Das schwarze Auto
''Aufräumen wollte ich. Nur aufräumen. Es schaut nach wie vor aus hier, daß es mir selber graust und das will was heißen. So kann man ja auch nicht arbeiten, in so einem Durcheinander. Also muß soviel Zeug wie möglich raus, damit wieder Platz in den Schränken ist und ich wenigstens ab und zu den Boden saugen kann. Klingt, logisch, oder?''
''Ja eh. Zeit wirds. Und wo ist jetzt dein Problem?''
''Kann ich dir sagen. Denn jetzt kommen wir zum unlogischen Teil: Seit ich die Gurksikinder weggegeben habe, werde ich vom Unheil verfolgt. Kaum hatte ich sie an der Brauchbar abgegeben, fing es praktisch aus heiterem Himmel an zu regnen, ich wurde naß und habe mich erkältet. Und das war erst der Anfang.''
''Ach komm, red doch keinen Schwachsinn! Du hast wirklich viel zu viel Fantasie. Neulich hast mir schon weismachen wollen, dieser komische braune Teddy sei böse, also der hätte so eine bösartige Ausstrahlung, und dann bist bis nach Augsburg gefahren um ihn im Bücherschrank auszusetzen weil er dir nicht weit genug weg sein konnte. Und die Sache mit Fredi, also daß du deinen treuen Reisebegleiter nach zwanzig Jahren deiner Schwägerin mitgegeben hast die am anderen Ende Deutschlands wohnt weil er dich angeblich krank gemacht hat! Und dann dieser kleine grüne Elefant, der dir in Stuttgart in der Straßenbahn verloren gegangen ist und um den du dich wochenlang gegrämt hast nur weil er deinem verstorbenen Freund gehört hat! Das ist doch alles nicht normal!''
''Blau. Herr Umnus war blau, nicht grün.''
''Des is doch wurscht jetzt! Blau, grün, gelb! Du machst mich wirklich rasend langsam. Daß man ein Stofftier vermißt das man verloren hat, ok, kann ich verstehen. Aber eine derartige Intimität mit ihnen zu entwickeln, daß man ihnen Gefühle oder gar bösartige Absichten unterstellt, also das geht einfach zu weit Teresa, das mußt du einsehen! Du hast einfach einen totalen Schlag weg seit Andy gestorben ist. Von wegen die Gurksikinder hätten dich mit einem Fluch belegt. Zwanzig Jahre hatten sie es gut bei euch. Zwanzig Jahre! Da können sie doch jetzt mal weiterziehen.''
''Ja schon Giuseppe, aber zu wem halt. Am Ende landen sie bei fiesen, gemeinen Kindern die sie auf den Boden hauen und auf ihnen herumtreten ... dafür hat Andy sie doch nicht gerettet, damals, im Winter, als er sie am Weg zum Getränkemarkt auf einem Fensterbrett im Schnee fand, frierend, einsam und verlassen ...''
Ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, heulend schmiß ich mich auf mein Bett und vergrub mich unter der Bettdecke. Von fern hörte ich leise das Klappen der Wohnungstüre. Jetzt war er gegangen. Gut so. Menschen, die Stofftieren eine Seele absprachen, waren kein Umgang für mich.
Wenn Giuseppe wüßte, dachte ich düster, was ich mir für den nächsten Tag vorgenommen hatte. Eingewiesen hätte er mich. So wie man früher unbequeme Frauen in die Irrenanstalt abgeschoben hat. Dabei war ich nicht einmal unbequem, ich hatte lediglich eine andere Sicht auf die Welt als er. Monsignore Giuseppe war sooooo sicher, immer recht zu haben, sicher und geborgen in seiner logischen Bankerwelt. Zahlen lügen schließlich nicht. Mister Supercool mit seiner Sonnenbrille und seinem schicken schwarzen BMW. Wieso waren wir eigentlich befreundet? Zefix!
Am nächsten Tag stieg ich etwas beklommen die Treppen eines heruntergekommenen Mietshauses hoch. Ich hatte Michael im Internet gefunden, über ein You Tube Video, welches nicht nur informativ sondern auch angenehm gestaltet war, und als ich dann auf seiner Website erfuhr, daß er Flüche beseitigen konnte, war ich hin und weg. Genau das was ich brauchte! Eigentlich lebte Michael im Ausland, kam aber in Abständen von etwa einem halben Jahr nach München um hier Sprechstunden abzuhalten. Und ich hatte tatsächlich einen Termin bekommen!
Freundlich lächelnd sah er mich an. ''Du bist tatsächlich mit einem Fluch belegt worden,'' sprach er bedächtig.
Na also, wußte ich es doch!
''Es ist ein Mensch mit dem du eng befreundet zu sein glaubst ...''
Geh weiter, ein Mensch???
