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Wenn der Anfang das Ende ist

Wenn der Anfang das Ende ist
Moin.

Ich denke, ihr habt mitbekommen *lach*, wie ich in den letzten Jahren hier wahrscheinlich hunderte von Puzzlesteinen eingestellt habe, die sich alle um dasselbe Thema drehten. Ich schreibe meinen ersten Roman, schon seit Jahren und für mich sieht es so aus, als würde es auch mein Letzter werden, wenn ich den Typ mit dem "es geht noch besser, ist noch nicht perfekt" nicht endlich erschlagen kriege. Viele Probleme haben sich ergeben, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie existieren. Oftmals sah die Lösung so aus, dass ich in der Geschichte immer weiter zurückgehen musste, um Rückblenden und Erklärungen zu vermeiden. Das ist das genaue Gegenteil von dem, was viele Schreibratgeber sagen, nämlich später einsteigen. Doch es muss auf der einen Seite eine nachvollziehbare Ursache-Wirkung-Kette geben und auf der anderen Seite nimmt jede Erklärung, jedes „weil“, jedes „darum“ das Tempo und die Spannung aus der Geschichte. Das musste ich auch erst begreifen - eine Geschichte, in der man erklären muss, ist keine.
Dann das Perspektivenproblem. Ich habe parallele Handlungsstränge und große Zeitsprünge und brauche deshalb sowohl einen auktorialen Erzähler als auch mehrere personale Perspektiven. Hört sich kompliziert an, ist es auch und am schwierigsten ist es, diese Kompliziertheit nicht den Leser ausbaden zu lassen. Aber wie kann ich einen allwissenden Erzähler in einem Thriller verwenden (haben, glaube ich, noch nicht viele mit Erfolg versucht), ohne das der Leser das Gefühl hat, dass dieser zwar allwissend ist, aber eben nicht alles sagt, um die Spannung hochzuhalten? Ich als Leser würde mich da verarscht fühlen.
Ein dritter Problemkreis - einer der Haupthandlungsorte ist Schwerin und davon will ich unter keinen Abständen abgehen. Doch wie kann ich dem Leser Schwerin als Großstadt und mit einem Flughafen verkaufen, ohne dass es phantastisch wirkt?
So sind auch viele Anfänge entstanden, obwohl der Roman komplett durchgeschrieben ist, die ausnahmslos in der Tonne gelandet sind. Die Zeit hat sie überholt.
Ich denke, jetzt endlich einen in Stein meißeln zu können. Mich würde interessieren, wie dieser Anfang auf euch wirkt. Ob er euch hineinzieht ...
Dankeschön

PS: Die erste Hälfte kennt ihr schon, die habe ich nur leicht überarbeitet. Der Prolog wirkt aber nicht ohne, deshalb muss hier noch einmal hinein.
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Gott hat die Menschen geschaffen, ihn anzubeten und dazu die unheilige Dreieinigkeit von Obrigkeit, Krieg und Kirche. Die Hölle hat er gemacht, auf dass die Seelen derer, die den Kopf nicht davor beugen wollen, in ihrem Feuer ewige Pein erleiden. So macht man es die Leute glauben, und nichts davon ist wahr. Wahr ist, dass der Weg zur Hölle mit Dollars gepflastert ist; es in ihr sechs Monate in jedem Jahr so finster wie im Herzen eines Banksters ist und sie schon alt war, als sich die Vorfahren der Menschen noch durch die Bäume hangelten.

„Antarktis“ ist ihr Name, ein kilometerhoher Eispanzer bedeckt sie wie ein Leichentuch und Stürme rasen darüber hinweg, wie es sie nirgendwo sonst auf der Erde gibt. Nicht Hitze herrscht in ihr, sondern tödliche Kälte und eine arme Seele, die sich dahin verirrt, wird nicht abgefackelt, sondern schockgefrostet. Voller Geheimnisse und ungelöster Rätsel ist sie eine der letzten Herausforderungen der Menschheit. Doch sie gibt sie nicht so ohne Weiteres preis und verzeiht denjenigen, die sie ihr entreißen wollen, keine Fehler. Schützt man sich vor der Kälte, schickt sie einen Blizzard; geht man vor dem Sturm in Deckung, reißt er das Eis unter den Füßen auf; steht man auf festem Grund, rollt sie häusergroße Brocken heran und hat man das alles überlebt, spielt der Kompass verrückt und der Weg zurück scheint auf immer verloren. Worauf man sich auch vorbereitet – sie schlägt da zu, wo man es nicht erwartet hat, ganz so, als würde ein teuflischer Verstand dahinterstecken und alles tun, um dieses letzte freie Land vor der Zerstörung durch den Menschen zu schützen.

Einen Moment zögerte ich, dann strich ich die beiden letzten Halbsätze. Selbst wenn es einen Verstand hinter allem gab, war es gewiss keine teuflischer; nur einer, der um sein Überleben kämpft. Es ist keine Intelligenz, die das lenkt, womit sich die Antarktis gegen jene wehrt, die sie erobern wollen. Es ist pure Natur, und wenn uns das seltsam vorkommt, dann nur, weil wir zivilisatorische Weicheier geworden sind - hilflos ohne unsere Technik, kommunikations- und gefühlsunfähig ohne unsere Smartphones und im eisigen Land stehen keine Sendemasten.

Ob es auf den anderen Erden genau so ist? Vor zwei Jahren hatte Rachmantikow die Existenz paralleler Universen bewiesen; das Multiversum ist keine bloße Theorie mehr, sondern eine feststehende Tatsache. Vielleicht ist ja auf wenigstens einer dieser unendlich vielen Erden die Antarktis ein blühender Garten Eden. Oder Schwerin keine Großstadt, sondern nur ein Provinznest? Beides schwer vorzustellen ...

