Das fünfundzwanzigste Türchen
*
Eule und Nachtigall
„Hast du schon mal ganz allein Weihnachten verbracht?“ Fragte mich Sabine mit leicht waidwundem Blick. Sie fürchtete sich vor dem Fest, das sie zum ersten Mal seit ihrer Trennung allein verbringen würde.
„Meinst du körperlich oder seelisch allein?“ Entgegnete ich, wohlwissend, dass es als unhöflich galt, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten. Sabine sah mich verblüfft an, etwas in der Art hatte sie nicht erwartet.
„Wie meinst du das? Ist das nicht dasselbe?“
„Mitnichten!“ Antwortete ich mit Nachdruck. „Schau, körperlich allein würde bedeuten, dass sonst niemand da ist, den du betüddeln musst. Du also tun und lassen kannst, was du willst. Gänsekeule oder Würstchen? Deine Entscheidung! Festliches Make-up oder Nachtpflegenährcreme extra reichhaltig - deine Wahl. „Ist das Leben nicht schön?“ oder „Texas Chainsaw Massacre“? Genau - du bestimmst. Keiner der meckert, keiner, der dich nervt und vor allem – keiner, der beleidigt ist. Die vollkommene Freiheit. Also positiv. Dagegen seelisch allein: Du befindest dich inmitten einer lärmenden Herde von Menschen und bist trotzdem mutterseelenallein. Du hast keine Zeit für deine Befindlichkeiten, nicht mal Lust auf Sex mit umgeschnallten Engelsflügelchen. Stattdessen ein straffes Feiertagsputz- und -kochprogramm, stehst quasi rund um die Uhr in der Küche, musst Streit schlichten, Schwiegermutter sowie eigene Mutter besänftigen, die Kinder und den Mann bei Laune halten, Traditionen vorleben, alle Strophen von „Oh Tannenbaum“ auswendig singen können, dabei umwerfend aussehen und glückselig lächeln.
Dabei ist in dir nur ein wüstes ödes Land. Eigentlich möchtest du heulen, weil du lieber im Evakostüm heißen Sex unter dem Tannenbaum hättest und den Hammer lieber wild tobend zwischen deinen Beinen als hinter deiner Stirn spüren würdest. Du dich innerlich so eingesperrt und von allen verlassen fühlst, weil alle keine Lust und Zeit haben, dir zu helfen, weil du die Sklavin in der Familie bist. Freie Kost und Logis, Etagenbad, ab und zu beglückt dich der Hausherr. Ansonsten schuften, schuften, schuften. Ernsthaft hättest du je geheiratet, wenn sowas in einer Eheanzeige gestanden hätte? Eine kleine Auswahl der Ausreden meine Liebe: Jetzt nicht – ich muss erst noch Pokémon spielen, da ist gerade ein Rate. Bin in drei Stunden zurück. Echt jetzt – noch mehr helfen? Ich hab doch heute Morgen erst den Mülleimer rausgetragen, ich dachte, ich habe frei. Es lohnt sich doch eh nicht, mein Zimmer aufzuräumen, wenn der Besuch da durchläuft. Ich helfe dir morgen – versprochen, ich muss noch ein paar Geschenke suchen gehen.
Du bist müde, gestresst, sehnst dich danach, in Ruhe gelassen zu werden und hast keine Lust auf den ganzen Mist. Zum Teufel mit Weihnachten! Nächstes Jahr fliege ich auf die Malediven und zwar ganz allein! Soll die Bagage doch sehen, wie sie einig wird! Das wünschst du dir aus vollem Herzen. Verstehst du den Unterschied?“ Ich ende mit einem mühsamen Lächeln auf meinen Lippen, denn mir ist zum Weinen. Ich beneide sie um ihr selbstbestimmtes Fest.
„Mensch Liebes, so hab ich das noch gar nicht gesehen. Ich gestehe, dass ich zur Weihnachtszeit immer ziemlich neidisch auf dich war. Dein Mann, deine Kinder, deine große Familie. Sie ist nie allein, immer ist jemand für sie da und trägt sie auf Händen, dachte ich. Danke für deine Sicht der Dinge. Ich fühl mich schon viel besser und muss sagen, jetzt nach unserem Gespräch kommt in mir richtig Vorfreude auf.“ Sie
Sie trank ihr Glas Sekt in einem Zug aus und füllte direkt nach, drückte mich. Ihre eben noch hängenden Schultern strafften und richteten sich auf. Ihre Mundwinkel schnellten nach oben und sie summte fröhlich „Rockin´ around the chrismastree“. Plötzlich begannen ihre Augen zu strahlen und sie sah aus als ginge sie mit einer erregenden Idee schwanger.
„Vielleicht gehe ich später auch noch mal in den Club?“ Raunte sie mir verschwörerisch zu. „Da findet doch eine After-Bescherungs-Party statt. Ich könnte mir selbst ein Sextoy zu Weihnachten schenken und es mitnehmen und wer weiß, vielleicht ist da ein alleinstehender Weihnachtsmann, der in seinem Sack noch etwas für mich hat?“ Dabei zwinkerte sie mir zu und ihre Wimpern klimperten. Meine Freundin mutierte vor meinen Augen zur Femme Fatale.
Boah! Jetzt wurde sie aber richtig fies! Jetzt war ich neidisch und zwar richtig! Das würde mir auch gefallen, am liebsten ließe ich Mann und Kinder daheim, ginge und amüsierte mich mit. Gott – wie ich sie um ihr Fest beneidete. Das wird sicher ein Fest der Liebe, zumindest der körperlichen. Ich hätte auch mal wieder Lust und seufzte nachhaltig. Menno! Mein Kopfkino raste, allein, wenn ich es mir vorstellte. Gleich im Anschluss würde ich meinem Männe unmissverständlich klarmachen, in welchem Möbelstück wir den heutigen Abend verbringen würden – definitiv nicht im Sessel, obwohl...
Ich gönnte Sabine ihren Spaß, ehrlich, verdient hatte sie es. Das Sextoy in Form eines doppelt penetrierenden Vibrators mit Schleifchen drum würde sich in meinem Geschenk an sie finden. Und ich wünschte ihr, dass sie im Club richtig Spaß haben und tatsächlich die Englein in Strapsen im Chor singen hören würde.
*