Damals...
nein, nicht in den Ardennen. Aber fast! Bruderherz und mich hatte es nach Jamaika verschlagen. Genau genommen war wir schiffsbrüchig und abgebrannt und nahmen den erstbesten Job, den wir kriegen konnten. Ich wurde Köchin auf einer Zuckerohrplantage, und Bruderherz heuerte bei einem Gewürzhändler als Security an. Uns war beiden klar, dass wir nur so lange bleiben würden wie unbedingt nötig. Und so begannen wir beide, diskret nützliche Dinge, sprich Gewürze und Zuckerhüte zurückzulegen, um bei Gelegenheit das nächstbeste Schiff Richtung Europa zu besteigen. Diese Sklavenhalterei war einfach nicht unser Ding, aber uns war klar, dass wir es nicht ändern konnten.
Ich hatte von meiner „Mam“ eine wurmstichige Truhe geschenkt gekriegt, für meine Aussteuer, wie sie sagte. Da sie ständig von einem Cousin faselte, konnte ich mir den Rest zusammenreimen. Es war also eine gewisse Eile angesagt. Während ich nach Feierabend brav an einem voluminösen Baumwollunterrock nähte, stapelte ich in meiner Kiste unsere Errungenschaften. Leider war mein Schwert beim letzten Kampf abgebrochen, aber ich packte es ebenso ein wie den Schleifstein und das Doppelterzerol und stapelte Handtücher obendrauf. Zu alledem schenkte sie mir ein abgelegtes weißes Spitzenkleid, das meine Bedenken eindeutig verstärkte.
Nach einer Weile kam ein holländisches Frachtschiff in den Hafen. Bruderherz und ich nickten uns nur kurz zu, absentierten uns ohne Abschied und gingen an Bord, wo wir gemeinsam in der Kombüse wirtschafteten und so die Reisekosten abarbeiteten. Allzu viel zu tun gab es nicht, und so machte sich Bruderherz daran, meinen Schwertrest in einen doppelschneidigen Dolch umzuschleifen. Er hat bei sowas echt eine Engelsgeduld. Ich nähte mir derweil aus einem Rest Segeltuch so eine Art doppeltes Strumpfband mit integrierter Dolchscheide und präparierte meine Rücke so, dass ich mit einem Griff durch die Taschen zugreifen konnte. Links natürlich, während ich mit rechts gestikulierte. Die Ablenkung klappte eigentlich fast immer. Kap Horn ist eine langweilige Angelegenheit, aber irgendwann und irgendwie schafften wir es auf den Atlantik und nahmen Kurs auf Amsterdam.
Zu unserem größten Erstaunen hatte ein kleiner Korse mit Größenwahn inzwischen halb Europa durcheinander gebracht und erhob Zoll auf alles Mögliche. Das nannte er Kontinentalsperre. Offensichtlich war er scharf auf Kolonialwaren. Jedenfalls wurden wir von drei imposanten, französischen Fregatten aufgehalten. Es war eindeutig Zeit für Plan B.
Zum Glück waren unsere Essensvorräte in der gleichen Ecke gestapelt wie die Reisekiste eines verstorbenen Mitreisenden. Wir öffneten sie und fanden eine französische Husarenuniform, die Bruderherz ganz gut passte. Er avancierte zwar nur zum Capitaine, aber wir konnten nicht wählerisch sein. Ich warf mich eilends in das weiße Spitzenkleid, brachte meine Dolch in Position und packte unsere Mitbringsel in die Reisekiste des Offiziers um und dessen Hemden obendrauf. Laut den Papieren hieß Bruderherz nun Thomas de Bouchet und war mit seiner verwitweten Schwägerin, Comtesse Sylvie de Mondeuse unterwegs. Sofern die Franzmänner das Signalement nicht zu genau durchlasen, musste das eigentlich glatt gehen.
Tatsächlich schafften wir es, mitsamt unserer Kiste unkontrolliert an Bord einer Fregatte und landeten nach einer Weile in Le Havre. Hier konnte es unseres Bleibens natürlich nicht sein. Wir empfahlen uns also auf Französisch, sahen zu, dass wir die elende Uniform loswurden und verwandelten uns in unscheinbare Tagelöhner. Gefühlt war ganz Europa auf den Straßen und marschierte kreuz und quer. Und da wir die sperrige Kiste gegen zwei Rücksäcke getauscht hatte, fielen wir nicht weiter auf. Das dringlichste war, an Geld zu kommen. Also mussten wir nur mit unseren Kolonialwaren über die Grenze, dahin, wo der Bedarf den Preis nach oben lenkte. Papierlose Grenzübergänge waren eine unserer leichtesten Übungen.
