Das siebenundzwanzigste Türchen
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Zum Teufel mit Weihnachten
Es gibt doch tatsächlich Menschen, die diesen christlichen Hauptfeiertag leichtfertig in die Hände Luzifers, des Erzrebellen, und seiner Gefolgschaft wünschen. Sie ordnen ganz einfach die Buchstaben in "Santa Claus" anders an und machen daraus "Satans Claws" oder schlicht und ergreifend "die Krallen Satans." Leichtsinnig und scheinbar furchtlos sind sie willens, ihm, dem alten Nick, dem Meister der Verkleidung ihre Kinder, ja sogar das Schicksal der gesamten Menschheit in den Schoß zu setzen.
Mit ihrem Leben unzufrieden oder unglücklich darüber machen sie den lieben Gott für ihr irdisches Scheitern verantwortlich. Sie begehen ein diabolisches "All In", in der Hoffnung, der Antichrist werde ihr armseliges und trostloses Schicksal wohl richten.
Vielleicht ist es ja eine Alternative, eine Lösung ihrer Probleme oder einfach nur eine weitere Station auf ihrer rastlosen Reise ins ewige Licht?
Lasst mich die Geschichte über Jure erzählen, die sich vor vielen Jahren in einer Christnacht zugetragen hat. Groß gewachsen und von kräftiger Statur war Jure Hufschmied in Leutschdorf, einem kleinen am östlichen Alpenrand gelegenen Bergdorf, das nicht weniger als siebzig Seelen zählte. Das Handwerk hatte er bei seinem Vater gelernt, wie dieser es zuvor vom Großvater erlernte.
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An jenen Tagen tobten heftige Schneestürme. Diese Urgewalten zwangen die Dorfbewohner in ihre eingeschneiten Hütten und Häuser, die kaum noch als solche zu erkennen waren. Niemand wagte es, unter diesen Witterungsbedingungen einen Fuß vor die Türe zu setzen, um das Licht der schmiedeeisernen Laterne oben am Bergpass zu entzünden.
"Wenn wir dem Heiland nicht den Weg ins Dorf hinunter leuchten, wird uns der Teufel heimsuchen", wehklagten die Alten. "Er wird kommen und unsere Seelen mit sich nehmen, fort, weit weg von hier, ins Reich der ewigen Finsternis."
Furchtbesessen besprenkelten sie die Türrahmen mit geweihtem Wasser, streuten Salz in ihre Stuben und erflehten durch das Anbeten der Kruzifixe beim Allmächtigen Schutz vor dem drohenden Verderben.
Jure empfand tiefes Mitleid mit den verzweifelten Dorfbewohnern, deren düstere Prophezeiung er für Aberglauben hielt. Für ihn gab es keinen Raum jenseits des Hörens oder Sehens. Deshalb machte er sich auf den beschwerlichen Weg hinauf zum Pass. Die Rufe, die ihn zur Umkehr bewegen sollten, verhallten im Getöse des Sturms.
Der Steig war nicht mehr zu erkennen. Gewaltige Schneemassen lagen wie eine einzige geschlossene Wand vor Jure. Der Sturm zog an ihm, warf ihn zurück, wirbelte ihn herum. Er spielte mit dem Hünen, als wäre Jure ein fallendes Blatt im Herbst. Der Erschöpfung nahe, stellte sich Jure dem hoffnungslos scheinenden Kampf gegen die Naturgewalten. Eisern wie der Amboss, auf dem er seine Werke schmiedete, war sein Wille, den Pass zu erreichen. Meter für Meter rang er dem Berg ab, bis er die schemenhaften Umrisse des steinernen Kreuzes auf der Anhöhe erkennen konnte.
Es war um Mitternacht, als er die "Nadel", wie die Einheimischen die Passhöhe nannten, schweißgebadet und völlig aufgelöst erreichte. Doch was war das? Jure traute seinen vom Sturm tränenden Augen nicht. Eine in schwarze, samtig schimmernde Gewänder gehüllte, mächtige Gestalt befand sich bereits auf der Nadel. Die eiserne Laterne schwenkend, rief sie ihm mit donnernder Stimme zu: "Ich habe dich erwartet, Jure, du bist ein wenig spät! Aber ich wusste, dass du es schaffen wirst."
Jure schauderte beim Anblick der hässlichen Fratze mit der Habichtsnase, der er da gegenüberstand. "Woher weißt du, wer ich bin und was suchst du hier um diese Zeit?", entgegnete er. "Gib mir die Laterne, schnell, ich bin gekommen, um ihr Licht zu entzünden, bevor der Teufel mein Dorf heimsucht."
Die Gestalt lachte und scharrte mit einem seiner Füße im Schnee, der wie der Huf eines Pferdes aussah. "Ho, ho, ho, du bist zu spät. Ich bin dir zuvorgekommen und bereits auf dem Weg, hinunter zu deinen Leuten. Da du aber mutig warst und es durch die Schneehölle geschafft hast, will ich dir einen Handel anbieten, durch den du die Deinen vor der ewigen Finsternis bewahren kannst. Dafür erwarte ich aber ein rechtes Geschenk von dir."
Das konnte nicht wahr sein. Jure erlebte am wahrhaftigen Leib, dass die Ängste der Alten berechtigt waren und ihre Prophezeiungen zutrafen! Er überlegte fieberhaft, was er dem Leibhaftigen als Unterpfand anbieten könnte?
"Ich, ich gebe dir die Kraft meiner Hände. Ohne sie kann ich meine Sippe nicht ernähren", stammelte er, in der Hoffnung, den Herrscher der Finsternis zu besänftigen.
"Du willst mich narren, Jure", herrschte ihn der Höllenfürst an. "Das ist zu wenig, um ein ganzes Dorf zu retten."
"Dann nimm mein Augenlicht dazu", bettelte Jure. "So kann ich die Schönheit meines Weibes nicht mehr sehen."
Der Teufel sah ihn mit finsterer Miene an und sprach: "Das ist mir noch zu gering."
Was außerdem konnte Luzifer ihm abverlangen? Jure beschlich ein schreckliches Gefühl, das sich in seinem Körper von den Zehenspitzen über seine Knie bis hinauf in seine Brust ausbreitete, bevor er das Bewusstsein verlor.
Zur selben Zeit blieb im Dorf der befürchtete Besuch des Teufels aus. Die Bewohner waren erleichtert und stolz darauf, dass Jure es geschafft zu haben schien. Sie beglückwünschten sich, priesen den Herrn und gelobten Besserung.
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Ob in jener Nacht ein Licht auf der Nadel geleuchtet hat, bleibt für immer ein Geheimnis. Fest steht nur, dass Jure seither nicht mehr gesehen wurde im Dorf. Aber er wandelt immer noch in den Christnächten in der Gegend um Leutschdorf umher und wacht darüber, dass sie leuchtet, die Laterne, dort oben am Pass.
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