Die Aufseherin
DIE AUFSEHERINJa, Herr Richter, ich habe verstanden, natürlich werde ich die Wahrheit sagen, warum sollte ich jetzt noch lügen – für wen denn? Meine Kinder sind doch alle tot – warum sollte ich also lügen?
… um mich selber zu schützen? Ich habe mich nie geschützt oder geschont, ich habe alles für meine Kinder getan, die habe ich geschützt. Mein Mann ist ja schon im ersten Jahr gefallen.., da kann man nicht die Hände in den Schoß legen bei fünf Kindern. Aber jetzt sind sie ja auch tot, es hat halt alles nichts genützt.
…Ja ich habe verstanden, dass ich wegen eines schweren Verbrechens angeklagt bin, gegen die Menschlichkeit…das sagen sie jetzt als wäre es schon immer so gewesen. Das klingt ja so als wären wir unmenschlich gewesen. Aber selbst wenn sie das jetzt so sehen, wir mussten uns wirklich um andere Dinge kümmern, als um Menschlichkeit, wir hatten große Probleme mit der Verbrennungsanlage… ich sehe schon an ihrem Gesicht, dass sie das nicht verstehen, Herr Richter – eigentlich hat es gar keinen Sinn, ihnen etwas davon zu erzählen, es war wie eine andere Welt…wie wollen sie über etwas urteilen, was sie gar nicht kennen?... Sie sprechen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, aber ich kann ihnen sagen, die Menschlichkeit interessiert sie nicht, wenn sie da einen Haufen Leichen haben der anfängt zu stinken, das ist unmenschlich gewesen, dieser Gestank…
…Gut ich erzähle einfach, was ich dort im Lager gemacht habe. Also, erstens war ich die Aufseherin des Frauenlagers in das immer nach Ankunft eines Transportes die Frauen kamen, die schon im Zug zusammengebrochen waren, die schwer krank oder hochschwanger waren. Die mussten ja als erstes weg, damit war dann sichergestellt, dass die anderen warten konnten bis sie an die Reihe kamen. Sie sprechen jetzt über Verbrechen und klagen mich an, keiner bedenkt, was wir für eine gute Arbeit geleistet haben, grade in den letzten Monaten des Krieges. Das waren schon echte Probleme, die wir hatten als immer mehr Transporte mit Halbtoten ankamen. So schnell konnten wir nicht arbeiten, wie die uns da wegstarben. Es gab ja auch kaum mehr welche, die noch Kraft hatten zum graben. Es war manchmal wirklich die Hölle da….
Worin die gute Arbeit bestand? Das kann ich ihnen ganz genau sagen. Wir hatten damals gar nicht so viel gutes und zuverlässiges Personal, ich bin oft schon um sechs Uhr morgens gekommen und konnte nicht vor zehn Uhr nach Hause gehen. Das waren lange Tage, Herr Richter. Also wenn die Transporte kamen, stand ich schon am Gleis…
Natürlich hatte ich Helfer, aber das waren auch nur Juden, wenn sie denken, die hätten sich beeilt, die Kranken aus den Zügen zu ziehen, dann irren sie sich. Wenn ich nicht hinter jedem einzelnen her war, haben die sich alle Zeit der Welt gelassen. Denen war es egal, dass ich noch alle Frauen registrieren und aufteilen musste. Einmal hat doch einer versucht, einen Säugling an mir vorbei zu schmuggeln – na ja, ich habe ihn erwischt….
Was ich mit dem Säugling gemacht habe? Gott, was soll ich mit dem schon machen? Ich habe ihn einer alten Jüdin gegeben, die schon auf dem Weg zum Gas war. Die Mutter war ja halbtot und konnte es nicht mehr selber tragen….
Sie meinen, ob alle sofort vergast wurden? Nein, das war zwar das Ziel, aber das haben die in Berlin so beschlossen ohne ein Ahnung zu haben, wie bei uns die Verhältnisse waren. Mit dem Vergasen alleine ist es ja nicht getan, sie müssen die Leichen ja auch vernichten - und vorher alles, was da noch zu verwenden war, musste vorher auch noch aus den Leichen raus, die Goldzähne, die Haare…. Ja, das mit der Haut haben wir aber nur einige male versucht, dafür hätte es eben Fachpersonal gebraucht, das hatten wir einfach nicht. Jedenfalls hatten die in Berlin sich mit den Brennöfen verrechnet, wir konnten gar nicht alle sofort töten, das war einfach nicht möglich. Sie können sich ja nicht vorstellen, welche Mengen die uns geschickt haben. Einmal sind wir sogar zum Kommandanten gegangen und haben gesagt, dass es so nicht weiter geht….
