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Dirtytalk & Kopfkino
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Abschied

Abschied
Der Schmerz saß tief. Sie zog die Tür hinter sich zu. Leise fiel sie mit einem leichten Klacken ins Schloss.
Es war vorbei.

Kaum zu glauben.
Wie unwirklich sich das anfühlte.
So, als würde ein Fernseh-Sprecher Nachrichten von einem weit entfernten Krieg in einem fremden Land vorlesen.

Man weiß genau, es ist die Wahrheit, was man da hört… sieht… und doch…
empfindet man nichts.

Absolutes Nichts.
„Tot-heit“.
Wie die Ruhe nach, nicht vor dem Sturm. Eine schwere, lähmende Stille.

Sie schüttelte sich. Ein Schauer fuhr ihr über den Rücken.
„Weiter.“, dachte sie. „Weiter. Ich muss weiter.“

Langsam setzte sie einen Fuß voran und begann, zu laufen. Einen Schritt nach dem Anderen.

Wohin?
Das wusste sie nicht. Nur - weg.
Weg.

Von enttäuschten Gefühlen, zerbrochenen Hoffnungen, verletztem Stolz…
Schmerz.
Hinaus in die Nacht.
___________________________________________

Er saß allein vor dem Bildschirm. Der Ton war aus. Wie blind starrte er auf die flimmernde Scheibe, und sah…
Sah nicht hin.
Sah nichts.
Nahm nichts wahr.

Nun war sie weg.

Eine schwere, bleierne Müdigkeit überfiel ihn, lähmte seine Glieder. Mühsam stützte er sich auf. Ächzte. Stand auf. Ging zum Kühlschrank. Machte die Tür auf. Holte eine Flasche Bier heraus…
und…

Stand vor dem geöffneten Kühlschrank, blickte ins Licht, die Flasche in der Hand, die Kühlschranktür in der anderen und sah…
Nichts.

Sah hinein und sah…
Nichts.

Er schüttelte leicht den Kopf. Schloss die Kühlschranktür. Ging zurück zur Couch. Ließ sich hineinfallen. Nahm den Flaschenöffner zur Hand. Öffnete das Bier. Überlegte, ob er sich ein Glas holen sollte. Entschied sich dagegen. Nahm einen Schluck aus der Flasche. Und blickte…
Ins Nichts.

Sah…
Nichts.

„Und jetzt?“, fragte er sich. „Und jetzt?“

Und wusste keine Antwort.
___________________________________________

Sie irrte durch die Straßen, fuhr U-bahn, von einer Endstation zur Anderen.
Das Licht der U-Bahn-Höfe beruhigte sie.
Jedesmal, wenn der Zug durch das Dunkle fuhr, den Tunnel durchquerte und nach einer Minute wieder ans Licht kam, erschien es ihr wie eine kleine Neugeburt.

Zigtausend kleine Tode.
Zigtausend kleine Geburten.
Neue Chancen.
Neue Schmerzen.

Hinein ins Dunkel. Tief durchatmen. Luft anhalten.
Und… langsam – mit dem Licht – wieder… ausatmen.

„Und jetzt?“, fragte sie sich. Sah weder oben noch unten, weder links noch rechts.
Zog den Kopf wieder ein.

Lieber zurück in den Schmerz.
Noch war der Schmerz besser als die Angst.
Noch, noch…

Sie sah nochmal die Szenen vor ihrem inneren Auge ablaufen.

Wie sie sein blondes Haar aus seinem Gesicht hinter die Ohren strich.
Sah ihn arbeiten.
Wie er da saß, die Beine angewinkelt.
Sah die schmalen Hände, die sie so liebte.
Die elegante Haltung an ihm.

Den angestrengten Blick.
Die Konzentration.
Sah, wie er überlegte.
Nachdachte.

Bewunderte die Faszination dieses Augenblicks.

Trauer überkam sie und Tränen schossen ihr in die Augen. So gefühlt hatte sie noch nie in ihrem Leben, und jetzt –

war es vorbei.
War vorbei, was nie eine Chance gehabt hatte.

Rational betrachtet - sah sie es.

