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Der Profi

Der Profi
"Niemand ahnt es, wie der Würfel fällt. Doch nichts geschieht durch Zufall auf der Welt."
Juliane Werding




Der Tag brach an. Diffuses Grau sickerte ins Zimmer, gab den Möbeln Kontur. Christian setzte sich auf und lehnte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Joanna hatte die Augen offen, vielleicht hatte sie ihn schon eine Weile beobachtet. Ein verschlafenes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht und er sagte: „Die Erde ist voller Wunder und Geheimnisse, die entdeckt oder bestaunt werden wollen. Das hier ist ein Wunder. Dass du neben mir liegst. Milliarden Menschen auf der Erde und dieses Wunder könnte jeden Tag eben so oft geschehen. Aber wir sehen es nicht.“

„Du glaubst noch an Wunder. Etwa auch an Gott?“

„Ich komme ganz gut ohne ihn klar. Nach ihm schreien die Leute immer, wenn etwas nicht so funktioniert, wie sie es wollen. So lang es ihnen gut geht, scheren sie sich einen Dreck um ihn. Erst, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht, fällt ihnen ein, dass sie an ihn glauben und er ihnen jetzt doch bitteschön helfen müsste. Und du?“

„Ich weiß, dass es ihn gibt.“

Prompt war ihre Sprödigkeit wieder da. Die Frau aus Milchglas, so schön wie undurchsichtig. Er konnte nicht aus seiner Haut heraus. Besser, aus seinem Kopf und der musste denken, immer, manchmal verirrte er sich dabei auf Abwege und sie schien sie nicht tolerieren zu wollen. Dann sollte sie ihren Gott mal aus dem Urlaub zurückholen. Die Welt sah eher nach Teufels Beitrag denn nach Gottes Werk aus. Alles, was Menschen noch einfiel, waren Waffen, Kriege und dämliche Romane über die Liebe in einer Welt nach einem Atomschlag. Physik, Mathematik, Biologie - alles wurde zum Schlechten benutzt und Menschlichkeit fand schlicht nicht mehr statt. Es war zum Kotzen. Die Menschheit war so degeneriert, dass sogar Zwerge lange Schatten warfen und als Leuchten der Gesellschaft galten, die selbst die dekadenten Römer nicht mit ihren wohlstandsverfetteten Ärschen angesehen hätten. Was so ziemlich alles über die gegenwärtige Zeit und Gesellschaft aussagte. Wurde Zeit, dass ihr Gott wieder an die Arbeit ging.

Er hätte nicht so viel Bier trinken sollen. Bereits gestern Abend hatte sich ein leichtes Hämmern in seinem Hinterkopf gemeldet und war die ganze Nacht nicht verschwunden. Oder es war der Gedanke, der in seinem Kopf herumgeisterte. Hätte er nicht gewusst, welche der sieben altertümlichen Karten an seiner Wand die von Piri Reis war, hätte er sie unter den anderen nicht erkannt und das, obwohl er sie fast täglich ansah. Joanna hatte das offenbar mit einem einzigen Blick gekonnt und die Frage war, wieso. Nach dem Urlaub in Istanbul hatte er begonnen, sich für die Antarktis zu interessieren und sich Bücher darüber besorgt. Otto Nordenskjölds „Antarctic - zwei Jahre in Schnee und Eis am Südpol“ stand in seinem Regal und weder in diesem noch in den anderen Büchern hier war eine so gute Abbildung der Karte von Piri Reis zu finden, dass jemand danach die an seiner Wand hätte identifizieren können. Sie hatte ihn angelogen. Warum? Er massierte sich die Schläfen.

„Du solltest eine Tablette nehmen.“ Sie rückte ein wenig von ihm ab und sah ihm ins Gesicht.

„Ich mag keine Chemie.“

Sie spielte einen Moment mit ihrem Zopf, als überlegte sie, dann griff sie nach dem Anhänger ihrer Halskette; öffnete ihn und ließ daraus eine kleine schwarze Pille auf ihre Handfläche fallen. Sie beugte sich zu ihm, ihre Zunge kitzelte sein Ohr und sie flüsterte hinein: „Warum müssen Männer immer an der falschen Stelle den Helden geben? Ein homöopathisches Mittel, reine Kräuter. Es dauert ein bisschen, bis es wirkt, aber dann geht es dir besser.“

Tausend kleine Hämmer pochten jetzt von innen gegen seinen Schädel. Er griff nach der Tablette und schluckte sie ohne Zögern hinunter. Sie lächelte, als wäre er ein störrisches Kind, bei dem sie ihren Willen durchgesetzt hatte und er ließ sich zu ihr nach hinten sinken. Mit kreisenden Bewegungen massierte sie ihm die Schläfen, aber es half nicht wirklich. Eher wurde es noch schlimmer und jetzt fühlte es sich an, als würde flüssiges Feuer durch seine Adern rinnen. Er biss die Zähne zusammen, um nicht aufzustöhnen.