Was nicht mehr weiter ging, wollen Sie wissen?
Wir hatten einfach keinen Platz mehr. Wir kamen mit dem Organisieren nicht mehr hinterher…
Warum zeigen sie mir diese Fotos, denken sie ich wüsste nicht, wie es da ausgesehen hat? ….
Sie meinen das sind alles tote Menschen, tote Juden? Ja was soll es den sonst sein. Aber sie können mir glauben, sie sehen sich jetzt das Foto an und denken die armen, armen Menschen. Ich habe nur gedacht, wie lange liegen die da noch, kann man denn nicht schneller verbrennen...Ob ich nicht daran gedacht habe, dass das alles Menschen sind, Menschen wie ich?
Natürlich nicht, es waren schließlich Juden und keine Menschen wie ich. Sonst wären sie ja auch nicht ins Lager gekommen.
…nein, wie sollte ich nachprüfen ob sie wirklich schlecht oder anders waren. Das hatten andere vor mir schon getan, dafür war ich nicht zuständig. Ich war nur dafür zuständig, dass sie bis zur Vernichtung verwahrt wurden.
….was sollte mit den Kindern sein, es waren genauso Juden wie die anderen auch. Wenn ich einen jüdischen Jungen gesehen habe, wusste ich ja, aus dem wird mal genauso ein jüdischer Mann, wie die anderen auch – warum sollte ich mit dem mehr Mitleid haben, als mit den anderen?
…Ja, manchmal habe ich sie geschlagen, vor allem die Juden die mir beim Entladen helfen sollte. Sonst hatten die ja keinen Respekt.
…Ich habe sie mit dem Gewehrkolben geschlagen, manchmal auch getreten. Aber natürlich nicht zu fest, schließlich brauchte ich die ja noch, die konnten noch Gräber ausheben – die bekamen ja auch gutes Essen, aber es waren eben nicht genug…
…Nein mit der Hand habe ich sie fast nie geschlagen, es war mir immer unangenehm, sie anzufassen.
… Ob es eine Situation gegeben hat, wo ich lieber aufgehört hätte?
Oh, weiß Gott, viele. Sie glauben ja nicht, wie unerfreulich diese Arbeit oft war. Dadurch dass wir so wenige waren, hatte ich nur wenig Kontakt zu den anderen deutschen Aufsehern, da kam man sich schon manchmal sehr einsam vor. Keinen mit dem man reden kann. Manchmal hatte ich das Gefühl, ich hätte schon seit Wochen nicht mehr gelacht. Na ja, ab und zu gab es eine kleine Feier, das war dann schon schön. Wir haben dann gesungen und manchmal auch getanzt….
Nein, wir hatten kein Lagerorchester, wir waren ja eigentlich nur als Vernichtungslager geplant.
…Ob ich einmal mit einem der Juden Mitleid gehabt habe? Sie stellen Fragen, Herr Richter… wenn ich mit einem Mitleid gehabt hätte, hätte ich es dann nicht auch mit dem nächsten und schließlich mit allen gehabt? Wenn man charakterschwach ist, darf man so eine Arbeit nicht machen.
…Wer hatte denn Mitleid mit mir gehabt? Schön war es da im Lager für mich wirklich nicht, immer der Gestank, das Geschrei. In dem Jahr wo ich da war, habe ich nicht einmal ein Dankeschön gehört – und arbeiten musste ich ja für die Kinder und meine Mama in Hamburg. Einmal habe ich einer alten Jüdin aus dem Wagon geholfen, sie sah meiner Großmutter etwas ähnlich, glauben sie, die hätte sich bedankt?
Da wird jeder Mensch hart in so einer Umgebung….
… Sie brauen mir nicht immer diese Fotos zu zeigen, ich weiß wie die aussahen, wenn die bei uns ankamen. Sie sitzen jetzt da und haben Mitleid, aber versetzten sie sich doch mal in meine Lage, Herr Richter. Ich musste mein Soll erfüllen. Wenn ich nicht richtig arbeitete, bekamen die im Krematorium Probleme. Haben sie schon mal versucht aus einer Liste mit tausend Namen die herauszufinden, die in die Krankenbaracke sollen? Sicher hatten die alle Nummern, aber wenn man sie nach ihrem Namen fragte, stellten die sich plötzlich dumm.
