Präriehexereien, Kapitel 39
(Entschuldigung - da ist mir in den letzten Posts eine Episode bei der Zählung durchgerutscht, hier jetzt die korrigierte Zählung, ebenso auf der Homepage: Homepage "8-Wörter-Kurzgeschichten: Präriehexereien" von Ostseensucht76Homepage "Präriehexereien, Teil 2" von Ostseensucht76)
Paradies
Waldlichtung
Schalotten
filmisch
läufig
royal
trommeln
pausieren
„Vielleicht sollte ich dem Kräutersud noch ein paar Schalotten hinzufügen“, sagte Astralia und ging in ihre Küche. „Deborah, Frances, zeigt ihr Sally und Schwarzer Kojote bitte Annes Zimmer?“
„Oh ja!“ erwiderte Frances. „Ach, bin ich gespannt, wie das hier filmisch umgesetzt wird, wenn unsere Abenteuer eines Tages ins Kino kommen!“
„Frances!“ fuhr Sally dazwischen. „Kannst du deine Zukunftswörter nicht einmal zurückhalten? Wir leben doch jetzt in der Gegenwart! Es ist immer noch der 13. Juni 1856. Du kannst mir das alles später mal in Ruhe erklären, aber jetzt will ich zu meiner Schwester!“
In Annes Zimmer angekommen, schaute sich Sally zunächst um. Es sah alles fast aus wie in Sallys Zimmer bei Witchita, wobei alles mit royalen Krönchenmustern verziert war. Vermutlich hatte das mit Annes Prinzessinnenschwärmereien zu tun [vgl. Kapitel 6]. Wo Sally das Bett vermutet hätte, stand jedoch ein eigentümlicher Kasten, der entfernte Ähnlichkeit mit Witchitas Diagnosion hatte. Deborah erklärte: „Das ist Astralias Therapeution. Geh ruhig rein. Von drinnen ist es wesentlich geräumiger, als es von außen aussieht. Schwarzer Kojote, ich verstehe, dass du so neugierig riechst, aber ich glaube, bei der Verzweiflung, die da ausströmt, ist es besser, Sally geht erst einmal allein rein. Nein, Sally, du brauchst keine Angst zu haben! So wie das riecht, braucht Anne bloß den Beistand einer vertrauten Person. Und das bist hier nun einmal du für sie! Also rein mit dir!“
Deborahs Beschwichtigungen zum Trotz betrat Sally das Therapeution mit einem Gefühl großer Sorge. Der Anblick, der sich ihr dort bot, schien im nächsten Augenblick ihre schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen: Anne hing kopfüber mit den Knien über eine Stange unter der Decke und heulte sich die Augen aus.
„Anne!“ schrie Sally wie angestochen, und sie spürte eine Wut in sich aufsteigen. Wie konnten Witchita und Astralia und Deborah und Frances ihrer Schwester das nur antun?
Im selben Augenblick geschah jedoch ein kleines Wunder: Annes Gesicht hellte sich schlagartig auf, und sie rief: „Sally!“ Mit einem eleganten Rückwärtssalto, den Sally ihrer sonst eher tollpatschigen kleinen Schwester nie im Leben zugetraut hätte, landete Anne sicher mit den Füßen auf dem Boden und fiel Sally um den Hals. Genauso plötzlich, wie sich Annes Stimmung aufgehellt hatte, verdunkelte sie sich jedoch auch wieder. Anne schien genau abzuwägen, was sie sagen wollte. Schließlich brachte sie noch vier Wörter heraus: „Bin… ich… so… schlimm?“ und brach in erneutes Schluchzen aus.
„Wie meinst du das?“ fragte Sally zunächst irritiert, begriff aber dann, dass Anne damit die fünf Wörter ausgereizt hatte, die sie in dieser Weile sprechen konnte. „Lass es mich mal so sagen, es ist manchmal schon etwas nervig, wenn du ohne Punkt und Komma redest und nicht einmal pausierst, so dass wir anderen auch mal zu Wort kommen. Aber wenn du jetzt immer noch neunundsiebzig Weilen hier ausharren musst, um dann schließlich bei vierundachtzig Wörtern pro Weile zu landen, kommt mir das auch nicht sonderlich effizient vor. Jetzt ist es draußen dunkel, aber ich verspreche dir, Astralia zu fragen, ob wir nicht morgen früh noch eine Portion Hexenwasser machen können, sobald die Sonne aufgegangen ist.“
Anne schmiegte sich als Zeichen ihrer Dankbarkeit an Sally an und zeigte auf das Amulett an ihrem Hals. Da erst wurde sich Sally bewusst, dass sie noch ihre nagelneue Kiowa-Tracht anhatte.
„Stell dir vor, Anne“, sagte sie. „Die Kiowa haben mich in ihren Stamm aufgenommen! Da bin ich jetzt sozusagen Indianerin, und ich heiße jetzt ganz offiziell Rote Rakete, hihi. Weißt du, mit Schwarzer Kojote fühle ich mich wirklich wie im Paradies. Ach Mist, wahrscheinlich wieder so ein christliches Wort, das wir als Hexen aus unserem Wortschatz streichen sollten. Ja – nimm das Amulett ruhig mal in die Hand! Große Wolke hat gesagt, es soll Glück bringen.“
„Oh wie schön! So eins möchte ich auch haben!“ Annes Gedanken durchdrangen plötzlich Sallys Kopf.
„Wow, ich kann deine Gedanken hören! So können wir ja kommunizieren, selbst wenn du nicht genug Wörter zum Reden übrighast! Das ist ja genial! Schnell, denk weiter!“
„Nun mal ruhig, Sally, weißt du überhaupt, dass du mit deinem ständigen Gerede über deinen Typen auch etwas nervst, du bist ja schon fast wie eine läufige Hündin!“
„Ach komm schon, Anne, du bist ja nur eifersüchtig. Aber für dich finden wir auch noch einen Mann, versprochen! Auf dem Flug hierher habe ich hier ganz in der Nähe einen jungen Mann gesehen, der allein auf einer Waldlichtung am Lagerfeuer saß und getrommelt hat und dazu ganz sehnsüchtige Lieder gesungen hat. Wenn wir dich hier erstmal aus dem Therapeution rausgekriegt haben, suchen wir den. Weißt du, das Schöne am Leben als Hexe ist, dass du alle sexuellen Freiheiten hast und niemand von dir erwartet, dass du erstmal heiratest und dann einen auf brave Hausfrau machst!“
Mit einer unglaublich flinken Bewegung schnappte sich Anne zwei dicke Fliegen von der Wand des Therapeutions, stopfte sich eine in den Mund und hielt die andere Sally hin.
„Probier mal! Die sind echt lecker!“
„Ähm, nein danke, ich glaube, ich muss jetzt gehen und mein Bett im Gästezimmer machen. Ich bin müde. Wo ist denn eigentlich dein Bett? Ich sehe hier nirgendwo eins.“
„Dann eben nicht“, dachte Anne und stopfte sich beleidigt die zweite Fliege ebenfalls in den Mund. „Wer nicht will, der hat schon. Und Betten sind ja wohl sowas von einer Platzverschwendung. Gute Nacht, Sally!“ Anne ließ das Amulett aus ihrer Hand gleiten, und die Gedankenverbindung brach ab. Mit einem Salto hing Anne wieder kopfüber an ihrer Stange.
Das hatte Astralia also gemeint, als sie sagte, dass Flederhexen Macken hätten, die mit einem Therapeution nicht behandelbar wären.
(21.8.2024)