Die Sache entpuppte sich dann aber doch als schwieriger, wir hörten, dieser Korse hätte bei Leipzig eine große Schlacht verloren und sei nun auf dem Weg nach Frankreich. Und eigentlich wusste gerade keiner mehr genau, wo welche Grenze war, so oft hatten sie sie verschoben. Als wir dann auch noch den Steckbrief des wegen Fahnenflucht gesuchten Capitaine entdeckten, wurde es heikel, denn leider hatte Bruderherz eine untrügliche Narbe am Unterarm, an der er wiederzuerkennen war. Doch wir gelangten an ein kleines, verlassenes Gehöft, wo wir einstweilen unterkommen konnten. Zu beißen gab es hier nichts, also machten wir uns nach einer kurzen Rast wieder auf den Weg.
Irgendwie war Fortuna nicht mit uns, jedenfalls gerieten wir an eine französische Streifpatrouille, die uns zahlenmäßig derart überlegen war, dass wir Fersengeld geben mussten. In Ermanglung einer adäquaten Bewaffnung war das die einzige Lösung: zurück zu dem Gehöft. Bruderherz strauchelte, verfing sich in einer Efeuranke und fiel hin, was ich erst bemerkte, als ich schon 50 Meter weiter war. Die Kerle griffen ihn auf. In meiner Not bewarf ich sie mit Zuckerhüten, um ihm Luft zu verschaffen. Er kam auch frei, humpelte aber. Wir schafften es knapp zum Gehöft, da war die Patrouille auch schon da. Ich versuchte es mit einer gekonnten Suade, es erhob sich Geschrei und schließlich kam so ein kleiner Kerl mit Dreispitz aus dem Haus und fragte, was los sei. Da alle stramm standen, musste er irgendwie wichtig sein. Ich stelle mich also in Position und behauptete, ich sei die Köchin des Hauses und der da – ich wies auf Bruderherz – hätte mich insultiert.
Sie sperrten ihn also in den Stall, ich warf ihm den „halt dich zurück, ich hol dich raus“-Blick zu und stolzierte erhobenen Hauptes ins Haus. Das schien den kleinen Mann zu belustigen, jedenfalls zog er die Mundwinkel hoch. Er kam hinterher, sah zu mir hoch und sagte, „so, die Köchin sind Sie. Dann sorgen sie mal für Essen. Auch ein Napoleon hat Hunger und Durst.“
Sein Adjutant wedelte verschreckt mit der Hand und bellte, „sie ist vom Feind. Sie wird Sie vergiften, Sire!“
Der meinte, „das haben schon andere vergeblich versucht.“. Dann drehte er sich zu mir und fragte, „werden Sie mich vergiften, Mademoiselle?“
Ich sah auf ihn hinunter und sagte ohne mit der Wimper zu zucken, „ich vergifte niemand, Sire. Ich bevorzuge erdolchen.“
Für einen Augenblick starrte er mich entgeistert an, dann brach er in Gelächter aus. „Sie haben Mut“, sagte er. „Das gefällt mir. Also besorgen Sie mir eine Mahlzeit und danach verurteilen wir Ihren Peiniger.“ Er legte die Hände auf den Rücke und marschierte in die Stube. Innerlich froh, dass wir das Haus zuvor durchsucht hatten, ging ich zielgerichtet in die Küche, um nachzusehen, was da zu machen war.
Ich feuerte den Herd an und suchte alles zusammen, was irgendwo noch vorhanden war. Ein paar Mehlreste, die nach Dinkel und Buchweizen schmeckten, Gries, eine Flasche Öl, eine einsame Zwiebel, ein Minitöpfchen mit Honig. Nicht gerade berühmt. Dann entdeckte ich ein paar Flaschen Rotwein. Ich schnappte sie mir, trug sie in die Stube, machte einen artigen Knicks und sagte, „die Getränke, Sire. Das Essen dauert noch etwas. Ich muss erst backen“. Ich knickste erneut und lief raus. Im Hof stand neben dem Stall ein kleiner Steinwürfel. Die Wachen vor dem improvisierten Gefängnis schauten misstrauisch. Ich wackelte mit den Hüften, lächelte, sagte „Stocks“, und wies auf das kleine Gebäude. Da ich sie und Bruderherz nicht zu beachten schien, beruhigten sie sich und setzten sich vor die Stalltür. Tatsächlich war der Steinwürfel so eine Art Vorratsschrank. Oben war alles geplündert, aber da war eine quadratische Platte, die ich hochwuchtete. Und tatsächlich entdeckte ich einen Topf mit Rahm, einen weiteren mit so einer Art Quark oder Frischkäse und eine Schüssel mit Eiern. Welch ein Wunder. Ich schnappte mir ein Brett, das als improvisiertes Tablett herhalten musste, stellte die Sachen drauf und balancierte sie vorsichtig in die Küche. Nun hatte ich sehr wenig von vielerlei. Aber ich erinnerte mich an die Zeit als ich Hofkoch bei Philipp dem Schönen gewesen war und an den Käsekuchen, mit dem ich ihn regelmäßig verzückt hatte. Nur: das hier reichte hinten und vorne nicht. Sinnend blickte ich aus dem Fenster und erspähte ein paar einsame Rhabarberstangen. Beherzt griff ich zum Messer, und ging raus, um sie zu erlegen. Gewissenhaft schnitt ich die Blätter ab und legte sie für den Nächsten ins Herzchenhäuschen, dann ging ich wieder rein und frohgemut ans Werk.