Dennoch… der Schmerz, der Schmerz…
Und der nächste U-Bahn-Tunnel kam.
Und sie tauchte ein ins Dunkel.
___________________________________________

Inzwischen hatte er die Lichter ausgeschaltet. Er ertrug die Helligkeit nicht.
Nur der Bildschirm war noch an. Eine vereinzelte, flackernde Bastion trotzigen Lichts in einem Meer von Traurigkeit.

Müdigkeit überkam ihn.
Dennoch… er konnte nichts tun.

Er seufzte.
Es half nichts.
Er stand auf, ging im Raum umher.
Es half nichts.
Es half alles nichts.

„Es hätte auch nichts helfen können.“, dachte er trotzig.

Aber auch der Trotz half nichts. Half nichts gegen den Schmerz.
So ließ er ihn wieder bleiben und setzte sich.
Seufzte erneut. Und ergab sich dem erschlagenden Gefühl von Hoffnungslosigkeit…
___________________________________________

Sie saß immer noch im Zug, als die letzte Fahrt begann.
Tränen standen ihr in den Augen und sie schaute mit weit geöffnetem Blick ins Leere.

Sie sah, wie der Schaffner zu ihr kam. Ein älterer, freundlich aussehender Mann Mitte 50.
Er kam näher, sah sie an, öffnete den Mund, überlegte, ob er etwas sagen sollte.
Schloss ihn wieder und schüttelte den Kopf.
Stattdessen griff er in seine Tasche und streckte ihr schweigend eine Packung Tempos hin.
Sie sah ihn an, blickte durch tränenverschleierte Lider, schniefte laut.
„Danke.“, sagte sie und nahm die Packung.

Er nickte schwer, blickte sie noch einen Moment lang an, drehte sich um und ging schweigend davon.

Sie sah ihm nach und des Bild des Schaffners verschwamm, veränderte sich und wurde zu einem Bild von ihm, wie er…

…neben ihr auf der Straße ging.
…mit ihr im Cafe saß.
…spazieren war im Park.
…sie nebeneinander im Auto saßen.
…gemeinsam Einkaufen waren.
… zusammen Zeit verbrachten.

…beim frühen Aufwachen von der Sonne beschienen wurden,
manchmal von der Abendsonne, da sie die ganze Nacht wach gewesen waren.

Sie dachte daran, wie sie seine Haut genossen hatte, wie sie…
seinen Körper
…geliebt und geküsst hatte.

Wie gern sie die Hand darauf gelegt hatte.
Wie gern sie ihn gestreichelt hatte.
Wie gern sie ihn angefasst hatte.
Wie gern sie ihn spüren wollte.

Seine Haut auf ihrer Haut.
Seine Hand auf ihr.
Auf ihrem Bauch.
Ihrer Brust.
Ihrem Po.

Nie wieder.

Wie eine Wand aus klarem, undurchdringlichem Glas stand das Bewusstsein zwischen ihnen.
Es hatte keinen Sinn.
Es war vorbei.

Es brach ihr das Herz.
Sie gab sich ihrem Schmerz hin.
Und der nächste Tunnel kam…
___________________________________________

Er schaltete das Gerät aus. Wozu auch?
Er sah sowieso nicht hin.
Er ging ins Bett.
Er legte sich hin.
Konnte nicht schlafen.
Drehte sich. Hin und Her.

Gedanken in seinem Kopf.
Warum?

Warum, warum, warum…

Er sah ihr Bild vor seinem inneren Auge. Sah, was er gerne hätte sehen wollen.
Sah, dass sie nicht war, was er gerne gewollt hätte, dass sie war.

Sah die Tragik darin.
Fühlte den Schmerz darüber.
Schluckte.

Es hatte keinen Sinn.
Hatte nie einen gehabt.
Dennoch tat es weh.

Verdammt weh.

Wollte nicht denken, nicht fühlen…
Zwang sich, zu denken, zu fühlen…
Zu fragen. Durch den Schmerz hindurch.
Sah seine Träume, seine Hoffnungen, seine Wünsche…

Fragte sich, ob nicht doch…
Und kam immer wieder zu dem Schluss, dass nicht.

