Der Wolf ... eine wahre Fabel
Meine erste Veröffentlichung hier bei Euch ...Liebe Grüße
Hina
Sie fühlte sich wie ein Kaninchen zu dem die Schlange gesagt hatte „sei brav, bleib hier sitzen und warte auf mich“. Er wollte sie weich kochen, das wusste sie sehr genau. Er wollte das sie gehorchte und ihm folgte, auch das wusste sie.
Und sie war brav, blieb sitzen und wartete auf die Schlange, die sich um sie rollen würde, die sie sehr langsam ersticken und fressen würde. Sie würde sich das alles gefallen lassen, würde nach Luft schnappen, während sich die Schlange langsam und lustvoll um sie rollte um ihr die Luft zu nehmen. Und so saß sie da und wartete, seit Wochen schon ...
Jetzt war sie vorbei die Zeit des Wartens, denn ein Wolf hatte die Schlange gefressen und schickte sich an auch sie zu fressen. Sie schaute in seine bernsteinfarbenen Augen und bot ihm den Hals für den finalen Biss ....
Sie schloss die Augen und wartete auf die sich langsam in ihren Hals grabenden Zähne, wartete das sie seinen Atem an ihrem Hals spüren würde, wartete auf den Schmerz, wartete darauf, dass das Leben langsam aus ihr heraus fließen würde, aber nichts passierte. Sie öffnete die Augen und sah dieses große übermächtige Tier vor sich stehen, zum Sprung bereit, das Maul noch immer leicht geöffnet. Sie sahen sich an, sie spürte wie sich sein Blick in ihr Herz grub, er sprang und biss zu. Sie stürzte nach hinten, schloss die Augen und drehte den Kopf zur Seite, das er besser, tiefer, fester zubeißen konnte. Er tat es. Sie wartete auf den Schmerz, aber der kam nicht. Dieses mächtige Tier, das ihr das Leben nehmen konnte stand einfach nur über ihr, die Zähne in ihrem Hals vergraben. Sie genoss seine Macht, dieses übermächtige Gefühl.
Sie hörte ein leises dunkles Grollen ganz tief aus seiner Kehle, spürte seinen warmen Atem. Dann ließ er ab von ihr und stand einfach nur da. Sie bewegte sich vorsichtig und setzte sich langsam auf. Er stand da und schaut ihr tief ins Herz. Seine Macht bohrte sich förmlich in ihr Herz, floss durch sie hindurch, war allgegenwärtig. Dann drehte er sich um und ging langsam davon. Sie schaut ihm nach, er drehte sich noch einmal um, wieder hörte sie dieses dunkle tiefe Grollen aus seiner Kehle. Sie verstand. Dies war die erste von vielen Aufgaben die folgen würden. Sie saß da, sah wie er ging. Sie würde warten bis er wieder kam, sie war eine Sub, sein Eigentum ...
Sie saß da schon sehr lange an diesen großen starken Baum gelehnt, in diesem dunklen Wald und fühlte sich oft allein. Hin und wieder hörte sie ganz weit in der Ferne sein leises Grollen, das nahm ihr ein wenig die Angst. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren, sie hatte aufgehört zu zählen wie oft sie den Mond am Himmel gesehen hatte. Sie wusste nicht mehr ob es warm war oder kalt. Sie saß einfach nur da und wartete, lauschte dem Rauschen der Blätter, den Geräuschen der Tiere und horchte ob sie ein Knurren hörte.
Hin und wieder kamen andere Tiere vorbei. Füchse, Raben, Elstern, Dachse und jedes wechselte ein paar Worte mit ihr. Das eine mehr als das andere. Aber die Tiere gingen sehr schnell weiter wenn sie die Male an ihrem Hals sahen und verschwanden im Wald. Und dann war da immer wieder dieses Grollen, das so weit entfernt war, das sie beruhigte und auch beängstigte. Was wollte dieses mächtige Tier von ihr? Sie wusste es nicht, genoss aber die Macht die es auf sie ausübte.