„Es geht gleich vorbei“, flüsterte sie, aber es war nicht nur der physische Schmerz, der ihn quälte. Mehr noch tat die Lüge weh, die seit gestern Abend zwischen ihnen stand. Sanft drückte er ihre Hände beiseite und stand auf. „Ich gehe ein Glas Wasser trinken.“

In der Küche stellte sein Vater gerade eine dampfende Tasse auf ein kleines Tablett. „Guten Morgen. Du bist früh auf.“

„Will nur einen Schluck Wasser, dann geh ich wieder auf die Matte.“

„Warte einen Moment. Ich mache Euch Kaffee und etwas zu essen. Lasst Euch ruhig Zeit mit dem Aufstehen. Den Einkauf für das Wochenende könnt ihr immer noch erledigen. Oder du gehst am besten nachher selbst, dann kann Joanna ein bisschen Ordnung machen in der Zeit. Übrigens habe ich dir noch etwas mitgebracht.“

Mit dem Zeigefinger tippte er auf ein abgegriffenes Notizbuch mit rotem Einband neben der Tasse. „Das ist das Expeditionstagebuch aus der Antarktis von Thore Wejndahl. Der Name wird dir nichts sagen, aber sehr interessant. Ein Original, kein Nachdruck. Wird dir bestimmt gefallen.“

„Hm, mal sehen. Ich dachte, das mit dem Einkauf hätten du und Joanna gestern erledigt.“

„Aber nein. Wir waren den ganzen Tag hier. Joanna wollte da sein, wenn du nach Hause kommst.“

Christian lehnte sich an den Türrahmen. Er brauchte eine Stütze und es dauerte einen Moment, bis er sich wieder unter Kontrolle hatte. Sein Vater stellte den Wasserkocher zur Seite, griff nach einem Löffel und rührte in der Tasse.

„Weißt du, sie hat sich von ihrem Mann getrennt und es war ihre Idee, dich zu besuchen. Sie meinte, wir müssten mal ausspannen. Wir arbeiten seit ein paar Jahren zusammen und unsere Beziehung ist ziemlich eng, fast schon familiär. Obwohl man es in meinem Beruf eigentlich nicht sollte, redet man dann manchmal über das, was man am meisten liebt und so habe ich vielleicht zu viel über dich erzählt. Sie wollte dich unbedingt kennenlernen. Ich habe es dir noch nicht gesagt, aber wir wollen ganz neu anfangen. Alles vergessen, was war. Einen Schlussstrich ziehen und ein neues Leben beginnen. Ein Einfaches. Euer Kaffee ist fertig.“

„Zu dünn.“

„Magst du ihn stärker?“

„Nicht der Kaffee. Erkläre nie etwas, nach dem du nicht gefragt wurdest – hast du deine eigenen Lektionen vergessen, die du mir erteilt hast? Drei Jahre lang lässt du mich nicht wissen, ob du überhaupt noch lebst; stehst dann plötzlich vor meiner Tür, sagst nicht, warum und wie lange; erklärst gar nichts und mehr als ein simples ‚guten Tag‘ kommt dir nicht über die Lippen. Eine Woche später erzählst du mir, ohne dass ich dich danach gefragt habe, warum ihr hier seid. Verdammt, es ist mir egal, ob du ein Spion bist oder wie sich der Mist nennt, den du machst und wen du dabei übers Ohr haust oder fernsteuerst. Aber musst du das auch mit mir versuchen? Selbst Joanna hast du schon infiziert damit. Das hier ist dein Zuhause, genau wie meins. Immer noch. Mach es nicht ganz kaputt durch eine neue Lüge.“

„Ich habe immer gewusst, wie es dir geht.“

„Aber ich nichts von dir!“

Am liebsten hätte Christian geschrien. Aber dann wäre ihm wahrscheinlich der Kopf geplatzt. Die Schmerzen waren kaum noch auszuhalten. Er atmete tief durch. „Du hast es nie begriffen, oder? Ich komme mit dem Leben alleine klar. So lange ich weiß, dass es meinem Vater gut geht, aber nicht einmal diese Nachricht bin ich ihm wert!“

„Ich habe nie …“

Sein Vater senkte den Kopf, blickte auf das Tablett und griff nach dem roten Notizbuch, als wäre es ein Rettungsanker. „Was auch immer du über mich denkst ….“

„… würde dir den Tag versauen!“

Christian drehte sich um und konnte sich gerade noch an der Tür festhalten, sonst wäre er gestürzt. Er wankte ins Badezimmer, warf sich Hände voll kalten Wassers ins Gesicht und es schien tatsächlich zu helfen. Er wiederholte die Prozedur so lange, bis er wieder einigermaßen klar denken konnte. Was war nur mit seinem Vater los? Früher hätte eine solche Diskussion wie die eben einen ganz anderen Verlauf genommen. Da war der ein Mann gewesen, an den man sich anlehnen konnte; hatte nie Fragen beantwortet und seine Aussagen waren hart und kompromisslos gewesen. Was hatte ihn so verändert?
Christian machte ein Handtuch nass, legte es sich in den Nacken und ging in sein Zimmer.

„Ich muss mal an die frische Luft“, sagte er zu Joanna.

„Warum? Du hast Kopfschmerzen. Leg dich wieder ins Bett zu mir.“

Er stieg in seine Jeans und zog den Reißverschluss zu. Als er sich vorbeugte, um in seine Sneaker zu schlüpfen, explodierten gelbe Sonnen hinter seinen Augen und fast wäre er auf den Boden geknallt; gerade noch konnte er sich an seinem Bücherregal festhalten. Es dauerte, bis er wieder einigermaßen geradeaus sprechen konnte. „Ich bin mein ganzes Leben lang mit den Lügen meines Vaters aufgewachsen. Hier in dieser Wohnung hat er sie mir erzählt. Vielleicht liegt es ja daran. Sie sickern aus den Wänden und eh man es sich versieht, ist man vergiftet. Du bist auch schon krank davon. Ich brauche klaren Himmel über mir. In mir.“

„Er hat dir gesagt, dass ich nicht mit ihm Einkaufen war. Dir geht es nicht gut. Komm zu mir.“