Nein, nein, sie war es nicht.
Sie war nicht, was er gedacht hatte, dass sie war.
___________________________________________

„Junge Frau. Sie müssen jetzt aussteigen. Die Fahrt ist hier zu Ende.“

Wieder der Schaffner von vorhin.
Sie war eingeschlafen, kurz eingenickt.
Über dem Schmerz, der sie durchflutete –
über dem Entsetzen über die Erkenntnis der Hoffnungslosigkeit.

Entgegen all ihrem Wollen. Entgegen all ihrem Hoffen. Entgegen all ihren Wünschen.

Der Schmerz war überwältigend und durchfuhr sie beim Aufwachen und Aufkommen der Erinnerung wie ein Schwert aus gleißendem Licht.
Sie schreckte auf, fuhr hoch, sah den erschrockenen Blick des Schaffners.

„Alles in Ordnung“, stammelte sie. „Nur ein wenig… verwirrt.“
„Kann ich Sie irgendwo hinfahren? Es ist mitten in der Nacht. Sie müssen doch irgendwohin.“, fragte er besorgt.
„Ja, bitte… ins nächste Hotel, bitte.“

Als sie im Hotel angelangt war und schwer in die flauschigen Decken eines Doppelzimmers sank (wie ironisch – es war das Einzige, was noch frei gewesen war), war sie sich des leeren Platzes an ihrer Seite schmerzlich bewusst.
So bewusst, wie als hätte jemand ihre Gefühle in Beton gemeißelt.

Dennoch spürte sie einen Anklang von Nachlassen. Vom Nachlassen des Schmerzes, eine Ahnung von Licht am Ende des Tunnels, das vielleicht morgen früh erreicht sein könnte…

Sie meinte, zu erahnen, dass der Schmerz langsam der Trauer weichen würde und mit einem Hauch von beginnender Wehmut übergab sie sich dem letzten Tunnels dieses Abends…

Einem tiefen, erschöpften Schlaf.
Dem Schlaf der Genesenden,
nicht der Siechenden.

Bis morgen früh das Strahlen eines neuen Tages sie hoffentlich wecken würde…

Obwohl sie das wusste… ahnte… verspürte, waren ihre letzten Gedanken vor dem Einschlafen noch durchdrungen…

Von dem leise summendem Nachhall
von schwirrenden Bildern und Erinnerungen…
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Bemerkung der Autorin:

Die Geschichte habe ich für und wegen D. geschrieben, meiner zweiten „großen Liebe“, aber ersten Beziehung, die mir die Erfahrung einer schmerzhaften und dennoch konstruktiven Trennung geschenkt hat, durch das Geschenk gegenseitiger, tiefer Auseinandersetzung miteinander.

Natürlich hätte ich mir nichts mehr gewünscht, dass es gehalten hätte, aber, wie schon in der Geschichte beschrieben, was keinen Sinn hat, hat keinen Sinn…

Und mit Erzwingen-Wollen habe ich immer wieder schmerzhafte Erfahrungen gemacht schief-grins

Wie dem auch sei, ich war verliebt bis über beide Ohren, und die Erfahrungen, Gedanken und Wünsche der jungen Frau sind aus dem realen Leben gegriffen und beschreiben, was ich für ihn empfunden habe.

Die Beschreibung des jungen Mannes habe ich bewusst stilisiert und vereinfacht.
Sie entspricht sicherlich nicht so dem, wie D. es empfunden hat
(bzw. was ich annehme, wie er es wohl empfunden hat).
Aber durch den Schmerz auch zu gehen, so wie er für ihn war, wäre mir zu viel gewesen zu dem Zeitpunkt, an dem die Geschichte verfasst wurde.

