Das siebte Türchen
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Weihnachten mit dem Fremden
Das ganze Jahr schufte ich für meinen Vater und meine sieben Brüder. Ich halte das Gasthaus sauber, kaufe ein, koche wie eine Wilde, wasche ab, und wenn sie alle zum Jagen gehen, dann helfe ich auch noch in der Gaststube aus.
Keiner kann sich vorstellen, wie ich das alles eigentlich schaffe. Nicht einmal ich selbst.
Heute zum Beispiel gab es Schnitzel. Mein Vater ist eher kleinwüchsig, sogar noch kleiner als ich, doch auch er isst mindestens zwei Schnitzel. Meine Brüder dagegen sind Riesen. Drei Schnitzel gilt als normale Mahlzeit, verdrücken können sie fünf – und dass ohne Probleme.
Wenn man sich allein nur den Schnitzelberg für sie vorstellt, wird es einem schon schlecht. Dazu kommen dann noch so zehn bis fünfzehn Gäste am Tag. Und das jeden Tag. Jeder Tag ist für mich Großkampftag, jeder Tag, bis auf Weihnachten.
Da helfen sie alle mit, heizen mir den Badezuber ein, bringen mir Schokolade und Bier, sogar eine Zigarette, und ich darf mich schön machen.
Und dann gibt es immer eine Überraschung. Irgendwie schaffen sie es und organisieren mir einen Mann.
„Pst, Maria“, flüstert mein jüngster Bruder. „Deine Überraschung ist gerade angekommen.“
Ich bin noch nicht ganz angezogen und so lure ich durch das blinde Fenster in die Gaststube.
Der Fremde ist hochgewachsen, aber kein Riese. Seine Stimme gefällt mir. Er fragt höflich, ob ihm jemand mit seinem Leihauto helfen kann, das sich aus unerklärlichen Gründen nicht mehr bewegen lässt.
Ich muss schmunzeln. Meine Brüder arbeiten im Magnetberg, es ist ihnen ein leichtes die Elektronik eines Autos außer Kraft zu setzen.
Schnell ziehe ich mein Kleid über, schlüpfe in meinen Mantel, gleich wird der Fremde vor die Tür gesetzt.
Was dann kommt, darauf freue ich mich das ganze Jahr.
Ich stehe draußen in der Kälte und dem Wind, der Fremde wird hinauskomplementiert, grüßt mich, fragt nach einer Unterkunft und ich beschwöre ihn mit einem Wortschwall Esperanto und dann hake ich mich bei ihm ein und ziehe ihn mit mir mit.
Er wehrt sich nicht. Er will zweimal ansetzen etwas zu sagen, probiert es auf Englisch, gibt dann auf, lehnt sich an mich, schützt mich vor dem Wind und kommt mit.
Auf dem Weg zu meiner Hütte erzähle ich ihm alles. Von meinem Tag, von meinem Leben, dass er mein Weihnachtsgeschenk ist, ein Geschenk für eine Nacht. Doch er sagt dazu nichts.
Kein Wunder er versteht Esperanto nicht, sollte er aber, denn, wenn er mitkommt, wenn er meine Hütte betritt, freiwillig und ohne Furcht, wenn die Tür zufällt, dann gehört er mir. Mit Haut und Haar.
Und genau das sage ich ihm jetzt auch. Wir stehen vor meiner Tür, ich habe den Schlüssel in der Hand. „Kun haŭto kaj haroj vi apartenas al mi en ĉi tiu magia nokto“, sage ich mit heiserer Stimme. Mein Herz klopft, meine Hände wandern zu ihm, ich bin so aufgeregt. „Kun haŭto kaj haroj vi apartenas al mi en ĉi tiu magia nokto!“, rufe ich den Bäumen, dem Wind, der Nacht zu. „Ja?“, frage ich ihn und mein Gesicht kommt seinem immer näher. „Ja? Mit Haut und Haaren gehörst du mir in dieser magischen Nacht?“
„Ja“, brummt er und drückt mich gegen die Tür, und seine Hände sind überall und unsere Münder verschließen den Pakt und wir fallen in meine warme Stube, wir stöhnen und lachen, wir kosten und schlecken, wir riechen und verschlingen, wir werden Eins.
Nicht einmal lieben wir uns in dieser Nacht, sondern viele Male, er kann nicht genug bekommen von mir, ich kann nicht genug bekommen von ihm, nicht genug. Und das ist dieses Mal anders. Wirklich nicht genug. Sobald meine Lippen ihn verlassen überkommt mich eine süße Sehnsucht und ich muss mich in seinem Bauch, seinen Lenden vergreifen, ihn anflehen, ihn ansehen. Seine Augen lodern und glühen, er knurrt mich an und greift in meine Haare und küsst mich wieder und wieder, aneinander geklebt schlafen wir ein.
Mein Herz jubiliert als ich am nächsten Morgen in seinem Armen erwache, wachgeküsst werde, ich erbebe wie die Blätter des Waldes, ich möchte die magischen Lieder singen, ich möchte ihn und da ist er mit einem Stoß in mir drin. Nur noch einmal, denke ich, nur noch einmal will ich dich lieben, will ich dich, Haut und Haar, und ich kann nichts machen, Wasser läuft aus meinen Augen, Tropfen für Tropfen, immer mehr.
„Es war alles nur ein Traum?“, fragt er, unglaublich, wie präzise er das spürt, immer noch hart, immer noch in mir drin.
„Ja“, flüstere ich, ich kann ihm nicht in die Augen sehen. „Ich werde dir Frühstück geben, werde dir vom Kraut des Vergessens geben und du wirst in deinen Wagen steigen und ich werde dich nie wiedersehen.“
„Hört, hört“, sagt er und dreht meinen Kopf und sucht meine Augen. „Ich werde bestimmt kein Kraut des Vergessens essen. So hungrig kann ich gar nicht sein. Eher werde ich dich essen. Hast du das nicht gesagt. Mit Haut und Haaren? Ni estas unu. Vi apartenas al mi - ni estas unu.“
Ni estas unu. Wir sind eins. Ni estas uno und seines vermischt sich mit meinem.
„Ja?“, fragt er. „Ja?“
„Ja“, sage ich, um sogleich zu zaudern. Ich will ihn fragen, aber wie, wie wollen wir das bewerkstelligen, doch da steht er schon da, tatkräftig und aufrecht, da hat er mir schon mein Kleid übergezogen und den Mantel, verschließt meine Fragen mit seinem Mund, Hand in Hand gehen wir nach draußen, in den Wald.
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