Er ist dran
Gestern rief Gott an. Ich wusste sofort, dass er es ist. Er sprach nicht. Aber das tut er eh kaum. Ich drückte den Hörer an mein Ohr und lauschte ins All. Da war nichts. Sein Schweigen, und ein Rauschen. Zunächst das Rauschen eines Rauschens und dann ein stetes, unmerkliches Rauschen, das durch das Bemerktwerden lauter und rauschhafter wurde, aber auch formeller und nachdrücklicher. Niemand schweigt wie er. Das kann er gut. Daran erkannte ich ihn. Ich lauschte dem Rauschen und wusste, dass er es ist. Und ich weiß, dass das Rauschen schon lange da war, bevor ich abhob. Und doch ahnte ich es beim Klingeln nicht. Ich ahnte es beim Abheben nicht. Ich ahnte es beim Hallo sagen nicht. Aber nachdem ich ausgesprochen hatte und das o von Hallo sich aus meinem Hals schwang und an meinem Ohr viel zu lange festhielt, wusste ich es. Er ist dran. Gott ist am Telefon.
Er rief an am frühen Morgen, so um halber. Und ich so, nur so halb da und das nicht mal ganz. Ich hatte gerade erst den ersten Kaffee getrunken und den nur so halb.
Ich war still. Ich stand still. Ich hörte hin. Wie er nichtssagte, wie er schwieg, wie er nichtantwortete. Wie er trotz allem nicht nichts sagte. Niemand antwortet nicht, wie er es tut. Seine Nichtantworten, sind Horden von Worten. Er sagt alles durch das Sagen von Nichts. Ich glaube er hält sich auch auf dorten.
Wenn man das, was zu sagen wäre nicht sagt ist es nicht gesagt, es ist nichts und es ist dennoch. Es ist da, im Raum, im Kopf, in der Luft, im Blut, es ist anfassbar und warm und es schwitzt. Es atmet und ist man still genug, hört man seinen Atem. Revolvierend. Es atmet leicht und gleichmäßig und sobald du seinen Atem bemerkst, atmet es schneller und schneller und lauter und lauter. Und so wurde an diesem Morgen der Atem des Ungesagten vor lauter Lautheit läuternd und nicht mehr leugenbar laut. Es war da.
Gott rief wegen Weihnachten an. Ausgerechnet. Was sagt man ihm zu Weihnachten? Soll man abwiegeln, relativieren, schönreden, sich dumm stellen? Ich kann nicht nichts sagen. Zwei können nicht das gleiche Spiel spielen und ich bin das Rind oder das Kind. Je nach Sprichwort.
Aber gottseidank, er mag Weihnachten, ja, wirklich. Schon wegen der ganzen Liebe und so und das man öfters an ihn denkt, als sonst im Jahr und so. Er mag es, dass man ihn in dieser Jahreszeit öfters besingt. Er mag den Schmuck, er mag grün und er mag rot. Er mag Bäume, Engel und sogar Elfen. Er mag die Musik. Er hört Menschen immer zu wenn sie singen, immerzu. Sonst auch, aber beim Singen immerzu.
Und so mag er auch die ganzen Chöre, er liebt sie sogar. Er hat zwar bei sich zuhause auch welche, nämlich die der Engel in multidimensional surround mit wirklich allem, aber die der Menschen bedeuten ihm mehr und die der Kinder am allermeisten. Er hat einen Narren an Kindern gefressen. Wohl, weil sie ihm am besten gelungen sind. So geworden, wie er sie auch gedacht und gewollt hatte, wie sie haben werden sollen. Und solange die Kinder Spaß haben, hat Gott auch Spaß, und so. Wenn die Kinder Weihnachten lieben, liebt Gott Weihnachten auch. Ganz klar. Da macht Gott keinen Scheiß. Trotz allem. Selbst wenn wir aus Weihnachten Christmas gemacht haben. Und selbst wenn wir dieses Christmas nahmen und noch das christ entfernten, um es zu ersetzen mit nur noch mehr Masse.
Das war nicht der Grund seines Anrufes. Der ganze Kommerzklimbim, die morphinoiden Wohlfühlszenarien auf Bildschirmen und in Einkaufszentren. Der aufgedrehte dillidalli Weihnachtszirkus und das postulierte Glück durch und der Bau auf Konsum. Und das Wohlgefühl im Gewühl der vielen Gefühle. Alles geschenkt! Geschenkt, solange die Kinder glücklich sind. Geschenkt, solange der Spaß nur ein Kind lachen macht. Geschenkt!
Gott rief an, wegen was anderem an. Er rief an, um mich durch nichts zu erinnern nicht zu vergessen. An das, was auflebt hier am Bruch der Zeit. An das, was schön und wahr und warm ist und das sich, zwischen den Jahren, hinter den verbarrikadierten Hütten des Weihnachtsdorfs sein Versteck suchen wird, um dort zu überwintern. Um am Leben zu bleiben. Um nicht vergessen zu werden, wie der Schnee des letzten Jahres vergessen wurde und der dieses Jahres vergessen werden wird. Gott rief wegen des Grundes an. Des einzigen für das Alles.