Jetzt war mein Ehrgeiz geweckt, immerhin hatte ich einen Ruf, auch wenn ich den dem guten Boni nicht auf die Nase binden würde. Ich beschloss, ein paar unserer Gewürze zu opfern, um die Sache rund zu machen. Ich legte Holz nach und machte mich daran Rhabarber und Zwiebel zu zerlegen. Dann suchte ich mir eine Pfanne, erhitzte Öl und warf etwas getrocknetes Gelbwurzmehl dazu, röstete die Zwiebel an und warf den Rhabarber dazu. Im Rucksack fand ich noch eine dreiviertel vertrocknete Zitrone, nicht viel, aber etwas. Also knallte ich den Honig in die Pfanne und dem Kram zu glasieren und presste den Saft der Zitrone obendrauf. Dann zog ich die Pfanne runter und stellte sie zum Abkühlen auf die Steinfliesen. Die gesammelten Zutaten verrührte ich zu einem halbflüssigen Teig, warf noch etwas Ingwerpulver, schwarzen Pfeffer und geriebene Chilischote dazu und hob den Pfanneninhalt vorsichtig unter. Zum Backen hatte ich nur eine Brotform, aber das war eigentlich egal. Einmal gründlich eingefettet, Teig rein und ab damit in die Röhre.
In dem Moment galoppierte jemand auf den Hof, rief ein paar barsche Befehle und verschwand dann hackenschlagend in der Stube. Ich zog die Schuhe aus und schlüpfte diskret in das benachbarte Schlafzimmer, um das Ohr an die Wand zu legen. Was ich da hörte, war Gold wert. Ich schlüpfte zurück, holte mein Gebäck aus dem Ofen, stürzte es und schnitt es nach kurzem Auskühlen in dicke Scheiben. Die beiden Kanten packte ich auf einen extra Teller. Beherzt betrat ich die Stube, wo eifrig über Strategien und Taktik disputiert wurde. Als sie mich sahen, verstummten sie.
Ich stellte den Teller auf den Tisch, knickste erneut und sagte, „ich habe kein Brot. Sie werden Kuchen essen müssen, Sire!“
Der Adjutant fand das wohl nicht witzig, jedenfalls hatte ich plötzlich einen Kerl hinter mir und ein Bajonett am Hals. Boni kriegte einen sehr starren Gesichtsausdruck, dann drückte er mir eine Scheibe in die Hand und sagte, „Essen Sie!“ Das war mir recht, denn ich hatte seit zwei Tagen nichts als Löwenzahnblätter zu beißen gehabt. Also mir schmeckte es. Nur das Bajonett nervte etwas.
„Sehen Sie, Adjutant! Kein Gift“, sagte der Kleine nach einer Weile. „Entspannen Sie sich und greifen Sie zu. Er zog das Bajonett herunter. Ich sah einen Schlüssel, der in seinem Gürtel steckte und eskamotierte ihn diskret in meine rechte Rocktasche. Während die Herren zugriffen, knickste ich erneut und sagte, „ich muss dann mal abwaschen!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, lief ich in die Küche, schnappte mir den Teller mit den Kantenstücken und ging auf den Hof.
Ich lächelte die beiden jungen Kerle an, sie schienen gepresst zu sein, denn sie sprachen deutsch miteinander. Ich hielt den Teller mit rechts hoch und sagte, „Essen für den Gefangenen“. Meine Hand wanderte links diskret in die offene Rocktasche zum Dolch. Sie kriegten große Augen. Der größere von den beiden riss mir den Teller aus der Hand. „Doch eher für uns!“, sagte er. “Verschwinde!“
Sie lehnten ihre Gewehre an die Stallwand und setzten sich mit dem Teller auf den nackten Boden. Sie dauerten mich doch. Ich ließ den Dolch stecken, griff zum Gewehr und schlug sie nacheinander mit dem Kolben nieder. Dann schloss ich den Stall auf, zog die beiden rein und befreite Bruderherz von seinen Fesseln. Ich warf ihm den „halt die Klappe, jetzt befehle ich“-Blick zu und sagte, „Kleidertausch, wir müssen dringend nach Wien. Wir zerrten ihnen also die Uniformen vom Leib, zogen uns um und verabschiedeten uns erneut auf Französisch.
Wir hatten Glück, die Herren waren mit Wein und Kuchen beschäftigt, wir schnappten uns zwei Offizierspferde und machten uns auf den Weg. Aber wie wir zu Metternich kamen, und wie ich dem kalten Fisch das Walzertanzen beibrachte, erzähle ich dann ein anderes Mal.
Bonne appétit!
© Sylvie2day, 12. 5. 2021