Ich hoffe und wünsche mir, dass er die Geschichte und die damit verbundene Aussage irgendwann liest und verstehen mag…

In Liebe, J.
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Nachtrag – 12.12.
Ich habe wohl vergessen, zu erwähnen, dass wir uns am nächsten Tag –GottseiDank- wieder versöhnt haben?
Die große Frage...
... ist doch jetzt:

War die "Bemerkung der Autorin" ursprünglich echt oder immer schon Part der Geschichte und geplante Wendung...?
*zwinker*

Julie
Hast in mir die Ohnmacht
erschreckend aber wunderbar lebendig mit deinen Zeilen zum Leben erweckt.
Und mich zum Glück genauso wunderbar zum Ausgang geleitet.
Das Happy End in der Bemerkung der Autorin nahm mir dann aber wieder etwas von der Tiefe.
Obwohl ich die Wendung auch kenne. Und soooooo glücklich drüber war.
Jedes Mal. Bis zum endgültigen Abschied.
Für mich also ohne Bemerkung 1+ und mit 1-

beifallklatscholaf
Orange Session
*********katze Frau
8.077 Beiträge
Liebe Julie,
Du hast den Schmerz und die Gedanken wirklich sehr gut beschrieben. Wer von uns war nicht schon einmal in solch einer Situation und hat sich in Deinem Text wiedergefunden.

Anfangs fand ich es etwas mühsam zu lesen, hab mich aber schnell an Deine vielen Absätze gewöhnt.

Ich hab es gerne gelesen und freue mich als "Happy-End-Fan" über den guten Ausgang, den ich für mich jetzt einfach mal als Tatsache betrachte! *ggg*

Liebe Grüße
Christine
Herbst 2018
***to Mann
4.271 Beiträge
Er sah ihr Bild vor seinem inneren Auge. Sah, was er gerne hätte sehen wollen.
Sah, dass sie nicht war, was er gerne gewollt hätte, dass sie war.
...
Sie war nicht, was er gedacht hatte, dass sie war.

Das geht mir nach. Läßt mich nicht los.

Ist es nicht zu oft so: unsere Wünsche suchen im Äußeren eine Entsprechung und ... irren doch so oft?

Ein Wunsch muß nicht immer das Beste für uns sein.

Heinrich
*******e_st Frau
3.948 Beiträge
Ich finde den Text insgesamt sehr gut präsentiert!
Die Absätze unterstreichen die Gedankenfetzen, die einem Menschen in so einer Situation tatsächlich wie im Telegrammstil und ohne tiefere Erklärung durch den Kopf jagen.
Sehr gut umgesetzt und eine tolle Idee!

Auch mir kam beim Lesen der Gedanke: was muss ein Mensch an Leere, Ausgebranntheit und Schmerz durchgemacht haben, um einen solchen Text so detailliert in der Gedankentiefe zu schreiben?
So einen Text, kann man sicher nur in so einer Situation schreiben.

Und deshalb Danke auch für die Erklärung!
...
@***ve
Das Happy End in der Bemerkung der Autorin nahm mir dann aber wieder etwas von der Tiefe.
Beim Abtippen von der handschriftlichen Urfassung kam es mir irgendwann zu melodramatisch vor und auch ein wenig Hollywood-typisiert... daher der "Bruch". Bewusst gesetztes Stilmittel, um einen unerwarteten Aspekt reinzubringen und es dadurch aufzulockern.

@*********katze:
Anfangs fand ich es etwas mühsam zu lesen, hab mich aber schnell an Deine vielen Absätze gewöhnt
Eigentlich muss man den Text laut vorlesen.
Die richtige Betonung, die richtigen Pausen...
Das machts dann aus.
*Gänsehaut*...

@*******hhb:
Ein Wunsch muß nicht immer das Beste für uns sein.
Der Wunsch an sich ist nicht das Problem.
Die Fehlinterpretation ist es.
Schön, dass es etwa gab, was du für dich rausholen konntest aus der Geschichte.

@*****tte
Gedankenfetzen...Telegrammstil...

Jupp. Das isses.

was muss ein Mensch an Leere, Ausgebranntheit und Schmerz durchgemacht haben, um einen solchen Text so detailliert in der Gedankentiefe zu schreiben?
...

So einen Text, kann man sicher nur in so einer Situation schreiben.
Meine U-Bahn war der Schreibtisch...
War nicht so prickelnd...

@**l
merci, merci, merci...

LG Julie
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