Vor ein paar Tagen, oder waren es doch schon Wochen, hatte sie sein Grollen in der Nähe gehört. Sie hatte so voller Erwartung dort an dem Baum gelehnt gesessen und gewartet. Er war nicht zu ihr gekommen. Sie hatte ihn nur gehört, hatte wieder dieses Knurren und Grollen gehört „sei brav“ und sie war brav.
Das Knurren und Grollen war jetzt ganz nah. Sie hörte das Brechen von Ästen, das Rascheln von Blättern ... Sie spürte wie sein warmer Atem ihrem Nacken streichelte, sein Fell, dass ihre Haut nur leicht berührte und wieder diese Macht die sie durchströmte. Sie saß wie erstarrt und wagte nicht sich zu bewegen. Ein kurzes Knurren noch und dann verschwand er leise und geräuschlos im Wald. Sie versuchte ihr klopfendes Herz unter Kontrolle zu bringen, ihre zitternden Hände zu bändigen. Es brauchte lange um wieder zur Ruhe zu kommen. Andere Tiere kamen und gingen, sie konnte ihnen nicht wirklich zuhören.
Sie würde ihn bald wieder sehen, dass wusste sie jetzt ganz sicher. Also saß sie wieder da und wartete bis er zurück kommen würde.
Das inzwischen vertraute und liebgewonnene Knurren und Grollen war in der Ferne zu hören. Er rief nach ihr. Sie stand auf und ging los, nein, sie rannte los, immer weiter. Wie weit sie rannte spürte sie nicht, hörte nur auf das Knurren und Grollen das langsam näher kam. Und dann stand sie vor ihm. Er saß vor einer Höhle auf einem Felsen und schaute ihn ihre Richtung. Langsam ging sie auf ihn zu und setzte sich neben ihn. So saßen sie eine Weile, schauten in die untergehende Sonne, wie sie langsam hinter den Bäumen verschwand. Sie versuchte ihren Atem zu kontrollieren, ihr Herz klopfte so laut. Sie spürte das er aufstand und seine bernsteinfarbenen Augen sie musterten. Sein warmer Atem streifte ihr Gesicht, ihren Hals. Mehrmals umkreiste er sie witternd, ohne Worte fragend ob sie „brav“ gewesen war. Sie wagte nicht ihn anzusehen und schaute weiter nach der Sonne, die schon längst nicht mehr zu sehen war. Dann traute sie sich doch und schaute tief in diese Augen. Ohne Knurren und Grollen erzählte er ihr aus seinem Leben, von seinen Kämpfen, von seinen großen Siegen und von den Niederlagen die er erlitten hatte, erzählte von inneren Kämpfen, Geheimnissen und Verborgenem. Er erzählte nur mit diesen Augen, die auf ihr ruhten, Stunden um Stunden.
Inzwischen schien der Mond rund und hell über ihnen. Der Wolf hatte sich vor sie gesetzt und schaute in den Mond. Dann setzte er zu seinem Lied an, einem Lied wie es nur Wölfe singen konnten, herzzerreißend, liebevoll und sehnsüchtig. Immer wieder begann er das Lied von neuem zu singen, immer wieder, bis er sie unvermittelt ansah. Er schaute in ihr Herz und in ihre Seele. Wie glühendes Lava schoss das Blut durch ihren Körper. Erschrocken wich sie seinem Blick aus. Er gab ihr mit einem leisen Grollen zu verstehen das es für sie Zeit war zu gehen. Langsam stand sie auf, schaute noch einmal in diese warmen Augen und spürte seine Macht. Sie dreht sich um und ging ein paar Schritte. Sie wollte für heute einen letzten Blick auf ihn werfen und schaute zurück. Da stand er, der Mann, den sie so aufrichtig und ehrlich aus vollem Herzen liebte und schaute ihr nach.
Sie ging ein letztes Mal zurück in ihr Leben, das nicht mehr ihr Leben war. Sie würde alles aufgeben, alles was ihr in ihrem früheren Leben wichtig gewesen war, würde alles verschenken was ihr einmal so viel bedeutet hatte, ... und dann würde sie zu ihm zurück gehen, in den Wald, der sein Wald war. Sie würde zurück in den Wald gehen ohne sich umzudrehen. Sie wusste nicht was sie erwarten würde, trotzdem hatte sie keine Angst, weil sie ihm vertraute und wusste er würde sie beschützen. ...