…Ja sie hatten Tätowierungen, aber versuchen sie die einmal nachts bei dem Scheinwerferlicht zu lesen… Oft waren die so undeutlich, grade bei den Alten auf der faltigen Haut. Dafür hatte ich extra einen Juden, der stand immer neben mir und musste dann die Haut straff ziehen. Aber auch wenn sie so verhungert waren, konnte man die Nummern nur schlecht lesen. Selbst deutsche Juden, die ihre Nummer ja auswendig wussten, haben mir oft nicht geantwortet. Nein, Herr Richter, das war wirklich keine Freude…
…Was ich mit den deutschen gemacht habe, wenn sie mir die Nummer nicht gesagt haben? Es kam ganz darauf an. Wenn er einer der ersten war, der aus dem Wagon kam, habe ich ihn meistens bestraft, damit die anderen das sehen. Manchmal habe ich ihn einfach mit der Gerte geschlagen, bei alten Juden reichte das oft schon. Wenn eine junge Jüdin frech wurde, habe ich ihm befohlen sich auf den Boden zu legen und habe sie dann getreten….
Warum sie sich hinlegen mussten? Herr Richter, haben sie schon mal jemanden getreten, der steht, das geht doch kaum, höchstens gegen das Schienbein. Ich bin doch nicht vom Zirkus, dass ich die Beine so hoch schwingen kann. Außerdem wie hätte das ausgesehen?...
…Ob ich nur mit Frauen zu tun hatte? Ich glaube, sie hören mir nicht richtig zu, Herr Richter, beim Ausladen waren es Kinder, Frauen, Männer einfach alles durcheinander. Zumindest am Ende…
…Ja, einmal habe ich etwas getan, was ich später bereut habe. Eine junge Jüdin hatte eine wunderschöne Perlenkette, sie hatte sie sich um den Oberschenkel gebunden, damit ich sie nicht sehe. Sie war wohl während des Transportes so abgemagert, dass sie ihr auf den Fuß rutschte, als sie vor mir stand. Diese Kette habe ich an mich genommen. Ich habe sie nicht abgeliefert, wie es eigentlich selbstverständlich gewesen wäre. Aber ich wollte schon immer so eine Kette haben – später tat es mir dann sehr Leid…
Es war eine schwere Zeit, für alle Herr Richter. Ich habe meine Kinder ja ein Jahr nicht sehen können – jetzt sind sie alle tot. Daran denkt jetzt keiner… Plötzlich haben wir an allem Schuld und es heißt, die armen Juden…
…Ob ich es bereue, was ich getan habe? Sie haben es einfach nicht verstanden, Herr Richter, ich persönlich habe ja niemanden ermordet, aber ich stand hinter der Sache, wenn sie das meinen. Es waren klügere Menschen als ich, und auch als sie, Herr Richter, die herausgefunden hatten, dass die Juden schädlich für das deutsche Volk waren. Ich habe sie ja gesehen, diese Herren Bankiers und ihre Gattinnen, wie die aussahen wenn man ihnen die schönen Kleider abgenommen hatten, sie waren dann einfach nur noch Juden. Mehr nicht…
…Grausamkeiten im Lager? Also wir hatten wirklich besseres zu tun als die Juden zu quälen, dafür war einfach keine Zeit. Gut einer der Bewacher hat seinen Hund abgerichtet und dafür Juden genommen, aber das war ja auch nicht wirklich quälen, direkt danach sind sie sowieso ins Gas gekommen….
…Was ich unter wirklich quälen verstehe? Das kann ich ihnen ganz einfach sagen, Herr Richter, das ist, wenn man das aus Spaß tut. Aber ich hatte ja schon gesagt, so spaßig war es nicht bei uns….
…Ja, gesehen habe ich schon manchmal eine Grobheit, aber das muss man verstehen, es waren ja junge Männer die da arbeiteten, den platzte schon mal der Kragen, wenn sich ein Jude auf den letzten Metern vor dem Gas fallen lässt. Was wollen sie machen, wenn eine Jüdin dann grade ihre Wehen bekommt, Herr Richter, ihr freundlich zureden? Das reicht manchmal einfach nicht, da muss man richtig durchgreifen, da hilft sonst nichts….
…Ach, so genau habe ich da auch nicht hingesehen Herr Richter, mich hat das nicht interessiert, das war nicht mein Zuständigkeitsbereich…
…Ob ich mir vorstellen kann, auch selber Juden zu ermorden? Dafür habe ich mich nie beworben, zum einen waren es meistens Männer, es war halt körperlich schon anstrengend… aber wenn sie damit meinen, ob ich mit ihnen bis zum Gas gegangen wäre – natürlich. Aber das war ja auch kein Mord….
Was für mich Mord ist? Das ist wenn ich jemanden aus niedrigen Beweggründen töte. Das hat keiner von uns getan…
…Was ich zu meiner Verteidigung sagen will? Ich habe immer zum Wohle meines Vaterlandes gehandelt… außer das eine Mal mit der Perlenkette. Das kann sicher nicht jeder von sich sagen Herr Richter.