Viel Zärtlichkeit für ihn schwang in ihrem leisen Lachen und auch ein bisschen Lockung. „Ich bin eine Frau. Ich konnte dir gestern doch noch nicht sagen, dass ich die ganzen Tage nur auf dich gewartet habe; dass ich mich nur für dich schön gemacht habe.“

„Dann hättest du wenigstens erzählen sollen, warum. In einem hat mein Erzeuger nämlich nicht gelogen: Nichts in der Welt geschieht, ohne dass dahinter ein Plan steht. Nicht im Großen und nicht im Kleinen. Dass man ihn nicht sieht, heißt noch lange nicht, dass er nicht existiert. Für deinen fehlen mir noch ein paar Puzzlesteine.“

„Du kränkst mich. Es gibt für alles eine Erklärung. Diese braucht Zeit.“

„Sollst du haben. Ich gehe nicht dreißig Jahre bis zum Südpol, obwohl ich es für dich wahrscheinlich tun würde. Nur ein paar Minuten eine Runde um den Block, bis ich wieder einen klaren Kopf habe. Dann reden wir. Ist der Anfang von allem. Hat mir gestern eine schöne Frau gesagt, von der ich gerne mehr möchte als nur diese eine Nacht. Mindestens aber die Wahrheit, auch wenn sie weh tut.“

Sie schlug die Decke zurück, raffte seinen Bademantel mit beiden Händen über ihrer Brust zusammen und stellte sich vor ihn. „Ich werde dich immer lieben. Das ist die Wahrheit.“

Genau das war sein Problem - er sie auch. Vielleicht hatte sie recht und die Kälte, die sie zeigte, war nur Selbstschutz. Sie war kein junges Mädchen mehr und es konnte gut sein, dass es in ihrem Leben etwas gab, das sie zu einer Frau gemacht hatte, die sich nicht mehr so einfach öffnen konnte. Unter seinem Bademantel verbarg sich der vollkommenste Frauenkörper, den er je gesehen hatte. Wie auch ihr Gesicht, schmal und zart, mit hochangesetzten Wangenknochen, großen, leicht schräggestellten Augen und einer hohen Stirn, hinter der viel Platz zum Denken war. Sie war unglaublich schön, aber das war nicht von Bedeutung. Nicht jetzt und nicht für seine Antwort. Der winzige weiße Fleck in ihrer linken Iris, ein Pigmentfehler, hatte Bedeutung, wie auch der Ehering an ihrer Hand. Sie hatte ihn nicht abgenommen und trotzdem mit ihm geschlafen. Sie hatte Fehler und es war gut so. Mit einer perfekten Frau würde er nicht sein Leben verbringen wollen. Mit ihr schon.

Sie legte den Kopf an seine Brust, nur ganz leicht. „Was wäre, wenn dich die schöne Frau beim Wort nimmt?“

„Womit?“

„Dreißig Jahre bis zum Südpol?“

Er musste nicht über die Antwort nachdenken, sie kam von alleine. „Ganz sicher.“

Sie schob ihn von sich. „Ich kann dich nicht aufhalten. Niemand kann das jetzt mehr. Geh, damit du wiederkommen kannst. Ich werde auf dich warten, wie lange es auch dauern mag.“

Es klang nach Schnulze. Aber auch wie ein Abschied und etwas in ihm zog sich zusammen. Mit Mühe vermied er eine Kollision mit dem Türrahmen beim Hinausgehen, so sehr schwankte er. Sein Vater stand in der Küchentür. Er war totenbleich im Gesicht und sein Lächeln wirkte verkrampft. Ihm fehlte wohl tatsächlich die Übung.

„Bring bitte gleich ein frisches Brot mit und Brötchen für Sonntag“, sagte er. „Wird zwar voll sein und ein bisschen länger dauern, aber wir laufen nicht weg.“

Vielleicht war es ein Friedensangebot, erwartet hatte Christian allerdings mindestens eine Entschuldigung. Aber man bekommt nicht immer das, was man will. Ohne Gruß ging er an seinem Vater vorbei.

*

Ryland Mikkelsen presste eine Hand auf sein rechtes Ohr mit dem kleinen Lautsprecher, mit der anderen zündete er sich eine Zigarette an und angewidert verzog Ängström auf dem Rücksitz des Mercedes das Gesicht.

„Übermüdet oder nervös?“

Nichts davon traf auf den ehemaligen Kriminalisten zu. Er hörte konzentriert dem zu, was in der Wohnung der Oldenburgs geschah, und Ängström störte ihn dabei. Dass der persönlich nach Schwerin gekommen war, stank ihm ohnehin. Der war das Geld und hatte in einem Feldeinsatz nichts zu suchen; weder besaß er die Erfahrung dafür, noch machte es irgendeinen Sinn, dass er sich einem solchen Risiko aussetzte. Sein Auftrag war nichts, was Mikkelsen und Wielander nicht schon getan hatten - Umgebung aufklären; Wanzen installieren; am helllichten Tag hineingehen; Pistole an den Kopf halten und die Droge injizieren. Was übrig blieb, war ein schauriges Familiendrama - der Vater war ausgerastet, weil der Sohn sich an die Geliebte herangemacht und sie nichts gegen junges Fleisch einzuwenden gehabt hatte. Viel Drama, viel tot und Ende der Geschichte.

Christian war gerade in die Küche gekommen und konzentriert hörte Mikkelsen dem Gespräch zwischen Vater und Sohn zu. Sie würden immer zu wenig über die Leute wissen, mit denen sie es zu tun hatten, das gehörte zum Job, aber Sven Oldenburg alias Granerud war sogar für Mikkelsen ein Extremfall. Der Mann war ein Geist für ihn; das, was sie über ihn herausgefunden hatten, passte auf zehn A4-Seiten und lag in einem dünnen Hefter im Handschuhfach. Immer wieder hatte Mikkelsen in der Nacht darin herumgeblättert, während er die Wohnung der Oldenburgs observiert hatte, obwohl er alles, was sie zusammengetragen hatten, längst im Kopf hatte.