Irgendwo wurde leise eine Tür zugeschlagen und ich fuhr zusammen. Die Nachtschwester machte ihre Runde. Sie kam ganz gut ohne mich klar, wahrscheinlich sogar besser, als wenn ich hier war. Höchste Zeit, Feierabend zu machen, meine Gedanken machten ohnehin Bocksprünge. Ich hob den Kopf von meinem Text und massierte meinen Nacken. Beruhigend leuchtete das Grün des Hinweisschildes für den Notausgang ein paar Meter links von mir durch die Plastglasscheibe des Arztzimmers und nichts mehr erinnerte an den Betrieb, der tagsüber auf der Station herrschte.

Noch einen Kaffee zum Mitnehmen. Ich stand auf, reckte mich und ging durch das Halbdunkel im Saal zum Automaten. Der Becher fiel in die Halterung und leise zischte das kochende Wasser in der Maschine; der Ausgabearm fuhr heraus, ich nahm den Becher, hinterließ im Schwesternzimmer Sabrina noch ein paar Zeilen und machte mich auf den Weg zu meinem Wagen.

Wolken zogen vor den Mond, als ich aus der Tür trat. Die Bioluminiszenz-Leuchtstreifen im Gehweg erhöhten sanft ihre Lichtintensität und die uralte, schiefe Sommerlinde mit dem auf Augenhöhe in die Rinde gekratzten Herzen und dem es durchbohrenden Liebespfeil, unter dem ich immer meinen Wagen parkte, wies mir mit ihrem Duft den Weg. Sie blühte, wie sie es schon seit vielen einhundert Jahren immer im Sommer getan hatte und ihre Pollen machten aus der lauen Nacht ein Sinnesfeuerwerk. Wie der sanfte Abschiedskuss einer Geliebten - tief atmete ich ihn ein und wieder fragte ich mich, auf welchen Abwegen meine Gedanken heute Nacht unterwegs waren.

„Sie arbeiten zu viel, Doktor.“

Eine schlanke Gestalt trat hinter dem Stamm hervor und mit einem satten Geräusch klatschte mein Kaffeebecher auf den Boden, Spritzer landeten auf meinen Füßen und ich blieb abrupt stehen. Es war nachts um drei Uhr, um diese Zeit war außer dem Sicherheitsdienst auf dem weitläufigen Gelände der Klinik gewöhnlich niemand mehr unterwegs. Dunkel, fast rauchig und ein wenig belustigt hatte die Stimme geklungen und es war die einer Frau gewesen.

Ich zwang meinen Atem zur Ruhe. „Womit bewiesen wäre, dass mein Gewissen weiblich ist. Sie haben hier gewartet, um mir das zu sagen?“

„Warum nicht? Sie treffen heute Ragnar Borg. Ich will, dass Sie ihm sagen, dass er mich haben kann, wenn er dafür morgen ein Treffen mit Christian Svensson arrangiert.“

„Svensson ist tot.“

„Und der Mond ist aus grünem Käse.“

„Nehmen wir an, Sie hätten Recht. Warum sollte ich das für Sie tun?“

Sie kreuzte die Arme vor der Brust, winkelte ein Knie an und stellte sich mit dem Rücken an den Stamm. Dunkel gekleidet sah sie im Mondlicht mit ihrem herzförmigen Gesicht mit Samthaut, den großen blauen Augen und langen blonden Haaren aus wie allerhöchstens fünfundzwanzig. Doch die Falten und die ein wenig hervortretenden Adern auf ihren außergewöhnlich schmalen Händen verrieten ihr wahres Alter.

Ich bückte mich und hob den Kaffeebecher auf. „Ich habe Ihre Antwort nicht gehört. Bei uns muss man eine Gegenleistung erbringen, wenn man etwas haben will.“

„Nicht nur bei Ihnen, Doktor. Individuelle Intelligenz entwickelt sich immer ähnlich. Überall.“

Deutlich und akzentuiert sprach sie, ohne eine einzige Endung zu verschlucken. Ausgebildete Radiosprecherinnen reden so, mit gekonntem Heben und Senken der Stimme an den richtigen Stellen und mit einer Vibration in den Untertönen, die in schlaflosen Nächten dafür sorgt, dass man sich wünscht, sie mögen weitersprechen. Einfach nur deshalb, weil eine solche Stimme die Seele streicheln kann. In meinem Beruf wären ihr die Patienten auf allen Vieren hinterhergekrochen.

„Das war keine Antwort“, erwiderte ich.

„Nicht die, die Sie wollten. Lassen Sie uns ein Stück gehen.“

Mit dem Rücken stieß sie sich vom Stamm ab. Eine perfekte Bewegung wie eine Welle, die an den Strand läuft. Ich hatte sie schon einmal gesehen, aber nicht bei ihr.

Sie ging an mir vorbei, blieb nach ein paar Schritten stehen und fragte über die Schulter: „Kommen Sie?“

Als ich auf gleicher Höhe war, hakte sie sich ein. „So bin ich hier auch mit Christian Svensson spazieren gegangen, als er mich hier besuchen kam.“

„Sie waren noch nie Patientin hier. Ich sehe Sie zum ersten Mal.“

„Sind Sie sicher?“

Nein, das war ich nicht, aber ich sprach es nicht aus. Nichts war sicher, nicht mit ihr und nicht heute Nacht. Sie redete, ich schwieg und genoss den Klang ihrer Stimme. So spazierten wir stundenlang durch den Park und wenn wir ihn durchquert hatten, begannen wir eine neue Runde. Jeder ihrer Sätze füllte eine weiße Stelle in dem Puzzle, in dem ich, ohne es gewusst zu haben, ein Stein gewesen war; die Ströme von Blut, die Svensson vergossen hatte, schienen eine andere Richtung zu nehmen und aus seinen Opfern wurden aus ihrem Blickwinkel plötzlich Täter.

