Expositionsstrategie, oder: Du schaffst das!
Langsam setzte sie Fuß vor Fuß auf ihrem Weg durch den Wald. Den Pfad an der Bushaltestelle entlang bis zur Lichtung sollte sie laufen. So hatte er es gesagt. Expositionsstrategie, stelle dich Deinen Ängsten und besiege sie mit jedem Mal etwas mehr, so hatte er es ihr erklärt. Heute, ja heute wollte sie einen entscheidenden Schritt gehen, sich der Angst stellen, und eine Grenze überschreiten. Doch je näher sie ihrem Ziel kam, desto mehr lief der kleine Teufel in ihr zur Hochform auf. "Du bist so hässlich, so abgrundtief hässlich", flüsterte er ihr hämisch grinsend ins Ohr.
Und setzte noch einen drauf: "Der Typ hat ja nur Mitleid mit Dir!"
"Halt die Schnauze", knurrte sie missmutig und ging weiter.
Der Teufel produzierte nun Bilder in ihr, eine Grube, ein Kind, das in ihr lag und wie ein Maikäfer auf dem Rücken liegend mit den Beinen strampelte. Kinder standen am Rand der Grube und warfen Steine auf das Kind, ließen Sand in die Grube rieseln.
"Das war einmal", fast schrie sie die Worte in den Wald, als erwarte sie von den Bäumen, die sich gemächlich im Wind wiegten, eine Bestätigung.
Sie blieb stehen und schüttelte sich heftig. Heute würde der elende Teufel sie nicht besiegen.
Sie knöpfte ihre Bluse etwas auf und genoss den leichten Windhauch, der über ihre Haut strich.
"Haut", lachte der Teufel hämisch, " da ist ja jede Buckelpiste glatter als das, was Dich zusammen hält. Hat sich je ein Typ nach Dir umgedreht? Welchen Mann kannst Du schon beeindrucken, so fett wie Du bist!"
Sie lächelte, das erste Mal an diesem so besonderen Tag. Sollte er doch provozieren, sie würde heute darauf nicht eingehen.
Denn nun betrat sie die kleine Lichtung, eingerahmt von Birken und, wie er versprochen hatte, mit einer größeren, mit weichem Moos bewachsenen Stelle.
Er nahm sie in die Arme und hielt sie lange fest, strich mit seinen Fingern langsam über ihren Rücken.
"Mitleid, alles nur Mitleid", flüsterte der Teufel, doch sie genoss es.
Er holte seine Kamera aus dem Rucksack und begann einfach zu knipsen. Behutsam, mit einer weichen Stimme, dirigierte er sie, ließ sie die Birken umfassen oder sie einfach nur an die Stämme der Bäume lehnen.
Sie zog die Bluse aus und posierte, ließ sich einfangen von der Atmosphäre, der Sonne, die ihre Haut wärmte, seinem Lächeln und der souveränen Ruhe, mit der er sie für sich einnahm.
"Alles Zeitverschwendung, merkst Du es nicht, der löscht die Fotos, kaum dass sie aufgenommen wurden", der Teufel war heute verdammt hartnäckig.
Als Antwort ließ sie den BH fallen und posierte barbusig, legte sich auf das weiche Moos und genoss das Strahlen in seinen Augen.
Nun verlegte sich der Teufel auf eine andere Strategie.
"Der Typ ist schwul, ganz einfach. Deine dicken Titten machen den nicht an, selbst wenn Du noch mehr von Dir zeigen würdest, der steht auf Männer, ganz klar!"
Während der Teufel noch mit einflüstern beschäftigt war, hatte er sich zu ihr gelegt, um ihr die ersten Aufnahmen zu zeigen.
Sie sah sich hier ganz anders, in weichen, fließenden Posen, mit einem gewinnenden Lächeln, ein attraktives Rubensweib.
"Dick, fett & hässlich, muss auch solche Fotos geben, auch das Hässliche braucht seine Plattform", schmollte der Teufel in seiner Ecke.
Sie lag auf dem Moos und ließ sich einfach treiben, posierte aus dem Bauch heraus und genoss seine Bewunderung. Denn so viel spürte auch sie, ihm gefiel, was er fotografierte.
Später, als sie gemeinsam den Pfad zurück liefen, nahm er ihre Hand und hielt sie einfach fest. Er musste nichts sagen, sie verstand ihn auch ohne Worte.
Die Vernissage mit einer Vielzahl auch ihrer Fotos wurde ein voller Erfolg. In den kommenden Wochen fragten andere Fotografen bei ihr an, ob sie auch vor ihren Kameras posieren würde.
Der Teufel hat sich seit dem Tag auf der Lichtung fast vollständig von ihr zurück gezogen. Wenn er mal wieder auftaucht, bietet sie ihm einen Plüschstuhl in der Ecke an, auf dem er gerne Platz nimmt. Blickt sie später mal in Richtung Stuhl, ist er schon wieder leer.