Er reichte den Ohrhörer Olaf Wielander auf dem Beifahrersitz und ließ den Wagen an.

„Was soll das?“, raunzte Ängström von hinten.

„Der junge Oldenburg kommt heraus. Er geht zum Bäcker und muss an uns vorbei.“

„Na und? Das spielt keine Rolle mehr.“

„Alles spielt eine Rolle.“

Mikkelsen fädelte den Mercedes in den Verkehr in der Fritz-Reuter-Straße, fuhr knapp zweihundert Meter, dann parkte er wieder ein. Er warf die Kippe aus dem Fenster, schloss es und spulte das Band auf dem kleinen Kassettenrecorder zurück. Als er an der Stelle war, an der Christian in die Küche kam, regelte er die Lautstärke auf Maximum, sagte „Zuhören“, und startete die Wiedergabe.

Ängström verzog süffisant die Lippen, als das Band zu Ende war. „Junge Liebe. Mir blutet das Herz. Jetzt hören Sie gefälligst weiter zu, was da noch gesagt wird, wo der Sohn weg ist.“

Wielander stieß einen leisen Pfiff aus und grinste bitterböse. „Verdammtes Arschloch.“

„Was erlauben Sie sich?“ Ängström wurde puterrot im Gesicht.

„Nicht Sie. Oldenburg. Oder wir. Je nachdem, auf welcher Seite man steht.“

Mikkelsen fingerte wieder nach einer Zigarette in seiner Brusttasche, ließ dann die Hand sinken und schlug stattdessen auf das Lenkrad. „Er hat uns gelinkt.“

Wielander sagte knapp: „Sie wollen den Sohn aus dem Haus haben.“

Ängström beugte sich nach vorn, aber Mikkelsen ignorierte ihn und sagte zu Wielander: „Knarrende Türen, nicht geölte Scharniere.“

„Morsche Stufen, leeres Haus“, gab der zurück. „Das Zeitfenster, das er uns gegeben hat, war groß genug für die Wanzen, aber nicht mehr, um Kameras zu verstecken. Jedes Wort, das wir gehört haben, war geplant. Er hat einen lausigen Dialogschreiber, übrigens.“

„Keine gefälschten Pässe bei der Ausreise.“

„Und der Junge ist aus dem Haus und hat keinen blassen Schimmer.“

„Aufhören!“, raunzte Ängström. „Ich weiß nicht, was sie hier spielen, aber es ist völlig unwichtig. Der Mann ist das Ziel, er ist da, wo wir ihn haben wollen; also gehen sie rein und machen Sie, wofür ich sie bezahle.“

Er konnte genauso hart blicken wie sein Pitbull Mikkelsen und lieferte sich mit ihm ein Blickduell im Rückspiegel. Schließlich war es Mikklelsen, der zur Seite blickte. Jetzt holte er doch eine Zigarette hervor, ließ ein Zippo aufflammen und dachte nach. Der Mann hat über vierzehn Jahre lang keinen Fehler gemacht, nicht einen einzigen. Vierzehn Jahre unentdeckt, direkt unter unseren Augen. Welchen Auftrag er hatte, noch warum er geblieben ist, obwohl es die Auslandsaufklärung der Staatssicherheit nicht mehr gibt, wissen wir nicht. Als sich herauskristallisiert, dass Joannas Medikament in Wirklichkeit eine fürchterliche Waffe ist, wird er aktiv, zieht Joanna auf seine Seite, vernichtet ihr Labor mit den Forschungsergebnissen und lässt sie untertauchen. Wobei sich die Frage stellt, warum er sie nicht getötet hat. Er schafft es auch noch, das geheime Labor zu finden, in dem Ängström mit den Daten, die er von Joanna schon vorher kopiert hatte, weiterforschen lässt. Auch das Labor zerstört Oldenburg und killt alle, die dort gearbeitet haben. Keine Spuren, die darauf hindeuten, dass er selbst irgendetwas kopiert oder gestohlen hat oder dass er jemanden informiert hat. Was ist die einzig logische Schlussfolgerung?

Wütend sog er am Filter und sein quadratisches Gesicht wurde so hart, das es wie ein Felsblock aussah. Er drehte sich halb zu Ängström herum. „Da irren Sie sich. Wir sind es, die da sind, wo Oldenburg uns haben will.“

Wielander feixte von der Seite: „Er hat uns quasi eine Einladung geschickt, dass wir den Herrn Ängström doch umgehend liefern möchten, damit er seinen Job zu Ende bringen kann.“

„Interessant.“ Ängström nahm das Ziertaschentuch aus seiner Brusttasche, fuhr sich kurz damit über die Lippen und lehnte sich zurück.

