Die Königin
So ihr Lieben, nachdem wir uns brav vorgestellt haben, gibt es hier die erste Geschichte von uns... naja, eigentlich von Johanna ich hoffe, sie gefällt euch ein bisschen.
Die Königin
Langsam schreitet die Königin durch das Schloss ihrer Kindheit. Nicht nur sie ist alt geworden. Von dem Glanz vergangener Zeiten ist nichts geblieben. Beim Anblick der verwilderten Ruine lässt sich die frühere Herrlichkeit nur erahnen. Sacht steifen ihre Finger über die brüchige Mauer. Früher war dieser Ort voller Leben und Lachen. Damals, als sie mit ihrer Schwester unbeschwert durch die Gänge tobte...
Zögernd betritt die Königin die Stufen zum Thronsaal. Die Natur hat sich das Gemäuer zurückerobert. Durch das kaputte Dach tropft Regen. Der einstmals massive Steinboden ist bedeckt von Gräsern und wilden Blumen.
Sie lässt den Blick schweifen und für einen kurzen Moment, erscheint ihr der Saal wie zu ihrer Jugend. Kerzen erhellen den Raum. Musik liegt in der Luft. Paare tanzen anmutig durch den Raum. Ein längst verloren geglaubtes Lächeln stiehlt sich auf das Gesicht der Königin. Jemand fordert sie zum Tanzen auf. Ihr Herz bleibt bei seinem Anblick fast stehen. Sie hatte fast vergessen, wie gutaussehend ihre große Liebe früher gewesen ist. Zusammen schweben sie über die Tanzfläche. Sie schließt die Augen. Verliert sich in Erinnerungen.
Ein kalter Windstoß reißt die Königin aus ihren Gedanken. Weht die Unbeschwertheit der Jugend fort. Die Musik verklingt im Wind. Sie öffnet die Augen. Nein, mit dem Ort ihrer Kindheit, den sie so sehr geliebt hat, hat das hier nichts mehr zu tun.
Zielstrebig setzt sie ihren Weg fort. Den Blick fest auf den Boden geheftet. Sie will sich nicht noch mehr erinnern. Sie durchquert die Gänge, in denen früher weiche Teppiche lagen und von Ritterrüstungen gesäumt wurden.
An der Treppe zu ihrem Turmzimmer bleibt sie stehen. Von weit her erklingt der Todesschrei ihrer Schwester. Die Knie der Königin geben nach. Sie hatte das nicht gewollt. Es war im Streit passiert. Mit zitternder Hand berührt sie sacht den Steinboden, auf dem ihre Schwester das Leben ausgehaucht hat. Tasten nach dem Blutfleck, der auch nach all den Jahren noch deutlich zu sehen ist. Tränen quellen aus ihren Augen. Tropfen auf den Untergrund. So verharrt sie reglos, bevor sie eine kleine Flasche aus der Tasche zieht und sie an die Lippen führt. „Verzeih mir, geliebte Schwester“, flüstert die alte Frau und trinkt das Gift in einem Zug aus.
Und während die Königin ein letztes Mal die Augen schließt, leuchtet das Schloss ihrer Kindheit im Schein der untergehenden Sonne.