Dies ist kein Märchen
''Heute Abend? In den Rabenhof? Du sorry aber ich hab schon was vor. Was soll das heißen, was ich schon vorhaben werd? Was Wichtiges, oder? Wer tritt denn überhaupt auf? Ach die Sargnagel, die kann ich eh ned ausstehn. Hält sich für sonstwie schlau. Neidisch, ich? Na sicher ned. Du ich muß jetzt auflegen, hab noch was vorzubereiten.
Willst es wirklich wissen oder fragst nur blöd? Ja ok, eine Ausstellung hab ich. Kein Schmäh. In der Ankerbrot Fabrik bei uns im Zehnten. Ja natürlich hängen die schon, aber man muß halt trotzdem noch bissl was machen. Klar kommen Leute. Echt jetzt das wird mir zu blöd. Baba!''
Hermine war wirklich eine garstige Ziege. Nur weil ich heute nicht wie gewohnt gleich gesprungen bin wenn sie mich als Lückenbüßer gebraucht hat. Weil ich jetzt auch amal wer bin. Nicht mehr nur anderen Künstlern von unten deppert zuschau sondern selber einer bin. Da wird sie gleich neidig. Soll sie. Muß mich jetzt kümmern damit nachher auch alles glatt läuft.
Du meine Güte, also ein bissl mehr Interesse könnten Herr und Frau Österreicher schon zeigen. Es ist bereits 21 Uhr, also seit zwei Stunden offen, und bisher hat kaum jemand reingeschaut. Die meisten hauen sich einen Becher von dem billigen Prosecco in den Hals, gucken pro forma ein bissl umadum und gehen dann wieder. Das ist also eine Vernissage. Hätte ich mir auch anders vorgestellt. Im Film gruppieren sich immer alle möglichen interessanten Leute um den Künstler und lassen ihn fast nicht mehr aus vor lauter Wichtigtuerei. Wär mir jetzt auch nicht so recht aber daß sich gleich GARNIEMAND interessiert, also das schmerzt schon ziemlich. Hatte schon ein Handgemenge am Eingang befürchtet wenn zuviele Besucher gleichzeitig hineinwollen, der Raum ist ja doch relativ klein, aber da hätt ich mir keine Sorgen machen müssen. Hoffentlich kommt nicht auch noch Hermine und grinst sich eins. Aber die Vorstellung von der Sargnagel geht bis mindestens halb 11 und dann machen wir hier auch bald zu.
Jö, wer ist denn der Bursche da hinten? Schaut aus wie Rübezahl. Tolle Ausstrahlung. Wenn jetzt jemand reinkommt, der glaubt sicherlich daß ER der Künstler ist, nicht ich, die dicke alte Oma mit dem fleckigen Leiberl und den doofen Haaren. Seine Haare sind lang, ungekämmt und vorn hat er einen meterlangen Tirolerbart. Ein richtiger Rebell. Wenn ich 20 Jahre jünger wäre ... nun geht er in die Hocke und betrachtet eins meiner Bilder so richtig mit Kennerblick. Ob er es kaufen will? Mir geht's nicht um das Geld. Es ist nicht so, daß ich noch auf meine Aussteuer sparen müßte höhö, aber ein bissl eine Anerkennung möcht man schon haben als Maler, oder?
Wie durch einen Nebel seh ich ihn auf mich zukommen ...
''Na servus die Frau Künstlerin, habe die Ehre!''
Boah hab ich weiche Knie und mein Puls rast, das wär jetzt ein schöner Tod ... aber so leicht stirbt es sich nicht, ich muß jetzt was sagen. Idealerweise was ganz Tolles. Was könnte ich denn jetzt sagen? Himmelhergottnah, immer wenn's wichtig wär fallt mir nix ein.
''Guten Abend,'' krächze ich. ''Kann ich irgendwie helfen?''
Oh meine Götter und Engel, ich klinge wie ein dementer Greißler aus einer Vorabend-Soap.
Rübezahl grinst und wedelt unbestimmt mit der Hand: ''Coole Bilder. Und noch nix verkauft? Ihr habts ja auch kaum Werbung geschalten, bist ned auf facebook oder so? Ach, eh auch, und nur keine follower? Ja blöd. Du, ich zeig dir jetzt mal wie das geht, ok?''
