Das zweite Türchen
Zum Teufel mit Weihnachten
Mit einem Filmtitel hatte Suse ihn hinausgescheucht: "Der Teufel trägt Prada"
'Wer oder was ist Prada?', fragte sich Werner, 'Warum soll der Teufel etwas tragen? Der hat doch von Natur aus ein schönes schwarzes Fell, genau nach dem Suse seit Jahren unverständlicherweise lechzte.' Er war verwirrt. Suse sagte es nicht offen - nein, druckste herum, immer, wenn sie vor diesem unheimlichen kleinen Laden standen. 'Pelze mit Geschichte und Charme' stand auf dem Ladenschild - sonst nichts. Wie verblichen die Auslagen dort aussahen. Zuletzt war dieses Schaufenster vermutlich zu Zeiten dekoriert worden, als ein Pelz seinen festen Platz im Schrank jedes einigermaßen begüterten Weibstückes hatte. Er erinnerte sich an den vermeintlichen Pudel - wie hieß das doch gleich 'Persianer'? - seiner Oma. Die feinen Löckchen hatten ihn fasziniert, der modrige Geruch nach Mottenkugeln dagegen abgestoßen. Der löste unendliche Niesanfälle bei ihm aus, wenn seine Großmutter ihren Burschi herzen wollte. Seine Suse wollte wirklich wie seine Oma umherlaufen? Werner gruselte es bei dieser Vorstellung.
Zum Teufel mit dem Teufel! Irgendetwas musste ihm einfallen bis Weihnachten. Seiner Gattin konnte er nicht wirklich einen Wunsch abschlagen. Entschlossen drückte er die Klinke herunter und gab der Eingangstüre einen herzhaften Stoß, dass er mit seiner Leibesfülle durchkäme, bevor sich die Tür wieder hinter ihm schlösse.
Seine Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an die Dunkelheit im Ladeninneren gewohnt hatten. Werner blinzelte, als er ein Rascheln zwischen den Kleiderständern und Regalen wahrnahm. Geräusche von knisterndem Papier und ein unerwartetes Rauschen begleiteten die Ankunft von - Rumpelstilzchen. Roch es hier wirklich und wahrhaftig in diesem Augenblick nach Pech und Schwefel?
Ein sehr kleiner Mann mit grauem Haar und fein gestutztem silbernen Bart baute sich vor Werner auf und schaute grimmig in die Höhe.
"Kann ich helfen?", schnarrte das Männlein mit überraschend heller Stimme.
"Ähm, ja, doch vielleicht...", brachte Werner als einziges Gestammel heraus. Er wurde noch verwirrter, als er im Halbdunkel auch noch Ansätze von Hörnern bei seinem Gegenüber zu erkennen meinte. Als der aber einen weiteren Schritt nach vorne trat, direkt unter die einzige scheinbar intakte Leuchte, die eher einem Sammelgrab von Generationen unzähliger Eintagsfliegen glich, zeigten sich ganz harmlos die verwirrten Haare dessen Hauptes. Dafür irritierte Werner ein kurzes Zischen. Im Augenwinkel meinte er eine lange Zunge gesehen zu haben. Tatsächlich fuhr sich das Männlein kurz über den Mund und murmelte etwas von unnötigem Getier.
"Meine Frau, Weihnachten, ein Pelz?", versuchte er jetzt, seinem Anliegen Ausdruck zu verleihen.
Rumpelstilzchen echote: "Frau, Frau, Weihnachten, Pelz, Pelz? Du traust Dich was!"
Das vertrauliche "Du" verärgerte Werner kurzfristig. In seiner Kneipe käme keiner auf die Idee, ihn zu siezen, aber außerhalb seiner neudeutsch "Home Zone" genannten Komfortzone, war er es gewohnt, Herr Kleinlich genannt zu werden.
"Du bist Dir ganz sicher?", raunte das Männlein ihm ins Ohr. Erstaunlich, dass er so weit hochkam.
Werner nickte eifrig. Er wollte das Strahlen in den Augen seiner Frau sehen, wenn sie dieses Jahr ihr Geschenk auspackte. Kein Faux Fur von H+M oder ASOS, wie ihm ihre Tochter beim letzten Telefonat bereits vorgeschlagen hatte. Ein wirklich und wahrhaftig echter Pelz sollte es sein.
"Was hast Du Dir vorgestellt?"
Bevor Werner wusste, was ihm geschah, wurde ihm ein dunkelbraunes, unförmiges, langhaariges Teil unter die Nase gehalten.