Die Sonne war längst aufgegangen, als sie verstummte und mir das erste Mal direkt in die Augen schaute. „Jetzt wissen Sie, warum ich dieses Treffen will. Wenn er von alleine begriffen hat, was ich Ihnen eben erzählt habe, aber ihm nie sagen durfte, werden morgen die letzten drei Menschen auf seinem Weg sterben. Einer davon muss ich sein, direkt vor Borgs Augen. Unbedingt und Sie wissen jetzt, warum.“

Einen Moment sah sie mich noch an, dann ging sie ohne ein Abschiedswort davon. Ihre Tritte verklangen hinter mir auf den alten Steinplatten, einer wahrscheinlich perfekt auf den Millimeter genau so lang wie der andere und alle exakt auf einer schnurgeraden Linie. Eine perfekte Frau. Zu perfekt.

Ich schaute ihr nicht nach, sondern über den Schweriner See. Diese Welt hier kannte ich, die Menschen, die Häuser, die Straßen. Dass es noch eine andere gab, hatte ich nicht geahnt, wahrscheinlich genauso wenig wie Svensson. Er musste sich morgen entscheiden, ob er leben oder sterben wollte und niemand würde ihm sagen, dass nur sein Tod die richtige Wahl war. Auch ich nicht. Das war ich dieser Frau schuldig. Sie hatte ihren Namen nicht genannt, aber ich hatte eine Ahnung, wer sie war.

Im Sommer neunzehnhunderteinundachtzig, vor ungefähr vierzig Jahren, hatte sie sich in Oslo auf eine Antarktisexpedition vorbereitet und ein elfjähriger Junge hier in Schwerin hatte nicht akzeptieren wollen, dass man in der menschlichen Gesellschaft nur vorankam, indem man anderen weh tat.
Wie es aussah, hatte damals alles begonnen ...
Mein Einfall beim Lesen ist:

Streich meinetwegen um der Heiligen Dreifaltigkeit willen den ersten Absatz ... Da wäre ich beinahe schon als Leser ausgestiegen. Welche Funktion hat der? Ich sehe keine. Zudem will er den Leser abholen mit lauter Klischees, die als solche nicht einmal besonders originell sind. Wie gesagt: um ein Haar wäre ich schon ausgestiegen.

Zum Glück habe ich trotzdem weiter gelesen. DER ZWEITE ABSATZ!
"Antarktis ...."
Ah .... Da ist sie ja ... Eine andere kraftvolle Erzählsprache. Von dieser Kraft bin ich als Leser sofort in Spannung gesetzt. Dein Erzählfluss setzt ein - ich bin schlagartig drin ... Ich folge Dir. *top* Da beginnt der Roman ...
Dankeschön
... und weisst du, warum der zweite Absatz wirkt? Weil du ihn nach dem -hm-verdruselten ersten haben wolltest, auf ihn gewartet hast. Es sind die Gegensätze, die Differenz. Wenn ich mit Feuer anfange - wie steigere ich dann? Ein Vulkanausbrauch? Eine Atombombe?
Auf dieses Problem stoße ich immer wieder - Tempo herausnehmen, herunterfahren, damit wieder Luft nach oben entsteht.
Me 2
*********ld63 Frau
8.551 Beiträge
Yep, sehe ich genauso wie https://www.joyclub.de/profile/4034132.clairvaux.html: der erste Absatz mit der Dreifaltigkeit ist eher soso lala. *cool*

Ab der Erwähnung der Antarktis wird es spannend.

Was ich nicht so mag, sind Vergleiche wie
„Und der Mond ist aus grünem Käse.“

Ansonsten würde ich sehr gerne das ganze Buch mal am Stück lesen ... und insgeheim hoffen, dass nicht alle Frauen, die den Weg des Helden kreuzen, wie Models aussehen. *g* Das ist doch laaaaangweilig!!*lol*
Wie soll ich es erklären?

Meine normale Situation als Leser ist: Liefere mir bitte direkt und umgehend ein gutes, starkes Argument, warum ich ausgerechnet Deinen Thriller unter Hunderten in der Buchhandlung kaufen und lesen sollte. Ich kenne Dich als Mensch und Autor (noch) nicht, habe nichts von Dir gelesen, nichts von Dir gehört ...

Das ich jetzt etwas von Dir lese hier in Joy in der KG-Gruppe ist ja eine Ausnahme. Ich gestehe, dass Thriller nicht unbedingt zu meinem Lieblingsgenre gehören, aber dann und wann lese ich zur Entspannung doch einen, wenn er mich thematisch und sprachlich sofort anspringt.

Jetzt stell Dir vor, ich greife als Leser in einer Buchhandlung nach Deinem Buch. Titel und Cover und Covertext ... überfliegen mit einem Seitenblick. Gebe aber normaler nicht so viel darauf. Auf dem EBook ist das noch unwichtiger.

Ich lese auch in der Buchhandlung immer das erste Kapitel an, meist die ersten Sätze. Ich will einen Thriller haben für heute Abend. Du weißt als Autor: Aufmerksamkeit ist ein empfindliches kostbares Gut.

Beim ersten Absatz hätte ich ihn schon beiseite gelegt. Und nach dem nächsten gegriffen, wie gesagt, ich kenne Dich nicht und keines Deiner Bücher. Du bist mir auch noch nicht empfohlen worden ... Terra incognita.

