Das achte Türchen
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Fips, der Putzteufel
Der kleine Teufel war ausgerissen.
Ja, ausgerissen! Sie lesen richtig. Dabei liegt das Erstaunliche nicht im Ausreißen an sich. Teufel müssen ja per se Dinge anstellen, die nicht erlaubt sind. Nein - es ist der Umstand, dass es ein Teufel wieder einmal geschafft hat, unbemerkt die Hölle zu verlassen, der überrascht. Nach Berlusconi, äh nein: Benigni, der zuerst in eine dicke Frau geschlüpft war und sie zu unflätigem Benehmen verführt hatte. Und danach dem armen Priester Matthau das Fürchten lehrte.
Nein - es war der kleine Schornsteinfegerteufel Fips, der beim Putzen etwas zu hoch geklettert war. Dort ganz oben im Kamin gibt es so ein geheimnisvolles Ziehen und Heulen, von dem die Alten immer schwärmen. Sie schwärmen davon, weil sie als Erwachsene natürlich viel zu fett sind, um noch so weit nach Oben klettern zu können. Die Kombination von Wanst und Hörnern verhilft ihnen weiter unten, wo die Kamine noch weit und geräumig sind, zu sicherem Halt. Doch je höher es geht und je enger die Abzüge werden, desto jünger und schlanker müssen die Putzteufel werden.
Eigentlich war unser Fips zu der Zeit schon viel zu alt für diese Höhen, doch hätten ihn Kinder oben auf der Erde Bohnenstange gerufen, weil er so dünn ist. Und da die Natur es wirklich schlau eingerichtet hat, und pubertierende Jugendteufel normalerweise nie so hoch kommen, dass sie diesen Luftzug im kamin verspüren könnten, rissen auch nur äüßerst selten irgendwelche wunderfitzigen Teufel aus.
Wie gesagt: Normalerweise!
Denn Fips ist zwar kein besonders aufmüpfiger Jungteufel, doch ein ausgemachter Wunderfitz ist er schon. Ein ausgemachter Wunderfips! Einmal hatte er sich in der Kleinstteufelschmiede aus Neugierde zu weit über den Rand des Abschreckbeckens gelehnt und war in den Ölbottich gefallen. Seither sind seine Haarspitzen tatsächlich so gehärtet, dass er zum Kaminputzen keine Stahlbürste mehr braucht.
Aber das ist alles nur Vorgeplänkel. Denn was er nun angestellt hat, da ihn das geheimnisvolle Ziehen und Heulen oben über den Kaminrand gezogen hat, wird noch Äonen Gesprächsstoff an den lodernden Feuern der Hölle bleiben.
Als Fips da oben in einem Kaminofen aus dem Loch schaute, blickte er geradewegs auf einen schön geschmückten und herrlich mit künstlichem Pulverschnee bestäubten Weihnachtsbaum. Fips war so fasziniert, dass er gar nicht bemerkte, dass um den Baum herum Menschen saßen. Menschen, die Weihhnachten feierten und gerade dabei waren, die unter dem Baum liegenden Geschenke zu verteilen.
So begab es sich, dass der kleine Rotzbengel Fridolin unseren Fips sah und blitzschnell zugriff.
Fridolin hat furchtbar schlaue Eltern, die wollen, dass ihr einziges Kind noch schlauer wird als sie. Menschen halt!
So war er während der Geschenkverteilung nach dem Erhalt eines Zirkels und einer in feinstes Leder gebundene Formelsammlung auf der Suche nach etwas Ablenkung. Und während sein Vater die fürchterlich schön geblümte Krawatte auspackte und Mutter megabegeistert das automatische Waffeleisen bestaunte, kam ihm so eine spindeldürre glutrote Figur gerade recht. Endlich etwas zum Spielen!
Fipps jedoch erschrak fürchterlich, als der Junge mit seinen groben Wurstfingern nach ihm griff. Und wie es klar ist, dass alle Wesen im Schreck erstarren und Teufel dies bei Temperaturen unterhalb einhundertdreißig Grad sowieso zu tun pflegen, wird es nicht verwundern, dass Fipps auf der Stelle so steif wie eine Porzellanpuppe oder in etwa genauso beweglich wie eine Vogelscheuche war.
Allerdings spielte der zappelige Menschenjunge nicht lange mit dieser seltsamen Figur und als lecker duftende Lebkuchen auf den Tisch kamen, ließ er Fipps achtlos zu Boden fallen. Der Zufall wollte es, dass der Fridolin gerade neben dem Kamin stand und unser kleiner Teufel deshalb mit einer Hälfte im Feuerraum und der anderen im nebenstehenden Tannenbaum steckte. Beziehungsweise im Lametta desselben.
Der Leser wird ahnen, was nun passierte.
An der Wärme der Flammen taute der kleine starre Teufel alsbald wieder auf und wollte nach diesem schrecklichen Erlebnis, so schnell es nur irgend ging, wieder in seinen gemütlichen Schlot zurück. Er zappelte wild herum und versuchte verzweifelt, seine Beine frei zu bekommen. Doch da diesmal Opa, der nach dem Motto lebte: "Früher war mehr Lametta!", den Baum geschmückt hatte, fiel beim wilden Befreiungsversuch von Fips der Baum um.
Unserem kleinen Teufel, der nun einmal per Definition das Höllenfeuer gewohnt ist, machte der sofort lichterloh brennende Baum gar nichts aus. Im Gegenteil! Denn erst nachdem die kleineren Ästchen, an denen das Lametta befestigt war, vom Feuer verzehrt worden waren, konnte er sich hurtig in die rettende Tiefe flüchten. Zusammen mit massig Silbergeflitter, in das er sich bei seinem Gezappel rettungslos verheddert hatte. Sowie rechts und links jeweils einer spiegelnden Christbaumkugel, weshalb die weiter unten putzenden Teufel dachten, ihn gleich dreimal zu sehen, das flatternde Lametta als schlagende Flügel zu erkennen dachten und erschrocken vor einem vermeintlichen Racheengel flüchteten.
Denn wisse: Engel sind das Schreckgespenst eines jeden anständigen Teufels!
Das Letzte, was Fips noch von oben hörte, war der Fluch von Fridolins Vater:
"Zum Teufel mit Weihnachten!"
Wie der Leser allerdings zu Recht vermutet, wurde dieser Menschenbrauch trotz der Verwünschung des Fridolinschen Vaters nicht zu einem jährlich wiederkehrenden Ritual in der Hölle. Auch wenn Weihnachten in vielen Häusern noch viel grausamer erscheinen mag, als es die reale Hölle je sein wird.
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