Meine letzte große Liebe
Einbrechen ist ein verdammt schwieriger Job. Wenn man es ordentlich macht. Die meisten von euch denken sicherlich, es sei damit getan, die Türe aufzukriegen. Beileibe nicht! Es ist ein Handwerk, eine Kunst. Die man erlernen muß. Und ich habe sie erlernt. Von der Pike auf. Einer der Freunde meines großen Bruders, sie nannten ihn 'Nietzsche weil er im Rausch immer aus dem 'Zarathustra' zitierte, packte mich bereits als Jungen immer wieder an den Füßen und ließ mich zum Kellerfenster des Metzgers hinab, weil ich so dünn war und daher als Einziger der Gruppe durch dieses Fenster paßte. Im Keller lagerten geräucherte Wurstwaren, die ich nach oben schaffte und die dann an diverse Wirte in der Altstadt verkauft wurden. Das klingt im Prinzip sehr einfach, aber was machst du, wenn dir im Keller auf einmal jemand entgegenkommt? Ein Anfänger gerät in Panik, schlägt den Überraschten nieder oder gar tot. Was ich gemacht habe: ich habe ihn in eins der Abteile gedrängt und dort eingesperrt. Das muß dann natürlich alles sehr schnell gehen, das Auf- und Zusperren mußt du im Schlaf beherrschen. Da ist keine Zeit für langwierige Fummeleien.
Der nächste Schwierigkeitsgrad nach Kellern von Mietshäusern sind freistehende Häuser. Auch hier latscht man nicht einfach hinein weil man es kann, sondern es empfiehlt sich, das Anwesen über einen längeren Zeitraum genau zu beobachten. Wer kommt wann nach Hause, ist eine Regelmäßigkeit auszumachen? Wenn nicht, dann Finger weg.
Neulich hatte ich das ideale Objekt am Start. Riesenhütte, kein Hund, kein Alarm, jeden Tag von halb 10 bis ca. 15 Uhr war niemand zuhause. Hab ich mich natürlich schon gefragt, wie man mit solchen Arbeitszeiten so reich werden kann, aber gut. Vielleicht hatten sie ja geerbt. An einem diesigen Herbstmorgen gegen 11 Uhr bin ich also eingestiegen. Das Objekt war von einer dichten Hecke eingefaßt, wenn du da mal durch warst, hat dich niemand von außen mehr gesehen. Absolut ideal. Lange hatte ich nach einem Haken gesucht, aber keinen gefunden. Bald stand ich, die Terassentür war kein Hindernis für mich, im Wohnzimmer. Riesiger Flachbildschirm, total Prolo, und im Bücherregal fast nur uralte Schinken von Donauland. Zwischendrin der eine oder andere Klassiker. Es roch staubig, war es auch, und vor Hölderlins gesammelten Werken stand ein Schokoladennikolaus ohne Kopf. Wie absurd! Die beiden hatten keine Kinder, die hätte ich gesehen.
Nun war ich ja nicht hereingekommen, um die Bücherwand zu bewerten, sondern um die Dame des Hauses idealerweise um das eine oder andere hübsche Schmuckstück zu erleichtern. Leider wuchs mein Unbehagen mit jedem Zimmer das ich betrat. Normalerweise heben die Leute sowas ja im Nachtkasterl auf oder wenn's blöd läuft in einem Safe. Aber sowas hatten die garnicht. Und auch keinen Schmuck. Nur so blöde Holzperlenketten und billige Ohrringe. Was wurde hier gespielt? Hatten sie ihren Goldkram etwa in einem Bankschließfach? Im ganzen Haus fand ich absolut NICHTS von Wert. Nicht einmal ein Paar silberne Manschettenknöpfe. Kein Wunder, daß das Haus ungesichert war. Hier gab es tatsächlich bis auf den bescheuerten Flachbildschirm keinerlei Beute, und den konnte ich alleine nicht tragen. Kriegst auch nix mehr dafür, totale Zeitverschwendung. Schweren Herzens entschloß ich mich, das Objekt zu verlassen und mir ein lohnenderes Ziel zu suchen. So schade! Die langen Wochen der Beobachtung, das Planen, die Vorfreude ... alles umsonst.
Ein letztes Zimmer im oberen Stockwerk hatte ich noch nicht durchsucht, die abblätternde Farbe auf der Türe ließ auf eine Abstellkammer schließen, wenig verlockend. Aber wer weiß, vielleicht hatten sie genau dort ihre Reichtümer gebunkert?
Auf der Schwelle blieb ich stocksteif vor Schock stehen. Aus einem Bett blickten mich zwei riesige Augen aus einem abgemagerten Gesicht freundlich an, der eingefallene Mund darunter sagte: Guten Tag junger Mann. Wollten Sie mich besuchen? Was für eine Freude. Setzen Sie sich doch.
Der Gestank war bestialisch, das Fenster geschlossen. Ich unterdrückte meinen Fluchtreflex und begann mir Fragen zu stellen: Wer war diese Person und wieso kümmerte sich niemand um sie?
Als erstes steckte ich die zerbrechliche Gestalt vorsichtig in die Badewanne, hierbei stellte ich fest, es handelte sich um eine Frau. Die noch lange nicht so alt war wie sie aussah. Ihrer Erzählung nach war der Hausherr ihr Sohn, der fröhlich von ihrem Ersparten lebte, und sie in ihrem Kämmerlein verkümmern ließ. Ab und an wurde eine Pflegerin angeheuert, aber diese Leute verlangten zu Recht mehr Geld, das sie trotz aller Versprechungen aber nicht bekamen, woraufhin sie bald wieder verschwanden.