Aber der zweite Absatz! Ab zur Kasse damit ... Ich weiß zwar noch nicht genau, worum es gehen wird, aber eins weiß ich schon: Sprache, Rhythmus, Bilder und Szenario gefallen mir ... Ein Versprechen des Erzählers ... Deal... Du hast einen Lesevertag mit mir.

Vermassele es nicht gleich mit dem ersten Absatz jedenfalls bei mir. Das wäre wirklich schade, schade, schade ... Aber natürlich ist es Deine Freiheit, auch wenn Du es nicht beabsichtigt. Warum ein schlechter Anfang stehen lassen, wenn Du einen starken Anfang in der Tasche hast?
Ich bin kein sehr geduldiger Leser in diesem Genre. Aber es gibt es gibt Ungeduldigere als mich - bestimmt!

Und ab dem Zweiten Absatz, wenn Deine Erzählung sofort Feuer fängt und nicht erst gar im 2. Kapitel, hast Du mich ... Und ich vermute - so was rieche ich - alle anderen auch.

So, jetzt ist es aber auch genug *zwinker*
Ich habe den ersten Absatz gelesen, dann quer ... *sorry* Es hat mich nicht gepackt.

Du erschlägst mit Wortgewalt. Aber ich als Leser möchte langsam an die Sache herangeführt werden. Du meinst, Andeutungen bringen Spannung. Und hinterlässt mich als Leser mit dem Gefühl der Verwirrung: bin ich zu doof, zu kapieren, um was es geht?
Du posaunst in Andeutungen schon die Botschaft des Romans heruas, die ich in diesem Moment nicht kapiere, aber es mutet wie eine politische Rede an ... die will ich aber erst am Schluss erfahren, bzw. mir selbst eine Meinung bilden ...

Bei meinem eigenen Romanprojekt war das Buch von Stephan Waldscheidt "Plot & Struktur" für mich sehr hilfreich.

Bitte verstehe das als wohlwollende Kritik. Du kannst schreiben, Deine Sprache ist wunderbar. Aber kannst du auch so strukturieren, dass es gerne gelesen werden will?
Macht Spaß mit Euch
Vorneweg - mit ernsthafter Kritik kann ich sehr gut leben. Ist in den letzten Jahren ein bisschen weich geworden hier. Ist keine Kritik an der Gruppe, nur ein rein persönliches Gefühl.

@******aux: Die Antwort ist der Klappentext (siehe unten). Den liest der Leser zuerst und zusammen mit dem Prolog sollte er das Bild etwas anders gestalten.

@*****ica: Ich denke über das nach, was du sagst. Allerdings habe ich einen etwas anderen Ansatz. Ich will keine Leser fangen (nicht negativ gemeint). Ich hatte den Traum, das ein Tag 24 Stunden hat und es in einem Buch möglich sein muss, Krimi, Liebeszenen, Alltag und auch Politik spannend unterzubringen. Also nicht in einem Thriller einen Schnitt zu machen, wenn sich die Schlafzimmertür schliesst als Beispiel. Von einigem musste ich mich in dieser Hinsicht trennen, weil es tatsächlich nicht geht, aber das meiste werde ich realisieren. Das Leben ist nicht einfach, die Welt ist es nicht, ich bin es nicht und mein Buch wird es auch nicht. Ich bin zu alt, um als Schriftsteller ein ruhiges Leben führen zu können. Es wird, wie schon gesagt, wohl nur dieses eine Buch von mir geben und deshalb muss nicht ich mit den Lesern leben, sondern sie mit mir. Ist ihre Entscheidung. Vier Menschen auf dieser Welt müssen es lesen wollen - meine Frau, meine beiden Töchter und meine Enkeltochter. Die ersten drei haben sehr hohe Maßstäbe und mögen keine "leichte" Literatur. Auch das ist keine Kritik an selbiger.
Allerdings entbindet mich diese Nichtverpflichtung dem Leser gegenüber nicht von meiner Sorgfaltspflicht, was die Qualität betrifft und damit schliesst sich dann wieder der Kreis zu Euch.
Generell ein Danke an Euch und auch an die, die sich noch die Mühe machen werden und ihre Zeit meinen Texten opfern.

------------------
Klappentext (ist scheinbar zu lang, aber passt auf eine Rückseite, habe ich schon ausprobiert. Ich werde ihn nicht kürzen *grins*)

Die Nornen knüpfen das Netz des Schicksals aus vielen Fäden und nur die wenigsten davon verstehen die Menschen. „Leben“ nennen sie das und sie glauben, dass sie an seinem Ende nichts anderes erwartet als das Erlöschen von Körper, Geist und Seele und dass es eine Reise ohne Wiederkehr sei. Das zu glauben ist menschlich.
Irren auch.
Joanna Hakonsen


1982 bricht eine norwegische Expedition in die Antarktis auf. Im gleichen Jahr erhängt sich unter der Londoner Blackfriars Bridge der Bankier Roberto Calvi; stößt das erste deutsche Retortenbaby im Universitätsklinikum Erlangen einen Schrei aus und schlägt das elektronische Virus „Elk Cloner“ eine Schneise der Verwüstung durch fast jedes Computernetz der Erde. Alle diese Ereignisse scheinen nichts miteinander zu tun zu haben. Vierzehn Jahre später begegnet Sven Oldenburg in Schwerin der schönen Norwegerin Joanna Hakonsen und was in ihren grünen Augen für ihn leuchtet, setzt seine Seele in Brand. Doch erst im Angesicht ihrer Verfolger versteht er, wer diese Frau wirklich ist. Will er sie je wiedersehen, muss er sich Gegnern stellen, für die Mord nichts weiter als ein Geschäftsmodell ist. Er weiß nicht, dass Joanna für mehr als ein Leben vorausgeplant hat und ihn für stark genug hält, einen uralten Feind zu besiegen, der noch niemals verloren hat - den Tod.
**********henke Mann
9.667 Beiträge
Mein Vorschlag:
"Gott hat die Menschen geschaffen.Er hat sie geschaffen, ihn anzubeten und er hat ihnen die unheilige Dreieinigkeit von Obrigkeit, Krieg und Kirche dazugegeben..."