Wieder flog die Kippe aus dem Fenster und Mikkelsen setzte seinen Gedankengang laut fort: „Er traut keinem, weil er weiß, dass das, was Joanna gefunden hat, jeden zum Mörder machen kann. Jeden Privatmann, jede Regierung. Ihn interessiert nicht, wie das Teufelszeug produziert wird, nur, wie er es vernichten kann. Er bringt alle um, deshalb auch der Anschlag auf Sie vor zwei Wochen, weil nur noch Sie wissen, wie das Zeug hergestellt wird. Wahrscheinlich zumindest. Er erwischt Sie nicht, gerät scheinbar in Panik und flieht. Ebenso scheinbar hat er keine Zeit mehr, sich um gefälschte Pässe zu kümmern. Deshalb kommen wir ihm auf die Spur. Das haben wir geglaubt bis eben und damit lagen wir falsch.“

Ängström hatte konzentriert zugehört. Jetzt schüttelte er den Kopf. „Was hat das mit dem Gespräch zwischen Vater und Sohn zu tun?“

Wielander schaltete sich ein. „Es war ein Fake. Er weiß, dass wir ihn abhören. Kein Profi rennt zu seiner Familie, wenn er sich in Gefahr glaubt. Damit hat er uns in Sicherheit wiegen wollen. Er weiß, wie wir arbeiten und dass Sie so eitel und rachsüchtig sind, dass Sie dabei sein wollen, wenn er stirbt. Immerhin hat er Sie vierzehn Jahre lang analysiert. Er schickt seinen Sohn aus dem Haus und gibt uns damit ein Zeitfenster. Mit Absicht? Wir können es aber nicht nutzen, weil wir nicht ungehört ins Haus kommen wegen der knarrenden Türen und Dielenbretter. Stehen wir trotzdem vor seiner Tür, läuft es auf eine Schießerei hinaus und er weiß, dass wir genau das nicht wollen, sonst hätten wir auch mit einem Rollkommando anrücken oder ihn auf der Straße abknallen können. Oder er ist irgendwo im Keller und wartet, bis er Sie vor den Lauf bekommt. Vielleicht hat er seinem Sohn auch einen Zettel geschrieben und der verschwindet jetzt schon, statt zum Bäcker zu gehen und zurückzukommen.“

„Nein. Tut er nicht.“ Ängström lächelte böse.

Mikkelsen schaltete sich ein. „Natürlich kann es auch ganz anders sein. Vielleicht spielt auch Joanna eine Rolle. Ihrer Hyperintelligenz traue ich so einiges zu. Aber eines steht fest - sie wissen, dass wir hier sind. Damit sind wir aufgeflogen. Zurück nach Oslo. Oldenburg wird nicht reden und dahin wird er sich auch nicht mehr trauen. Wir schieben das auf.“

Ängström beugte sich vor. „Nein. Da vorne kommt sein Balg. Fahren Sie los und halten Sie so, dass er an uns vorbei muss.“


...
**********henke Mann
9.667 Beiträge
Das...
... muss verfilmt werden !!! Ich kann die Orte sehen, die Personen ... großes Kino!!!
Ich bin der Geist, der stets verneint.
Dann beende ich das Ganze hier. Wenn Ihr Euch am Ende vor lauter Wendungen etwas verwirrt fühlt, so ist das beabsichtigt. Ich halte es da mit dem Mediamarkt: Hauptsache, Ihr habt Spass (und Spannung).
PS. Falls am Anfang ein paar Zähnchen nicht ineinander greifen, so liegt das daran, dass ich auch das Davor noch einmal etwas geschliffen habe. Ich nenne es "Feinjustierung" *g*
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Es war Samstagmorgen, die Sonne kraxelte mühsam über die Häuserdächer und es sah so aus, als würde es ein schöner Spätnovembertag werden. Autos fuhren an Christian vorbei, mehr in Richtung Zentrum als andersherum und Fußgänger mit Taschen und Beuteln waren auf dem Weg zum Wochenendeinkauf. Seine Kopfschmerzen waren weg, seit er die frische Morgenluft atmete und er konnte wieder einigermaßen klar denken. Beim Bäcker war es so voll gewesen, dass er fast wieder umgekehrt wäre. Doch diese Blöße hatte er sich nicht geben wollen. Sein Vater hatte bitte gesagt und das war wenn auch nur ein kleiner, so doch immerhin ein Fortschritt.

Ein weißer Mercedes fuhr ein paar Meter vor ihm an den Straßenrand und kurz, bevor er ihn passierte, wurde die hintere Tür geöffnet. Ein mittelgroßer Mann mit weißblonden, streng nach hinten gekämmten Haaren stieg aus und lehnte sich lässig gegen das Wagendach, beide Hände in den Manteltaschen. Er hatte scharf geschnittene Gesichtszüge mit einem kräftigen Kinn und lächelte entspannt.

Als Christian nur noch einen Schritt von ihm entfernt war, fragte er: „Good morning, Mr. Oldenburg. Are you feeling better?“

Christian erinnerte sich nicht, ein Schild um den Hals zu tragen, auf dem stand: War gestern besoffen und hatte höllische Kopfschmerzen. „And you are?“, erwiderte er kurz und knapp.

„Ich bin Ruud Ängström und im Auto sitzen zwei Männer von der Osloer Polizei. Ich hatte Sie etwas gefragt.“

Probleme mit seinem Selbstbewusstsein schien der Mann nicht zu haben. Christian bückte sich ein wenig, um ins Wageninnere zu schauen. Beide trugen dunkle Lederjacken und hatten breite Schultern. Der Kleinere hinter dem Lenkrad rauchte und der Mief zog aus dem Fenster direkt in Christians Nase.