Nun hat ja ein Mensch, der öfter mit den Ordnungshütern in Berührung kommt als ihm lieb ist, einige Kontakte zu Anwälten. Einer dieser Kontakte, ein sehr liebenswerter junger Mann, hat uns dann geholfen. Die genauen Umstände unseres Kennenlernens haben wir ihm natürlich verschwiegen, doch das Erzählte hat ihm genügt um sofort Action zu bringen. Da keinerlei Anzeichen geistigen Verfalls festzustellen waren, wurde die Versachwaltung aufgehoben, die gute Frau bekam die Vollmacht über ihre Konten zurück, zog in eine eigene kleine Wohnung und der Sohn hatte den Scherben auf.
Eigentlich könnte die Geschichte jetzt zuende sein. Das Opfer ist in Sicherheit, hat neue Zähne bekommen und sich mit dem Retter angefreundet der sie fast jeden Tag auf einen Kaffee besucht. Die beiden verstehen sich prächtig, lachen viel zusammen, und sie drückt ihm immer wieder verstohlen ein Scheinchen in die Hand wenn er klamm ist, Ende gut, alles gut. Aber so ist das nun mal nicht im Leben. Jedenfalls nicht in meinem Leben.
Nichts deutete darauf hin, daß meine neue Bekanntschaft trotz ihrer Gehbehinderung nicht noch mindestens 20 Jahre leben könnte. Gut, sie würde nicht mehr Seilspringen wie ein junges Mädchen, aber für den einen oder anderen Kurzausflug würde es reichen. Eifrig schmiedeten wir Pläne für die Zukunft, wenn erst der neue Rollstuhl da wäre, dessen Genehmigung sich leider sehr in die Länge zog.
Ich weiß noch wie ich sie das letzte Mal gesehen habe. Lieder aus ihrer Jugend summend stand sie vergnügt in der Küche und wusch unsere Kaffeehäferln ab. Ich durfte abtrocknen, danach schickte sie mich weg. Ich solle noch etwas von meiner Jugend haben und nicht ständig bei ihr alter Oma rumsitzen, meinte sie neckisch. Dabei saß ich so gerne bei ihr. Sie war der erste Mensch in meinem Leben, der mich so nahm wie ich war und mich nicht entweder ausnutzen oder ständig an mir herumerziehen wollte. Fast würde ich sagen, wir haben uns geliebt. Denn ich war beileibe nicht der einzige Mensch dessen sie hätte habhaft werden können in ihrem neuen Leben. Sie war reich und hätte sich im vornehmsten Seniorenheim des Landes einkaufen können, dort hätte sie Gesellschaft genug gehabt. Jedoch hatten wir beide gelernt, den Menschen zu mißtrauen. Sowas verbindet. Natürlich hatte sie auch eine Pflegerin, aber diese klebte nicht rund um die Uhr an ihr sondern hatte ihr eigenes Zimmer, kam nur heraus wenn sie gebraucht wurde. Manchmal hatte ich den Eindruck, ihr Deutsch war besser als sie zugeben wollte.
Zwei Tage nachdem mich meine Wohltäterin weggeschickt hatte, läutete ich wieder an ihrer Wohnungstüre. Ich fühlte mich einsam und brauchte jemanden zum Reden. Natürlich dauerte es stets eine Weile bis sie zur Türe kam, doch heute ... kam niemand. Wie konnte das sein? War sie beim Arzt? Langsam stieg ich die Treppen wieder hinab und verließ das Haus. Blickte nach oben. Zu ihren Fenstern. Sah, wie eins offen stand und der Vorhang sich leise im Wind bewegte, als wolle er mir etwas mitteilen, oder mich gar herbeiwinken. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Ich sah sie sofort liegen, nachdem ich die Wohnung betreten hatte. Tot und kalt, so eiskalt. Ich hatte nicht gewußt, daß sich ein Mensch so kalt anfühlen konnte. Von der Pflegerin weit und breit nichts zu sehen. Langsam drückte meiner lieben Freundin die starr blickenden Augen zu und wählte die Nummer der Polizei bevor ich weinend zusammenbrach. Wieder stand ich völlig alleine auf dieser verfickten Scheiß-Erde.
Den Rest könnt ihr euch denken, oder? Natürlich hat man mir den Mord in die Schuhe geschoben. Vor allem, nachdem sich herausgestellt hatte, daß ich im Testament nicht nur erwähnt wurde, sondern einen gewaltigen Batzen ihres Vermögens erben sollte. Ich hätte heimtückisch bei der freundlichen, arglosen älteren Dame angedockt, erzählte der Sohn, mich in ihr Vertrauen geschlichen und sie anschließend, nachdem es mir mit dem Erben wohl nicht schnell genug gehen konnte, einfach erschlagen. Nix mit in dubio pro reo. Meine Spuren waren in der Wohnung reichlich vorhanden, auch direkt am Tatort, und wie war ich überhaupt hereingekommen? Nun konnte auch mein Bekannter, der Anwalt, nichts mehr ausrichten. Wer glaubte schon einem vorbestraften Einbrecher?
Nun sitze ich hier in Stadelheim. Immerhin habe ich ein Einzelzimmer bekommen wie alle anderen Mörder auch. Ich habe eine gute Arbeit dank derer ich mir beim Einkauf alles genehmigen kann was ich brauche, ohne die internen Verteilstellen in Anspruch nehmen zu müssen. Man geht mir aus dem Weg. Ich habe meine Ruhe. Mehr kann ich nicht mehr erwarten. Abends weine ich heimlich und leise, damit mich niemand hört. Würde meinem Ruf schaden. Ich vermisse meine liebe Freundin so sehr. Irgendwann werden sie mich in den offenen Vollzug lassen wo man nicht mehr ständig bewacht wird und dann, dann komme ich dir nach, Miranda. Bis bald!
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