfreien Lebensmittel ganz schnell weg. Wie Deborah schon gesagt hat, sind Kartoffeln im Hexenhaushalt absolut tabu! Und über die verschiedenen Arten von Hexaminen und Antihexaminen unterhalten wir uns jetzt einmal ausführlich beim ausgiebigen Frühstück!“