"Stell ihn Dir getragen vor. Schließe die Augen und gib Deiner Imagination eine Chance."
Bitte, was? Es dämmerte ihm langsam, als ganz hinten aus seiner Vorstellungskraft ein blonder großer kurzhaariger Engel langsam auf ihn zugeschritten kam. Das göttliche Wesen trug diesen braunen Pelz, wiegte sich mit jedem Schritt und er erwartete, sie würde ihm gleich ein Geburtstagsständchen singen. Aber nein, sie blieb einfach vor ihm stehen und drehte sich langsam, hob dabei ihre Arme, damit er auch den Schnitt der Ärmel genau studieren konnte. Die Arme sanken wieder, ihre Hände mit unglaublich schlanken Fingern und blutroten Nägeln nestelten am Verschluss und öffneten das Kleidungsstück. Erschrocken riss Werner seine Augen auf.
"Nicht schön, was Du gesehen hast?" kicherte das Männlein.
Werner rang nach Luft.
"Das Paradies - ich habe das Paradies gesehen!"
Das Paradies mit feiner Gänsehaut, herzallerliebsten Äpfelchen, unendlich langen Beinen, die vorne venusgleich... Schluck!
"Ich werde mit ihr schimpfen, wenn sie wieder nichts unter dem Mantel trug... Du stehst auch auf rassige Dinger?"
Werner traute sich nicht zu nicken. Der rote Mantel, der gerade vor seiner Nase hin und her geschwenkt wurde, schien einem Sack gleich. "Der wurde nur einmal von einer russischen Fürstin getragen, vor über 100 Jahren."
Der immer ratloser werdende liebende Ehegatte versuchte noch einmal sein Glück. Wirklich - der Mantel, nein, diese Göttin darin, schwebte kokett um ihn herum. Sie lachte, warf ihm Kusshände zu. Was mochte sie darunter tragen? Sie löste das kurze Rätsel selbst auf. Elfenbeinfarbene seidene Dessous mit viel durchsichtiger Spitze über netten Rundungen zeigten sich. Schön verpackt, aber noch nicht das, was er sich für Suse wünschte. Was Suse sich wünschen würde. Hoffte er.
"Oder lieber dieser hier?"
Diesmal wurde ein Persianer hochgehalten. Die Ärmel muteten fast an wie Flügel, rabenschwarze weite Dinger. Das Rückenteil schleifte über den Boden. Wer auch immer diesen Mantel bereits getragen hatte, schien nie natürlichen Boden unter ihren Füßen gefühlt zu haben. Kein Staubkorn war erkennbar. Die lockigen Haare leuchteten wie frisch gebürstet.
"Lass Deine Augen offen!", versuchte das Männlein noch Werner zu warnen. Zu spät. Werner hoffte auf einen weiteren Blick aufs Paradies. Egal, ob mit Pelz unterm Pelz oder ohne.
Er sah eine junge, ölverschmierte Frau auf ihn zukommen. Die Locken des Felles verwandelten sich in von Pech triefende Federn. Ihre rußig umrandeten Augen in diesem schmalen Gesicht starrten ihn wie schmerzverzerrt unverwandt an. Sie kam näher, wurde größer und größer. Flammen züngelten um sie herum auf, während sie langsam ihre Schwingen ausbreitete, Feder um Feder richtete, den Mund öffnete, bereit, ihre mit funkelnden Steinen besetzten Eckzähne in seinen Hals zu schlagen...
Während Werner laut schreiend aus dem Laden stürmte, murmelte das Männlein leise: "Die Menschen vergessen immer, dass so ein Pelz viele Seelen hat."
Seufzend hängte er die drei Stücke wieder zurück in die Regale.
Pünktlich am 24.12. prostete Werner seiner Suse an der Beach-Bar des Club-Med in Phuket mit einem wohltemperierten Talisker zu und freute sich über seinen glücklichen Einfall, ihr 14 Tage Thailand geschenkt und Deutschland rechtzeitig zum Fest verlassen zu haben. Zum Teufel mit Weihnachten. Wer brauchte schon einen Pelz? Am thailändischen Strand würde Suse nur darin schwitzen...
Nur eine blonde Göttin hielt sich hartnäckig in seinem Kopf. Wenn er an seiner Zigarre sog und die Augen schloss, sang sie ihm etwas atemlos ein Ständchen: "Santa Baby". Ganz ohne Pelz. Genauso liebte er seine Suse ganz besonders.
Fröhliche Weihnachten!