''... und der dir seit längerer Zeit sehr kritisch gegenübersteht. Er fährt ein schwarzes Auto und hat eine Seele in derselben Farbe.''
Ein schwarzes Auto? Meinte er etwa Giuseppe??? Niemals!
Michael sah mein ungläubiges Gesicht und lächelte fein.
''Ich kann dir keine Namen nennen, aber offenbar hast du bereits eine Ahnung davon, wer es gewesen sein könnte. Es ist wichtig, der betreffenden Person zu vergeben. Rachegedanken würden nur auf dich selbst zurückfallen und dir nachhaltig Schaden zufügen.
Wir wollen uns nun hier vor das Bild von Erzengel Michael stellen und gemeinsam darum beten, daß der Fluch transformiert werden kann und keine andere unschuldige Seele trifft.''
Der Heilige da oben hat leicht reden, dachte ich später so vor mich hin, als ich am Bahnsteig stand und auf meine U-Bahn nach Hause wartete. Der fährt in einer Woche heim in seinen Urwald und läßt uns in der Großstadt zurück, wo wir uns gegenseitig auf die Füße treten und jeder dem anderen wegen irgendetwas neidig ist. Wie konnte Giuseppe mir das antun? Und mir dann noch ins Gesicht lachen wenn ich ihm mein Herz ausschüttete. Was für ein Unmensch! Das sauber gewienerte Fenster der soeben eingefahrenen Bahn spiegelte mir mein grantiges Gesicht entgegen und ich setzte mich betreten auf einen freien Platz. Wie sollte ich nun mit dieser Situation umgehen? Schließlich sollte Giuseppe nicht erfahren, daß ich von seinem hinterhältigen Tun wußte. Andererseits konnte ich auch nicht weitermachen als sei nichts geschehen. Michael hatte mir geraten, keine überstürzten Entscheidungen zu treffen und meine Sorgen in Gottes Hände zu legen. Wie gesagt, der hatte leicht reden ...
Kaum war ich daheim angekommen und hatte mir einen beruhigenden Tee aufgegossen, klingelte es an der Wohnungstüre. Verdammt! Hatte ich doch nach der letzten Lebensmittellieferung glatt vergessen, die Klingel abzustellen! Wer konnte das denn sein?
Vorsichtig linste ich durch den Spion. Mein Bruder! Ja so eine Überraschung!
''Ja servus Walter, komm rein, was führt dich hierher nach München? Wieso hast denn nix gesagt vorher? Wenn ich jetzt ned daheimgewesen wär?''
''Ach du, ich war rein zufällig in der Gegend und dachte ich schau mal rein. Hör zu, was ich dich fragen wollte, wegen dem Erbe von Papa ... du müßtest mir hier was unterschreiben.''
Mit wachsendem Unglauben las ich das mir vorgelegte Schriftstück. Eine Verzichtserklärung. Ich sollte erklären, darauf zu verzichten, meinen Pflichtteil einklagen zu wollen. Wieso das denn? Wollte man mich über den Tisch ziehen? Was sollte das?
Mein Bruder rutschte etwas unbehaglich auf dem Sessel umher:
''Du das ist reine Formsache, ich mußte das auch unterschreiben. Also denk dir nichts dabei.''
Ja nee, klar. Was als nächstes? Sollte ich vielleicht auch auf die Wohnung verzichten, auf mein Sofa und auf meine Stereoanlage? Noch bevor ich den Mund aufbekam um ihn zu fragen, was denn da gespielt werde, war Walter auf meinen Balkon hinausgetreten.
'Tolle Aussicht hast!'', bemerkte er anerkennend.
Dies war das letzte was ich von ihm in diesem Leben hörte.
Eigentlich hätte ich gedacht, daß Menschen, die aus großer Höhe fallen, noch versuchen sich festzuhalten, oder zumindest schreien. Aber Walter war einfach nur gefallen. Wie ein Stein. Ohne einen Ton von sich zu geben. Nur das leise 'Pflupp' als er unten ankam, das wird mich noch lange begleiten.
Warum der Balkon so plötzlich abgebrochen war, wird noch untersucht. Baumängel. Nona. Die Tauben werden es nicht gewesen sein.
Was glaubt ihr wie ich geschaut habe, als unten vor dem Haus neben der Leiche meines Bruders ein nagelneuer Peugeot 408 geparkt stand. Ein schwarzer Peugeot 408. In der Kühlerhaube sah man das Abbild der Leiche reflektiert. Cooles Motiv dachte ich, und bedauerte ein wenig, daß die Polizei bereits vor Ort war und ich nicht einfach die Kamera hervorholen konnte. Man denkt seltsame Dinge wenn man im Schockzustand ist.
Armer Giuseppe. Ich hatte ihn völlig zu Unrecht in Verdacht gehabt.
Kommende Woche werde ich ihm eine Nudelsuppe kochen - wie von Mamma.
*