Er knurrte: „Er raucht zu viel.“

Das Lächeln in Ängströms Gesicht verschwand wie weggewischt und er sah ernst, ja fast besorgt aus. „Tatsächlich. Wir haben uns Sorgen gemacht und der gute Mikkelsen hat Ihretwegen die ganze Nacht kein Auge zugetan.“

Er nahm die linke Hand aus der Manteltasche und hielt Christian ein Foto vor die Augen. „Das war meine Tochter Joanna Hakonsen.“

Kein Zweifel, dass sie es war. Die Milchglasfrau. Streng und schön blickte sie ihn von dem Foto an, fast genau so, wie sie am ersten Abend bei ihm in der Tür geschaut hatte. Es war eine Porträtaufnahme und sie konnte noch nicht allzu alt sein. Vielleicht war es in der letzten Woche gemacht worden. Doch sie war niemals die Tochter dieses Ängström, kein Vater würde vor der Tür des Liebesnestes seiner Tochter die Nacht über Wache schieben. Er hätte geklingelt, vorher. Das hier stank zum Himmel. Ein Fall für einen gewissen Major a.D. Sven Oldenburg. Sollte er sich damit herumschlagen. Er würde es ihm sagen.

Er sagte: „Schöne Frau. Ich würde mich an sie erinnern. Jetzt lassen Sie mich durch.“

„Sie lügen. Ich will Ihnen helfen, auch wenn Sie es noch nicht verstehen.“

„Und der Mond ist aus grünem Käse. Schönen Tag noch.“

Ängström warf einen Blick über die Straße und stellte sich Christian den Weg. „Seien Sie kein Idiot. Sie sprechen sogar schon wie sie. Haben Sie schon einmal in den Spiegel geschaut heute? So sieht einer aus, dem man eine Gehirnwäsche verpasst hat. Haben Sie nicht gemerkt, wie sich Ihr eigener Vater verändert hat? Dass Sie nicht mehr mit ihm reden können wie früher? Dass Sie immer, wenn sie nachdenken, Kopfschmerzen bekommen, wenn sie in der Nähe ist und dass sie weg sind, seitdem Sie das Haus verlassen haben? Setzen Sie sich ins Auto, damit ich wenigstens Sie noch retten kann!“

„Wovor?“

Ängström schaute über Christians Schulter, warf einen Blick hinter sich und wies dann mit der Hand auf die geöffnete Tür. „Das Foto, das ich Ihnen gezeigt habe, ist fünfzehn Jahre alt. Sie spricht vielleicht wie sie, riecht wie sie und sieht aus wie sie, aber sie ist nicht meine Tochter. Joanna ist vor vierzehn Jahren in die Antarktis aufgebrochen und wer auch immer es Ihnen heute Nacht besorgt hat - meine Tochter war es nicht. Jetzt setzen Sie sich in den Wagen, bitte.“

Christian zögerte und der Mann hinter dem Lenkrad stieg aus. Nicht groß, höchstens ein Meter Sechzig und mit einem viereckiges Gesicht wirkte er wie ein Felsblock.

„Du solltest ihm glauben, Junge“, sagte er und streckte Christian eine Hand hin.

Es war die Erziehung, die ihn einschlagen ließ. Der Mann fasste mit der Rechten zu, die linke rammte er ihm in den Magen. Christian kippte nach vorne, fiel halb auf den Rücksitz des Wagens, etwas stach ihn in den Nacken und dann flutete Schmerz seinen Körper.


*****


„Wie viel haben Sie ihm gegeben?“, fragte Mikkelsen.

„Dreißig Minuten, höchstens“, antwortete Ängström.

Wielander wurde bleich. „Sind Sie wahnsinnig?“

„Entspannen Sie sich. Ich habe alles unter Kontrolle.“

„Klar doch. Wie einer, der die Gebrauchsanweisung von einem Jumbo gelesen hat und denkt, jetzt kann er Schwerlasten in die Staaten fliegen.“

„Im Gegenteil, es ist wie Fahrradfahren. Joanna hat hervorragende Arbeit geleistet.“

„Gar nichts hat sie. Die … Dinger sind unberechenbar und so scheiße tödlich. Sie können ...“

„Aufhören, sofort!“

Mikkelsens Zischen stoppte den beginnenden Streit. Er justierte den Rückspiegel auf das Gesicht von Christian Oldenburg. Dessen Augen waren wie braune Teiche, ohne jeden Ausdruck, wie auch das Gesicht. Was sechsundzwanzig Jahre daraus geleuchtet hatte - X81 hatte es mit einem Schlag ausgelöscht und durch etwas anderes ersetzt. Es war nicht zu sehen, nicht einmal zu fühlen und doch es sogar Mikkelsen frösteln. Er hatte sofort Ängströms Plan begriffen und mittlerweile tendierte er dazu, dass Oldenburg oder Joanna doch Fehler machten. Sie hatten ihnen Christian auf dem Silbertablett serviert und damit war ein Eindringen in die Wohnung nicht mehr nötig. Das Gift hatte nur Sekunden gebraucht, um die Kontrolle über Christian zu übernehmen. Nicht einmal einen Schrei hatte er noch ausstoßen können. Er war einfach erstarrt. Ängström hatte befohlen: „Aufrecht hinsetzen“, Christian hatte es getan und sich seit diesem Moment nicht mehr bewegt. Mikkelsen wusste, dass der es auch erst dann tun würde, wenn Ängström es ihm sagte. Oder wenn der innere Count-down auf Null heruntergelaufen war. In höchstens zehn Minuten …

Aus dem linken Augenwinkel von Christian begann ein dünner Blutfaden zu rinnen und Mikkelsen schnippte die Kippe aus dem Fenster. „Es geht los.“

Ängström öffnete die Tür und verließ den Wagen. Er reckte sich, blickte sich um und nickte einem vorbeikommenden Paar freundlich zu. Dann beugte er sich wieder ins Innere und sagte: „Jetzt geh nach Hause.“

Christian stieg aus und wie er das tat, ließ Mikkelsen die Hände um das Lenkrad krampfen. Eben hatte der noch gesessen, im nächsten Moment war er schon auf dem Weg mit gefühlten null Zehntelsekunden Reaktionszeit auf Ängströms Kommando.