Das wäre für mich so ein "erster Satz", der mich einfängt, frei nach Tucholskys Grundsätzen für den guten Redner - Hauptsätze, Hauptsätze.

Ansonsten: Ich dachte, dass Du fertig seist.
Ich ärgere mich
Wieso greift bei mir immer noch der Reflex, dass ich erst das Selbstgeschriebene verteidige und dann erst nachdenke? Besitzerstolz? Eigendünkel? Vielleicht, weil ich mir soviel Mühe mit der grandiosen Overtüre gegeben habe. Egal.
@******aux : Du hast Recht. Basta. Erster Absatz lautet:
Die Antarktis ist die Hölle. Stürme rasen über sie hinweg, wie es sie nirgendwo sonst auf der Erde gibt. Nicht Hitze herrscht in ihr, sondern tödliche Kälte. Ein kilometerhoher Eispanzer bedeckt den sechsten Kontinent wie ein Leichentuch und in seinem Würgegriff erlischt jedes Leben. Voller Geheimnisse und ungelöster Rätsel ist sie eine der letzten Herausforderungen der Menschheit.

@**********henke: Tja, was aber, wenn ich keine Rede schreibe, sondern einen Roman? Ich achte schon darauf, dass nur sehr wenige Sätze überlang werden und wichtige Dinge im Hauptsatz stehen. Doch mein Satzbau ist offenbar Teil meines Charakters, damit auch meines Schreibstils und wenn ich da auch noch eine Baustelle aufmache ...
Trotzdem Danke. Ach so - und fertig? Nie ...
"Voller Geheimnisse und ungelöster Rätsel" ist immer noch zu dick aufgetragen für meinen Geschmack.

"Sie ist eine der letzten Herausforderungen der Menschheit" würde mir reichen.

Das wäre ein super Anfang. *top*
Du musst den Leser nicht aufklären. Er soll hinein fallen in Deine Geschichte. Das Szenario der Natur lässt ahnen.

Mehr braucht es nicht ...
Nachtrag
Moin.

Es ist schon interessant, wie unterschiedlich die Ansichten sind. Ich hatte eigentlich erwartet, dass Ihr über diese Sätze stolpert:

Ob es auf den anderen Erden genau so ist? Vor zwei Jahren hatte Rachmantikow die Existenz paralleler Universen bewiesen; das Multiversum ist keine bloße Theorie mehr, sondern eine feststehende Tatsache. Vielleicht ist ja auf wenigstens einer dieser unendlich vielen Erden die Antarktis ein blühender Garten Eden oder Schwerin keine Großstadt, sondern nur ein Provinznest?
...
„Nicht nur bei Ihnen, Doktor. Individuelle Intelligenz entwickelt sich immer ähnlich. Überall.“

Über sie habe ich lange nachgegrübelt, wie ich sie so bauen kann, dass sie als Selbstverständlichkeit auf der einen Seite durchgehen, auf der anderen mir aber die Legitimation geben, aus Schwerin eine Grossstadt mit einem Flughafen zu machen und es trotzdem in der Gegenwart spielen zu lassen, ohne das es ein phantastischer Roman wird. Keiner ist drüber gestolpert, also scheint es funktioniert zu haben. *g*
*****e_M Frau
8.538 Beiträge
Ich habe bis jetzt alles sehr interessiert gelesen. Inhaltlich oder stilistisch etwas anzumerken steht mir irgendwie nicht zu, denn die individuellen Vorstellungen müssen erhalten bleiben und können m. E. nicht durch Austausch mit anderen angepasst werden. Ich bewundere dennoch den Schritt hier vorab Meinungen einzuholen und bin gespannt wie die Geschichte aber auch die Diskussion weiter verläuft.
@****te: In meinem Fall hat die Diskussion, die mich zur fast endgültigen Fassung meines Romans "Dach!Schaden! geführt hat, enorm viel gebracht.

Gerade in der Entstehungsphase können meiner Meinung nach erfragte, also dahingehend gewünschte Tipps enorm hilfreich sein, wenn sie denn andocken und umgesetzt werden wollen.
*******jan:
Über sie habe ich lange nachgegrübelt, wie ich sie so bauen kann, dass sie als Selbstverständlichkeit auf der einen Seite durchgehen, auf der anderen mir aber die Legitimation geben, aus Schwerin eine Grossstadt mit einem Flughafen zu machen und es trotzdem in der Gegenwart spielen zu lassen, ohne das es ein phantastischer Roman wird. Keiner ist drüber gestolpert, also scheint es funktioniert zu haben. *g*

Über diesen Absatz bin ich zwar gestolpert, aber sozusagen positiv gestolpert und fand diesen Stolperstein nicht als störend, sondern einfach nur interessant. Er hat im Gegensatz zum allerersten Abschnitt funktioniert.
Frage + Hinweis auf Rachmantikow und Paralleluniversum + Schwerin. Sehr Orginell und baut im Abschnitt selbst eine gute kurze Spannung auf. Ein kleines Highlight im Erzählfluss *top*.
Hausaufgaben
Robert Falcon Scott schrieb in sein Tagebuch: „Letzter Eintrag. Um Gottes Willen, kümmert Euch um unsere Leute.“ Danach erfror er in einem Schneesturm, nur achtzehn Kilometer entfernt vom rettenden Lager. Die Antarktis ist die Hölle.

