Ich bin noch mal so frei ...
Das Erste Mal
Wie war das nur gekommen?
Jahrelang hatte sie steif und fest behauptet, Swinger Clubs seien das Refugium der badebelatschten, netztangabehosten, notgeilen Fettbäuche. Allein schon die höfliche Frage diverser Herren, ob sie einen Besuch eventuell in Erwägung ziehen würde, hatte ihrerseits zur abrupten Beendigung der bilateralen Beziehungen geführt. So etwas hatte sie nicht nötig. Und wenn einer alleine nicht in der Lage war, nun dann wurde er eben ausgetauscht. Sie konnte an jedem Finger Zehn haben, von denen sie Neundreiviertel nicht einmal die Hand gereicht hätte.
Eleonora von Friedensbück-Hodenhagen wusste genau, was sie sich und ihrem Namen schuldig war. Sie erinnerte sich genau an den Winter in Davos. Sie war knapp zwölf Jahre alt gewesen, als das Erwachsenwerden begann. Ihre Mutter hatte sie das erste Mal mit in die Hotelbar genommen, ihr zur Feier des Tages ein Glas Champagner spendiert und ihr die 10 Regeln derer von Titzendorf beigebracht.
1.Jeder ist ersetzbar, aber man sollte es ihm nicht sagen
2.Eine Frau trinkt in der Öffentlichkeit niemals mehr als zwei Glas Champagner
3.Eine Frau isst in der Öffentlichkeit von allem, was angeboten wird, aber nur in mikroskopisch kleinen Mengen
4.Eine Frau trägt niemals und unter keinen Umständen ein Modell aus der letzten Saison.
5.Über Geld spricht man nur mit drei Personen: dem Anlageberater, dem Steuerberater und dem Scheidungsanwalt
6.Eine Frau besitzt Schmuck immer in doppelter Ausfertigung: den echten im Safe und das identische Modell als hochwertiges Imitat für die tägliche Nutzung
7.Ehen sind Zweckgemeinschaften, die man vertraglich gründlich absichern muss
8.Frauen nehmen die monatliche Migräne maximal 14täglich in Anspruch, um den ehelichen Pflichten zu entgehen
9.Diskretion ist bei allen Nebenaktivitäten das oberste Gebot
10.Sollte der Herr des Hauses dieses nicht beachten, so tritt Paragraph 1 in Kraft.
Ihre Mutter war eine Gebürtige von Titzendorf, inzwischen waren 30 Jahre vergangen und sie war außerdem eine geschiedene von Bockelmöhl, verwitwete von Friedensbück-Hodenhagen, geschiedene Baronin zu Pimpersbleek und derzeit Gräfin von Hackstedt zu Dildensbrück auf Hohenegg. Vor allem aber und immer war sie eine gebürtige von Titzendorf.
Eleonora hätte beim besten Willen nicht sagen können, wie viele Hotelbars, First-Class-Restaurants, Kaffee- und Ballhäuser sie seit jenem denkwürdigen Abend (der im Übrigen mit einem unschönen Erlebnis über der Toilettenschüssel geendet war) kennen gelernt hatte.
Sie hatte gehorcht, rebelliert, war zwei Mal eine gut dotierte Mesaillance eingegangen und hatte danach jeweils ihren Mädchennamen wieder angenommen. Sie hatte studiert, Drogen probiert und ihre Professorin verführt, um wenigstens das Diplom zu erlangen.
An ihrem 30. Geburtstag hatte sie beschlossen, dass sie keine Frau für eine Beziehung war. Angesichts Paragraph 9 bevorzugte sie gut gebaute Herren auf Abruf. Im Umgang mit ihnen diente ihr Paragraph 1 als wertvoller Leitfaden. Da sie sich bei ihren Ehen jeweils an Paragraph 7 gehalten hatte (die Herren leider nicht an Paragraph 10), war der pekuniäre Teil dieser strikt privat gehaltenen Vergnügungen kein Problem.
Familiäre Einwände waren ebenfalls nicht zu erwarten, da ihr Bruder die Nachwuchsfrage ein für alle Mal gründlich erledigt hatte.
Dieser Mann war anders. Seine Muskeln stammten nicht aus irgendeinem Studio und ein Sixpack war für ihn die kleinstmögliche Einheit von Biererwerb. Seine animalische Wildheit hatte sie amüsiert, in den Bann gezogen, zum Glühen gebracht. Und plötzlich war es eine gute Idee gewesen.
Vor zwei Stunden hatte sie auf dem Bett ein Päckchen gefunden mit der Bitte, nein der Weisung, die Sachen anzuziehen. Sie fand: eine Neckholder-Corsage aus schwarzem Lack, einen gerüschten Minirock aus dem gleichen Material (oder war es ein Gürtel), grobmaschige Halterlose und ein Paar sehr hochhackige Stiefel, die vorne geschnürt wurden und bis über die Knie gingen. Einen Slip suchte sie vergebens.
Jetzt stand sie wieder in einer Bar. Barhocker mit tigerfellimitierten Kunststoffbezügen, lauwarmer Billigsekt statt Champagner und eine Großbildleinwand, auf der ein merkwürdiger Film lief. Eine junge Dame in einem neongrünen Netz-Catsuit thronte auf etwas, dass sie unter normalen Umständen als Hüpfball interpretiert hätte. Dieses Modell hatte allerdings nur einen Griff und der befand sich nicht in der Hand der Actrice.
Zwei Hände umfassten sie von hinten, ergriffen ihre Brüste, kneteten sie. Sein vertrauter Geruch beruhigte sie etwas. Sanft, aber nachdrücklich, schob er sie in Richtung Matten. Drei Herren in Netztangas und Badelatschen schlichen hinterher. Die fremden Hände verursachten Stromschläge in ihrem Körper.
»Paragraph 11: Scheiß was auf 1 bis 10« war das letzte, was sie dachte, dann hatte sie Besseres zu tun.