Der Reeder setzte sich wieder auf den Rücksitz und warf einen Blick auf Wielanders bleiches Gesicht im Rückspiegel. „Nur die Ruhe.“

Mikkelsen ließ den Wagen anrollen und folgte Christian mit Abstand bis zur Ecke Fritz-Reuter-Straße und Sandstraße. Ohne Zögern öffnete der seine Haustür, verschwand dahinter und Wielander zischte: „Das war es dann wohl.“

Ängström erwiderte: „In einer viertel Stunde gehen Sie nachsehen.“

Die kleine runde Uhr in der Mitte des Armaturenbretts zeigte zwei Minuten vor zehn Uhr. Ängströms Gesicht sah so zufrieden aus, als hätte er eine gute Tat vollbracht und wieder fröstelte Mikkelsen. Eines wusste er: Selbst wenn Sven Oldenburg begriff, was mit seinem Sohn geschehen war, wenn der nach Hause kam - er würde nicht weglaufen. Obwohl er es besser wissen musste und sich vielleicht noch retten könnte, würde er bis zur letzten Sekunde bei seinem Sohn bleiben. Obwohl er wissen musste, dass er nichts tun konnte. Obwohl er wissen musste, dass das Gift seinen Sohn zerriss und ihn und Joanna ebenfalls töten würde, wenn sie in der Nähe blieben. Das war der Plan von Ängström und es war Joanna selbst, die ihm die Möglichkeit dazu gegeben hatte.

Fast gegen seinen Willen sagte Mikkelsen: „Was für ein krankes Gehirn brütet so etwas aus!“

„Vergessen Sie nicht, wer Sie bezahlt!“ Ängström zog die Augenbrauen zusammen.
Natürlich bezog er das wieder auf sich. Er bezog alles auf sich und Mikkelsen schüttelte den Kopf. „Joanna.“

„Vielleicht, vielleicht auch nicht.“

Ängström entfernte einen Staubfussel von seiner grauen Anzughose und summte dabei: „Dass ich erkenne, was die Welt … Im Innersten zusammenhält.“

Wieland tippte sich an die Stirn.

„Unterstehen Sie sich!“

Aber im Gegensatz zu seiner Zurechtweisung war Ängström höchst zufrieden mit sich. Er lächelte breit, schlug die Beine übereinander - was auf der Rückbank nicht einfach war - und ließ sich zu einer Erklärung herab.

„Ein bissschen klassische Bildung würde Ihnen guttun. Wie Doktor Faustus wollte Joanna etwas Gutes schaffen. Sie wollte den Menschen besser machen, ihm seine volle Gehirnkapazität geben, schnellere Selbstheilung und so weiter. Kennen Sie vielleicht aus schlechten Filmen. Sie stieß dabei auf ein paar Schwierigkeiten und wie Faust hat sie sich auf einen Deal mit dem Teufel eingelassen, um zu bekommen, was sie wollte. In diesem Fall gleich mit zweien - Johannes und mir. Ein typisches Problem der meisten Eierköpfe - sie wollen das Universum erforschen, aber wie die Welt funktioniert, blenden sie aus, damit sie hinterher sagen können: Sorry, wie sollte ich wissen, dass jemand mit meinem Hammer Köpfe einschlagen will. Nehmen Sie nur den guten Einstein, er war das größte dumme Genie, das die Welt je gesehen hat. Ohne ihn hätten wir nie die Atombombe gehabt. Oder der … Hören Sie mir überhaupt zu?“

„Reden Sie meinetwegen weiter, aber machen Sie keine heftigen Bewegungen.“, knurrte Mikkelsen.

In die Sandstraße war ein silbergrauer Kombi eingebogen und so langsam gefahren, als würde der Fahrer etwas suchen. Schließlich hatte er direkt vor dem Haus der Oldenburgs geparkt.

Ängström beugte sich nach vorne. „Was …“

Mit einem kurzen Ruck aus der Schulter knallte Ryland ihm seinen Ellenbogen aufs Schlüsselbein. „Sitzenbleiben!“

Ein Mann mit Hut stieg aus. Er trat auf den Gehweg und blickte sich um. Wielander rutschte langsam tiefer, holte den Feldstecher unter dem Sitz hervor und richtete ihn an der Türsäule vorbei auf den Mann. Nach ein Paar Sekunden stöhnte er: „Das ist ... das ist Bernard Müller.“

Der Mann blickte an der Fassade des Hauses empor, noch einmal die Straße entlang, auch dahin, wo sie parkten, dann ging er ins Haus. Wielander blieb tief unten sitzen. Aber er drehte den Kopf zu Mikkelsen und sagte: „Fuck!“

Mikkelsen hätte nachfragen können, ob Wielander sich sicher war, doch dieser Name war wie ein Vorhang für ihn, der plötzlich aufging und dahinter stand eine auf sie gerichtete Kanone. Auf einmal ergab das Meiste Sinn und am liebsten hätte er laut geflucht wie Wielander. Auch wenn sie den Arbeitgeber vor fünfzehn Jahren gewechselt hatten, waren sie immer noch Kriminalisten und dazu gehörte, dass sie ihre Hausaufgaben machten. Eine davon war gewesen, zu überlegen, wer der mögliche Auftraggeber von Sven Oldenburg gewesen sein konnte. Sehr groß war der Kreis der Verdächtigen nicht gewesen und zwei Namen hatten ganz oben auf der Liste gestanden.