Sechs Monate in jedem Jahr ist es in ihr so finster wie im Herzen eines Banksters und sie war schon alt, als sich die Vorfahren der Menschen noch durch die Bäume hangelten. Aber nicht Feuer brennt in ihr, sondern tödliche Kälte und eine arme Seele, die sich dahin verirrt, wird nicht abgefackelt, sondern schockgefrostet. Stürme rasen über sie hinweg, wie es sie nirgendwo sonst auf der Erde gibt und ein kilometerhoher Eispanzer bedeckt sie wie ein Leichentuch. Jedes Leben erstarrt in seinem Würgegriff.

Eine der letzten Herausforderungen der Menschheit, hat sie zu allen Zeiten Abenteurer in ihre eisigen Arme gelockt und ihre Seelen gefressen wie eine Schrottpresse Autowracks. Schützten sie sich vor der Kälte, schickte sie einen Blizzard; gingen sie vor dem Sturm in Deckung, riss er das Eis unter ihren Füßen auf; standen sie auf festem Grund, rollte sie häusergroße Brocken heran und hatten sie das alles überlebt, spielte der Kompass verrückt und sie fanden den Weg zurück nicht mehr. Worauf sie sich auch vorbereiteten – die Antarktis schlug da zu, wo sie es nicht erwartet hatten. Sie hütet ihre Geheimnisse mit Verstand.

Einen Moment zögerte ich, dann steckte ich das Blatt mit dem Text wieder in die Patientenakte und hing sie in meinen Schrank. Eigentlich hätte sie schon längst im Archiv sein müssen; die Patientin, die den Zettel geschrieben hatte, war schon lange entlassen und sie würde niemals wiederkommen. Sie hatte Unrecht gehabt. Die Antarktis besaß keinen Verstand, nur die Menschen hatten ihn. Aber sie waren zivilisatorische Weicheier geworden, hilflos wenn sie der Natur ohne Technik gegenüberstanden, und kommunikations- und gefühlsunfähig ohne ihre Smartphones. Wieder einmal fragte ich mich, ob es auf den anderen Erden genau so war. Rachmantikow hatte die Existenz paralleler Universen bewiesen; das Multiversum war keine bloße Theorie mehr, sondern eine feststehende Tatsache. Es konnte gut sein, dass auf einer dieser unendlich vielen Erden die Antarktis ein blühender Garten Eden war und Schwerin keine Millionenstadt, sondern nur eine Kleinstadt.

Irgendwo fiel eine Tür ins Schloss. Es war kurz vor zwei in der Nacht, wahrscheinlich lösten sich die Schwestern gerade ab. Ich sollte nach Hause gehen, meine Gedanken machten ohnehin Bocksprünge - Schwerin nur ein Provinznest - lächerlich. Es war zwar nicht das Zentrum des Universums, aber die Stadt quoll aus allen Nähten und wohin ich auch schaute, überall wurde in unheimlichem Tempo gebaut.

Noch einen Kaffee zum Mitnehmen. Ich stand auf, reckte mich und ging durch das Halbdunkel im Saal zum Automaten. Beruhigend leuchtete das Grün des Hinweisschildes für den Notausgang ein paar Meter links von mir durch die Plastglasscheibe des Arztzimmers und nichts erinnerte an den Betrieb, der tagsüber auf der Station herrschte. Der Becher fiel in die Halterung und leise zischte das kochende Wasser in der Maschine; der Ausgabearm fuhr heraus, ich nahm den Becher, hinterließ im Schwesternzimmer Sabrina noch ein paar Zeilen und machte mich auf den Weg zu meinem Wagen.

Wolken zogen vor den Mond, als ich aus der Tür trat. Die Leuchtstreifen im Gehweg erhöhten sanft ihre Lichtintensität und die schiefe Sommerlinde, unter der ich immer meinen Wagen parkte, wies mir mit ihrem Duft den Weg. Jemand hatte vor langer Zeit ein Herz und einen Pfeil, der es durchbohrte, in ihre Borke gekratzt. Im Laufe der Jahre war die Rinde vernarbt und das Herz sah aus, als sei es aufgequollen und an der Stelle, an der es der Pfeil getroffen hatte, in zwei Teile zerbrochen. Das kranke Herz hielt den schiefen Baum nicht davon ab, zu blühen, wie er es schon seit vielen einhundert Jahren immer im Sommer getan hatte und die Pollen machten aus der lauen Nacht ein Sinnesfeuerwerk. Wie der sanfte Abschiedskuss einer Geliebten - tief atmete ich ihn ein und wieder fragte ich mich, auf welchen krummen Pfaden meine Gedanken heute Nacht unterwegs waren.

„Sie arbeiten zu viel, Doktor.“

Eine schlanke Gestalt trat hinter dem Stamm hervor. Mit einem satten Geräusch klatschte mein Kaffeebecher auf den Boden, Spritzer landeten auf meinen Füßen. Ich blieb abrupt stehen und zwang meinen Atem zur Ruhe. „Womit bewiesen wäre, dass mein Gewissen weiblich ist.“

„Nur, dass wenigstens Sie eines haben.“ Dunkel, fast rauchig und ein wenig belustigt klang ihre Stimme.

Ich erwiderte: „Sie sind verbittert.“

Sie kreuzte die Arme vor der Brust, winkelte ein Knie an und stellte sich mit dem Rücken an den Stamm. „Verbitterung ist ein Augenblicksgefühl. Wie eine Magenverstimmung. Hass ist von Dauer.“

Deutlich und akzentuiert sprach sie, ohne eine einzige Endung zu verschlucken. Ausgebildete Radiosprecherinnen reden so, mit gekonntem Heben und Senken der Stimme an den richtigen Stellen und mit einer Vibration in den Untertönen, die in schlaflosen Nächten dafür sorgt, dass man sich wünscht, sie mögen weitersprechen. Es streichelt die Seele. In meinem Beruf wären ihr die Patienten auf allen Vieren hinterhergekrochen, erst recht, wenn sie sie heute Nacht gesehen hätten. Im Mondlicht mit ihrem herzförmigen Gesicht, den großen grünen Augen und langen roten Haaren wirkte sie wie allerhöchstens dreißig.