Ohne meine Reaktion abzuwarten, die sowieso nur aus fasziniertem Anstarren bestanden hätte, dreht er sich auf den Hacken um und marschiert schnurstracks auf ein älteres Ehepaar zu, das mit eher mild ausgeprägtem Interesse vor einem meiner großformatigen Werke steht. Die Frau nippt am Prosecco, der Mann schüttelt den Kopf. Rübezahl tritt wuchtig hinzu und fragt laut: ''Darf ich Ihnen dieses Werk etwas näher erklären?'' Die beiden schauen ihn verdutzt an, und er beginnt, sie ohne Punkt und Komma zuzuschwallen. Er schreitet, jawohl SCHREITET wichtig um sie herum, deutet abwechselnd auf das Bild und dann wieder auf sie, stellt Bezüge her, interpretiert und redet, redet, redet ... bis die beiden nicht mehr anders können und tatsächlich zustimmen, zwar nicht dieses großformatige Bild aber dann doch gerne eins der kleineren zu kaufen, das ihnen vorhin schon aufgefallen sei ... und schon prangt ein roter Punkt neben 'Long John Silver schaut aufs Meer und ist traurig'. Auf dem Bild ist eigentlich nur ein noch blutender Beinstumpf mit Z. n. Unterschenkelamputation zu sehen und viel aufgewühltes Meer. Damit werden sie nicht glücklich, es sei denn der Mann ist Primar einer Chirurgischen Klinik.
Stolz gesellt sich Rübezahl wieder an meine Seite und schaut verschmitzt. ''Na,'', lächelt er auf mich herunter, ''wie hab ich das gemacht? Sag, hast daheim noch mehr Bilder? Könnt ich mir die vielleicht mal anschauen?''
Aha, daher weht der Wind. Nicht einmal im Alter ist man mehr vor den Übergriffen der offenbar unzügelbaren männlichen Lust sicher. Was will der Mann von mir, ich bin SECHZIG! Und er locker 20 Jahre jünger. Vielleicht verstehe ich hier auch etwas falsch, aber dieses anzügliche Grinsen hab ich in meinem Leben schon einige Male zu oft gesehen.
Natürlich erwartet er Dankbarkeit von mir. Nachdem das erste Bild verkauft war, war der Damm gebrochen. Nichts fürchtet der potentielle Käufer mehr, als zu spät zu kommen.
Ich hatte versucht, es Rübezahl gleichzutun und mich unter die Besucher zu mischen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Extrovertiert ist man oder man ist es nicht. Für einen furchtlosen Auftritt mit Publikum hätte ich einen anständigen Champagner gebraucht, nicht diesen Fusel, aber aus dem Alter war ich endgültig raus. Somit hatte er tatsächlich einen großen Anteil an meinem Erfolg. Ich war verunsichert. Vielleicht wollte er wirklich nur meine Bilder sehen? Aber jetzt, mitten in der Nacht? Ich beschloß, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. In dubio pro reo.
''Ja wennst magst, also gerne morgen Nachmittag, oder irgendwann nächste Woche?''
''Also ich hätt gedacht schon jetzt gleich? Noch auf einen Kaffee oder was dir lieber ist?''
Wieder dieses Grinsen. Du meine Güte, der hielt sich echt für unwiderstehlich.
Aber nicht mit mir junger Mann. Da müssen Sie schon früher aufstehen.
Dachte ich so für mich. Statt es zu sagen, was ehrlich gewesen wäre. Aber auch viel Mut erfordert hätte. Den ich nicht aufbringen konnte. Schließlich HATTE er mir ja geholfen.
Aber verlangt man dafür als Bezahlung gleich das Kostbarste, was eine Frau zu geben hat?
Ich beschloß, dem übermütigen Burschen eine Lektion zu erteilen.
Nur weil jemand mit Menschen nicht so gut kann, bedeutet das nicht, daß man ihn übervorteilen darf. Oder sie. Oder es. Oder überhaupts.
In meiner Wohnung angekommen stellte ich gleich einmal meine Thermoskanne auf den Tisch.
''Kaffee gibts ned, aber einen Kräutertee kannst haben.''
Sein Gesicht war unbezahlbar. Leider hatte ich meine Kamera nicht zur Hand.
Meine Bilder waren offenbar nicht mehr interessant. Stattdessen wanderte seine Hand unmißverständlich in Richtung meiner Brust. Na warte. Jetzt hast du den Bogen überspannt, Rübezahl! Ich rutschte beiseite, stand auf, murmelte was von 'Frischmachen' und verschwand im Nebenzimmer. Das Zauberbuch brauchte ich schon lange nicht mehr, aber was zum Festhalten war jetzt gut. Mit geschlossenen Augen rezitierte ich den Spruch auf Seite 42, blieb noch ein Weilchen sitzen und ging dann langsam wieder ins Wohnzimmer zurück. Bingo! Winzig klein hockte Rübezahl in einem meiner leeren Schneckenhäuser auf dem Fensterbrett. Ich nahm es auf, mitsamt seinem neuen Bewohner, und trug es zur Vitrine. Ganz leise glaubte ich etwas von 'unterschätzt' und 'tut mir leid' zu vernehmen, aber die Reue kam zu spät. Freundlich lächelnd setzte ich das Schneckenhaus neben all die anderen Häuschen mit verzauberten männlichen Wesen darin. Sie alle hatten ihre Lektion bekommen. Und nur im Märchen werden die Jünglinge wieder befreit. Dies ist kein Märchen.
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