Ein Schuss in der Ferne, sie schreckte aus dem Schlaf.
Sie war lange gewandert durch diesen Wald, hatte angestrengt nach seinem Knurren gehorcht und es immer wieder gehört. Endlich zurück gekehrt freute sie sich ihn endlich wieder zu sehen. Immer wieder musste sie eine Pause einlegen, denn sie war solche langen Wanderungen nicht gewöhnt.
Dann musste sie eingeschlafen sein und jetzt war sie durch einen Schuss geweckt worden. Weitere Schüsse folgten. Mit klopfendem Herz lag sie in ihrem Bett aus Laub. Überall raschelte es, sie hörte die Tiere des Waldes davon laufen. Sie hörte einen markerschütternden Schrei, nicht den Schrei eines Menschen, sondern den eines Tieres. Sie spürte einen stechenden Schmerz. Dann rannte sie los, rannte Richtung Höhle. Intuitiv musste sie den richtigen Weg gewählt haben, es war dunkel, nein eigentlich war es schwarz. Vor der Höhle angekommen hörte sie ihn schnaufen und leise knurren. Vorsichtig ging sie hinein. Da lag er, verletzt. Sie näherte sich ihm langsam. Er hob den Kopf. Seine bernsteinfarbenen Augen lagen auf ihr, er knurrte leise, verbot ihr näher zu kommen. Sie fasste all ihren Mut und ging trotzdem näher heran. Bei ihm angekommen, legte sie sich neben ihn und legte ihren Arm um ihn. Er knurrte lauter, es war ihr egal. Mit allergrösster Vorsicht strich sie sanft über sein Fell. Die Verletzungen waren unübersehbar. Sein Knurren wurde leiser und endlich schlief er ein. Immer wieder strich sie ihm leicht über sein Fell und beobachtete seinen Schlaf.
Irgendwann erwachte er, sah sie lange an, legte ihr seinen Kopf auf die Brust, schaute ihr tief in die Augen und ließ sie so wissen, dass er sie lieb hatte. Er erklärte ihr, dass diese Verletzungen nicht heilen würden und das man ihn weiterhin jagen würde. Es wäre nicht gut für sie, wenn sie bliebe und dann fing er leise an zu knurren. Er hob den Kopf, schaute sie böse an, knurrte und bellte laut. Langsam stand sie auf und ging langsam rückwärts Richtung Höhleneingang. Sein Knurren machte ihr Angst. Er wollte das sie geht und das um jeden Preis.
Weinend war sie an ihren Schlafplatz zurück gekehrt. Sie verstand ihn irgendwie. Er wollte nicht das sie in Gefahr gerät, er wollte nicht das sie ihn schwächer werden sieht - er wollte sie einfach nur beschützen vor seiner großen Leere.
Aber sie hatte doch alles aufgegeben und er hatte ihr Schutz versprochen.
Sie musste seinem Wunsch nach Einsamkeit respektieren, egal wie schwer ihr das fallen würde.
Immer wieder rief sie nach ihm, immer wieder erklärte sie ihm ihre Angst, weniger um sich selbst, mehr um ihn. Erklärte das ihr Platz bei ihm wäre, egal was passiert. Aber er ließ sich nicht erweichen.
Eines Abends, es regnete leicht, ging sie wieder hoch zu dem Felsen. An der Höhle blieb sie stehen. Sie spürte das er da drin lag, allein mit seinem Schmerz und der Angst. Sie widerstand dem Impuls sich ihm zu nähern und ging weiter bis zu dem Felsvorsprung wo er vor einigen Wochen für sie gesungen hatte. Am Rand des Vorsprungs blieb sie stehen, schaute noch einmal in ihr Herz, nach ihm. Dann trat sie über den Rand und lies sich fallen in das tiefe Schwarz. „Ich liebe Dich“, sagte sie leise, dann war es wieder still im Wald.
© Hina 2009