Ihr Aussehen gefiel mir überhaupt nicht. „Halten Sie das wirklich für eine gute Idee?“

„Sie nicht?“

„Nein. Für Svensson sind Sie unwiderruflich tot. Er hat auf nichts mehr gehofft und nur noch deshalb weitergekämpft, weil er glaubte, eine Aufgabe zu haben. Stehen Sie morgen so vor ihm, muss er denken, dass Sie ihm dreißig Jahre Hoffnung gestohlen haben.“

“Sie wissen nichts über ihn.“

„Vielleicht nicht. Aber genug über Sie.“

„Muss ich mir deswegen Sorgen machen, Doktor?“

„Wie wäre es mit Ihnen selbst?“

So schnell, dass ich nicht einmal sah, wie sie sich bewegte, packte sie meine Jacke an den Aufschlägen. „Er hat immer Hoffnung gehabt. Kein Mensch kann ohne leben. Mag sie noch so vage sein, verdrängt, vergraben - aber dieser Funke ist immer da. Er hat mich nicht vergessen!“

„Wissen Sie das oder glauben sie es?“

Sie gab mich wieder frei. „Individuelle Intelligenz entwickelt sich überall gleich. Lassen Sie uns ein Stück gehen.“

Ich warf meine Tasche in den Wagen. Sie fragte über die Schulter: „Kommen Sie?“

Als ich neben ihr stand, hakte sie sich ein. „So bin ich hier auch mit Svensson spazieren gegangen, als er mich besuchen kam.“

„Sie waren nie Patientin hier.“

„Sind Sie sicher?“

Nein, das war ich nicht, aber ich schwieg. Sie auch und so spazierten wir Arm in Arm wie ein Liebespaar durch den Park, ohne ein einziges Wort zu sagen. Niemals hätte sie zugegeben, dass sie Angst vor Morgen hatte; Angst, dass etwas nicht so funktionieren würde, wie sie es geplant hatte und sie einen Arm brauchte, an dem sie sich festhalten konnte.

Als wir den Park einmal umrundet hatten und wieder neben meinem Wagen standen, ließ sie mich los. „Ich lasse ihm die Wahl, Doktor. Ich kann ihn ohnehin nicht zwingen. Niemand hat das je gekonnt und die, die es versucht haben, sind tot. Aber wenn er morgen die falsche Entscheidung trifft, wird sich diese Welt so schnell verändern, dass Sie sie in ein paar Jahren nicht mehr wiedererkennen werden.“

Einen Moment sah sie mich noch an, dann ging sie ohne ein Abschiedswort davon. Ihre Tritte verklangen hinter mir auf den alten Steinplatten, einer wahrscheinlich perfekt auf den Millimeter genau so lang wie der andere und alle exakt auf einer schnurgeraden Linie. Eine perfekte Frau. Zu perfekt.

Ich schaute ihr nicht nach, sondern über den Schweriner See. Diese Welt hier kannte ich, die Menschen, die Häuser, die Straßen. Dass es noch eine andere gab, hatte ich lange nicht gewusst, wahrscheinlich genauso wenig wie Svensson. Er musste sich morgen entscheiden, ob er leben oder sterben wollte. Niemand würde ihm sagen, dass nur sein Tod in dieser Welt die richtige Wahl war, wenn er diese Frau noch immer liebte. Auch ich nicht. Das war ich ihr schuldig. Im Sommer neunzehnhunderteinundachtzig, vor über vierzig Jahren, hatte sie sich in Oslo auf eine Antarktisexpedition vorbereitet und ein elfjähriger Junge hier in Schwerin hatte nicht akzeptieren wollen, dass man in dieser menschlichen Gesellschaft nur vorankam, indem man anderen weh tat. Das Schicksal hatte dafür gesorgt, dass sich ihre Wege gekreuzt hatten und damit hatte alles begonnen.
Nachsitzen
Als wir wieder neben meinem Wagen standen, sagte sie nur: "Vergessen Sie mich nicht, Doktor", sah mich noch einen Moment an und ging dann davon. Ihre Tritte verklangen hinter mir auf den alten Steinplatten, einer wahrscheinlich auf den Millimeter genau so lang wie der andere und alle perfekt auf einer schnurgeraden Linie.

Ich schaute ihr nicht nach, sondern über den Schweriner See und drehte dabei den kleinen Empfänger, den sie mir gegeben hatte, in der Hand hin und her. Er hatte eine Reichweite von ungefähr fünf Kilometern und würde mich zum Zeugen dessen machen, was morgen geschah. Ich war mir nicht sicher, ob ich das wollte. In dieser Welt hier kannte ich mich aus. In ihr lebten Menschen, die liebten und hassten; manchmal auch zornig wurden oder dumme Dinge taten; die gesund oder krank waren, arm oder reich, jung oder alt. Dass es noch eine andere gab, in der Menschen kalten Herzens das Blut von Ihresgleichen vergossen, hatte ich lange nicht wahrhaben wollen. Wahrscheinlich war es Svensson genau so gegangen, bis das Schicksal ihn und diese Frau zusammengeführt hatte. Genau so gut hätte es auch eine Atombombe zünden können.