Wortlos ließ Mikkelsen den Motor an und fädelte sich in den Verkehr ein. Ängström starrte verständnislos nach vorn. „Was haben Sie vor?“

Mikkelsen biss die Zähne so fest aufeinander, dass es schmerzte, Olaf übernahm die Erklärung und auch er machte es entgegen seiner sonstigen Art kurz und knapp.

„Verschwinden. Das war Oberst Bernard Müller. Das einzige Foto von ihm wurde 1986 in Finnland vor der Botschaft der DDR aufgenommen. Ein Jahr vor der Wiedervereinigung ist er spurlos verschwunden. Sein direkter Chef war Markus Johannes Wolf, besser bekannt als ‚Mischa‘, Chef der Hauptabteilung Aufklärung des Ministeriums für Staatssicherheit und Albtraum aller westlichen Geheimdienste.“

„Die DDR gibt es nicht mehr.“

„Wen interessiert das? Als Hitler erledigt war, hat Wernher von Braun bei den Amerikanern seine Raketen gebaut. Solche Leute leben in ihrer eigenen Welt, ohne Ländergrenzen und mit eigenen Regeln, genau wie Topagenten. Regierungen und deren Wechsel interessieren sie nicht, die haben nicht die Macht über sie. Wir sind gerade mit Badehose, verbundenen Augen und Zahnfleischbluten in einen Tümpel mit ziemlich bösartigen Krokodile getrampelt.“

Das wusste Ängström selbst. Es war eine der Lektionen, die er von seinem Vater bekommen hatte. Doch er war es gewohnt, dass letzte Wort zu haben. „Wenn schon. Es spielt keine Rolle mehr. Er ist zu spät gekommen. Im Haus sind alle tot.“

Wielander schüttelte den Kopf, dass seine Haare umherflogen.

„Der Mann hört mir nicht zu. Sie sind doch so ein Gebildeter. Da haben Sie bestimmt auch was von der Geschichte vom Hasen und dem Igel gehört. Egal, was wir gemacht haben - Joanna war uns immer einen Zug voraus. Was bringt Sie auf die Kackidee, dass es jetzt anders ist?"

Ängström verkniff die Lippen zu einem schmalen Strich. Er dachte nach, und je mehr er das tat, umso bleicher wurde er.

Wielander drehte sich wieder nach vorn. „Er sieht aus, als wäre ihm gerade eine hyperintelligente Laborratte ins Genick gesprungen.“

Ryland knurrte: „Uns, und ihr Kosename ist Joanna.“


**

Detlev Bencke hatte seit acht Stunden nichts mehr gegessen und hatte trotzdem das Gefühl, niemals wieder Hunger haben zu können. Sein Frühstück hatte er heute Morgen auf den Parkettfußboden in einer Küche in der Sandstraße erbrochen und er war nicht der Einzige gewesen. Er packte alles, was zu dem Fall gehörte, in eine braune Papiertasche, sogar seine privaten Aufzeichnungen, die er mit zitternden Händen gemacht hatte und die kaum jemand würde entziffern können. Gerade war er informiert worden, dass ein Herr General Müller vom Bundesnachrichtendienst in einer halben Stunde hier sein und den Fall übernehmen würde.

Das Telefon klingelte, er nahm ab, lauschte und sagte dann: „Danke. Haben Sie etwas von dem Tagebuch? ...Gestern? Ganz sicher? … Gut, dann schicken Sie die Fahndung raus.“

Martin Wassmann hatte am Fenster gestanden und hinausgeschaut. Jetzt drehte er sich um. „Du weißt, dass du das nicht darfst, oder? Wir sollen nichts unternehmen. Große Politik.“

„Ja. Große Scheiße. Die Wohnung sah aus, als hätte da drin eine Abrissbirne gewütet.“

Die beiden Männer schauten sich an und jeder sah in den Augen des anderen die gleiche fürchterliche Wut. Benke griff nach dem letzten Tatortfoto. Er hätte es in die braune Tüte packen müssen, doch er behielt es in der Hand. Eine Träne tropfte aus seinem Augenwinkel darauf. Er wischte sie fort. Obwohl er es nicht durfte, legte er es in seine Schreibtischschublade.

„Die Spurenanalyse ist eindeutig. Christian Oldenburg hat seinem eigenen Vater und dann der Frau das Genick gebrochen. Ich habe in dreißig Jahren Dienst nie einen Menschen erschießen müssen und ich bin froh darüber. Aber wenn wir ihn finden - und das werden wir - tue ich es und kann danach gut schlafen. Das ist kein Mensch. Das ist eine kranke Bestie. Apropos krank ...“

Wassmann zog die Augenbrauen hoch und Benke zog sich Handschuhe an, griff noch einmal in die Papiertüte und holte das Tagebuch von Thore Wejndahl hervor.

„Die ganze Geschichte ist krank. Schau dir das mal an. Im Labor meinen sie, die letzten Einträge darin seien mehr als zehn Jahre alt. Nur der Allerletzte nicht. Der ist vor einem Tag geschrieben worden und stammt wahrscheinlich von einer Frau, der Handschrift nach zu urteilen.“

Er blätterte auf die letzte beschriebene Seite und drehte das Buch so, dass Wassmann es lesen konnte, ohne es anfassen zu müssen.

„Ich schlug euch mit Sturm und Schnee zur Buße; der Mensch, der aber nach mir kommt, ist stärker denn ich, dem ich nicht genugsam bin, seine Schuhe zu tragen; der wird euch mit Feuer taufen.“
*****ger Paar
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Ich (Jan) stmme @**********henke zu, es schreit förmlich nach Verfilmung.
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