An der Entscheidung, die mit dieser Frau morgen auf ihn zukam, wäre sogar ein Gott zerbrochen und um keinen Preis der Welt wollte ich in seiner Haut stecken. Aber vielleicht hatte er tatsächlich noch einen letzten Pfeil im Köcher und fand einen unmöglichen dritten Weg. Zutrauen würde ich es ihm, auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, wie der aussehen sollte.

Im Sommer neunzehnhunderteinundachtzig, vor über vierzig Jahren, hatte alles begonnen. In Oslo war Joanna Hakonsen in die Antarktis aufgebrochen und hier in Schwerin hatte Christian Oldenburg nicht akzeptieren wollen, dass man in dieser menschlichen Gesellschaft nur vorankam, indem man anderen weh tat. Ich hatte als Medizinstudent im ersten Semester als Ringarzt bei Christians erstem Boxkampf ausgeholfen. Er hatte ihn nicht gewollt, er hatte überhaupt nicht kämpfen wollen, doch sein Vater war anderer Meinung gewesen. Aus Vätermeinungen erwachsen Konsequenzen, zumindest für deren Kinder, und deshalb stand er im Ring des Schweriner Sportclubs „Traktor“ und verbiss sich die Schmerzen.

Schlag um Schlag krachte auf seine hochgezogenen Unterarme; er pendelte hin und her, drehte sich auch manchmal weg, aber ließ seinen Gegner keine Sekunde aus den Augen. Der war einen halben Kopf größer als er, etwas schwerer und hatte eine größere Reichweite. Im Nahkampf hätte Christian bessere Chancen gehabt, doch er blieb im Minenfeld der Halbdistanz und verschanzte sich hinter seiner Doppeldeckung. Sein Gegner schlug einen halbherzigen linken Haken und schoss, als Christian die Deckung nach unten zog, eine rechte Gerade auf dessen Gesicht ab. Christian riss den Kopf zur Seite, der Schlag pfiff an seiner Wange vorbei und für einen Sekundenbruchteil war die ganze rechte Seite seines Gegners offen.

Es waren der Urmensch und die im Training eingeübten Reflexe, die Christians geballte Faust wahrscheinlich auf das Kinn seines Gegners zuschießen ließen und es konnte nur sein Wille gewesen sein, der das Tier an seinen Platz verwies - im allerletzten Moment nahm er die Kraft aus dem Schlag und stoppte ihn Millimeter vor dem Ziel. Als sein Gegner verblüfft die Augen aufriss, einen Schritt zurück machte und wieder die Fäuste hob, stand Christian längst wieder in Doppeldeckung da, bereit für die nächste Schlagserie. Doch sie kam nicht mehr.

„Aus, aus!“, schrie der Trainer und drosch auf die Glocke.

In der Ecke zischte er Christian an: „Was soll das? Du hättest ihn schon zehnmal auf die Bretter schicken können! Warum tust du es nicht? Hast du Angst ihm weh zu tun oder was? Uwe ist nicht aus Zucker. Antworte!“

Christian sagte keinen Ton. Er sah seinen Vater an. Mit gekreuzten Armen stand Sven Oldenburg ein paar Meter entfernt und niemand hätte aus seiner Miene etwas ablesen können. Auch Christian nicht.

Der Trainer packte ihn bei den Unterarmen. „Schau nicht ihn an. Hat er dir kein Benehmen beigebracht? Ich will eine Antwort, junger Mann! Hier, in dieser Halle, werden Helden geboren, Weltmeister und Olympiasieger gemacht. Ich habe sie gemacht! Aber keine Versager! Scher dich in die Seile und dann kämpf, wie es sich gehört, oder ich schmeiß dich achtkantig raus!“

Vor einem Monat war Christian in seine Trainingsgruppe gekommen, viel zu spät eigentlich. Aber er war ein Naturtalent, schnell auf den Füßen, hatte tolle Reflexe und besaß eine phantastische Hand-Augen-Koordination. Er war ein ungeschliffener Edelstein und hatte das Zeug zu einem zukünftigen Olympiasieger.

Der Trainer schlug die Glocke und gab Christian einen Klaps auf die Schulter. „Jetzt kämpfe endlich, Junge!“

Christian ging sofort in den Nahkampf und deckte Uwe so mit Schlägen ein, dass der nur noch reagieren konnte. „Ich habe es doch gewusst!“, rief der Trainer zu Sven Oldenburg herunter und feuerte Christian an. Das alle Schläge des Jungen präzise auf die Deckung gezielt waren und Uwe nie ernsthaft in Gefahr war, bemerkte niemand in dem Trommelfeuer. Oder wollte es nicht. Immer weiter schlug er auf Uwe ein, nagelte ihn in einer Ecke fest und wenn er ihn wieder herausließ, dann nur, um ihn weiter durch den Ring zu prügeln.

Die halbe Runde war herum. Die Arme angewinkelt vor dem Körper, blieb Christian mitten im Ring stehen und blickte über die erhobenen Fäuste hinweg seinem Vater in die Augen. Sven Oldenburg schrie: „Nein!“ und zog sich an den Ringseilen hoch, Christian senkte die Fäuste und sein Gegner zögerte keine Sekunde. Präzise traf sein Schlag die Kinnspitze des Jungen und er krachte auf die Bretter, als hätte ihn ein Blitz getroffen.

Alles, was danach kam, hat hier seinen Anfang genommen. Einige Puzzlesteine habe ich selbst zusammengetragen, viele hat Joanna hinzugefügt und wo noch weiße Stellen im Bild waren, hat sie meine Phantasie ausgefüllt. Es ist nicht wichtig, ob sie so genau stimmen.

Wichtig ist, dass irgendwo in dem Killer Christian Svensson noch dieser trotzige kleine Junge lebt und ihn morgen die richtige Entscheidung treffen lässt. Kinder können das.
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